Gemäß ihrem Versprechen begab sie sich mit ihm zum Vorsteher der Kaufmannschaft. Sie wurden von einem schwitzenden, beleibten Biedermann in ziemlich schmutzigem Spitzenkragen empfangen, der die Gültigkeit des dem jungen Chaillou gewährten Patents bestätigte, für das freilich eine neuerliche Gebühr zu entrichten sei.

Angélique erhob Widerspruch:

»Aber wir haben doch eben erst die Abgaben für den Bratstuben- und Speiseküchenbetrieb geleistet und weitere für die Genehmigung, selbst Fische zu braten. Weshalb sollen wir darüber hinaus noch etwas bezahlen, nur um ein alkoholfreies Getränk ausschenken zu dürfen?«

»Ihr habt ganz recht, mein Kind, denn das bringt mich darauf, daß Ihr ja außer den Innungsvorstehern des Spezereiwarenhandels, die diese Sache betrifft, auch noch die Genossenschaft der Limonadehersteller entschädigen müßt. Wenn alles in Eurem Sinne verläuft, dürft Ihr zwei zusätzliche Patente bezahlen: eines an die Innung der 2. Klasse, die der Gewürzkrämer, das andere an die der 3. Klasse, der Limonadenhersteller.«

Angélique beherrschte mühsam ihren Zorn.

»Und das wäre dann alles?«

»O nein«, erwiderte er bedauernd. »Wohlverstanden, wir haben bisher weder von den fällig werdenden staatlichen Abgaben gesprochen noch von denen an die Prüfer sowie an die Gewichts- und Qualitätskontrolleure .«

»Aber wie könnt Ihr Anspruch erheben, dieses Produkt zu kontrollieren, wenn Ihr es überhaupt nicht kennt?«

»Darum geht es nicht. Dieses Produkt ist eine Handelsware, und alle Innungen, die es betrifft, müssen die Kontrolle darüber haben sowie ihren Anteil am Gewinn. Da Eure Schokolade, wie Ihr sagt, ein gewürztes Getränk ist, müßt Ihr einen Gewürzmeister einstellen, außerdem einen Limonadenmeister, beiden angemessenen Lohn und Unterkunft gewähren, den Preis für das Meisterrecht des neuen Gewerbes an jede einzelne Innung zahlen, und da Ihr mir nicht sonderlich willig zu sein scheint, darf ich Euch gleich darauf aufmerksam machen, daß wir genauestens aufpassen werden, daß alles seine Richtigkeit hat.«

»Und was hat das wohl zu bedeuten?« fragte Angélique herausfordernd, indem sie die Arme in die Hüften stemmte.

Aber ihre Geste belustigte die seriösen Kaufleute nur, die sich inzwischen dazugesellt hatten, und einer der jüngeren unter ihnen glaubte ihr erklären zu müssen:

»Das hat zu bedeuten, daß Ihr Euch bei der Aufnahme in die Innung damit einverstanden erklärt, daß dieses neue Produkt von allen Gewürzkrämern und Limonadenverkäufern vertrieben wird, vorausgesetzt, daß es, wunderlich wie es ist, bei den Kunden größeren Anklang findet.«

»Das ist ja alles ungemein ermutigend, was Ihr mir da erzählt, Ihr Herren. Danke schön! Wir sollen also sämtliche Unkosten tragen, neue Meister mit Kind und Kegel bei uns aufnehmen, die Reklametrommel rühren, die Wohnung trockenwohnen, wie man so sagt, und uns dabei entweder ruinieren oder aber hinterher den Ertrag unserer Mühen und unseres Geheimnisses mit denen teilen, die nichts dazu getan haben?«

»Die im Gegenteil alles dazu getan haben, meine Teure, indem sie Euch aufnahmen und Eurem Geschäft keine Hindernisse in den Weg legten.«

»Kurz und gut, es ist also eine Art Wegezoll, was Ihr verlangt?«

Der junge Innungsmeister suchte sie zu beruhigen.

»Vergeßt nicht, daß die Zünfte wachsenden Geldbedarf haben, und da Ihr selbst ein Gewerbe betreibt, wißt Ihr ja, daß man uns bei jedem neuen Krieg, bei jeder Geburt im Königs- oder auch nur in einem Prinzenhause zwingt, unsere teuer erworbenen Privilegien abermals zu kaufen. Und darüber hinaus ruiniert uns der König, indem er bei jedem Anlaß oder auch ohne jeglichen Anlaß neue Patente fabriziert, wie zum Beispiel dieses da, das Ihr im Namen des Sieur Chaillou vorweist .«

»Der Sieur Chaillou bin ich«, bemerkte David, »nachdem mein Vater gestorben ist, und ich kann Euch versichern, Ihr Herren, daß ihm sein Patent durch kostspielige Forschungen und Abgaben an den König teuer zu stehen gekommen ist.«

»Eben in diesem Punkt, junger Mann, seid Ihr nicht im reinen mit uns: vor allem seid Ihr kein Gewürzmeister, werdet es auch nie sein, und unsere Innung hat daher nichts von Euch erhalten.«

