»Einmal ist keinmal. Audiger, seid nett, nehmt Eure Perücke ab. Ihr macht mir heiß mit diesem dicken Pelz auf dem Kopf, und ich möchte Eure richtigen Haare streicheln.«

Er zuckte leicht zurück, folgte jedoch nach einer kleinen Weile ihrer Weisung und fuhr sich erleichtert mit den Fingern durch sein kurzes, braunes Haar.

»Jetzt bin ich dran«, sagte Angélique und streckte die Hand aus.

Aber er hielt sie verlegen fest.

»Angélique! Was fällt Euch ein? Ihr werdet ja geradezu diabolisch! Ich wollte doch ernsthafte Dinge mit Euch besprechen.«

Er berührte das Handgelenk der jungen Frau, und sie verspürte etwas wie einen brennenden Schmerz. Jetzt, da er sich verwirrt und aufgewühlt über sie beugte, kehrten ihre Empfindungen wieder. Audigers Lippen waren wirklich schön, seine Haut war straff und kühl, seine Hände weiß. Es wäre nicht übel, wenn er ihr Liebhaber würde. Sie würde sich seinen kraftvollen, gesunden, fast ehelichen Umarmungen hingeben, und es würde eine Erholung von ihrem mühevollen Dasein bedeuten. Dann würden sie friedlich nebeneinanderliegen und vom Schokoladehandel sprechen.

»Horcht«, flüsterte sie, »hört Ihr die Javel-Mühle? Ihr Lied protestiert. In ihrem Schatten spricht man nicht von ernsten Dingen. Das ist verboten ... Horcht, schaut, der Himmel ist blau. Und Ihr, Ihr seid schön. Und ich, ich .«

Sie wagte nicht weiterzusprechen, aber sie sah ihn mit ihren glänzenden grünen Augen herausfordernd an. Ihre halbgeöffneten, ein wenig feuchten Lippen, die Glut ihrer Wangen, das hastige Wogen ihrer Brüste drückten deutlicher noch als Worte aus: »Ich verlange nach dir.«

Er neigte sich ihr zu, doch dann richtete er sich brüsk auf und blieb einen Augenblick abgewandt stehen.

»Nein«, sagte er schließlich mit fester Stimme, »Euch nicht. Wohl habe ich hin und wieder eine Soldatendirne oder eine Magd im Heu genommen. Aber Euch nicht. Ihr seid die Frau, die ich erwählt habe. Ihr werdet mein sein in der Nacht nach der von einem Priester gesegneten Hochzeit. Ich achte die, die ich zu meinem Weib und zur Mutter meiner Kinder erwähle. Und Euch habe ich erwählt, Angélique, in dem Augenblick, als ich Euch das erstemal sah. Ich wollte Euch heute um Eurer Jawort bitten, aber Ihr habt mich mit Eurem wunderlichen Gehaben außer Fassung gebracht. Ich möchte glauben, daß das nicht Eure eigentliche Natur ist. Überschätzt man Euch etwa, wenn man Euch nachsagt, daß Ihr eine sittenstrenge Witwe seid?«

Angélique schüttelte lässig den Kopf. Sie kaute an einem Halm, während sie zwischen ihren Lidern hervor den jungen Mann betrachtete. Sie versuchte, sich als Frau des Haushofmeisters Audiger vorzustellen: eine gute, kleine Bürgersfrau, die die großen Damen auf dem Cours-la-Reine herablassend grüßen würden, wenn sie dort in einer bescheidenen Kutsche spazierenführe. Mit den Jahren würde Audiger einen Bauch und ein rotes Gesicht bekommen, und wenn er seinen Kindern oder Freunden zum soundsovielten Male die Geschichte von den Erbsen Seiner Majestät erzählte, würde sie den Drang verspüren, ihn umzubringen.

