»Ich bin Pastor Rochefort, Euch zu dienen, Herr Baron, aber ohne Diözese und nur auf der Durchreise.«
»Ein Hugenotte«, brummte der Greis, »der überdies aus jenem verfluchten Lande kommt .«
Er stand auf der Türschwelle, auf seinen Stock gestützt, aber zu seiner ganzen Größe aufgerichtet. Er hatte seinen weiten schwarzen Überrock abgelegt, den er im Winter zu tragen pflegte. Sein Gesicht erschien Angélique ebenso weiß wie sein Bart. Ohne recht zu wissen, weshalb, wurde ihr angst, und sie beeilte sich einzugreifen.
»Großvater, dieser Herr war völlig durchnäßt, und wir haben ihn aufgefordert, sich zu trocknen. Er hat uns spannende Geschichten erzählt ...«
»Schön. Ich stehe nicht an zuzugeben, daß ich Mut schätze, und wenn der Feind sich mit offenem Visier zeigt, so weiß ich, daß er das Recht auf Achtung hat.«
»Mein Herr, ich komme nicht als Feind.«
»Erspart uns Eure ketzerischen Predigten. Ich habe nie an Auseinandersetzungen teilgenommen, die nicht in das Ressort eines alten Soldaten gehören. Aber ich möchte Euch wissen lassen, daß Ihr in diesem Hause keine Seelen zu bekehren finden werdet.«
Der Pastor stieß einen fast unhörbaren Seufzer aus. »Ich weiß sehr wohl, daß die Mitglieder Eurer Familie überzeugte Katholiken sind und daß es sehr schwierig ist, Menschen zu bekehren, deren Religion sich aus uraltem Aberglauben zusammensetzt und die sich für allein unfehlbar halten.«
»Ihr gebt damit also zu, daß Ihr Eure Adepten nicht unter den gefestigten Menschen sucht, sondern unter den Unentschiedenen, den enttäuschten Ehrgeizigen, den ausgetretenen Mönchen, die sich freuen, ihre Zuchtlosigkeit sanktioniert zu sehen?«
»Herr Baron, Ihr seid zu rasch in Euren Assimilationen und Urteilen«, sagte der Pastor, dessen Stimme sich härtete. »Vornehme Persönlichkeiten und hohe Geistliche der katholischen Welt haben sich schon zu unserer Lehre bekehrt.«
»Ihr könnt mir nichts entdecken, was ich nicht bereits wüßte. Der Ehrgeiz kann die Besten zu Fall bringen. Aber der Vorteil für uns Katholiken liegt darin, daß wir von den Gebeten der ganzen Kirche, der Heiligen und unserer Toten getragen werden, während Ihr in Euerm Stolz diese Fürsprache leugnet und behauptet, mit Gott selbst verbunden zu sein.«
»Die Papisten werfen uns Stolz vor, aber sie selbst erklären sich für unfehlbar und nehmen das Recht der Gewaltanwendung in Anspruch. Als ich Frankreich im Jahre 1629 verließ«, fuhr der Pastor mit dumpfer Stimme fort, »war ich eben als ganz junger Mensch der grausamen Belagerung von La Rochelle durch die Horden Richelieus entgangen. Man unterzeichnete den Frieden von Alès, durch welchen den Protestanten das Recht genommen wurde, befestigte Plätze zu unterhalten.«
»Es war die höchste Zeit. Ihr wurdet zu einem Staat im Staate. Gesteht, daß Euer Ziel darin bestand, alle westlichen und mittleren Provinzen Frankreichs dem Einfluß des Königs zu entziehen.«
»Das weiß ich nicht. Ich war noch zu jung, um so weitgreifende Pläne zu überblicken. Ich habe nur begriffen, daß diese neuen Beschlüsse im Widerspruch zu dem von König Heinrich IV. erlassenen Edikt von Nantes standen. Und bei meiner Rückkehr stelle ich nun mit Bitterkeit fest, daß man noch immer seine Bestimmungen mit einer Schärfe anficht und verleugnet, die ihresgleichen nur in der Unaufrichtigkeit der Kasuistiker und der Richter hat.«
Es trat eine Stille ein, und Angélique merkte, daß ihr Großvater, dieser im Grunde redliche und gerechte Geist, einigermaßen entwaffnet war. Doch Raymonds ruhige Stimme ließ sich plötzlich vernehmen:
»Herr Pastor, ich will nicht bestreiten, daß die Feststellungen, die Ihr seit Eurer Rückkehr über gewisse Ausschreitungen engherziger Eiferer treffen konntet, richtig sind. Ich weiß Euch Dank, daß Ihr nicht einmal die Fälle erkaufter Konversion von Erwachsenen und Kindern erwähnt habt. Aber Ihr müßt wissen, daß, wenn sich solche Exzesse ereigneten, Seine Heiligkeit der Papst persönlich zu wiederholten Malen bei der hohen französischen Geistlichkeit und beim König Einspruch erhob. Öffentliche und geheime Kommissionen reisen durchs Land, um erwiesenes Unrecht wiedergutzumachen. Ich bin sogar überzeugt, wenn Ihr selbst nach Rom ginget und dem geistlichen Oberhaupt eine Liste mit genauen Angaben übergäbt, würde die Mehrzahl der wirklich festgestellten Mißstände beseitigt werden .«
»Junger Mann, es kommt mir nicht zu, mich um die Reform Eurer Kirche zu bemühen«, sagte der Pastor in scharfem Ton.