»Aber sein Vater bringt Eurer Innung doch eine Erfindung .«

»Beweist uns das auf Eure Kosten, und verpflichtet Euch, uns von ihr profitieren zu lassen.«

»Aber die Innung hat weder für diesen jungen Mann noch für seinen Vater etwas getan!«

»Wenn Ihr nichts einbringt, kann die Innung Euch auch nicht aufnehmen.«

»Ist denn das überhaupt nötig?« fragte Angélique brüsk. »Da dieser junge Mann vom König die alleinige Genehmigung erhalten hat, dieses Produkt herzustellen und zu vertreiben, und da sein Onkel und ich selbst willens sind, ihm die Mittel zur Verfügung zu stellen und die Sache zu leiten, sehe ich nicht ein, wieso wir gezwungen sein sollten, auf Eure Forderungen einzugehen.«

An den verstohlenen Blicken, die die Innungsmeister tauschten, erkannte sie, daß sie die schwache Stel-le im Gebäude des Zunftwesens berührt hatte. Was jene die »Launen« des Königs nannten, rüttelte an seit vierhundert Jahren gültigen Bestimmungen.

Der junge Kaufmann sagte erregt:

»Seid nicht so störrisch, junge Frau, und glaubt nicht, daß Ihr uns ungestraft trotzen könntet. Andererseits möchte ich Euch darauf verweisen, daß Ihr, wenn Ihr Euch der Innung verbindet, gewichtige Vorteile genießen werdet.«

»Welche? Könnt Ihr garantieren, daß mir nicht auch noch die Wasserverkäufer Schwierigkeiten bereiten und ihren Anteil verlangen werden? Könnt Ihr garantieren, daß sich, falls ich unser Geheimnis mit Euch teile, nicht auch die Apotheker oder die Ärzte einschalten werden, die behaupten, daß die Schokolade ein Produkt von eminent heilsamer Wirkung sei .?«

»In diesem Punkt könnt Ihr beruhigt sein, mein Kind. Die Ärzte und Apotheker sind sich nie einig.«

Doch der beleibte Innungsvorsteher mischte sich ein:

»Ich habe freilich gehört, die Ärzteschaft halte viel von der Schokolade und empfehle den Apothekern, sich damit zu versorgen.«

»Dann allerdings kompliziert sich Euer Fall, meine Liebe, denn die Innung der Spezereiwarenhändler kann sich nicht mit dem Vertrieb eines Medikaments befassen ...«

Angélique hatte ein Gefühl, als platze ihr der Kopf, und stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie verabschiedete sich mit der Erklärung, sie werde über die uner-forschlichen Geheimnisse der Gewerbeverordnungen nachdenken, und sie sei überzeugt, daß die Herren bis zum nächsten Mal einen trefflichen Grund gefunden hätten, um sie daran zu hindern, etwas Neuartiges zu unternehmen.

Auf dem Heimweg machte sie sich Vorwürfe, daß sie ihre Erregung nicht besser beherrscht hatte. Aber sie wußte, daß bei diesen Leuten auch mit einem Lächeln nichts auszurichten gewesen wäre. Audiger hatte mit seiner Versicherung ganz recht gehabt, daß ihn die Genehmigung des Königs der Notwendigkeit enthebe, sich um den Schutz der Innungen zu bemühen.

Aber er war wohlhabend und hatte einflußreiche Persönlichkeiten hinter sich, während Angélique und der gute David einigermaßen hilflos der Feindseligkeit der Gilden ausgeliefert waren.

Die Protektion des Königs für dieses erste, vor fünf Jahren ausgestellte Patent zu erbitten, erschien ihr ebenso mißlich wie schwierig. Also begann sie, nach einem Wege zu suchen, der zur Verständigung mit Audiger führen konnte. War es, statt einander zu bekämpfen, schließlich nicht vernünftiger, gemeinsame Anstrengungen zu machen und sich in das Geschäft zu teilen? So konnte Angélique mit Hilfe des Patents und der Fabrikationsgeräte die Beschaffung der Kakaobohnen übernehmen und diese bis zum gebrauchsfertigen Zustand aufbereiten. Der Haushofmeister würde aus dem Pulver das Getränk und alle möglichen Arten von Konfekt her-stellen.

Im Verlauf ihrer ersten Unterhaltung war ihr klargeworden, daß der junge Mann sich noch nicht ernsthaft mit dem Gedanken an die Beschaffungsmög lichkeiten des Rohprodukts befaßt hatte. Ganz obenhin hatte er erwidert, »das bereite nicht die leisesten Schwierigkeiten«, er werde »durch Freunde« genug bekommen.

Nun, durch die Zwergin der Königin wußte Angélique, daß der Transport einiger für die Naschhaftigkeit Ihrer Majestät erforderlicher Säcke Kakao eine wahre diplomatische Mission darstellte und daß es zahlreicher Mittelspersonen und Verbindungen zum spanischen Hof oder nach Florenz bedurfte ... Auf solche Weise konnte man sich aber für den laufenden Bedarf nicht verproviantieren, und bis dahin schien nur Davids Vater sich ernsthaft mit diesem Gedanken beschäftigt zu haben.