»Ich habe mit Meister Bourgeaud über Euch gesprochen«, fuhr Audiger bekümmert fort, »und er hat mir nicht verhehlt, daß es Euch, auch wenn Ihr ein beispielhaftes Leben führt und Euch vor keiner Arbeit scheut, an Frömmigkeit gebricht. Allenfalls sonntags hört Ihr die Messe, und zur Vesper geht Ihr nie. Nun, die Frömmigkeit ist recht eigentlich eine weibliche Tugend, die Gewähr einer sauberen Lebensführung.«

»Was wollt Ihr, man kann nicht zugleich fromm und scharfsinnig, gläubig und logisch sein.«

»Was erzählt Ihr da, mein armes Kind! Seid Ihr etwa von der Ketzerei angesteckt? Die katholische Religion .«

»Oh, ich beschwöre Euch«, rief sie in plötzlicher Erregung aus, »sprecht mir nicht von Religion! Die Menschen haben alles verfälscht, was sie angerührt haben. Aus dem Heiligsten, das Gott ihnen gegeben hat, aus der Religion, haben sie einen Galimathias von Kriegen, Heuchelei und Blut gemacht, daß mir übel wird. Jedenfalls glaube ich, daß Gott in einer jungen Frau, die das Bedürfnis hat, an einem Sommertag in die Arme genommen zu werden, das Werk seiner Schöpfung erkennt, denn er ist es ja, der sie so geschaffen hat.«

»Angélique, Ihr verliert den Verstand! Es ist Zeit, daß man Euch der Gesellschaft jener Freigeister entreißt, deren Reden Ihr Euch unrechterweise anhört. Ich glaube wirklich, daß Ihr nicht nur einen Beschützer braucht, sondern auch einen Mann, der Euch bändigt und auf Euren Platz als Frau verweist. Zwischen Eurem Onkel und seinem Kretin von Neffen, die Euch anbeten, glaubt Ihr Euch alles herausnehmen zu können. Ihr seid zu sehr verwöhnt worden, man müßte Euch dressieren .«

»Oh, meint Ihr wirklich?« erwiderte Angélique gähnend.

Die Auseinandersetzung hatte abkühlend auf sie gewirkt. Sie streckte sich behaglich im Heu aus, nachdem sie listig ihren langen Rock so weit hochgehoben hatte, daß ihre feinen Knöchel sichtbar wurden.

»Euer Schaden«, murmelte sie.

Fünf Minuten später schlief sie. Mit klopfendem Herzen betrachtete Audiger den gelöst sich selbst überlassenen, geschmeidigen Körper. Sie war von mittlerem Wuchs, aber so wohlproportioniert, daß sie groß wirkte. Er hatte nie ihre Knöchel gesehen; sie ließen schöngeschwungene Beine ahnen, schöne Frauenbeine, die im Liebeskampf den Körper des Mannes, der sich zu ihrem Herrn aufgeworfen hatte, wollüstig pressen würden.

Audiger entschloß sich zu gehen, um einer Versuchung zu entrinnen, der er zu erliegen drohte.

Angélique träumte, sie führe in einem Heukahn übers Meer. Eine Hand streichelte sie, und eine Stimme sagte zu ihr: »Weine nicht.«

Sie erwachte und stellte fest, daß sie allein war. Die Sonne, die langsam am Horizont niedersank, wärmte sie mit ihren letzten Strahlen.

Noch regte sich ein sehnsüchtiges Verlangen in ihr. Sie strich sanft über ihre mit seidigem Flaum bedeckten Arme. »Deine Schultern sind zwei Elfenbeinkugeln, deine Brüste sind genau für die Höhlung der Hand eines Mannes geschaffen .«

Was mochte aus jenem wunderlichen schwarzen Vogel, aus dem Mann im Heukahn, geworden sein? Er hatte verliebte, träumerische und im nächsten Augenblick spöttische Worte gesprochen. Er hatte sie lange geküßt. Vielleicht lebte er gar nicht mehr?

Sie raffte sich auf und schüttelte die Halme von ihrem Kleid. Dann begab sie sich in den Mühlengasthof zu dem geduldig wartenden Audiger und bat ihn verdrossen, sie nach Paris zurückzubringen.

In der herbstlichen Morgendämmerung erging sich Angélique auf dem Pont-Neuf. Sie hatte Blumen gekauft und nutzte die Gelegenheit, um langsam vom Krambude zu Krambude zu schlendern. Vor der wie immer umlagerten Bühne des Großen Matthieu blieb sie stehen und zuckte zusammen. Der Große Matthieu war im Begriff, einem vor ihm knienden Mann einen Zahn zu ziehen. Der Patient ließ die Prozedur mit weit aufgesperrtem Mund über sich ergehen, aber Angélique erkannte seine blonden und borstigen Haare, die wie Maisstroh aussahen, und seinen abgetragenen schwarzen Mantel. Es war der Mann vom Heukahn.