Beim Anblick dieser prachtvollen Frau konnte man kaum glauben, daß die Fehler, die sie bereute, zu denen gehörten, die er, Nicolas de Bardagne, mit Vergnügen zu vergeben bereit war, vor allem dann, wenn man sie zu seinen Gunsten beging.
Und dazu kam, daß die Gegenwart ihrer kleinen Bastardtochter sie in eine Lage brachte, von der er nur profitieren konnte.
Ein ausgezeichneter Handel, ein festlicher Tag für ihn!
Beim Betreten des Hofs stützte er ihren Arm. Angélique bemerkte es kaum. Übrigens hatte sie es nötig. Ihre Beine trugen sie nicht mehr.
»Seht«, sagte Monsieur de Bardagne beruhigend, »alles hat sich beruhigt.«
Von der alten Rebecca bedient, tranken die vier Soldaten, der Kommis und der Sieur Baumier im Vestibül des Erdgeschosses Wein. Als Mann von Stand, der sich mit seinen Untergebenen nicht gemein machen kann, hielt sich Baumier ein wenig abseits.
Als er seines Vorgesetzten ansichtig wurde, erhob er sich und verneigte sich tief, schien aber durchaus nicht in Verlegenheit zu geraten.
»Hört Ihr?« fragte er mit einem resignierten Blick zur Decke.
Ein monotoner, düsterer Psalm, der aus dem Zimmer Lazare Bernes drang, besang den Tod und die Angst der Seele. Die Protestanten wachten um den bedrohten Leichnam, aus ihrer Gemeinsamkeit Trost und Stärkung schöpfend.
»Ihr seht«, wiederholte Monsieur de Bardagne, zu Angélique gewandt, »habe ich’s Euch nicht gesagt? In La Rochelle sind wir unter Leuten mit angenehmen Umgangsformen. Alles erledigt sich von selbst.«
Sie konnte den fernen Chor nicht ohne leises Erbeben hören. Sie würde nie aufhören, diese Melodien von den Lippen ihrer Diener und der um ihre Mutter gedrängten Cambourg-Kinder zu vernehmen, damals, als die Dragoner mit gezogenen Säbeln ins Schloß gedrungen waren .
Der Statthalter des Königs unterhielt sich halblaut mit dem Präsidenten der königlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten.
»Ich fürchte sehr, daß Ihr bei diesem Unternehmen einem Mißverständnis erlegen seid, Monsieur Bau-mier. Es wird recht schwierig sein, den besagten Lazare Berne des Verbrechens der Rückfälligkeit zu beschuldigen, da er sich nie bekehrt hat.«
»Ihr habt mir versichert, daß Ihr mir freie Hand laßt, dergleichen Angelegenheiten nach meinem Dafürhalten zu behandeln und durchzuführen«, protestierte Baumier steif.
»Gewiß, aber ich setzte auch das Vertrauen in Euch, daß Ihr Eure Anklagen auf das genaueste fundiert. Der geringste Irrtum in diesen delikaten Fragen bringt uns die schlimmsten Schwierigkeiten auf den Hals. Die Reformierten sind sehr empfindlich und neigen nur allzusehr dazu, uns bösen Willen vorzuwerfen .«
Der Gesichtsausdruck des mit der Bekehrung der Protestanten betrauten Beamten ließ erkennen, daß ihm diese Bedenken absolut übertrieben schienen.
»Ihr macht zuviel Aufhebens von diesen Elenden, die nichts anderes als Deserteure des wahren Glaubens sind, Herr Generalstatthalter. Sie müssen mit der gleichen Härte behandelt werden wie auf dem Schlachtfeld dieses Verbrechens schuldig gewordene Soldaten.«
In diesem Augenblick erschien Monsieur Mani-gault, seinen Sohn Jérémie an der Hand führend und von seiner ganzen Frauenschar gefolgt.
Der Statthalter des Königs begleitete ihn nach oben. Ein Märtyrerlächeln um die messerschmalen Lippen, schloß Baumier sich ihnen an. Er war es gewohnt, allen Ärger hinunterzuschlucken. Die Gewißheit, daß er nichtsdestoweniger geistig und dienstlich auf dem rechten Wege war, half ihm, derlei Demütigungen zu ertragen. Ohne mit der Wimper zu zucken, hörte er zu, wie Nicolas de Bardagne sich vor der Versammlung zerknirscht über das »Mißverständnis« verbreitete und Maître Gabriel sogar versicherte, daß ihn keine Schwierigkeiten wegen der Öffnung der Stadttore im Augenblick der Beerdigung gemacht würden.
Der Zwischenfall war also abgeschlossen.
