Gezwungenermaßen schlug er jedoch die bezeich-nete Richtung ein. Als sie vor der langen, mittelalterlichen Fassade des Gebäudes, deren in Speiröhren auslaufende Dachrinnen wahre Wasserfluten auf das Pflaster sprudelten, den Fuß auf die Erde setzte, glaubte Angélique noch immer, daß man mit ihr über die Piraten sprechen wolle. Dann sagte sie sich, daß Nicolas de Bardagne zurückgekehrt sein müsse und eine Gelegenheit suche, sich ihr zu nähern.
Indessen ließ man sie nicht die im Hintergrund des Hofs unter vergoldetem Deckengetäfel zum ersten Stock führende große Treppe hinaufsteigen, die sie schon kannte.
Zusammen mit den drei Kindern schob man sie zu den von einer vorgebauten Arkade verdüsterten Amtszimmern. Die Kerzen waren bereits angezündet. Inmitten eines Wusts von Papieren, Tintenfässern und Federkielen arbeiteten Schreiber. Andere hockten auf Schemeln in den Fensternischen und schienen nichts anderes zu tun zu haben, als sich die Fingernägel zu schneiden.
Der Raum war von einem muffigen Geruch nach Schweiß und Staub, durchmischt jedoch von den militärischen Dünsten nach Tabak und Stiefelleder, erfüllt, der beunruhigende Erinnerungen in Angélique weckte. Ein Polizeigeruch. Ein Mann erhob sich, musterte die junge Frau mit der unverschämten Gelassenheit der Polizeispitzel und öffnete eine Tür hinter sich.
»Tritt dort ein«, sagte er und stieß sie voran.
Dabei löste er ihre Hand von der Honorines.
»Die Kinder bleiben hier.«
»Aber sie können doch mit mir kommen«, protestierte Angélique.
»Unmöglich! Monsieur Baumier will dich verhören.«
Angélique begegnete den Blicken Martials und Séverines, Ihre Lippen waren halb geöffnet, sie atmeten stoßweise. Sie glaubte, die schnellen, angstvollen Schläge ihrer Herzen zu hören. Sie waren schon einmal hier gewesen, damals, als man sie verhaftet hatte. Es drängte sie, ihnen zuzurufen: »Vor allem
- schweigt!«, denn sie hatte die Unvorsichtigkeit begangen, ihnen während der Überfahrt von der Ile de Ré nach La Palice halblaut von der bevorstehenden Abreise nach den amerikanischen Inseln zu erzählen.
Doch sie konnte es ihnen nur mittelbar zu verstehen geben.
»Achtet auf Honorine. Macht ihr begreiflich, daß sie artig sein, daß man hier vor allem den Mund halten muß ...«
Die letzten Worte verloren sich im Geschrei Hono-rines, die wütend darüber war, von ihrer Mutter getrennt zu werden. Die Tür schloß sich, und Angélique blieb voller Angst inmitten des Zimmers stehen, in das man sie geschoben hatte. Sie horchte auf das Gezeter ihrer Tochter, in das sich die mürrischen Stimmen von zweifellos wohlmeinenden Männern mischten, die sie zu beruhigen suchten. Das Geschrei wurde leiser. Man schien das Kind zu entfernen. Sie vernahm das Geräusch sich schließender Türen, dann wurde es still.
»Tretet näher. Setzt Euch.«
Angélique fuhr zusammen. Die Anwesenheit des Sieur Baumier hinter seinem Schreibtisch war ihr entgangen. Er wies auf einen Schemel ihm gegenüber.
»Nehmt Platz, Dame Angélique.«
Es schien ihr, als betone er ihren Namen auf undefinierbare Weise. Er vermied es, sie anzusehen, während sie sich setzte, blätterte in einem Aktenstück, kratzte sich den Kopf und glättete sein spärliches Haar.
