»Ja, türkischen Kaffee, wie man ihn in Kandia trinkt ... Aber entledigt Euch zuvor dieses mit Wasser vollgesogenen Umhangs. Ihr habt meine Teppiche unter Wasser gesetzt.«
Um sich herum sah sie den samtweichen orientalischen Bodenbelag, auf dem man zwischen Blüten wie auf Moos zu gehen glaubte, in einem erbärmlichen Zustand.
Der Rescator nahm ihr den Umhang ab und warf ihn in eine Ecke, als wäre es ein Bündel Lumpen. Von der Lehne eines Sessels nahm er seinen eigenen Mantel.
»Einen schuldet Ihr mir bereits, den Ihr ohne Gewissensbisse in der Nacht des Brandes mitgenommen habt. Ah, niemals sah man den Rescator mehr der Lächerlichkeit preisgegeben .«
Und es war wie in jener Nacht im Orient: zwei warme Hände auf ihren Schultern und um sie die schützenden Falten des duftenden samtenen Mantels ... Sie noch immer an sich drückend, führte er sie zum Diwan. Als sie sich gesetzt hatte, begab er sich in den Hintergrund des Salons, und sie vernahm von draußen den Ton einer Glocke. Der Sturm beruhigte sich offenbar, denn die Bewegungen des Schiffs wurden weniger heftig.
Der Sand des schönen Instruments zum Messen der Zeit fuhr fort zu rieseln, schimmernd im orangenen Licht der venezianischen Laternen.
Angélique entfloh der Wirklichkeit. Sie befand sich in der Höhle des Zauberers .
Auf das Glockenzeichen hin war ein Mann eingetreten, ein barfüßiger Maure in kurzem Burnus über roten Matrosenhosen. Mit den geschmeidigen Bewegungen seiner Rasse kniete er nieder und schob einen niedrigen Tisch zum Diwan, auf den er ein silberverziertes Kästchen aus Korduanleder stellte. Klappte man die beiden Seitenwände herunter, verwandelten sie sich in Präsentierplatten, auf denen alle zur Bereitung und zum Kosten des Kaffees notwendigen Utensilien in schönster Ordnung befestigt waren:
Der silberne Samowar, das Tablett aus massivem Gold mit zwei Tassen aus chinesischem Porzellan, ein mit geeistem Wasser gefülltes chinesisches Kännchen und eine Schale mit Kandiszucker.
Der Maure verschwand und kehrte gleich darauf mit einem Kessel kochenden Wassers zurück. Mit großer Sorgfalt und ohne einen Tropfen zu verschütten, bereitete er das orientalische Getränk, dessen Duft Angélique durchdrang und ein fast kindliches Vergnügen in ihr weckte. Ihre Wangen erhielten plötzlich ihre Farbe wieder, als sie ihre Hand nach dem silbernen Becher ausstreckte, in dem die chinesische Tasse ruhte. Neben ihr sitzend, beobachtete sie der Rescator mit rätselhaftem Blick, während sie nach muselmanischem Ritus mit zwei Fingern die winzige Tasse ergriff, einen Tropfen Eiswasser hineinfallen ließ, um das Sinken des Satzes zu beschleunigen, und sie schließlich an die Lippen führte.
»Man sieht, daß Ihr Gast im Harem Moulay Ismaëls gewesen seid«, sagte er. »Welche Meisterschaft! Man könnte Euch für eine Muselmanin halten. Trotz Eurer augenblicklichen Lage habt Ihr Euch ein paar gute Sitten bewahrt, an denen man Euch wiedererkennt.«
Der Maure hatte sich zurückgezogen.
Angélique stellte die Tasse in ihre Hülle zurück, die sie davor bewahrte umzustürzen, und der Rescator beugte sich vor, um sie von neuem zu bedienen. Dabei bemerkte er Blutspuren am Rand des silbernen Bechers.
»Woher dieses Blut? Seid Ihr verletzt?«
Angélique sah auf ihre zerschundenen Handflächen.
»Ich spürte nichts. Es ist vor kurzem auf den Klippenfelsen geschehen ... Bah! Auf den Pfaden des Rifs war es schlimmer.«
»Eure Flucht? ... Wißt Ihr, daß Ihr die einzige christliche Sklavin seid, der ein solcher Streich geglückt ist? Ich glaubte lange, daß Eure Knochen auf irgendwelchen Fährten der Wüste bleichten.«
Vor Angéliques weitgeöffneten Augen wurde die grausame Odyssee von neuem lebendig.
