»Könnt Ihr nicht zum Schluß kommen, Monsieur? Ich bin müde.«

»Wir auch«, bemerkte der Edelmann entrüstet. »Seht Ihr nicht, Madame, in welche Lage Ihr uns bei dieser Lektüre zwingt?«

»Ich sterbe, Monsieur.«

Ein boshafter Ausdruck glitt über das Gesicht des Grandseigneurs.

»Ich rate Euch, nicht zu lange zu sterben, Madame, denn Ihr dürft nicht glauben, daß die Nachsicht Seiner Majestät Euch gegenüber ewig währt. Mit dieser Warnung schließt in der Tat ihr Schreiben. Wißt also, Madame, daß Euch der König in seiner Güte mehrere Monate der Überlegung zubilligt, bevor er Euch endgültig als unverbesserliche Rebellin betrachtet. Ist dieser Zeitraum verstrichen, wird er unbeugsam sein. Wir sind im Mai, Madame. Der König weiß Euch krank, erschöpft. Er ist entschlossen, Geduld zu üben, aber wenn Ihr bis zu den ersten Oktobertagen die Euch auferlegten Bedingungen nicht erfüllt, um seine Verzeihung zu erlangen, wird er Eure Weigerung als offene Rebellion ansehen.«

»Was wird dann geschehen?«

Monsieur de Marillac entfaltete von neuem das Schreiben des Souveräns.

»Madame du Plessis wird arretiert und in eine Festung oder ein Kloster Unserer Wahl überführt werden. Ihre Wohnsitze werden versiegelt, ihre Schlösser, Häuser und Ländereien verkauft werden. Ihr verbleiben als Lehen und erblicher Besitz allein Schloß und Domäne du Plessis, die an Charles-Henri du Plessis, Sohn des Marschalls und Unser Patenkind, dessen Vormundschaft Wir übernehmen, fallen werden.«

»Und mein Sohn Florimond?« fragte Angélique erblassend.

»Er ist hier nicht erwähnt.«

Ein Schweigen breitete sich aus, in dem Angélique die befriedigten Blicke der Männer auf sich ruhen fühlte, die sie kaum kannte, denen sie nichts getan hatte und die dennoch sichtlich ihre Niederlage genossen, weil das Verlangen, die Schönheit am Boden und das gedemütigt zu sehen, was nicht im Staube kriechen will, zu den natürlichen Trieben des armseligen Menschen zahlt.

Für lange Zeit würde Madame du Plessis ihren kleinen, stolzen Kopf nicht mehr erheben, würde sie zwischen dem König und den Einflüssen, die andere Geister vergeblich auf ihn auszuüben versuchten, nicht mehr die Schranke ihrer smaragdenen Augen errichten. Sie würde in Versailles nur erscheinen, um sich einer schmerzlichen Prüfung zu unterwerfen, die ihren Hochmut für immer bändigen würde. Sie verlöre so ihre unbezähmbare Kraft, sie würde wie die andern werden: ein gelehriges Instrument, ausgeliefert geschickten Händen, die geschaffen waren, Seelen und Schicksale zu lenken. Hatte man es nicht schlau angefangen, dem König Unnachgiebigkeit zu empfehlen?

Monsieur de Solignac brach als erster das Schweigen mit salbungsvoller, leiser Stimme. Er hatte durch das lange Knien nicht gelitten, denn er war an endlose Gebete in der Verschwiegenheit seines Betzimmers gewöhnt, wenn er von Gott die Kraft zur Fortsetzung und Bewältigung des erschöpfenden und geheimen Werks erflehte, einer verderbten Welt sein göttliches Gesetz aufzuzwingen. Er erklärte, ihm scheine der Augenblick für Madame du Plessis-Bellière gekommen, ihre vergangenen Irrtümer zu überdenken und die Zeit, die ihr die Nachsicht des Königs ließe, zur Beibringung von Beweisen einer nachhaltigen Reue zu nützen. Würde der König ihr nicht für immer verzeihen, wenn sie ihm als Pfand die Bekehrung seiner Provinz Poitou überbrächte?

»Es ist Euch gewiß nicht entgangen, Madame, daß die sogenannte reformierte Religion in den letzten Zügen liegt. Ihre Anhänger schwören in großer Zahl ihren Irrglauben ab und kehren an den Busen der katholischen und apostolischen Mutterkirche zurück.

