Aus der Küche drang ein unterdrückter Ausruf, dann klirrte splitternd Geschirr auf den Boden. Die Tür wurde heftig aufgerissen, und David erschien, die Ärmel über seine kümmerlichen Armmuskeln krempelnd.

Audiger schien nicht zu begreifen, was dieser Küchenjunge wollte.

»Ist das Euer kleiner Bruder?«

»Nein, es ist der Neffe Meister Bourgeauds und bereits ein vorzüglicher Koch.«

»Für einen Koch ist er nicht besonders dick ... und im übrigen scheint er nicht ausgesprochen umgänglich. Warum streckt er mir dauernd die Fäuste entgegen?«

Audiger legte lässig die Hand auf den Griff seines Degens.

»Ihr wagt es wohl nicht, Euch mit bloßen Händen zu schlagen, wie?« schrie David mit seiner Fistelstimme, ohne aus dem Haushofmeister mehr als ein kühles Lächeln herauszulocken.

»Hör mit diesen Dummheiten auf, David!« gebot Angélique streng.

Der gute Junge ließ die Arme sinken und zog ein Gesicht wie ein gescholtenes Kind. Aber er konnte sich nicht entschließen zu gehen und brummte endlich:

»Mein Onkel mag keine Gäste, die nichts verzehren und einem nur die Zeit wegstehlen.«

»Hast recht, Junge. Bring uns also schleunigst einen Krug guten Weins.«

»Dies hier ist keine Schenke. Man kommt, um zu essen.«

»Um welche Zeit?«

»Nicht vor acht Uhr jetzt im Frühling.«

»Kurz gesagt, du wirfst mich hinaus. Schön, wir wollen uns nicht streiten. Ich komme ein andermal wieder her.«

Audiger erhob sich und warf elegant seinen Mantel über die Schulter. Er lächelte Angélique zu, und sie fand, daß er schöne, volle, gutgeformte Lippen habe.

»Aber ich komme wieder, schöne Wirtin ... um die Antwort abzuholen. Es ist ernst gemeint, müßt Ihr wissen. Überlegt es Euch gut!«

Angélique lachte gezwungen. »Wie könnt Ihr nur so leichtsinnig sein? Meine hausfraulichen Fähigkeiten sind Euch doch völlig unbekannt!«

»Ich weiß, daß Ihr eine Zauberin auf dem Gebiet der Kochkunst seid, was übrigens in unserm Haushalt nicht so wichtig wäre, da ich selbst Koch bin. Und was das sonstige betrifft, nun ja, ich nähme fürlieb«, sagte er fröhlich. Und mit einer tiefen, höfischen Verbeugung verließ er sie.

Am Abend wartete Angélique, bis der letzte Gast gegangen war, um Meister Bourgeaud von Audigers Besuch in Kenntnis zu setzen.

»Er hat mir versichert, er werde sein Patent in allernächster Zeit bekommen. Ich habe mir die Sache genau überlegt, und ich glaube, wir dürfen keinen Augenblick mehr verlieren. Seid Ihr nicht auch der Ansicht, daß .«

»Aber natürlich bin ich der Ansicht«, rief der Bratkoch aus und fuchtelte mit seinen kurzen Armen. »Wenn ich’s nicht wäre, würde das vielleicht etwas ändern.«

»Gebt Ihr mir also freie Hand, nach meinem Gutdünken zu handeln?«

»Hast du jemals anders gehandelt? Handle, mein Kind, handle! Du weißt genau, daß mich alle diese großen Projekte aufregen und beunruhigen. Es wird übel ausgehen, ich fühle es.«

»Gewiß, es kann mißlingen, aber man riskiert nichts, wenn man’s versucht.«

»Versuche, mein Kind, versuche.«

Und da er für die Nacht zur Polizeiwache eingeteilt war, ging er seine Waffen holen. Angélique fragte ihn, ob sie in der Stube schlafen dürfe, die sie vor der Übersiedlung in die Rue des Francs-Bourgeois bewohnt hatte. Es war spät, und sie fühlte sich recht erschöpft.

»Aber natürlich, bleib nur hier. Das Haus gehört dir ... Alles gehört dir .«

»Meister Bourgeaud«, sagte Angélique bekümmert, »Ihr redet, als sei Euch meine Gegenwart lästig.«

Der Bratkoch lachte und kniff sie in die Wange.