»Um so besser, Herr Pastor, dann werden wir selbst es tun - mit Eurer gütigen Erlaubnis!« rief der Jüngling in jähem Ungestüm aus. »Gott wird uns erleuchten.«
Angélique schaute ihren Bruder verwundert an. Nie hätte sie geahnt, daß sich hinter seinem einfältigen und ein wenig scheinheiligen Wesen solche Leidenschaft verbarg.
Nun war es der Pastor, der in Verlegenheit geriet. Um die peinliche Situation zu überbrücken, sagte Baron Armand lachend und ohne Bosheit:
»Bei diesen Erörterungen muß ich daran denken, daß ich in letzter Zeit oft bedauert habe, kein Hugenotte zu sein. Denn ein Edelmann, der zum Katholizismus übertritt, soll ja bis zu dreitausend Livres bekommen.«
Der alte Baron fuhr auf.
»Mein Sohn, verschont uns mit Euren plumpen Späßen. Sie sind im Angesicht eines Gegners unangebracht.«
Der Pastor hatte seinen feuchten Mantel vom Stuhl genommen.
»Ich war keineswegs als Gegner gekommen. Ich hatte mich auf Schloß Sancé eines Auftrages zu entledigen. Einer Botschaft aus fernen Ländern. Ich hätte gern mit Baron Armand unter vier Augen gesprochen, aber ich sehe, daß Ihr gewohnt seid, Eure Angelegenheiten offen mit der Familie zu behandeln. Ich schätze diesen Brauch. Es war derjenige der Patriarchen und auch der Apostel.«
Angélique bemerkte, daß ihr Großvater so weiß geworden war wie der Elfenbeinknauf seines Stocks und daß er sich an die Türfüllung lehnte. Sie empfand Mitleid mit ihm. Gern hätte sie den Worten Einhalt geboten, die noch kommen würden, aber schon fuhr der Pastor fort:
»Monsieur Antoine de Ridouët de Sancé, Euer Sohn, dem in Florida zu begegnen ich das Vergnügen hatte, hat mich gebeten, das Schloß aufzusuchen, in dem er geboren ist, und mich nach dem Ergehen seiner Familie zu erkundigen, damit ich ihm nach meiner Rückkehr berichten kann. Somit ist meine Aufgabe erfüllt .«
Der alte Edelmann hatte sich ihm mit kleinen Schritten genähert.
»Hinaus!« gebot er mit dumpfer, keuchender Stimme. »Niemals, solange ich lebe, soll der Name meines seinem Gott, seinem König, seinem Vaterland gegenüber meineidig gewordenen Sohnes unter diesem Dach genannt werden. Hinaus, sage ich Euch! Ich dulde keinen Hugenotten bei mir!«
»Ich gehe«, sagte der Pastor sehr ruhig.
»Nein!« Raymonds Stimme erklang von neuem. »Bleibt, Herr Pastor. Ihr könnt nicht in diese Regennacht hinaus. Kein Einwohner von Monteloup wird Euch Obdach gewähren, und das nächste protestantische Dorf ist weit entfernt. Ich bitte Euch, die Gastfreiheit meines Zimmers anzunehmen.«
»Bleibt«, sagte Josselin mit seiner rauhen Stimme, »Ihr müßt mir noch von Amerika und vom Meer erzählen.«
Der Bart des alten Barons zitterte.
