Sie erschrak vor sich selbst, weil sie aus dem Stegreif eine so gemeine Geschichte erfand, aber viel wichtiger war, daß Baumier anzubeißen schien. Er beugte sich interessiert vor, und seine Teilnahme regte Angéliques Phantasie nur noch mehr an.
»Unser Pech war nur, daß mein Herr, Maître Berne, uns überraschte.
Er ist sehr aufbrausend und geriet bei unserem Anblick in großen Zorn. Außerdem ist er sehr stark, und mein neuer Freund war kaum in der Lage, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Deshalb hat er sich auch schleunigst davongemacht, was das Vernünftigste war, so, wie die Dinge lagen, nicht wahr?«
»Die Pest soll über diese Laffen kommen! Warum hatten sie sich getrennt? Wenn ich sie zu zweit losschicke, hat das schon seine Gründe.«
»Was mich betrifft, zerrte mich mein Herr in sein Büro, um mich auszuschelten. Er war sehr zornig, wie ich Euch sagte .«
»Eifersucht!«
»Vielleicht«, meinte Angélique mit einer koketten Bewegung. »Sicher ist jedenfalls, daß er mir den Stock zu kosten geben wollte, als Monsieur Grommaire dazwischenkam und mir die Strafe ersparte.«
Baumier rückte auf seinem Sessel unruhig hin und her. Es war offensichtlich, daß die neue Darstellung der Ereignisse seine Vorstellungen verwirrte.
»Ist das alles?«
»Nein, das ist noch nicht alles«, murmelte Angélique, indem sie von neuem den Kopf senkte.
»Was noch?«
»Dieser Bursche im blauen Rock . ich . ich habe ihn wiedergesehen.«
»Wo? Wann?«
»Am selben Abend. Wir hatten eben noch Zeit gehabt, uns ein Rendezvous an den Wällen zu geben. Und am Tag darauf auch .«
Sie tastete sich vorsichtig vorwärts. Würde der Versuch, die Wahrhaftigkeit ihres Berichts zu untermauern, womöglich das zerbrechliche Gebäude ihrer Lügen zum Einsturz bringen?
»Und dann hab’ ich ihn nicht mehr wiedergesehen. Ich nahm an, daß er die Stadt verließ ... Er hat so etwas angedeutet. Trotzdem war ich enttäuscht.«
Baumier bewegte in bitterer Ernüchterung die Schultern.
»Alle sind sie gleich! Man schindet sich, um ihnen einen Beruf beizubringen, man macht sie mit ihrer Aufgabe vertraut, man überträgt ihnen Missionen von größter Wichtigkeit, und sie kneifen bei der ersten Gelegenheit aus, um anderswo ihr Glück zu suchen. Immerhin, von Justin Médard hätte ich derlei nicht erwartet. Wem soll man noch trauen!«
Angélique ließ ihm nicht die Zeit, sich allzu sehr über das unerklärliche Verhalten des unglückseligen Justin Médard zu wundern, der seine Ergebenheit für eine gerechte Sache und seine unerschrockene berufliche Gewissenhaftigkeit mit der jähen Verwandlung in Krabbenfutter hatte bezahlen müssen. Sie flehte:
»Da ich Euch nun alles gestanden habe, Monsieur, werdet Ihr doch hoffentlich nicht allzu hart mit mir umgehen. Ich verspreche Euch, daß ich diese Hugenotten gleich morgen verlassen werde. Es schafft mir zuviel Verdruß, bei ihnen zu sein. Das Maß ist voll! Ich weiß zwar noch nicht, wohin ich gehen könnte, aber ich verspreche Euch, daß ich mit ihnen Schluß machen werde.«
»Keineswegs, meine Hübsche, Ihr werdet nicht mit ihnen Schluß machen«, protestierte er. »Im Gegenteil, Ihr müßt bei ihnen bleiben und mich über alles, was dort vor sich geht, auf dem laufenden halten. Habt Ihr etwas von der geplanten Flucht auf der Sainte-Marie gewußt? Ihr steht auch auf der Liste.«
»Wie sollte ich? Ich weiß nicht, um was es sich handelt, Monsieur. Wenn mein Herr den Plan gefaßt hätte, abzureisen, hätte er mir sicher etwas davon gesagt oder wenigstens doch gewisse Vorbereitungen getroffen.«
»Ihr habt nichts bemerkt?«
»Nein.«
Sie sah ihn so naiv wie nur möglich an. Baumiers Finger spielten mit der verräterischen Liste.
»Und dennoch scheinen meine Informationen zutreffend.«
»Wenn die, die sie Euch liefern, ihr Geld ebenso leicht verdienen wie Euer Justin Médard .«, kicherte Angélique.
»Schweigt!« brüllte Baumier. »Weil ich Euch nachsichtig angehört habe, hebt Ihr schon wieder die Nase. Unverschämte! Freches Weib!
Ihr verdientet, daß ich Euch bei den Reuigen Mädchen einsperren ließe, denn Ihr seid nichts anderes als ein Flittchen der schlimmsten Art ... Aber wenn Ihr wirklich dergleichen seid, werdet Ihr mir draußen nützlicher als drinnen sein.«
Wieder beruhigt, musterte er sie mit träumerischer Aufmerksamkeit.
»Wenn ihr wirklich dergleichen seid«, wiederholte er gedämpft.
Er erhob sich und kam um den Tisch herum.
Angélique fragte sich angstvoll, welchen Überlegungen er wohl nachhing. Es war zu hoffen, daß er im Austausch für ihre Befreiung keinen Kuß von ihr verlangte. Aber er wandte sich in seinem trippelnden Gang zur Tür.
»Monsieur, Monsieur«, bat sie mit gefalteten Händen, »sagt mir, daß Ihr mich freilassen und mir meine Tochter zurückgeben werdet. Ich habe nichts Böses getan.«
»Ja, ich glaube, daß ich Euch freilassen werde«, erklärte er mit olympischer Herablassung. »Wenigstens für diesmal ... Nur noch eine kleine Prüfung ... und Ihr werdet frei sein.«
Er ging hinaus.
Wenn sie nicht so aufs äußerste angespannt gewesen wäre, hätte sie den beunruhigenden Ton seiner Stimme herausgehört, als er gesagt hatte; »Nur noch eine kleine Prüfung ...« Aber sie dachte lediglich erleichtert an sein Versprechen: »Ich werde Euch freilassen.« Einen Moment lang war ihr die Situation verzweifelt erschienen. Wenn man ihr nur mit Honorine auch die Berne-Kinder zurückgab!
Ihre Schultern senkten sich. Sie schloß die Augen, und Tränen der Schwäche liefen über ihre Wangen.
Dann öffnete sich die Tür von neuem und jemand betrat den Raum.
Es war der Polizist François Desgray.
Ihn dort zu sehen mit seinem kräftigen Kinn, dem zwingenden Blick seiner braunen Augen, den massiven, in einen um die Knopflöcher diskret mit goldener Litze besetzten Rock aus maronenbraunem Tuch gezwängten Schultern, dem elegant geschlungenen Halstuch, den hohen Absätzen und allem anderen, was an seiner Person nach Hauptstadt »roch« - nach Paris, seinen Equipagen und blauen Nächten -, war ein so überraschendes Ereignis, daß sich Angélique nicht sofort klar darüber wurde, in welcher Weise das Auftauchen dieses Gespenstes aus ihrer Vergangenheit sich auf ihre Lage auswirken mußte.
"Angélique, die Rebellin" отзывы
Отзывы читателей о книге "Angélique, die Rebellin". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Angélique, die Rebellin" друзьям в соцсетях.