Allerdings gibt es noch einige Unbelehrbare, besonders in dieser abgelegenen und wilden Region, aus der Ihr stammt und in der Ihr Ländereien besitzt. Kapitän Montadour, einer unserer eifrigsten Bekehrer und zu diesem Zwecke seit mehreren Monaten hier, hat die größte Mühe, die Hugenotten Eurer Domänen dazu zu bringen, von ihren infamen Überzeugungen zu lassen. Wir hoffen, Madame, Eure Unterstützung bei diesem heiligen Werk zu finden. Ihr kennt die Bauern dieser Provinz, kennt ihre Sprache. Ihr seid ihre Lehnsherrin. Ihr habt mehr als ein Mittel, Eure hugenottischen Hörigen zum Verzicht auf ihre sträflichen Ketzereien zu zwingen. Ihr seht, Madame, welch noble Aufgabe Eurer wartet. Bedenkt, wie sehr der König, den Ihr beleidigt habt. Euch für die Hilfe beim Werk der Einigung seines Reiches, das er zum höheren Ruhme Gottes unternommen hat, Dank wissen wird .«

Was Monsieur de Marillac durch die königliche Botschaft nicht erreicht hatte, brachten die Mahnungen Monsieur de Solignacs zuwege. Angélique fühlte sich aus ihrem gespielten Dämmerzustand gerissen, setzte sich jäh auf und fixierte die Männer mit weit aufgerissenen, brennenden Augen.

»Ist die Bekehrung meiner Provinz in die Bedingungen Seiner Majestät eingeschlossen?«

Ein sarkastisches Lächeln entblößte die gelblichen Zähne Monsieur de Marillacs. »Nein, Madame«, erwiderte er, »aber sie ist stillschweigend darin enthalten.«

Gleichzeitig und mit derselben Bewegung neigten sich die Herren de Marillac, Solignac und Breteuil über sie. Montadour hätte es ihnen nachgetan, wenn ihn sein Bauch nicht daran gehindert hätte. Er beschränkte sich darauf, sich so weit vorzubeugen, wie es ihm eben möglich war. Eine andere Hoffnung als die, Angélique zu einer heiligen Mission zu bekehren, verursachte ihm heftigen Blutandrang. Er entdeckte nämlich, daß diese Halbtote, die vor ein paar Tagen, fast schon in ihr Leichentuch eingenäht, im Schloß eingetroffen war, verteufelt verführerisch aussah.

Die vier über sie geneigten Gesichter riefen Angélique die Alpträume aus den Tagen ihrer Gefangenschaft ins Gedächtnis zurück, als ihr im Schlaf befreiter Geist sie zu den noch nahen Erinnerungsbildern des Hofs von Frankreich zurückgeführt und sie die bedrückende, von Komplotten und Drohungen genährte Atmosphäre Versailles’ hatte spüren lassen, in die sich die Angst vor den in geheimen Winkeln ihre schwarzen Messen zelebrierenden Giftmischern und den weihrauchumwölkten Intrigen fanatischer Glaubensverbreiter seltsam mischte. Alles das, wovor sie geflohen war und was sie für immer verworfen hatte, gewann von neuem Gestalt und niederträchtig wirkende Kraft. »Madame«, murmelte Marillac, »gebt uns Beweise Eures Eifers, und wir werden Euch das Schlimmste ersparen. Wir werden uns bemühen, die Gnade des Königs für Euch zu erwirken. Wir könnten ihn, zum Beispiel, dazu bewegen, die Härten der Euch auferlegten Buße zu mildern. Vielleicht ließe sich die Kutsche außerhalb des Gitters vermeiden ... das schwarze Kleid ... der Vasalleneid ...«

Er war nicht ungeschickt. Er wußte, daß eine Frau wie Angélique die demütigenden Kleinigkeiten schlimmer empfinden mußte als etwa die Übereignung einer ihrer Domänen an die Krone. Sie erwarteten ihre Versprechungen und Verpflichtungen, während sie sich schon ihre Instruktionen zurechtlegten.

Doch sie entzog sich ihnen hochmütig.

»Seid Ihr zu Ende, Messieurs?«

Der Gouverneur preßte die Lippen zusammen.

»Nein, wir sind nicht zu Ende, Madame. Ich habe Euch noch eine persönliche Botschaft Seiner Majestät zu überreichen. Hier ist sie.«

Angélique löste das rote Siegel und erkannte die königliche Schrift.

»Bagatellchen, mein unausstehliches, mein unvergeßliches Kind .« Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Sie wollte nicht weiterlesen und ließ den Brief sinken.

Die Abgesandten des Königs erhoben sich und zogen sich zurück. Monsieur de Marillac warf noch einen Blick auf die in ihre Decke gehüllte Gestalt, dann zuckte er die Schultern. Er würde den König wissen lassen, daß diese Frau gestörten Geistes sei. Sich auf den Fußboden zu legen, wenn man die Königin von Versailles gewesen war! Sie konnte einem leid tun. Er hatte unrecht gehabt, auf Solignac zu hören und sich in diese Angelegenheit zu mischen. Weder für den König noch für ihn oder die Gesellschaft vom Heiligen Sakrament war dabei zu profitieren. Allem Anschein nach lag sie im Sterben.

»Messieurs!«

Angélique rief sie zurück; sie verhielten an der Tür. Während sie sich von neuem aufrichtete, schuf ihr das wirre Haar eine Art fahlen Glorienscheins, der den Glanz ihres Blicks noch unterstrich.