Er wäre um ein Haar wieder aufgeflammt, als eine kleine, runde Gestalt mit einem apfelgrünen Mütz-chen sich dem Sieur Baumier näherte, drohend einen Stock schwang und rief: »Du bist schlimm ... sehr schlimm. Ich mach’ dich tot!«
Es war Honorine, die, von allen vergessen, entschlossen war, sich wieder in den Vordergrund zu spielen. Sie steuerte geradewegs auf den Verantwortlichen für die Störung des Familienlebens zu. Er war der Unruhestifter, der böse Geist in dieser verstört zusammengedrängten Menge. Ihn mußte man strafen. Sie hatte einige Zeit gebraucht, um ihren Knüppel aus dem Holzstoß zu ziehen. Baumier vermied mit knapper Not die Schläge, die sie mit ihren kleinen, kräftigen Armen austeilte. Monsieur de Bardagne erkannte Angéliques Töchterchen wieder und lachte.
»Da ist ja das charmante Kind!«
»Ah, findet Ihr?« knirschte der Präsident der königlichen Kommission. »Und Ihr laßt es zu, daß dieses Ketzerbalg mich beleidigt?«
»Wieder einer Eurer Irrtümer, mein Lieber. Diese Kleine ist durch unsere Heilige Mutter Kirche getauft, wie es sich gehört.«
Mit einem vertraulichen Zwinkern raunte er ihm zu:
»Kommt, Maître Baumier, ich werde Euch über das ins Bild setzen, was Eurer Kurzsichtigkeit entgeht .«
Angélique hatte ihre Tochter am Arm erwischt und sich, von Laurier unterstützt, mit ihr in die Küche geflüchtet. Honorine war krebsrot und von blindwütigem Zorn erfüllt. Sie glaubte, im Verlaufe dieses Tages, an dem sich die Erwachsenen um sie nicht mehr gekümmert hatten als um die kleinen Katzen des Hauses, allzu lange Geduld geübt zu haben. Sie hatte ungestraft mit einem ganzen Zuber Wasser spielen, bei dem Versuch, ihre ausgehungerte Katze zu tränken, eine Schale Milch umstoßen und schließlich einen Marmeladentopf zur Hälfte ausschlecken können ... Die Großen fuhren fort, sich mit starren Gesichtern zu betrachten und dumpf klingende Worte miteinander zu wechseln. Zuweilen hatten sie gesungen ... Da ihre Mutter spurlos verschwunden war, hatte sie sich nach und nach immer beklommener gefühlt und sich schließlich den Erwachsenen genähert, um sie aus der Nähe zu beobachten. Sie war sofort gegen Baumier eingenommen gewesen, weil sie gesehen hatte, wie er eine Tabatiere aus seinem Rockschoß zog, sich zwei oder drei Prisen in die Nase stopfte und alsbald kräftig nieste. Dieses unpassende Verhalten war ihr im höchsten Maße abscheulich erschienen. Sie hatte sich entschlossen, diesem widerlichen Mann den Garaus zu machen.
»Ich will ihn tot machen«, wiederholte sie energisch.
Angélique versuchte, sie festzuhalten, während sie ihr Augenmerk auf die Tatsache richtete, daß ihre Tochter bis zu den Haaren mit Marmelade beschmiert war. In diesem Moment begann der kleine Laurier sich zu übergeben. Es war die Aufregung. Er hatte um seinen Vater gezittert, ohne recht zu wissen, wer oder was ihn eigentlich bedrohte. Die Angst ließ ihn wieder so elend aussehen wie in den ersten Tagen. Angélique füllte den eisernen Kessel mit sauberem Wasser und hängte ihn über die Glut. Dann fachte sie das Feuer an. Sie würde die beiden waschen müssen.
Séverine trat in Begleitung Madame Annas in die Küche. Sie wiederholte aufgeregt:
»Und dann, Tante Anna? . Hätte man ihn durch die Straßen geschleift?«
»Ja, meine Tochter. Der Pöbel hätte das Recht gehabt, ihn zu beschimpfen, ihn anzuspucken und mit Unrat zu bewerfen.«
»Findet Ihr es richtig, dieses Schauspiel zu beschreiben, obwohl es nicht stattgefunden hat?« fragte Angélique unvermittelt.
Plötzlich wurde Séverine noch weißer und glitt von ihrem Stuhl. Angélique hatte eben noch Zeit, das Mädchen in ihren Armen aufzufangen und in ihr Zimmer zu tragen.
Nachdem sie ihr die Schuhe ausgezogen hatte, legte sie sie aufs Bett. Séverines Hände waren eisig.
Angélique kehrte in die Küche zurück, ergriff einen Behälter, in den sie etwas von dem Wasser goß, das eben zu kochen begann. Gleichzeitig bereitete sie einen Bettwärmer vor.
Tante Anna bemerkte in verkniffenem Ton, sie sei verwundert, Séverine so wenig tapfer zu sehen, da sie sich sonst doch so energisch widerstandsfähig und ohne falsche Empfindlichkeit zeige.