»Armand«, rief er in tief unglücklichem Tone aus, der Angélique ins Herz schnitt, »hierin also hat sich der Geist der Empörung Eures Bruders Antoine geflüchtet. In diese beiden Jungen, die ich liebte. Gott will mir nichts ersparen. Ich habe wohl zu lange gelebt.«
Er schwankte. Wilhelm stürzte herzu und fing ihn auf Auf den alten Soldaten gestützt, tastete er hinaus und wiederholte mit zitternder Stimme:
»Antoine . Antoine .«
Ein paar Tage darauf starb der Großvater. Man wußte nicht, an welcher Krankheit. Still ging er hinüber, als man ihn bereits von der durch den Besuch des Pastors hervorgerufenen Aufwallung erholt glaubte. Der Schmerz über das Verschwinden Josselins blieb ihm erspart.
Eines Morgens nämlich, kurze Zeit nach der Bestattung, hörte Angélique, die noch im Halbschlaf dämmerte, wie jemand leise ihren Namen rief. Als sie die Augen öffnete, sah sie verwundert Josselin auf ihrer Seite des Bettes stehen. Sie mahnte ihn, Madelon nicht zu wecken, und folgte ihm in den Gang.
»Ich gehe fort«, flüsterte er. »Du wirst dich bemühen, es ihnen begreiflich zu machen.«
»Wohin gehst du?«
»Zuerst nach La Rochelle. Von dort aus werde ich mich nach Amerika einschiffen. Pastor Rochefort hat mir von all jenen Ländern erzählt, von den Antillen, Neuengland und auch von den Kolonien Virginia, Maryland, Carolina, dem neuen Herzogtum York und Pennsylvanien. Ich werde schon irgendwohin kommen, wo man mich haben will.«
»Hier will man dich doch auch haben«, sagte sie jammernd. Sie schlotterte in ihrem winzigen, fadenscheinigen Nachthemd.
»Nein«, erklärte er, »für mich gibt’s in dieser Welt hier keinen Platz. Ich habe es satt, einer Klasse anzugehören, die wohl Privilegien besitzt, aber keinen Daseinszweck. Ob reich oder arm, die Adligen wissen absolut nicht mehr, wozu sie nütze sind. Sieh dir Papa an! Er tappt im dunkeln herum. Er erniedrigt sich und züchtet Maultiere, aber er wagt nicht, diese demütigende Situation auszunützen, um durch das Geld seinen adligen Namen wieder zu Ansehen zu bringen. Schließlich und endlich verliert er auf beiden Ebenen. Man deutet mit dem Finger auf ihn, weil er wie ein Pferd arbeitet, und auf uns ebenfalls, weil wir trotzdem noch vornehme Bettler sind. Glücklicherweise hat mir Onkel Antoine de Sancé den Weg gezeigt. Er war der ältere Bruder Papas. Er ist Hugenotte geworden und hat den Kontinent verlassen.«
»Du willst doch nicht deinen Glauben abschwören?« fragte sie erschrocken.
»Nein. Die Bigotterie interessiert mich nicht. Ich will leben.«
Er küßte sie hastig, lief ein paar Stufen hinunter, wandte sich um und warf einen besorgten und erfahrenen Blick auf seine halbnackte junge Schwester. »Du wirst schön und kräftig, Angélique. Sieh dich vor. Du solltest auch fortgehen, sonst findest du dich über kurz oder lang mit einem Stallknecht im Heu wieder. Oder du wirst das Eigentum eines der grobschlächtigen Schweine von Krautjunkern, die wir zu Nachbarn haben.«
Mit plötzlicher Zärtlichkeit fügte er hinzu:
»Glaub an meine Erfahrungen in dieser Hinsicht, Liebes, es wäre ein furchtbares Leben für dich. Mach dich auch von diesen alten Mauern frei. Was mich anbelangt, ich gehe aufs Meer hinaus.«
Er sprang die Treppe hinunter, indem er zwei Stufen auf einmal nahm, und war verschwunden.
»Machst du dir einen Begriff von all den Sorgen und Unannehmlichkeiten, die ich mir um euret- und im besonderen um deinetwillen auf den Hals lade?« fragte Baron Armand Angélique.
"Angélique" отзывы
Отзывы читателей о книге "Angélique". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Angélique" друзьям в соцсетях.