Es war besser, sich in ihren Schutz zu flüchten, als den Versuch zu wagen, das noch ferne Haus zu erreichen, und auf dem Wege dorthin diese reichlich unerfreuliche Begleitung dulden zu müssen. Sie wußte, daß Maître Gabriel sich dort aufhielt, und war überzeugt, daß er die Burschen in ihre Schranken verweisen würde.
Sie fuhren fort, ihr Komplimente und abgeschmackte Albernheiten zu sagen. Vielleicht waren es doch nur leicht angetrunkene Müßiggänger auf der Suche nach irgendwelchen Vergnügungen.
Sie überquerte die Gasse und entdeckte zu ihrer Erleichterung am Ende einer langen, blinden Mauer die Einfahrt, vor der am Abend ihrer Ankunft in La Rochelle Maître Gabriel zum erstenmal angehalten hatte, um seine Kornkarren in den Hof zu dirigieren. Sie war nur noch wenige Schritte davon entfernt, als einer der Männer, der größere, der unter dem Tuch seines taubenblauen Rocks recht muskulös schien, ihre Hand ergriff und einen Arm um ihre Taille legte.
»Genug, meine Hübsche! Ihr werdet zwei netten Jungs wie uns, die nichts weiter möchten als ein Lächeln und ein schnuckliches Schmätzchen, doch kein schiefes Maul ziehen. Man hat uns erzählt, daß die Mädchen von La Rochelle den Fremden freundlich entgegenkämen. Beweist uns das!«
Während er sprach, beugte er sich über sie und versuchte, seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen.
Sie warf sich zurück und gab ihm mit aller Kraft eine schallende Ohrfeige. Er ließ sie los und hielt seine schmerzende Wange. Sie machte einen Satz zur Tür, aber schon hatte sie der andere umschlungen. Ein böses, triumphierendes Lächeln verzog die Lippen des Geohrfeigten.
»Gib’s ihr, Jeannot!« rief er. »Halt sie fest. Wir werden ihr ein bißchen die Röcke lüpfen . Was für ein Happen! Ein wahrer Glückstag ist das für uns!«
Gemeinsam gelang es ihnen, sie zu bändigen. Ein brutaler Fußtritt in die Kniekehlen ließ sie taumeln. Sie schrie auf. Schläge trafen ihren Mund. Grobe Hände rissen an den Schnürbändern ihrer Korsage.
Sie glaubte, ohnmächtig zu werden, doch sie faßte sich wieder und wehrte sich wie eine Rasende mit Fäusten und Zähnen.
Von neuem gelang es ihr zu entkommen, und verzweifelt lief sie der Einfahrt zu. Ein Stein ließ sie stolpern, sie stürzte auf die Knie, schleppte sich weiter. Sie schrie:
»Zu Hilfe, Maître Gabriel! ... Zu Hilfe!«
Schon wieder waren sie über ihr. Sie schlug um sich wie in einem Alptraum, wie sie gegen die Dragoner Montadours gekämpft hatte, mit dem gleichen Gefühl der Ohnmacht, dem gleichen lähmenden Entsetzen.
Plötzlich schienen ihre Widersacher davonzufliegen. Einer von ihnen prallte gegen die Mauer, von einer schier unmenschlichen Kraft geschleudert. Seine Augen wurden glasig. Er schwankte und fiel, schlaff wie ein Hampelmann, über Angélique. Rotes Blut schoß stoßweise aus einer Schläfenwunde. Erschrocken bemühte sie sich, die Last von sich zu stoßen. Das Blut sprudelte wie eine Quelle. Es gelang ihr nicht, sich von dem Körper zu befreien, der mit der zähen Trägheit eines Leblosen über ihr lag, obwohl sie wie wahnwitzig gegen ihn ankämpfte. Endlich brachte sie es fertig, ihn beiseite zu schieben. Vor ihr hatte es der Mann im blauen Rock mit Maître Gabriel zu tun. Der Kaufmann war seinem Gegner an Kraft und Körperbau weit überlegen. Seine Fäuste schlugen hart auf ihn ein. Der Mann bat schon um Gnade. Zweimal war er zu Boden gegangen. Seine Kleidung war zerknittert und staubbedeckt, sein Gesicht bekam einen verstörten Ausdruck. Die Perücke war in den Rinnstein gefallen, und das zum Vorschein gekommene fettige, schmutzige Haar fiel ihm über die Augen.
»Genug!« stammelte er atemlos. »Hört auf! .«
Ein schwerer Schlag in den Magen ließ ihn taumeln. Mit schwindelndem Kopf lehnte er sich gegen die Mauer.
»Hört auf, sage ich . Laßt mich .«
Maître Gabriel näherte sich ihm langsam. Der andere schien in seinen Zügen etwas Furchtbares zu lesen, denn plötzlich weiteten sich seine Augen.
»Nein«, sagte er mit erstickter Stimme. »Nein . Habt Mitleid!«
Ein weiterer Schlag schleuderte ihn auf die Knie.