»Du bist die Sonne meines Heims, aber ich bin ein alter, mürrischer Großpapa. Mein Gott, du solltest mich allmählich kennen!«

Nachsichtig lächelnd, verfolgte sie ihn mit dem Blick, als er davontrottete, die Hellebarde in der einen, die Laterne in der anderen Hand. Dann machte sie die Fenster dicht, schob die Türriegel vor, stieg hinauf und sank mit einem Seufzer der Erleichterung ins Bett. Aber ehe sie noch recht eingeschlafen war, brachte ein Schritt draußen die Treppenstufen zum Knarren. Die Tür ging auf, und der unruhige Schein einer Kerze ließ die schlotternde Gestalt Davids erkennen.

»Madame Angélique?«

Sie richtete sich auf. »Was ist denn? Was willst du?«

Das Licht zuckte auf wunderliche Art. David zitter-te an allen Gliedern.

»Das kann doch nicht wahr sein, wie? Ihr werdet ihn nicht . Ihr werdet Euch nicht mit ihm verheiraten ...?«

Angélique gähnte.

»Ach, das ist es, was dich plagt, mein guter David? Hast du’s denn nicht begriffen, du Dummkopf? Dieser Herr ist schön, reich, er hält sich für unwiderstehlich und versucht, mir die Cour zu schneiden, um mich einzulullen und sein Schäfchen ins trockene zu bringen. Aber er kann lange warten. Morgen gehen wir beide zusammen zum Vorsteher der Kaufmannschaft, der die Gültigkeit deines Patents prüfen soll, und danach lassen wir uns das Prioritätsrecht bestätigen.«

»Dann ... dann ist es also wahr? Es war nicht ernst gemeint? Dieser junge Mann hat Euch nicht ausnehmend gut gefallen? Ihr habt ihn mit einem so seltsamen Lächeln angeschaut .!«

»Ich mußte doch seinen Argwohn einschläfern. Überhaupt, mit welchem Recht richtest du über mich? Kannst du mir auch nur ein einziges Abenteuer nachweisen, seitdem ich hier bin? Glaubst du, ich hätte neben der Arbeit in der Bratküche und meinen Mutterpflichten noch Zeit für Firlefanzereien?«

Der Jüngling näherte sich langsam dem Bett und stellte seinen Leuchter auf den Nachttisch. Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Was bin ich froh!« sagte er ekstatisch. »Allein der Gedanke, dieser Mann könnte seinen Arm um Eure Taille legen, hat mich wahnsinnig gemacht.«

Er schloß die Augen, schien nachzudenken und sagte:

»Fünf Werkzeuge hat sie, die mir Wonne bereiten:

Ihre Hände die ersten, ihre Augen die nächsten beiden.

Fürs letzte muß leichtfertig man sein und galant,

doch sein Name bleibt besser ungenannt.«

»O David!« rief Angélique lachend aus. »Wo hast du diese Salon-Schlüpfrigkeiten aufgegabelt?«

»Der Schmutzpoet hat das Gedicht für mich gemacht. Ich ... ich hab’ ihn gefragt, wie ich Euch zu verstehen geben könnte, daß ich Euch liebe. Aber Ihr lacht«, schrie der arme Junge auf, »Ihr macht Euch über mich lustig!«

»Pst! Du weckst ja die ganze Nachbarschaft! Ich lache, weil du ein großer Tölpel bist. Du weißt wie alle Welt genau, daß dieser berüchtigte Schmutzpoet ein Hanswurst und übles Bürschchen ist. So, nun geh und leg dich wieder schlafen!«

Aber David trat noch einen Schritt näher und beugte sich über sie. Das Licht der Kerze zeichnete tiefe Schatten in sein Gesicht, das seinen kindlichen Ausdruck verloren hatte. Unwillkürlich schob sie den Träger ihres Hemdes hoch, der über den Arm herabgeglitten war.

»Ich liebe Euch«, sagte er mit fester und tiefer Stimme. »Es gibt keine schönere Frau als Euch. In der Nacht träume ich, daß ich meine Hand auf Eure Brust lege, mit meinen Lippen Eure Lippen berühre. Ich möchte neben Euch in diesem Bett liegen, Euren Körper an mich pressen, bis Ihr vor Schmerz stöhnt. Und dann, meine ich, würde etwas so Wunderbares geschehen, daß ich vor Wonne stürbe ...«

»Nicht übel«, sagte sich Angélique. »Diese Leute aus dem Süden haben von Natur aus eine lyrische Ader; die ihnen kein Mensch abstreiten kann. Aber werde ich nun wahrhaftig gezwungen sein, mich mit diesem siebzehnjährigen Bengel zu schlagen?«

Indessen hatten sich Davids Züge plötzlich wie in einem Krampf verzerrt. Verzweiflung verwandelte sein Gesicht, und er sank schluchzend am Bettrand zusammen.