Tabakreste hingen an seiner Nase. Mehrmals brummte er »Gut ... gut ...«, schloß das Aktenstück wieder und ließ sich gegen die hohe, mit abgenutztem Stoff bespannte Lehne seines Sessels zurücksinken.
Baumier hatte eng aneinandergerückte Augen, jenen verdeckten, ein wenig schielenden, von starrem Glanz jäh belebten Blick, den man bei Untersuchungsrichtern findet. So wenig Nicolas de Bardagne für die Aufgabe bestimmt war, der er sich gewidmet hatte, so sehr war dieser Mann in der ihm zugefallenen Funktion an seinem Platz.
Angélique spürte es: sie würde kämpfen müssen. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich zäh. Es gehörte zur Taktik Baumiers, diejenigen, die er zu verhören hatte, auf solche Weise einzuschüchtern, aber in diesem Fall nutzte Angélique die Zeit, um ihre Kräfte zu sammeln. Sie wußte nicht, auf welchen empfindlichen Punkt er zunächst seinen Angriff richten würde. Vielleicht wußte Baumier es auch noch nicht. Während er scharf nachdachte, leckte er sich die schmalen Lippen, was ihm den Ausdruck eines grausamen Fuchses verlieh.
Endlich entschloß er sich und beugte sich mit süßlicher Miene vor.
»Verratet mir’s, meine Schöne, was habt Ihr mit den Leichen gemacht?«
»Den Leichen?« wiederholte Angélique erstaunt.
»Spielt nicht die Unschuldige. Ihr wärt nicht so betroffen, wenn Ihr nicht genau verstündet, worauf es ankommt. Ihr erinnert Euch gar nicht gern daran, nicht wahr? Diese Leichen, die Ihr wegschleppen mußtet ... verstecken ... he?«
Es glückte ihr, die Maske höflicher Verblüffung zu bewahren.
Baumier wurde ungeduldig.
»Verlieren wir nicht unnütz Zeit. Ihr werdet ohnehin nicht darum herumkommen zu gestehen. Diese Leichen . diese Männer . Ihr kennt sie doch. Einer von ihnen trug einen blauen Rock.«
Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Wollt Ihr etwa behaupten, daß Euch letzten Monat kein mit einem blauen Rock bekleideter Mann auf der Straße ansprach und auch galante Vorschläge machte?«
»Verzeiht, Monsieur«, - es gelang ihr, ein leeres Lächeln anzudeuten, »- aber ich verstehe nichts von dem, was Ihr mir da sagt. Bitte, erregt Euch nicht.«
Der Präsident der königlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten lief rot an und preßte die Lippen zusammen.
»Ihr erinnert Euch nicht dieser beiden Männer? . Im April, am 3. dieses Monats, um es genau zu sagen, in der ersten Nachmittagsstunde . Ihr kehrtet von einem Gang zu den Magazinen Manigaults am Hafen zurück ... Diese Männer folgten Euch durch die Rue de la Perche, die Rue de la Soura ... Nun, meldet sich Euer Gedächtnis noch immer nicht?«
Er dosierte Ironie und Überredung.
Da sie nicht ahnte, in welchem Punkt er sie möglicherweise überführen konnte, murmelte sie:
»Es ist möglich.«
»Ah, wir machen Fortschritte«, erklärte er befriedigt.
Von neuem setzte er sich in seinem Sessel zurecht, während er sie wie eine Beute betrachtete, die ihm nicht entgehen konnte.
»Erzählt mir davon.«
Angélique nahm sich zusammen. Sich durch die diabolische Selbstsicherheit ihres Gesprächspartners einschüchtern zu lassen, wäre der kürzeste Weg zu ihrem Untergang; von einem Eingeständnis zum anderen würde sie sich immer tiefer verstricken.