»Nein . das dürft Ihr nicht! . Erbarmen!«
Der Kaufmann beugte sich unerbittlich über ihn. Er schlug noch einmal zu, dann umspannte er mit beiden Händen des anderen Kehle.
»Nein .«, röchelte der Mann.
Seine fahlen, kraftlosen Hände versuchten sich zu heben und die knotigen, eisenharten Arme abzuwehren, die sich seiner bemächtigt hatten. Sie zuckten krampfhaft und fielen zurück. Unartikulierte Laute entquollen dem weit aufgerissenen Mund des Blau-berockten.
Die Daumen Maître Gabriels bohrten sich in dieses Fleisch wie in Ton. Es schien, als ob sie sich nie mehr losen würden.
Versteinert vor Schrecken starrte Angélique auf die Hände des Kaufmanns, deren Muskeln spielten, während sie den Hals gleich einer Zange immer enger umschlossen. Ein Röcheln stieg in die grausige Stille.
Angélique biß sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Es mußte ein Ende nehmen, und zwar schnell. Das Gesicht des Mannes färbte sich violett. Doch es nahm kein Ende .
Endlich verstummte das Röcheln. Mit zurückgebogenem Kopf und vorquellenden Augen lag der Elende auf den runden Steinen des Pflasters, Maître Bernemusterte ihn aufmerksam, bevor er ihn losließ und sich langsam aufrichtete.
Seine klaren Augen wirkten seltsam durchsichtig in dem von der Anstrengung geröteten Gesicht. Er trat zu dem anderen Individuum, drehte es um, schüttelte es und ließ es wieder in die Blutlache zurückfallen. Dabei murmelte er:
»Er ist tot. Er muß gegen diesen Mauerhaken gefallen sein. Um so besser! Das erspart es mir, mit ihm Schluß zu machen ... Dame Angélique .«
Er hob die Augen und hielt in der Bewegung inne, die ihn zu ihr geführt hätte. Eine unerklärliche Verwirrung überwältigte ihn. Die junge Frau hatte sich erhoben und stützte sich, am Ende ihrer Kräfte angelangt, gegen die Mauer, in der gleichen ergebenen Haltung, die vor kurzem der Mann im blauen Rock eingenommen hatte, als er blitzartig begriff, daß der Kaufmann ihn töten würde. Er erkannte sie nicht ...
Nicht ganz.
Angéliques entsetzte Augen glitten von einem der beiden leblosen Körper zum anderen. Angesichts der Tragödie, die sich soeben hier abgespielt hatte und deren Ursache sie gewesen war, stieg die panische Angst der Verfolgten wieder in ihr auf und durchdrang sie ganz, verwandelte den Ausdruck ihrer sonst ruhigen und stolzen Züge. Ihre Miene war die eines zu Tode erschreckten Kindes ...
Ganz an ihr Entsetzen verloren, bemerkte sie den Zustand nicht, in den sie die beiden Elenden versetzt hatten. Ihre Korsage war geöffnet, ihr Hemd zerrissen. Aus der verschobenen Haube lief das Haar auf ihre Schultern und halbnackten Brüste. Von einem Streifen Sonnenlicht getroffen, gewannen die langen, blaßgoldenen Locken einen kostbaren Glanz, den ihre weiße Haut noch betonte, auf der das Blut Spuren zurückgelassen hatte. Blut, das nun schwarz zu werden begann, befleckte auch ihren Barchentrock ...
»Seid Ihr verletzt?«
Die Stimme des Kaufmanns klang leise und wie abwesend. Er sah nicht nur die Blutspuren auf ihrer Haut ... Gierige Finger hatten auf diesem perlmuttern, jäh enthüllten Fleisch ihre Eindrücke zurückgelassen. Hatten es vielleicht auch gemeine Lippen berührt? Bei diesem Gedanken fühlte der Kaufmann von neuem eine Woge mörderischen Wahnsinns in sich aufsteigen. Dieser Körper, an den zu denken er sich untersagte, wenn diese Frau mit ungezwungenen, graziösen Bewegungen in seinem Haus umherging, dieser Körper, der sich unter den schweren Falten der Röcke bewegte und dessen erregende Reize die starre Korsage umschloß, ihn hatten diese Schweine beschmutzen wollen.
Was er selbst nie gewagt hatte, nicht einmal in Gedanken, sie hatten es getan. Sie hatten sie entblößt, hatten ihre schönen, edel geformten Beine enthüllt, Beine, wie man sie nur an den Statuen der Göttinnen sah.
Niemals würde er den Anblick von der Schwelle der Einfahrt aus vergessen, als er auf dieses Bild der Gewalt und der Wollust gestoßen war: eine von zwei Strolchen überwältigte, schamlos zurechtgelegte Frau. Und sie war es gewesen! .
»Ihr seid verletzt?«
So hart war seine Stimme, daß sie Angélique aus ihrer Benommenheit riß. Die kraftvolle, schwarzgekleidete Silhouette Maître Bernes schob sich zwischen sie und die blendende Sonne, zwischen sie und das Schreckensbild.
Sie drängte sich an ihn, ihr Gesicht verbergend, in der Dunkelheit der Schulter Schutz und Vergessen suchend.
