»Meine Liebe«, sagte die eine, »sie hat bezauberndes Haar, wenn es auch nie irgendwelche Pflege erfahren hat.«

»Für fünfzehn Jahre ist ihre Brust zu dürftig.«

»Aber meine Teuerste, sie ist knapp dreizehn.«

»Wollt Ihr meine Ansicht wissen, Henriette? Es ist zu spät, um das Mädchen abzuschleifen.«

»Bin ich ein Maultier, das man kauft?« fragte sich Angélique, zu verblüfft, um ernstlich verletzt zu sein.

»Was wollt Ihr«, rief Madame de Richeville aus, »sie hat grüne Augen, und grüne Augen bringen Unglück wie der Smaragd.«

»Es ist eine seltene Farbe«, protestierte eine.

»Aber ohne Reiz. Seht Euch doch den harten Ausdruck an, den dieses Mädchen hat. Nein, wirklich, ich mag grüne Augen nicht.«

»Will man mir mein einziges Gut nehmen, meine Augen und mein Haar?« dachte Angélique entrüstet.

»Gewiß, Madame«, sagte sie unvermittelt mit lauter Stimme, »ich bezweifle nicht, daß die blauen Augen des Abbés von Nieul sanfter sind . und daß sie Euch Glück bringen«, fügte sie leiser hinzu.

Es trat eine tödliche Stille ein. Ein paar unterdrückte Lacher wurden vernehmbar, erstarben aber alsbald. Einige Damen schauten im Kreise umher, als könnten sie nicht fassen, daß solche Worte aus dem Munde dieses bescheidenen Mädchens gekommen waren.

Das Gesicht der Gräfin de Richeville war purpurrot geworden. Die Marquise du Plessis, die eine sehr böse Zunge hatte, erstickte schier vor Lachen hinter ihrem Fächer, und um die peinliche Situation zu überbrücken, rief sie mit lauter Stimme:

»Philippe! Philippe! Wo ist mein Sohn? Monsieur de Barre, wollt Ihr die Güte haben, den Oberst zu suchen?«

Und als der junge Mann zur Stelle war: »Philippe, hier ist deine Base de Sancé. Nimm sie mit zum Tanzen. In der Gesellschaft der jungen Leute wird sie sich besser unterhalten als in der unsrigen.«

Angélique war sofort aufgestanden. Sie ärgerte sich, daß ihr Herz so stark klopfte. Der junge Edelmann schaute seine Mutter mit unverhohlener Entrüstung an. »Wie könnt Ihr es wagen«, schien er sagen zu wollen, »mir ein so unmöglich ausstaffiertes Mädchen in die Arme zu werfen?«

Aber er las wohl von den Mienen der Umstehenden ab, daß etwas Ungewöhnliches vorging, und murmelte, während er Angélique die Hand reichte:

»So kommt denn, Base.«

Schweigend geleitete er sie bis zur Schwelle der Galerie, in der die Pagen und die jungen Leute seines Alters sich nach Herzenslust tummeln durften.

»Platz! Platz!« rief er plötzlich. »Meine Freunde, ich stelle euch meine Base, die Baronesse Trauerkleid vor!«

Es gab ein schallendes Gelächter, und alle seine Kameraden kamen angestürzt. Die Pagen trugen kleine, komisch aufgebauschte Hosen, die am Schenkelansatz aufhörten, und mit ihren langen, mageren Jünglingsbeinen, denen hohe Absätze untergeschoben waren, sahen sie aus wie Stelzenvögel. »Schließlich sehe ich in meinem düsteren Kleid auch nicht lächerlicher aus als sie mit diesen Kürbissen um die Hüfte«, dachte Angélique.

Sie hätte gern einiges von ihrer Selbstachtung geopfert, um noch bei Philippe bleiben zu können. Aber einer der Jungen fragte: »Könnt Ihr tanzen, Demoiselle?«

»Ein wenig.«

»Wirklich? Und was für Tänze?«

»Die Bourrée, den Rigodon, den Rundtanz .«

»Hahaha!« platzten die jungen Leute los. »Philippe, was für einen Vogel bringst du uns da! Kommt, kommt, Ihr Herrn, laßt uns losen! Wer wird mit der Landpomeranze tanzen? Wo sind die Liebhaber der Bourrée? Tarn, tarn . ta!«