»Was soll ich da erzählen, sagte sie in bewußt vulgär klingendem, barschem Ton. »Männer, die mich auf der Straße ansprechen, gibt’s mehr als genug, wie Ihr Euch vorstellen könnt. La Rochelles Ruf wird, ganz nebenbei gesagt, immer schlechter. Aber ich habe, weiß Gott, anderes zu tun, als über diese traurigen Erscheinungen Buch zu führen und mir zu merken, ob sie einen blauen oder roten Rock auf dem Leibe tragen.«
Baumier wischte mit einer Geste ihren Protest beiseite.
»Ich bin sicher, daß Ihr Euch an diese recht gut erinnert. Wie wär’s, wenn Ihr Euch ein wenig Mühe gäbt. Sie sind Euch gefolgt und ... dann?«
»Monsieur«, sagte sie bissig, »da Ihr mir so oft erzählt, daß sie mir gefolgt seien, möchte ich annehmen, daß ich sie danach auf die Reise geschickt habe.«
»Und Ihr habt Euren Weg fortgesetzt?«
»Zweifellos.«
»Am 3. April seid Ihr also von Monsieur Manigault geradewegs zum Hause Maître Bernes in der Rue Sous-les-Murs zurückgekehrt?«
Sie spürte die Falle und tat, als ob sie angestrengt nachdenke.
»Am 3. April, sagt Ihr? ... Kann sein, daß ich an diesem Tag nicht direkt zurückgekehrt bin, sondern zuerst zu den Lagerhäusern meines Herrn ging, wie so oft, wenn ich ihm eine Botschaft Monsieur Manigaults zu überbringen hatte.«
Baumier schien mit ihrer Antwort zufrieden. Ein Lächeln verzog seine Lippen und zeigte seine gelblichen Zähne.
»Ihr könnt von Glück sagen, daß Ihr Euch endlich Eurer Wege an diesem Tag erinnert. Hättet Ihr das Gegenteil behauptet, wäre Eure Unglaubwürdigkeit ans Licht gekommen. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich selbst die in Frage stehenden galanten Herren auf Eure Spur gesetzt habe. Von einer Wirtschaft am Hafen aus, in der ich mich befand, als Ihr Manigault verließet, habe ich sie Euch folgen sehen. Ein anderer meiner Leute erwartete Euch mit zwei Polizisten in der Rue Sous-les-Murs, in der Nähe der Behausung Maître Bernes. Dieser Mann bezeugt nun, daß Ihr an jenem Tage nicht zurückgekehrt seid. Er hat weder Euch noch die beiden vorgeblichen Galane gesehen, mit denen er zusammenarbeiten sollte. Und diese beiden ... sind bis heute verschwunden geblieben.«
»So!« machte Angélique, als habe sie die tragische Bedeutung dieser Bemerkung nicht begriffen, die der Präsident mit unheilverkündend gedämpfter Stimme von sich gegeben hatte.
»Hört endlich auf, die Unschuldige zu spielen!« schrie er, erneut auf den Tisch schlagend.
»Er knirschte mit den Zähnen vor Wut.
»Ihr wißt sehr wohl, warum sie nicht wieder aufgetaucht sind. Weil man sie umgebracht hat. Und ich weiß auch, wer. Um Eurem schwachen Gedächtnis nachzuhelfen, werde ich Euch erzählen, wie es sich zugetragen hat. Als Ihr die Lagerhäuser Eures sogenannten Herrn erreichtet, führten meine Leute ihre Weisung aus - eine Weisung, der sie nur zu gern nachkamen, wie ich nun sehe! - und suchten von Euch eine kleine Belohnung zu erlangen, Maître Berne und seine Gehilfen kamen dazu. Es gab eine Auseinandersetzung, meine beiden Leute sind der Übermacht und den Schlägen erlegen. Was ich wissen möchte, ist, wie Ihr sie habt verschwinden lassen.«
Mit viel Geschick hatte Angélique es fertiggebracht, während seines Berichts ihren Augen einen immer erschrockeneren Ausdruck zu geben. Baumiers Version hinkte in einem Punkt, dem der Teilnahme der Gehilfen, was bewies, daß er seiner Sache nicht völlig sicher war.
