Raymond de Sancé schloß mit sibyllinischen Worten, die seine Bitterkeit verrieten. Er sei es müde, schrieb er, die Last der Irrtümer seiner Brüder und Schwestern auf seinen Schultern zu tragen und als einziger den Namen de Sancé de Monteloup vor der königlichen Ungnade zu bewahren. Bald würde auch er sie spüren müssen, obwohl er immer ein treuer Untertan des Königs gewesen sei und es bleiben wolle. Aber wie sollte man der Unzufriedenheit Seiner Majestät entgehen, wenn man sich jahrein, jahraus für schuldig Gewordene einsetzen müsse, deren Starrköpfigkeit nur durch ihre unglaubliche Leichtfertigkeit übertroffen werde. Hatten die harten Lektionen nicht genügt, Angélique zu zähmen? Hatte er selbst sie nicht ständig gewarnt wie auch Gontran, Denis und Albert? Was nützten also alle Vorwürfe und Ermahnungen? Ihr wildes, unbeherrschtes Blut behielt dennoch die Oberhand. Eines Tages würde er überhaupt darauf verzichten, sich noch für sie einzusetzen ...
Diese Antwort empörte Angélique mehr als alles andere. Es war unwürdig, ihr Florimond zu verweigern. Der vaterlose Florimond gehörte nur ihr. Ihr allein. Er war für sie ein Freund, ein Kamerad. Der einzige lebende Beweis ihrer verlorenen Liebe. Florimond und Cantor, ihre beiden ältesten Söhne, waren ihr während ihrer Irrfahrt durchs Mittelmeer sehr nahegekommen.
Es schien ihr, als habe sie Cantors Liebe wiedergewonnen, indem sie ihm auf seine tollkühne Odyssee gefolgt war und den geheimen Traum des kleinen Pagen geteilt hatte. Er und sie waren ein wenig zu Komplizen geworden, das tote Kind und seine Mutter in derselben Falle gefangen, und seitdem empfand sie ihn weniger fern, weniger ausgelöscht.
Aber sie brauchte Florimond, ihren Ältesten, in dessen Zügen jenes andere Bild wieder Gestalt anzunehmen begann, das die Zeit zu verwischen drohte.
Mit ohnmächtigem Zorn las sie den Brief von neuem. Dann ließen die Vorwürfe ihres Bruders sie innehalten. Warum wandte er sich diesmal gegen die ganze Familie, statt wie gewöhnlich nur sie, Angélique, allein für ihre Schwierigkeiten verantwortlich zu machen? In ihrer Kindheit war es immer Angéliques Schuld gewesen, wenn Katastrophen eintraten. Dies-mal aber sprach er in der Mehrzahl.
Sie überlegte. Ein Satz Monsieur de Marillacs kam ihr ins Gedächtnis zurück: ». Die Disziplinlosigkeit einer Familie, deren Angehörige sich schwer gegen mich vergangen haben« oder etwas dergleichen. Sie erinnerte sich nicht mehr genau der Worte, da sie in jenem Augenblick nicht sonderlich auf sie geachtet hatte. Erst der Zusammenhang dieses Satzes mit den Andeutungen Raymonds ließ sie sich fragen, ob es sich nicht um Anspielungen auf ein Ereignis handelte, von dem sie nichts wußte.
Sie war noch tief in ihren Überlegungen, als ein Diener eintrat und meldete, daß der Baron de Sancé de Monteloup sie zu sprechen wünsche.
Der Vater Angéliques, der Baron de Sancé, war im vergangenen Jahr gestorben, gegen Ende des Winters, der ihrer Abreise nach Marseilles vorausgegangen war. Sie richtete sich deshalb bei dieser Ankündigung auf ihrem Ruhebett auf, da sie ihren Ohren nicht traute. Die Gestalt in braunem Rock und derben, lehmigen Schuhen, die die Stufen der Freitreppe erstieg, erinnerte sie an ihren Vater. Sie verfolgte ihr Nahen durch die Galerie und erkannte das verschwiegene, trotzige Gesicht der Sancé-Jungen. Einer ihrer Brüder? Gontran? . Nein, Denis.
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