»Noch immer.«

Angélique fuhr fort, um dem Schweigen zu entrinnen:

»Einmal fiel ich ins Wasser. Ihr fischtet mich auf, ganz mit Algen bedeckt, und als ich nach Monteloup zurückkehrte, bekam ich Prügel. Man verbot mir, wieder in die Sümpfe zu gehen, und bald danach hat man mich ins Kloster geschickt. Wir sahen uns nicht wieder.«

»Doch. Bei der Hochzeit der Tochter Vater Sau-liers.«

»Ah, ja!«

Sie erinnerte sich.

»Du trugst einen schönen Tuchanzug«, sagte sie lachend. »Und eine gestickte Weste. Du gingst ganz steif und wagtest nicht zu tanzen.«

Sie sah die Scheune wieder vor sich, in der sie, von den Rundtänzen erschöpft, geschlafen hatte und in die Valentin ihr verstohlen gefolgt war. Er hatte seine Hand auf ihre schwellende Brust gelegt. Das Verlangen des großen, ein wenig einfältigen Jungen hatte als erstes die Marquise der Engel bedrängt. Die lästige Erinnerung genierte sie.

»Und danach«, sagte die träge Stimme des Müllers, als ob er dem Gang ihrer Gedanken gefolgt sei, »war ich krank. Mein Vater sagte mir: >Das wird dich lehren, um Feen herumzuscharwenzeln.< Er brachte mich zur Kirche Notre Dame de la Pitié, um Teufelsbeschwörungen über mir lesen zu lassen.«

»Meinetwegen?« fragte Angélique betroffen.

»Hatte er nicht recht? Ihr seid eine Fee.«

Sie unterdrückte ein Lächeln, aber der Ton Meister Valentins blieb ernst.

»Ich bin geheilt worden. Es hat lange gedauert. Später hab’ ich nicht geheiratet. Ich hab’ mir Dienerinnen genommen. Nicht mehr. Man erholt sich nicht so leicht von der Krankheit der Feen. Sie packt das Herz mehr als den Körper. Und die Seele bleibt vielleicht immer krank .«

Er verstummte, und das seidige Geräusch der streifenden Algen erfüllte das Schweigen, in dem plötzlich das Quaken einer Kröte erklang.

»Wir sind gleich da«, sagte der Mann.

Die Barke stieß ans Ufer. Der Geruch des Waldes und der Erde drang bis zu ihnen.

Auch die anderen, von den kleinen Lakaien geführten Barken legten nacheinander an.

»Kommt Ihr auf ein Gläschen mit zur Mühle, Frau Marquise?«

»Nein, danke, Valentin. Der Weg ist noch lang.«

Den Hut in der Hand, begleitete er sie bis zur Grenze des Waldes.

»Bei der alten Eiche dort erwartete Euch Nicolas, der Schäfer. Er hatte Walderdbeeren für Euch gesammelt und sie auf ein Blatt gelegt.«

Es war verblüffend, daß das Echo einer Stimme das Kinderherz in ihrem Frauenkörper wiederzuerwek-ken vermochte, der so verwinkelte Schicksalspfade gegangen war, und vor ihr das Bild eines kleinen Jungen mit schwarzen Locken und feurigen Augen, in der einen Hand den Hirtenstab, in der anderen duftende Früchte. So hatte er sie am Eingang seines eigenen Reiches erwartet: der Wiesen und Wälder.

Sie wischte die matt gewordene Vision beiseite:

»Nicolas«, sagte sie. »Weißt du, was aus ihm geworden ist? ... Ein Bandit. Man hat ihn auf die Galeeren des Königs geschickt. Weißt du, wie er gestorben ist? ... Ein Offizier stürzte ihn im Laufe einer Revolte, die er angeführt hatte, ins Meer .«

Und da der Mann neben ihr nichts sagte:

»Erstaunt es Euch nicht, Meister Valentin, daß ich so viel über Nicolas Merlot weiß, der seit so langem aus der Gegend verschwunden ist?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein. Wer könnte sonst die Vergangenheit und die Gegenwart kennen? Ah, man weiß recht gut, wer Ihr seid und woher Ihr kommt!«

In Plessis erschütterte Montadours Stimme die Mauern. Angélique hörte sie schon im Keller.