»Was soll er begreifen?«
»Daß wir die Erziehung seiner beiden Kinder nur einer katholischen Familie anvertrauen können. Das Übel sitzt schon zu tief in diesen jungen Seelen.«
»Warum hat man seine Tochter Séverine verhaftet?«
»Weil es Zeit wird, daß sie sich für die Religion ihrer Wahl entscheidet.«
»Solche Maßnahmen zerstören die Autorität des Familienvaters, die Grundlage unserer Gesellschaft und des Landes.«
»Was tut das, wenn diese Autorität schädlich ist. Ich habe hier einen Bericht, der .«
Er zog ein zweites Aktenstück heran, stockte jedoch mitten in der Bewegung. »Aber ... Ihr verteidigt sie ja!« rief er, indem er sie mißtrauisch betrachtete.
Angélique machte sich heftige Vorwürfe. Sie hatte sich ungeschickt verhalten. Sie hatte ihre persönliche Meinung allzusehr durchschimmern lassen. Sie fühlte sich nicht imstande, ihre Rolle so zu spielen, wie sie es früher getan hatte. Früher hätte sie Listen gebraucht und mit größter Leichtigkeit gelogen. Vielleicht lag es daran, daß sie sich damals die Dinge weniger zu Herzen genommen hatte.
Sie mußte um jeden Preis die Situation wieder in die Hand bekommen.
»Ich verteidige sie nicht. Ich möchte Euch nur beweisen, daß ich weiß, was in dieser Familie vorgeht. Und ich sehe, daß Ihr aufgrund irgendwelcher alberner Geschichten Eurer Dunkelmänner handelt, die sie pompös als >Berichte< ausgeben, während ich nicht einmal gefragt werde.«
»Ihr werdet nicht gefragt, weil Ihr nichts sagt. Gerade durch Euch hoffte ich zahlreiche und genaue Auskünfte zu erhalten. Aber ich wartete vergeblich.«
»Es gab nichts Interessantes mitzuteilen.«
»Dennoch habt Ihr Martial Berne fliehen lassen, ohne mich über sein Vorhaben, das Euch nicht entgangen sein kann, zu unterrichten.«
»Es handelte sich um keine Flucht, sondern um eine Reise.«
»Man hat Euch an der Nase herumgeführt.«
»Sagt nur noch, daß ich eine dumme Gans bin!«
Sie aufstehen und sich zum Verlassen des Zimmers anschicken zu sehen, schmetterte Monsieur de Bardagne nieder. Eilends umschritt er seinen Schreibtisch, um sie zurückzuhalten.
»Nun, wir werden uns doch nicht wegen solcher Kleinigkeiten streiten. Ihr habt meine Worte mißverstanden. Ich bin tief betrübt .«
Unter dem Vorwand, sie aufzuhalten, legte er seine Hände auf ihre Schultern und ließ sie die Arme entlanggleiten. Unter der Leinwand der Ärmel fühlte er das feste, sanfte Fleisch. Der leise Duft nach gesunder Weiblichkeit berauschte ihn. Angélique gab sich über die Natur ihrer Macht keinen Illusionen hin. Es war ihr unangenehm, aber sie sagte sich, daß es ihre Pflicht sei, daraus Nutzen zu ziehen, und löste sich von ihm mit aller nur möglichen Diplomatie.
»Ihr habt mich in der Tat verletzt.«
»Ich bin bekümmert und bereue.«
»Weil ich glaube, Euch sagen zu können, daß Ihr so, wie Ihr Maître Berne behandelt, niemals zum Ziel kommen werdet. Ich habe ihn recht gut kennengelernt. Er wird sich sträuben und nur noch starrköpfiger werden. Während Eure Nachsicht und das hilfsbereite Entgegenkommen, das Ihr ihm bezeigt, ihn Euren Argumenten zugänglich machen wird.«
»Wirklich?«
»Vielleicht.«
Der Statthalter des Königs geriet von neuem in Verwirrung. Diesem faszinierenden Hals, über den sein Blick glitt, so nahe, konnte es nicht anders mit ihm geschehen. Er verlangte danach, ihr Glauben, ihr blindes Vertrauen schenken zu können.
»Aber ich kann ihm schließlich doch nicht seine Kinder zurückgeben«, ächzte er. »Das ist ganz unmöglich ... Übrigens gestehe ich Euch gern ein, daß nur dieser verdammte Baumier dahintersteckt. Aber da die Prozedur nun einmal in Gang gesetzt, das Fluchtdelikt ans Licht gekommen und die Tochter verhaftet ist, kann ich nicht mehr zurück.«
»Was wollt Ihr mit ihnen machen?«
»Der Junge wird den Jesuiten anvertraut, das Mädchen den Nonnen.«
Und wir werden sie niemals wiedersehen, dachte Angélique bedrückt.
»Eben deshalb bin ich zu Euch gekommen, Herr Graf, um eine andere Lösung vorzuschlagen. Selbst Maître Berne könnte nichts dagegen einzuwenden haben. Er hat eine konvertierte Schwester, die mit einem Offizier der königlichen Marine verheiratet ist und auf der Ile de Ré wohnt.«
»Ich weiß. Madame Demuris.«
»Die Kinder könnten doch ihr anvertraut werden. Man hat mir versichert, daß derlei üblich ist. Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, ein reformiertes Kind seinen Eltern zu entziehen, sucht man nach der nächsten katholischen Verwandtschaft, um ihr die Erziehung zu übertragen. Es ist zugleich ein Akt der Menschlichkeit und der Vernunft.«
»Warum habe ich nur nicht schon selbst daran gedacht!« rief der Statthalter des Königs begeistert. »Das ist wirklich die vollkommene Lösung. Selbst Baumier wird nichts dagegen haben können, und Maître Berne wird mir, denke ich, dankbar sein. Ihr seid wundervoll. Eure Intelligenz kommt Eurer Schönheit gleich.«
»Dennoch, scheint mir, habt Ihr an ihr gezweifelt.«
»Was muß ich tun, um Eure Verzeihung zu erlangen?«
Vor Freude außer sich, erleichtert, entzückt über die Schätze, die er unaufhörlich in diesem erstaunlichen Geschöpf entdeckte, konnte Bardagne seinem Elan nicht widerstehen. Er nahm Angélique um die Taille und drückte seine Lippen auf ihren glatten Hals, dessen zarte Linien und graziöse Bewegungen ihn während der ganzen Unterhaltung immer von neuem berauscht hatten.
Angélique zuckte zusammen, als habe man sie verbrannt. Sie entzog sich so jäh seiner Umarmung, daß der arme Mann sie verdutzt anstarrte.
»Ist es möglich«, stammelte er, »daß ich Euch in solchem Maße zuwider bin?«
Seine Augen drückten Bestürzung aus, seine Lippen zitterten. Obwohl nur kurz, hatte die Berührung genügt, um alle seine Hoffnungen zu bestätigen. Diese Frau war erregender als alle, die er jemals kennengelernt hatte. »Tod und Teufel!« dachte er. »Sollte sie ebenso prüde wie die übrigen calvinistischen Jungfern sein? Das wäre mein Pech!«
Angélique stützte sich auf den mit Mosaiken eingelegten Tisch und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte.
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