»Jawohl ... falls ich nicht ...«, sagte Angélique. »So hört mich an.«
Und sie teilte ihm frank und frei ihre Absichten mit. Sie verriet ihm, daß sie ein Patent besitze, das älteren Datums als das seinige sei und mit dem sie ihm Verdruß bereiten könne, doch sei es wohl am besten, man einige sich. Sie würde die Herstellung des Produkts übernehmen und er die Zubereitung. Und um am Gewinn des Schokoladegeschäfts beteiligt zu sein, würde Angélique ihm helfen und Geld investieren.
»Wo gedenkt Ihr Euer Schokoladegeschäft einzurichten?«
»Im Quartier Saint-Honoré bei der Croix du Tra-hoir. Aber Eure Geschichten haben weder Hand noch Fuß!«
»Sie haben durchaus Hand und Fuß, das wißt Ihr genau. Das Quartier Saint-Honoré ist ein ausgezeichnetes Viertel. Der Louvre liegt in der Nähe, das Palais Royal ebenfalls. Es darf keine Gaststätte werden, die wie eine Schenke oder eine Bratstube wirkt. Ich sehe schöne schwarze und weiße Fliesen, Spiegel und vergoldetes Tafelwerk und dahinter einen Garten mit Weinlauben wie im Klosterbezirk der Coelestiner, behagliche Lauben für Liebespaare.«
Der Haushofmeister, den Angéliques Ausführungen verdrießlich gemacht hatten, entrunzelte bei dieser letzten Schilderung die Stirn.
»Ihr seid wirklich bezaubernd, wenn Ihr Euch so von Eurer Phantasie fortreißen laßt. Ich liebe Euren Frohsinn und Euren Schwung, denen Ihr das richtige Maß von Bescheidenheit beizumischen versteht. Ich habe Euch aufmerksam beobachtet. Ihr seid schlagfertig, aber von untadeliger Sittsamkeit, und das gefällt mir. Was mich abstößt an Euch, das ist, ich will es nicht verheimlichen, Eure allzu praktische Einstellung und Eure Art, Euch mit erfahrenen Männern auf gleiche Stufe zu stellen. Die Zartheit der Frauen läßt sich schlecht mit forschem Ton und schneidigem Gehaben vereinen. Sie sollen es den Männern überlassen, diese Dinge auszuhandeln, bei denen ihre kleinen Köpfchen nur in Verwirrung geraten.«
Angélique lachte laut auf. »Ich sehe schon Meister Bourgeaud und David über diese Dinge diskutieren!«
»Es handelt sich nicht um sie.«
»So? Ihr habt also noch nicht erfaßt, daß ich mich allein durchbeißen muß?«
»Das ist es ja, Euch fehlt ein Beschützer.«
Angélique stellte sich taub.
»Hübsch langsam, Meister Audiger. In Wirklichkeit seid Ihr ein eifersüchtiges Ekel und wollt Eure Schokolade alleine trinken. Und weil das, was ich Euch auseinandersetze, Euch nicht paßt, versucht Ihr auszuweichen, indem Ihr Reden über die Zartheit der Frauen haltet. Aber in dem kleinen Krieg, den wir gegeneinander führen, scheint mir die Lösung, die ich Euch vorschlage, noch immer die vernünftigste.«
»Ich weiß eine hundertmal bessere.«
Unter dem bohrenden Blick des jungen Mannes gab Angélique vorderhand ihr Bemühen auf. Sie nahm ihm seinen Teller weg, wischte den Tisch ab und erkundigte sich, was er als Zwischengericht wünsche. Doch als sie zur Küche ging, stand er auf und holte sie mit zwei Schritten ein.
»Angélique, mein Täubchen, seid nicht grausam«, flehte er. »Versprecht mir, daß Ihr am Sonntag allein mit mir einen Spaziergang machen werdet. Ich möchte ernsthaft mit Euch reden. Wir könnten zur Javel-Mühle gehen. Wir essen dort ein Fischgericht, und dann wandern wir über die Felder. Wollt Ihr?«
Er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt. Sie hob die Augen zu ihm, gefesselt von diesem frischen Gesicht, zumal von den unter den beiden dunklen Strichen des Schnurrbarts kräftig sich abzeichnenden Lippen. Lippen, die sich fordernd dem Fleisch aufdrängen mußten, das sie berührten.
Ein Schauer der Lust durchrieselte sie, und mit kraftloser Stimme willigte sie ein, sich am Sonntag von ihm zur Javel-Mühle geleiten zu lassen.