»Großer Gott!« rief sie, ihre Naivität übertreibend. »Was Ihr mir da erzählt, ist ja schrecklich! Ich traue meinen Ohren nicht! Ihr beschuldigt meinen Herrn, ein Mörder zu sein?«
»Ja, ein Mörder!« bestätigte Baumier grimmig.
»Aber das ist unmöglich, Monsieur! Er ist ein sehr frommer Mensch. Er liest alle Tage die Bibel.«
»Das beweist nichts, im Gegenteil. Diese Ketzer sind zu allem fähig. Ich werde dafür bezahlt, um es zu wissen, glaubt mir.«
Die Entrüstung und gespielte Arglosigkeit Angéliques schien dennoch seine Überzeugung ins Wanken gebracht zu haben.
Sie fuhr beharrlich fort:
»Er würde keiner Fliege etwas antun. Er ist ein sehr ruhiger, sehr sanfter Mensch.«
Der Inquisitor lächelte auf unangenehme Art.
»Ich zweifle nicht, daß Ihr solche Eigenschaften zu schätzen wißt, meine Schöne.«
»Mein Herr hat niemals .«
»Euer Herr! Euer Herr!« knurrte er. »Kehren wir nicht die Rollen um. Er ist viel weniger Euer Herr, als Ihr, seine Mätresse, es wahrhaben wollt.«
Angélique nahm sich die Zeit, eine beleidigte Miene aufzusetzen, bevor sie die Karte ausspielte, die sie von Anfang an in Reserve hielt, die einzige vielleicht, die ihr aus ihrer üblen Lage heraushelfen konnte. Die grobe Anspielung Baumiers gab ihr endlich Anlaß dazu.
»Monsieur«, sagte sie mit Würde, indem sie die Augen senkte, »es ist Euch sicher nicht unbekannt, daß Monsieur de Bardagne mir die Ehre erwiesen hat, mich trotz meines einfachen Standes zu bemerken. Ich bezweifle, daß ihm die zweideutigen und beleidigenden Anklagen gefallen werden, die Ihr gegen mich richtet.«
Er schien nicht übermäßig beeindruckt. Im Gegenteil: er lächelte sein süßliches Lächeln und machte eine Bewegung, die Angélique mit dumpfem Schrecken erfüllte. Er nahm einen Gänsekiel aus dem Schreibzeug und begann ihn träumerisch zwischen seinen Fingern zu drehen. Diese Bewegung weckte in ihr bis zur Übelkeit die Erinnerung an die Angst vor den Verhören, denen sie einstmals der schreckliche Polizist François Desgray unterworfen hatte. Während er sich insgeheim darauf vorbereitete, sie an den Pranger zu nageln, hatte er gleichfalls die Gewohnheit gezeigt, mit einem Federkiel zu spielen.
Angélique vermochte ihren Blick nicht von der mechanischen Bewegung des groben, von Tabak geschwärzten Daumens abzuwenden.
»Richtig«, bemerkte Baumier mit erkünstelter Sanftheit, »ich vergaß, Euch zu sagen, daß Monsieur de Bardagne nicht nach La Rochelle zurückkehren wird. Man ist höheren Orts der Ansicht, daß er es bei der ihm anvertrauten Aufgabe an der nötigen Energie hat mangeln lassen.«
Ein verächtlicher Ausdruck spielte um seine Lippen.
»Zahlen wurden gebraucht, keine Versprechungen. Nun, unter seiner allzu nachsichtigen Verwaltung hat die Arroganz der Hugenotten nur zugenommen, und es ist nicht zu leugnen, daß die wenigen Bekehrungen, die während dieser Zeitspanne erzielt werden konnten, einzig und allein meinem, geben wir es zu, schlecht belohnten Eifer zu verdanken sind.«
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