»Ist es wahr ... daß Ihr nach Miquenez gekommen seid, um mich zu holen?« fragte sie.
»Es stimmt. Übrigens war es nicht schwer, Euch zu folgen. Ihr hattet ein Gemetzel hinter Euch gelassen.«
Die Lider der jungen Frau schlossen sich. Ihre Züge spiegelten Entsetzen wider.
Der Maskierte murmelte mit zweideutigem Lächeln:
»Dort, wo die Französin mit den grünen Augen vorüberzieht, bleiben nur Schutt und Leichen zurück.«
»Ist das ein neues Sprichwort im Mittelmeer?«
»Ja, etwas dergleichen.«
Bedrückt sah Angélique auf das Blut an ihren Händen .
Er stellte eine weitere Frage:
»Ihr seid zu zehnt aus Miquenez geflüchtet. Wie viele davon haben Ceuta erreicht?«
»Zwei.«
»Wer war der andere?«
»Colin Paturel, der König der Gefangenen.«
Wieder begann Angst in ihr aufzusteigen. Eine ungreifbare, nicht zu bestimmende Gefahr ...
Um sie zu bannen, bemühte sie sich, von neuem dem Blick des Maskierten zu begegnen.
»Wir haben viele gemeinsame Erinnerungen«, sagte sie leise.
Er lachte auf seine jähe, heisere Art, die sie erschreckte.
»Viel zu viele. Mehr als Ihr meint.«
Plötzlich reichte er ihr sein Taschentuch.
»Wischt Eure Hände ab.«
Sie gehorchte mechanisch. Der bisher betäubte Schmerz begann spürbar zu werden. Das Salz brannte in den Wunden.
»Ich wollte über den Strand gehen, um mich nicht zu verirren«, erklärte Angélique.
Sie erzählte, daß sie auch diesmal angesichts der steigenden Flut geglaubt habe, ihre letzte Stunde sei gekommen. Sie fragte sich, durch welches Wunder es ihr gelungen sei, an den steil abfallenden Klippen emporzuklettern.
»Der Tod schien mich schon in seinen Krallen zu haben ... Aber schließlich habe ich Euch doch wiedergefunden.«
In Angéliques Stimme schwang bei diesem letzten Satz ein Ton träumerischer Weichheit. Übrigens sprach sie ihn aus, ohne sich seiner Bedeutung bewußt zu sein. ». habe ich Euch doch wiedergefunden.«
In dem geheimnisvollen Licht sah sie nur sein schwarzes, unbewegliches Gesicht. Dort endeten alle ihre Träume.
Einen Augenblick lang schien es Angélique, daß sie sich an die breite Brust des Mannes werfen, daß sie ihr Gesicht in den Falten seines samtenen Rockes verbergen müsse.
Dieser Samt war nicht schwarz, wie sie geglaubt hatte, sondern dunkelgrün wie das Moos der Bäume. Sie betrachtete ihn und dachte: Wie gut täte es, sich in ihm zu bergen!
Der Rescator streckte die Hand aus. Er berührte ihre Wange, ihr Kinn; unerklärlicherweise waren ihm, dessen durchdringenden Augen nichts verborgen blieb, die sanften Bewegungen des Blinden eigen, der ihm unsichtbare Züge zu erkennen sucht.
Dann löste er mit einem Finger langsam das armselige, kleine Halstuch, das noch immer um Angéliques Haar geknüpft war, und warf es beiseite. Das angeklatschte, durch das Meerwasser dunkler getönte Haar fiel auf die Schultern der jungen Frau herab. Die weißen Strähnen zogen lichte Streifen hindurch. Angélique hätte sie gern vor ihm verborgen.
»Warum war Euch so sehr daran gelegen, mich wiederzufinden?« fragte der Rescator.
»Weil Ihr der einzige seid, der uns retten kann.«
»Ah, Ihr denkt also immer noch an diese Leute!« rief er, sichtlich verärgert, aus.
»Wie könnte ich sie vergessen?«
Ihre Augen kehrten zu dem flinken Sturzbach der Sanduhr zurück. In regelmäßigen Zwischenräumen lief der obere Behälter des Instrumentes leer, und der Rescator drehte es mit einer mechanischen Bewegung um.