Audiger kam häufig in die Schenke zur »Roten Maske«. Wie der »Vielfraß« Montmaur ließ er sich an einem abseits stehenden Tische nieder, immer allein und sichtlich jede Gesellschaft meidend. Seit seinem ersten, sehr kecken und munteren Auftreten war er plötzlich recht einsilbig geworden, und Angélique wunderte sich ein wenig darüber, daß dieser bereits renommierte Berufsgenosse ihr kein Kompliment über ihre Kochkünste machte. Im übrigen nippte er nur an den Speisen und folgte Angélique auf Schritt und Tritt mit den Augen. Der ernste und hartnäckige Blick dieses hübschen, gutgewachsenen und selbstbewußten Burschen schüchterte schließlich die junge Frau ein, die das Getändel des ersten Tags bereute und nicht wußte, wie sie auf die Sache zu sprechen kommen sollte, die ihr am Herzen lag. Vielleicht war sich Audiger klargeworden, daß es schwieriger sein würde, sie beiseite zu schieben, als er ursprünglich gedacht hatte. Vielleicht überwachte er sie jetzt gar?

Allmählich jedoch trieb er es mit dem Überwachen ein wenig weit, denn bei den Ausflügen, die die ganze Familie an diesen Sommersonntagen aufs Land unternahm, tauchte Audiger wiederholt zu Pferde auf und lud sich zu ihrer Mahlzeit im Grünen ein. Wie durch Zufall fanden sich in seiner Satteltasche stets eine Hasenpastete und eine Flasche Champagner.

Oder aber man stieß auf ihn in der Galeote, die auf dem Wasserweg nach Chaillot fuhr, im Marktschiff von Saint-Cloud, in dem seine Bänder, seine Federn und seine Kleidung aus feinem Tuch sich seltsam genug ausnahmen. Am Tage nach einem dieser Ausflüge trat Audiger plötzlich aus seiner Reserve heraus und sagte zu Angélique: »Je länger ich Euch beobachte, desto mehr Rätsel gebt Ihr mir auf, schöne Freundin. Es ist da etwas in Euch, das mich beunruhigt .«

»Bezüglich Eurer Schokolade?«

»Nein . oder vielmehr doch . indirekt. Zuerst bildete ich mir ein, Ihr wärt für die Dinge des Herzens ... und auch des Geistes geschaffen. Und nun merke ich immer mehr, daß Ihr in Wirklichkeit sehr praktisch, ja sogar materiell seid und daß Ihr nie den Kopf verliert.«

»Ich will es hoffen«, dachte sie. Aber sie begnügte sich damit, auf die liebreizendste Art zu lächeln.

»Im Leben gibt es Perioden, in denen man gezwungen wird, sich voll und ganz einer einzigen Sache zu widmen, dann wieder einer andern. Zu gewissen Zeiten ist es die Liebe, die vorherrscht, gewöhnlich dann, wenn das Dasein einem leichtfällt. Zu andern ist es die Arbeit, ein gestecktes Ziel. So will ich Euch auch nicht verheimlichen, daß ich zur Zeit mein Augenmerk in erster Linie darauf richte, Geld für meine Kinder zu verdienen, deren ... deren Vater gestorben ist.«

»Ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber da Ihr schon einmal von Euren Kindern sprecht - glaubt Ihr, daß es Euch bei einem ebenso anstrengenden wie unsicheren und vor allem mit echtem Familienleben so wenig zu vereinbarenden Gewerbe gelingen kann, sie ordentlich zu erziehen und glücklich zu machen?«

»Ich habe keine Wahl«, sagte Angélique hart. »Im übrigen kann ich mich über Meister Bourgeaud nicht beklagen und habe bei ihm ein im Verhältnis zu meiner bescheidenen Stellung unverhofft gutes Auskommen gefunden.«

Audiger hüstelte, spielte eine Weile nachdenklich mit den Quasten seines Spitzenkragens und sagte zögernd:

»Und ... wenn ich Euch diese Wahl böte?«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

Sie sah ihn an und erkannte in seinen braunen Augen den Ausdruck verhaltener Verehrung. Der Augenblick schien ihr günstig, um die Verhandlungen voranzutreiben: »Da fällt mir ein: Habt Ihr endlich Euer Patent?«

Audiger seufzte.

»Aha, Ihr seid also doch interessiert und verbergt es auch gar nicht! Nun, offen gesagt, ich habe den Stempel der Staatskanzlei noch nicht und werde ihn wohl auch nicht vor Oktober bekommen, denn während der Sommermonate hält sich der Präsident Séguier in seinem Landhause auf. Aber von diesem Zeitpunkt an wird alles ganz rasch gehen, denn ich habe meine Angelegenheit mit dem Grafen de Guiche besprochen, des Kanzlers Schwager. Ihr seht, daß Ihr binnen kurzem keine Aussicht mehr habt, eine hübsche Schokoladenwirtin zu werden ... falls Ihr nicht ...«