»Und ich bin verwundert, daß Ihr Euch wundert«, erwiderte Angélique. »Denn Ihr seid doch eine Frau, wie mir scheint, und es kann Euch nicht entgangen sein, daß Séverine zwölf Jahre alt ist und daß ein Mädchen in diesem Alter der Schonung bedarf.«
Madame Anna schien durch die Anspielung höchst unangenehm berührt; da sah man es wieder: den papistischen Frauen fehlte es von Grund auf an Schamgefühl.
Angélique richtete Séverine mit Hilfe eines zweiten Kopfkissens ein wenig auf und riet ihr, die Hände so lange in das warme Wasser zu tauchen, bis sie sich wieder besser fühle.
Sie verließ sie, um den Bettwärmer, ein Fläschchen Parfüm und die kirschroten Samtbänder zu holen, die sie in der Rue des Merciers gekauft hatte.
Auf dem Bettrand sitzend, flocht sie mit geschickten Fingern das lange Haar des Kindes, das sie zuvor geteilt hatte, in zwei braune, mit den roten Bändern durchwirkte Zöpfe.
»So, jetzt wirst du dich besser ausruhen können.«
Sie tat ein paar Tropfen Parfüm in das Wasser des Behälters und rieb Séverines Stirn und Schläfen mit der flachen Hand. Das Mädchen ließ alles mit sich geschehen, hin und her gerissen zwischen den Gewissensbissen über ihre Schwäche und dem Wohlsein, das sie nach ihrem peinlichen Unbehagen empfand.
»Tante Anna wird unzufrieden mit mir sein«, murmelte sie.
»Warum?«
»Sie ist niemals krank. Sie sagt, daß man seinen Körper abtöten müsse.«
»Bah! Unser Körper übernimmt es schon selbst, uns abzutöten, ohne daß wir ihn dazu erziehen müßten«, bemerkte Angélique lachend.
Das Gesicht Séverines auf dem Kopfkissen schien ihr plötzlich verändert. Die bläulichen Lider machten ihren Blick weich, und unter ihren unhübschen, noch kindlichen Zügen zeichnete sich das Gesicht einer Frau ab. In ihren Augen würden nächtliche Tiefen schlummern, und schon jetzt ließ sich erkennen, daß ihr zu großer Mund einen Ausdruck unbewußter Sinnlichkeit bekommen würde.
Séverine war hart, viel härter als ihre Brüder, aber auch sie würde dem Erbe der Frauen nicht entgehen. Auch sie würde eines Tages mit diesem Ausdruck der Unterwerfung in den Armen eines Mannes liegen. Auch sie würde sich vor der Liebe beugen.
Angélique sprach sanft zu ihr, um sie zu beruhigen, wie es einstmals ihre Mutter getan hatte. Doch Séverine gewann nach und nach ihre Farben wieder, und ihre Augen begannen zu blitzen. Sie hatte immer darunter gelitten, ein Mädchen zwischen ihren beiden Brüdern zu sein, Martial, den sie bewunderte, und Laurier, den sie beneidete, weil er ein Junge war.
»Ich will keine Frau sein«, erklärte sie heftig. »Es ist ein schrecklicher, demütigender Zustand.«
»Was für eine Idee! Ich bin auch eine Frau! Sehe ich unglücklich aus?«
»Oh, Ihr . das ist nicht dasselbe«, erklärte Séverine. »Erstens lacht Ihr immer . und dann seid Ihr schön.«
»Auch du wirst einmal sehr hübsch sein.«
»Ach, ich lege keinen Wert darauf. Tante Anna sagt, die Schönheit der Frauen führe die Männer in Versuchung und verleite sie zu Sünden, die dem Herrn ein Greuel sind.«
Auch diesmal konnte Angélique ihr Lachen nicht unterdrücken.
»Die Männer begehen ohnehin alle Sünden, die sie begehen wollen, glaube mir. Warum sollte die Schönheit der Frauen eine Falle sein statt einer Huldigung für den Schöpfer?«
»Eure Worte sind gefährlich«, bemerkte Séverine im Tonfall Madame Annas.
Aber sie gähnte schon, und ihre Lider schlossen sich.
Angélique deckte sie zu und verließ sie, zufrieden über das glückliche Kinderlächeln, das, wie einstmals bei Laurier, im Schlaf um ihre Lippen spielte.
Ein paar Tage später schlich sich Martial bei Nacht auf ein holländisches Schiff. Doch das Schiff wurde auf der Höhe der Ile de Ré von Fahrzeugen der königlichen Marine angehalten. Der junge Passagier wurde verhaftet, zum Land zurückgeschafft und im Fort Louis eingesperrt.
"Angélique, die Rebellin" отзывы
Отзывы читателей о книге "Angélique, die Rebellin". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Angélique, die Rebellin" друзьям в соцсетях.