»Oh, seid mir nicht böse, ich flehe Euch an! Ich weiß nicht, was mit mir ist ... Als ob ich wahnsinnig würde! Ich bin krank, nicht wahr?«

Angélique lächelte und streichelte mütterlich das borstige Haar des Jungen.

»Aber nein, du bist nicht krank. Es ist sogar durchaus natürlich. Du bist ein Mann geworden. Das heißt, vielleicht noch nicht ganz. Bist du schon mal bei einer Frau gewesen, David?«

Der Jüngling wandte das Gesicht ab, um sein Erröten zu verbergen, das Angélique im Halbdunkel des Raums freilich ohnehin nicht bemerkt hätte. »Nein«, sagte er scheu. »Ich mag die Frauen nicht. Sie flößen mir Angst ein.«

»Und ich? Ich, die dich den ganzen Tag hart anfährt, dir Püffe versetzt und dich beschimpft, ich flöße dir keine Angst ein?«

»Doch, ein wenig. Vor allem, wenn Ihr mich auf eine gewisse Art anschaut. Aber ich glaube, Ihr wäret weder spöttisch noch böse. Seitdem Ihr mich geküßt habt .«

»Was, ich habe dich geküßt?«

»Ja, an jenem Tage, an dem Ihr erfuhrt, daß ich aus Toulouse bin. Damals habe ich gemerkt, daß Ihr auch gut seid. Und ich habe gedacht, Ihr könntet mich lehren ...«

»Was könnte ich dich lehren, David?«

Während seine Augenlider sich senkten, hauchte er:

»Das ... jene wunderbare Sache .«

»Die Liebe? Wie ich dich das Kochen lehrte? Nein, mein Kleiner. Schau, diese Dinge lernt man bei einem Mädchen deines Alter oder aber ... Nun, ich bin nicht mehr jung oder noch nicht alt genug für diese Rolle. Im übrigen glaube ich, daß du dir Illusionen über das Gefühl machst, dessen Anlaß ich zu sein scheine. In Wirklichkeit wirst du merken, daß des Nachts im Bett

- wenn die Kerze gelöscht ist - alle Frauen einander gleichen. Aber was dir fehlt, ist das Wissen, worin sie einander gleichen. Drum gib mir meinen Umhang dort vom Stuhl und laß mich aufstehen.«

Sie ging zum Tisch, kritzelte ein paar Worte auf ein Stück Papier, fügte einige Geldstücke bei und übergab beides David.

»So, damit gehst du in die Stadt, überschreitest den Pont-au-Change und begibst dich in die Rue Glatigny. Du klopfst an die Tür des dritten Hauses zur Linken, dort, wo du eine rote Laterne siehst. Du sagst, du möchtest eine Frau sprechen, die man die Polackin nennt. Du erklärst ihr, du kämst von Angélique. Sie kann nicht lesen, aber Beau-Garçon wird ihr das Nötige sagen, und an dem Geld wird sie schon merken, um was es sich handelt und daß sie dich wie einen Edelmann hätscheln soll. Geh also, mein Junge, und hab keine Angst. Tummel dich, ich bekomme kalte Füße auf dem Steinboden!«

Gesenkten Kopfes ließ er sich hinausdrängen. Da er gewohnt war, ihr zu gehorchen, hörte sie ihn wirklich das Haus verlassen, und gleich darauf sah sie durchs Fenster, wie er auf den vom Mondlicht überfluteten Pont-au-Change einbog.

»Es ist nicht gerade sehr moralisch, was ich da getan habe«, dachte Angélique, während sie sich wieder niederlegte, »aber in diesem Fall das Richtige. Und was mich betrifft, ich kann, wie unsere Nachbarin, die Tante Alice, sagen würde, meine Zeit nicht mit Überflüssigem vertrödeln.«

Am nächsten Morgen vermied es Angélique aus Feingefühl, dem jungen Chaillou Fragen zu stellen. Er schien indessen durchaus zufrieden, obwohl sein Atem und die Ringe um seine Augen verrieten, daß er in dieser Nacht im Tal der Liebe mehr getrunken hatte als im ganzen Jahr.