»Oh, Maître Gabriel! . Ihr habt getötet . Ihr habt zwei Menschen getötet . meinetwegen . Was wird geschehen? Was wird aus uns werden?«
Er schloß seine Arme um sie und preßte sie an sich.
»Weint nicht, Dame Angélique.«
»Ich weine nicht . Ich fürchte mich vorm Weinen .«
Aber die Tränen quollen ihr aus den Augen, ohne daß sie ihrer bewußt wurde, und feuchteten den Spitzenkragen ihres Beschützers. Mit ihren Händen, ihren Nägeln klammerte sie sich an ihn. Er beharrte:
»Ihr habt mir nicht geantwortet ... Ihr habt mir nicht gesagt, ob Ihr verletzt seid.«
»Nein ... ich glaube nicht.«
»Dieses Blut?«
»Es ist nicht das meine ... es ist ... von dem an-dern.«
Ihre Zähne begannen aufeinanderzuschlagen.
Die Hand des Kaufmanns streichelte das weiche Haar mit den Goldreflexen.
»Beruhigt Euch . meine Freundin, meine liebste Freundin .«
Er besänftigte sie wie ein Kind, und sie ergab sich seiner geduldigen Stimme und dem vergessenen, köstlichen Gefühl, von einem Mann beschützt zu werden.
Jemand hatte sich zwischen sie und die Gefahr gestellt, hatte sie verteidigt, hatte für sie getötet. Sie löste sich weinend aus ihrer Erstarrung, gegen den unverletzlichen Schutzwall gedrückt, der ihr - sie wußte es nicht, warum - die Schulter des Polizisten Desgray ins Gedächtnis zurückrief. Das schreckliche Erlebnis, durch das sie eben gegangen war, verwischte sich. Die Wellen von Abscheu und Angst, die sie durchliefen, ließen nach, Ihr überstürztes Atmen erstickte sie nicht mehr und begann, einen normalen Rhythmus anzunehmen.
Plötzlich dachte sie: »Ich bin in den Armen eines Mannes, und ich fürchte mich nicht.« Es war wie die Ankündigung einer Genesung, die sie nicht mehr erhofft hatte.
Zu gleicher Zeit verspürte sie Scham. Sie fühlte die Nacktheit ihrer Haut unter den warmen Händen und wurde sich der Unordnung ihrer Kleidung bewußt.
Ihre feuchten Augen hoben sich verstohlen und be-gegneten dem Blick Maître Gabriels. Sein Ausdruck ließ sie erröten, und sie entwand sich ihm. »Verzeiht«, murmelte sie. »Ich war wie von Sinnen.«
Er ließ es zu, daß sie sich löste.
Mit fiebrigen Händen versuchte Angélique, Brust und Schultern mit den Fetzen ihrer Korsage zu bedecken. Durch ihre Verwirrung behindert, gelang es ihr nicht. Er war es, der ihr helfen mußte und den herabgeglittenen Träger, das abgerissene Bändchen fand. Sie errötete noch mehr.
»Regt Euch nicht auf. Diese Tiere haben Euch schrecklich zugerichtet«, sagte er. »Mit diesen Fetzen werden wir zu keinem befriedigenden Ergebnis kommen. Es wird das beste sein, dieses Mieder in die Brennesseln zu werfen . Aber jetzt müssen wir uns beeilen .«
Seine Stimme wurde förmlich, und Angélique, die der Richtung seines Blicks folgte, entdeckte den Soldaten Anselme, den Wächter vom Laternenturm, der sie von der Höhe des Walls aus beobachtete.
Während nicht endender Minuten dehnte sich die stumme Spannung an beiden Enden des Gäßchens. Dann schien sich der Soldat entschlossen zu haben. Er setzte sich in Bewegung und stieg mit schweren Schritten die steinernen Stufen hinunter.
Seinen Wildschweinskopf unter dem stählernen Helm wiegend, kam er auf sie zu. Das Hämmern seiner Stiefel und seiner Hellebarde auf den Pflastersteinen hallte laut durch die Gasse. Der Kaufmann betrachtete seine bloßen Hände, als frage er sich, ob sie noch Kraft genug hätten, diesen neuen, bewaffneten Feind niederzuzwingen.
»Gute Arbeit, Freund«, brummelte der Soldat mit seiner rauhen Stimme. »Ich hab’ von da oben aus das Ende mit angesehen. Ohne Euch zu schmeicheln, Maître Berne, Ihr habt tüchtige Fäuste ...«
Mit dem Ende seiner Pike berührte er eine der beiden Leichen.
»Die beiden da kenn’ ich ... Dreckskerle sind’s. Baumier bezahlt sie dafür, daß sie die Frauen und Töchter der Protestanten belästigen. Die Ehemänner oder Väter kommen dazwischen, es gibt Streit, und schon hat er die schönste Gelegenheit, ein paar Hugenotten mehr ins Gefängnis zu sperren ... Mir schmeckt das nicht.«
Auf seine Waffe gestützt, in der Haltung, in der er gewöhnlich seine Gespräche zu führen pflegte, fuhr er fort:
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