Die Aussicht auf diesen Ausflug beschäftigte Angélique viel mehr, als ihr lieb war. Sie mochte sich noch so sehr bemühen, vernünftig zu sein - jedesmal, wenn sie an Audigers Lippen dachte und an den um ihre Taille gelegten Arm, überlief sie ein heißer Schauer. Solche Empfindungen waren ihr völlig fremd geworden. Als sie darüber nachdachte, stellte sie fest, daß seit nahezu zwei Jahren, sei jenem Abenteuer im Châtelet, kein Mann sie berührt hatte. Nun, das war freilich nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn dieses Nonnendasein hatte sich in einer Atmosphäre der Sinnlichkeit abgespielt, in der man sich nur mit Mühe behaupten konnte; sie konnte die dreisten Küsse und Liebkosungen gar nicht mehr zählen, die sie mit Ohrfeigen hatte abwehren müssen. Mehrmals war sie im Hof von betrunkenen Kerlen angefallen worden und hatte sich mit Fußtritten ihrer erwehren und um Hilfe rufen müssen. All das, zusammen mit den Erinnerungen an den Polizeihauptmann und die derben Umarmungen Calembredaines, hinterließ in ihr den bitteren Geschmack von Gewalttätigkeiten, die ihre Sinne abgestumpft hatten.
Verwundert spürte sie, daß sie wieder erwacht waren, mit einer Plötzlichkeit und Süße, wie sie es noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hätte. Ob dieser Audiger ihre Verwirrung ausnutzen würde, um ihr das Versprechen zu entlocken, ihn in seinem Geschäft nicht zu behindern?
»Nein«, sagte sich Angélique. »Das Vergnügen und die Geschäfte sind getrennte Dinge. Ein in herzlichem Einvernehmen verbrachter Tag kann meinen Zukunftsplänen nicht abträglich sein. Im übrigen, was berechtigt mich zu der Vermutung, daß sich etwas zutragen könne? Audiger hat sich stets völlig korrekt verhalten.«
Vor ihrem Spiegel strich sie mit dem Finger über ihre langen, feinen Augenbrauen. War sie noch immer schön? Man sagte es ihr, aber hatte die Hitze des Herdfeuers ihren von Natur matten Teint nicht noch mehr gebräunt?
»Ich bin ein bißchen voller geworden, was mir gar nicht übel steht. Außerdem hat dieser Typ von Männern eine Vorliebe für rundliche Frauen.«
Sie schämte sich ihrer von der Küchenarbeit rauh und dunkel gewordenen Hände und kaufte beim Großen Matthieu auf dem Pont-Neuf eine Salbe, um sie zu bleichen. Auf dem Rückweg erstand sie einen Kragen aus normannischer Spitze, den sie über den Ausschnitt ihres schlichten Kleides aus blaugrünem Tuch legen wollte. So würde sie wie eine kleine Bürgersfrau wirken und nicht wie eine Magd oder Händlerin. Dazu besorgte sie sich, einer leichtferti-gen Laune nachgebend, ein Paar Handschuhe und einen Fächer.
Wirklichen Kummer machten ihr nur ihre Haare. Sie waren krauser und blonder nachgewachsen, aber sie wollten nicht wieder die alte Länge erreichen. Betrübt dachte sie an das schwere und seidige Vlies, das sie in ihrer Kindheit über die Schultern zu schütteln pflegte.
Am Morgen des großen Tages verbarg sie sie unter einem dunkelblauen seidenen Tuch, das der Meisterin Bourgeaud gehört hatte. Am Ausschnitt ihres Mieders befestigte sie eine Kamee aus Karneol und an ihrem Gürtel ein mit Perlen besticktes Täschchen, das ebenfalls aus deren Hinterlassenschaft stammte. -Angélique wartete unter dem Torbogen. Der Tag versprach schön zu werden. Der Himmel breitete sich klar über den hohen Giebeln. Als Audigers Kutsche endlich erschien, lief sie ihr mit der Ungeduld eines Pensionatszöglings an seinem Ausgangstag entgegen.
Der Haushofmeister sah geradezu prächtig aus. Er trug gelbe Kniehosen mit leuchtenden Bändern. Sein Wams aus gemsfarbenem Samt, das mit schmalen, orangegelben Litzen gesäumt war, öffnete sich über einem gefältelten Hemd aus feinstem Linon. Die Spitzen an seinen Knien, seinen Manschetten und seiner Halsbinde waren hauchzart.
Angélique berührte sie voller Bewunderung.
»Das sind irische Spitzen«, erklärte der junge Mann. »Sie haben mich ein kleines Vermögen gekostet.«
Ein wenig geringschätzig hob er den schlichten Kragen seiner Gefährtin.
»Später werdet Ihr ebenso schöne haben, Liebste. Mich dünkt, Ihr seid fähig, mit Grazie eine große Toilette zu tragen. Ich kann mir Euch gut im Seidenkleid, ja sogar im Atlaskleid vorstellen.«
»Und sogar in einem aus Goldbrokat«, dachte Angélique mit zusammengebissenen Zähnen.
Doch gleich darauf, als die Kutsche an der Seine entlangrollte, kehrte die gute Laune wieder.
Die Javel-Mühle spreizte zwischen den Schafherden der Ebene von Grenelle ihre langen Fledermausflügel, deren sanftes Klipp-klapp die Begleitmusik zu den Küssen und Schwüren der Liebespaare bildete. Man kam in aller Heimlichkeit nach Javel. Ein großes Nebengebäude hatte man als Herberge eingerichtet, und der Wirt war verschwiegen.