In La Rochelle schlief Honorine in dem großen Bauernbett in der Küchennische, aber die heitere Ruhe des Kindes, die Angélique sooft mit Entzücken betrachtet hatte, war gestört. Sie wälzte sich unruhig herum und weinte im Schlaf, Heute hatten sie wieder bedrohliche Gesichter umringt, und sie hatte die Angst ihrer Mutter gespürt. Abigaël wachte bei ihr, für Angélique betend, die Hände gefaltet. Auch Laurier war vielleicht wach wie damals, als er noch auf dem Speicher geschlafen hatte. Er lauschte auf das Unaufhörliche Hin und Her seines Vaters im benachbarten Zimmer.
»Wie könnte ich sie vergessen? Ihr habt mir eben gesagt, daß hinter mir nur Schutt zurückbliebe ... Helft mir also, wenigstens diese zu retten, ein paar Überreste.«
»Diese Leute, diese Hugenotten ... was tun sie? Ich meine, was üben sie als Beruf aus?«
Er stellte die Fragen in barschem Ton, während er nervös seinen Bart zupfte. Dieses Zeichen der Verlegenheit bei einem Mann, den sie bei so mancher Gelegenheit immer als Herr seiner selbst gesehen hatte, verriet ihr, daß die Partie unerklärlicherweise gewonnen war.
Ihr Gesicht erhellte sich.
»Triumphiert nicht«, sagte er ihr. »Selbst wenn es so aussieht, als gäbe ich in dieser Sache Euren Bitten nach, werdet Ihr nichts dabei gewinnen.«
»Was tut’s? Wenn Ihr einwilligt, sie an Bord zu nehmen und sie so dem Gefängnis und dem Tod zu entziehen, was hat da alles andere zu bedeuten? Ich werde hundertmal dafür zahlen.«
»Worte! Ihr kennt den Preis noch nicht, den ich Euch auferlegen werde. Euer Vertrauen in mich grenzt an Naivität. Ich bin ein Pirat der Meere, und Ihr könnt darüber nachdenken, ob mein Beruf etwa darin besteht, Menschenleben zu retten, oder nicht vielmehr darin, sie zu vernichten. Frauen wie Ihr sollten sich nur in die Angelegenheiten der Liebe mischen.«
»Aber es ist eine Angelegenheit der Liebe.«
»Ah, philosophiert nicht«, rief er, »oder ich nehme Euch nur auf mein Schiff, um Euch auf offener See zu ertränken! In Kandia wart Ihr weniger gesprächig und dafür weitaus amüsanter. Antwortet auf meine Frage: welche Art Leute außer frommen Frauen - die schlimmste Art - und plärrenden Würmern soll ich Eurem Verlangen entsprechend aufnehmen?«
»Unter ihnen ist einer der größten Reeder von La Rochelle, Monsieur Manigault, außerdem Kaufleute, die sich mit Überseehandel befassen. Sie besitzen auf den Inseln .«
»Sind auch Handwerker darunter?«
»Ein Zimmermann und sein Lehrling.«
»Das ist schon besser.«
»Ein Bäcker, zwei Fischer. Es sind ehemalige Seeleute, die eine kleine Flottille organisiert haben, um den Fischmarkt von La Rochelle zu beliefern. Sie hoffen, ihr Handwerk auf den Inseln wieder betreiben zu können. Weiter gehören dazu Monsieur Merlot, der Papierfabrikant, Maître Jonas, der Uhrmacher .«
»Nutzlose!«
»Maître Carrère, der Advokat.«
»Es wird immer schlimmer.«
»Ein Arzt .«
»Das genügt ... Nehmen wir sie also an Bord, da Ihr sie nun einmal retten wollt ... alle. Niemals bin ich einer so anspruchsvollen Frau begegnet wie Euch. Und nun, teure Marquise, könnt Ihr mir einen Plan unterbreiten, der es erlaubt, Eure Laune erfolgreich durchzuführen? Ich habe keineswegs die Absicht, mich ewig in diesem Krabbenloch aufzuhalten, in das zu kriechen ich dumm genug war. Ich hatte mir vorgenommen, bei Morgengrauen in See zu gehen. Ich werde längstens bis zur nächsten Flut kurz vor Mittag warten.«
»Wir werden pünktlich auf der Klippe sein.«
Der Soldat Anselme Camisot, der einen Teil der Nacht hinter der Pforte im Winkel damit verbracht hatte, sich an kühnen Hoffnungen und paradiesischen Visionen zu wärmen, fuhr zusammen, als er ein leises Kratzen an der Holzfüllung der Tür vernahm. Seine Erwartungen begannen zu schwinden wie die Flamme einer verbrauchten Kerze, denn die Nacht ging zu Ende, und die Dämmerung zog herauf.
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