»Messieurs, Ihr werdet dem König sagen, daß er nicht das Recht hat, gut zu mir zu sein.«

»Was soll das heißen, Madame?« fragte Marillac überrascht. »Haltet Ihr Euch der Güte Seiner Majestät für unwürdig?«

»Nein. Ich will damit sagen, daß Güte zwischen uns nichts zu suchen hat. Seine Liebe beleidigt mich. Denn wir sind Feinde, nicht wahr? Zwischen uns kann es nur eines geben: Krieg!«

Der Gouverneur verfärbte sich. Ein Schwindel erfaßte ihn bei der Vorstellung, dem König solche Worte wiederholen zu müssen.

Die drei Edelmänner entfernten sich sorgenvoll.

»Närrin! Närrin, die Ihr seid!« jammerte Barbe und stürzte zum Lager ihrer Herrin. »Welche Tollheit hat Euch nur gepackt, ihnen derlei Dinge an den Kopf zu werfen! Der König hat sie doch geschickt um alles zu arrangieren! Ah, Ihr habt eine schöne Art, Eure Verzeihung zu erkaufen!«

»Horchst du an den Türen, Barbe?«

Einmal in Schwung, fuhr Barbe, von einem heiligen Zorn besessen, fort:

»Es genügt Euch also nicht, ein Wrack, ein Unglückswurm ohne Mumm in den Knochen zu sein! Euer Leben ist wie durch ein Wunder gerettet worden, und jetzt, da Ihr es habt, fällt Euch nichts Besseres ein, es wie einen Firlefanz aufs Spiel zu setzen!«

»Barbe, du hast in meiner Abwesenheit eine bestimmende Art angenommen, die mir nicht gefällt.«

»Wie hätte ich mich sonst mit unserem kleinen Charles-Henri verteidigen sollen, bei all der Gendarmerie, die dauernd kam, diesen Teufelspolizisten, die uns ausfragten, die Papiere durchwühlten und in den Schränken herumstöberten? Hinterher hat man uns in Ruhe gelassen, und es blieb uns nur noch das Warten. Glaubt Ihr, es ist lustig, so zu warten und dabei den Rosenkranz zu beten und Euch dann eines schönen Tages magerer, zerzauster und wilder als eine sträunende Katze wieder auftauchen zu sehen? Und jetzt sind die Soldaten im Park, der dicke Kapitän befiehlt unter Eurem Dach, verschlingt die Vorräte, plagt Eure Dienerinnen. Es war wohl nötig, schreien und sich verteidigen zu lernen!«

Die Heftigkeit ihrer treuen Magd bestürzte Angélique.

»Was soll ich denn tun?« murmelte sie mit schwacher Stimme.

»Geht zum König«, flüsterte Barbe, neue Hoffnung fassend. »Alles wird dann wie früher sein. Ihr werdet wieder die Mächtigste im Königreich, Euer Haus und Eure Söhne werden überall geehrt werden. Geht zum König, Madame. Kehrt nach Versailles zurück!«

Über Angélique gebeugt, beobachtete sie auf deren Gesicht Zeichen der Niederlage. Aber unter den zitternden Lidern kehrte der unversöhnliche Glanz der grünen Augen wieder.

»Du weißt nicht, wovon du sprichst, Barbe. Zum König gehen! Für dich Harmlose kann es nichts Besseres geben als bei Hof zu leben. Aber ich weiß es besser. Habe ich nicht dort gelebt? Leben bei Hof? Welcher Hohn! Dort umkommen, ja! Vor Langeweile, vor Ekel und schließlich durch das Gift einer Rivalin.«

»Der König liebt Euch. Ihr vermögt alles über ihn.«

»Er liebt mich nicht. Er will mich. Ich werde niemals dem König gehören. Es ist unmöglich. Höre, Barbe, es gibt etwas, das du nicht weißt. Der König von Frankreich ist allmächtig, aber ich bin aus dem Harem Moulay Ismaëls entflohen ... Du kannst dir nicht vorstellen, was das bedeutet. Keiner einzigen Frau ist es vor mir geglückt. Es war unmöglich, völlig undenkbar! Warum sollte ich also nicht den König von Frankreich in Schach halten können?«

»Ist das Euer Wille?«

»Ja ... ich glaube. Ich glaube, daß mir nichts anderes übrigbleibt.«

»Ah! Närrin, Närrin! Gott möge uns schützen«, schluchzte Barbe und entfloh, das Gesicht in den Händen verborgen.

Der Kapitän Montadour schmauste im großen Speisesaal des Schlosses. Angélique beobachtete ihn von der Schwelle aus. Er aß nicht, er schlang. Mit starrem Blick und gerötetem Gesicht, dessen Färbung der rötliche Schnurrbart noch unterstrich, widmete er sich der Aufgabe, eine Schüssel voller Fettammern zu leeren, die man inmitten einer stattlichen Anzahl von Töpfen vor ihn hingestellt hatte. Mit geübter Hand ergriff er die Ammern, tunkte sie genußvoll in eine Sauciere und schob sie sich ohne viel Federlesens in den aufgerissenen Mund. Er zerbiß die Knochen, saugte sie geräuschvoll ab und wischte sich die Hände an der über seiner Brust wie ein Plastron entfalteten, mit einer Ecke in einem Knopfloch verankerten Serviette.