»Wenn man in einem Haus wie dem unsrigen nicht zu schweigen wüßte«, pflegte er zu erklären, »wäre das mehr als schlimm. Wir würden die ganze Stadt durcheinanderbringen.«
Angélique atmete genießerisch die frische Luft ein. Kleine weiße Wölkchen zogen sachte über den tiefblauen Himmel, und sie lächelte ihnen zu. Von Zeit zu Zeit streifte sie mit einem Seitenblick Audigers Lippen und genoß den köstlichen kleinen Schauer, den sie alsbald verspürte.
Ob er versuchen würde, sie zu küssen? Es schien, als fühle er sich nicht recht behaglich in seinem schönen Gewand und als seien seine Gedanken einzig darauf gerichtet, mit dem Wirt, der sich durch seinen Besuch höchst geehrt fühlte, das Menü für ihre Mahlzeit zusammenzustellen.
Im Gastraum, in dem ein vorteilhaftes Halbdunkel herrschte, setzten sich weitere Paare zu Tisch. Je mehr der Wein in den Krügen zur Neige ging, desto lockerer wurde die Stimmung. Man ahnte gewagte Gesten, die das girrende Gelächter der Damen weckten. Angélique trank, um ihre Unruhe zu beschwichtigen. Ihre Wangen begannen zu glühen.
Audiger erzählte von seinen Reisen und seinem Beruf. Er gab einen überaus genauen Bericht und unterschlug weder ein Datum noch eine gebrochene Wagenachse.
»Wie Ihr Euch überzeugen könnt, meine Liebe, ruht meine Existenz auf sicheren Grundlagen, so daß ich keine Überraschungen zu befürchten habe. Meine Eltern ...«
»Oh, laßt uns hinausgehen!« flehte Angélique, die ihren Löffel niedergelegt hatte.
»Aber die Hitze ist unerträglich!«
»Draußen weht wenigstens ein bißchen Wind ... und außerdem sieht man nicht all diese Leute, die sich küssen«, fügte sie mit gedämpfter Stimme hinzu.
Angesichts der grellen Sonne warnte Audiger sie von neuem, sie werde einen Sonnenstich bekommen und sich zudem noch den Teint verderben. Er setzte ihr seinen breitkrempigen Hut mit den weißen und gelben Federn auf und rief aus, wie er es am ersten Tage getan hatte: »Gott, was seid Ihr hübsch, mein Schatz!«
Doch nach ein paar Schritten schon nahm er, während sie einen schmalen Pfad am Seineufer entlangspazierten, den Bericht über seinen Werdegang wieder auf. Er erklärte, wenn die Schokoladefabrikation in Gang gebracht sei, wolle er ein sehr gewichtiges Buch über den Beruf des Mundkochs schreiben, das alles Wissenswerte für die Pagen und Köche enthalten werde, die sich zu vervollkommnen wünschten.
»Wenn der Haushofmeister dieses Buch liest, wird er lernen, wie man eine Tafel richtet und wie man die Gedecke anordnet. Ebenso wird ihm beigebracht, daß er, ist die Stunde der Mahlzeit gekommen, eine weiße Serviette zu nehmen, sie der Länge nach zu falten und über seine Schulter zu legen hat. Ich werde ihn darauf aufmerksam machen, daß die Serviette das Sinnbild seiner Gewalt ist. Ich kann mit dem Degen an der Seite, dem Mantel über den Schultern, dem Hut auf dem Kopf servieren, immer aber muß die Serviette sich an der besagten Stelle befinden.«
Angélique lachte spöttisch. »Und wenn Ihr eine Frau im Arm habt, wo legt Ihr sie dann hin, die Serviette?«
Die entrüstete und verblüffte Miene des jungen Mannes bewog sie, sich sofort zu entschuldigen.
»Verzeiht mir. Weißwein macht mich immer ein wenig albern. Aber habt Ihr mich etwa kniefällig beschworen, zur Javel-Mühle mitzukommen, um mir von der richtigen Lage der Servietten zu berichten .?«
»Macht Euch nicht über mich lustig, Angélique.
Ich erzähle Euch von meinen Plänen, von meiner Zukunft. Und das entspricht den Absichten, die ich hegte, als ich Euch bat, heute einmal allein mit mir zu gehen. Entsinnt Ihr Euch eines Worts, das ich Euch sagte, als wir uns zum erstenmal sahen? Es war damals nicht viel mehr als eine Laune: >Heiratet mich!< Seither habe ich oft und gründlich darüber nachgedacht, und es ist mir klargeworden, daß Ihr tatsächlich die Frau seid, die .«
»Oh, dort sind Heuschober!« rief sie aus. »Kommt, wir gehen rasch hinüber. Da läßt sich’s besser sein als in der prallen Sonne.«
Sie begann zu laufen, wobei sie ihren großen Hut festhielt, und ließ sich, am Ziel angelangt, atemlos ins warme Heu sinken. Der junge Mann machte gute Miene zum bösen Spiel und ließ sich lachend neben ihr nieder.
»Kleine Närrin! Immer bringt Ihr mich aus dem Konzept. Ich glaube, mit einer klugen Geschäftsfrau zu reden, und dabei ist es ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert.«
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