Brüsk riß sich Angélique von Philippe los und lief davon. Sie drängte sich durch die von Dienern und Herren erfüllten Salons, durchquerte die mit Mosaiken ausgelegte Halle, in der Hunde schliefen. Sie suchte ihren Vater, und vor allem wollte sie nicht weinen. Das alles war es nicht wert. Es würde eine Erinnerung sein, die man aus dem Gedächtnis löschen mußte wie einen grotesken Traum. Die Wachtel sollte nun einmal ihr Dickicht nicht verlassen. Das war die Strafe dafür, sagte sich Angélique, daß sie auf Tante Pulchéries Zureden gehört und der durch die schmeichelhafte Bitte des Marquis du Plessis in ihr ausgelösten Eitelkeitsanwandlung nachgegeben hatte. Endlich hörte sie aus einem abgelegenen Boudoir die durchdringende Stimme des Marquis.

»Aber nicht doch, Ihr befindet Euch in einem grundlegenden Irrtum, mein guter Freund«, sagte er in einem bekümmerten Crescendo. »Ihr bildet Euch ein, es fiele uns von Geldsorgen geplagten Edelleuten leicht, Erlaß zu erwirken. Und im übrigen bin weder ich noch der Fürst Condé in der Lage, ihn Euch zu gewähren.«

»Ich bitte Euch ja nur, Euch beim Oberintendanten der Finanzen, den Ihr persönlich kennt, für mich zu verwenden. Die Angelegenheit ist für ihn nicht ohne Interesse. Er soll mich für die Strecke vom Poitou bis zum Meer von Steuern und Wegezoll befreien. Diese Befreiung würde sich im übrigen nur auf ein Viertel meiner Produktion von Maultieren und Blei erstrecken. Als Gegenleistung könnte sich die Militärintendanz des Königs das Recht vorbehalten, den Rest zum jeweils geltenden Preis zu erwerben, außerdem würde dem königlichen Fiskus der entsprechende Erwerb von Blei und Silber zum offiziellen Tarif freistehen. So wäre der Staat hinsichtlich dieser Dinge nicht mehr ausschließlich auf das Ausland angewiesen.«

»Eure Worte riechen nach Dünger und Schweiß«, protestierte der Marquis und führte angewidert die Hand zur Nase. »Ich frage mich, ob Ihr nicht allzusehr gegen Eure Standesehre verstoßt, indem Ihr Euch in ein Unternehmen stürzt, das nur zu sehr einem - erlaubt mir das Wort - Handelsgeschäft ähnelt.«

»Handelsgeschäft oder nicht, ich muß leben«, erwiderte Armand de Sancé mit einem Starrsinn, der Angélique wohltat.

»Und ich«, rief der Marquis, indem er die Arme zum Himmel hob, »glaubt Ihr, ich hätte keine Schwierigkeiten? Trotzdem werde ich mir bis zu meinem letzten Tage jedes bürgerliche Geschäft versagen, das meiner Stellung als Edelmann abträglich sein könnte.«

»Herr Vetter, Eure Einkünfte lassen sich mit den meinigen nicht vergleichen. Ich lebe tatsächlich im Bettelstand dank dem König, der mir seine Unterstützung versagt, und dank den Wucherern von Niort, die mich auffressen.«

»Ich weiß, ich weiß, mein guter Armand. Aber habt Ihr Euch je die Frage vorgelegt, wie ich, ein hochgestellter Edelmann, ein Hofbeamter mit zwei wichtigen Ämtern, mich im Gleichgewicht halte? Nein, gewiß nicht! Nun, ich werde Euch eine kleine Rechnung aufmachen, wenn ich auch kein Talent zum Intendanten der Finanzen besitze. So hört denn, Baron: zunächst die Einkünfte. Mein Besitztum Plessis - bei weitem das größte - wirft jährlich vierzigtausend Livres ab. Aus dem Besitz meiner Frau in der Bretagne kommen noch zwanzigtausend hinzu. Mein Amt als Kammerherr des Königs bringt mir vierzigtausend ein, das des Brigadefeldmeisters vom Poitou sechzigtausend. Ich habe also ein durchschnittliches Einkommen von hundertsechzigtausend Livres .«

»Ich«, sagte der Baron, »würde mich mit einem Zehntel davon begnügen. Dabei habt Ihr nur einen Sohn, ich hingegen muß vier Mädchen ausstatten und sechs Jungen großziehen.«

»Einen Augenblick noch, Vetter vom Lande, und ich werde Euch beweisen, in welch tiefem Irrtum Ihr befangen seid - in dem üblichen Irrtum der Landjunker bezüglich des Hofadels. Ich fahre also in meiner Rechnung fort. Ich habe ein jährliches BruttoEinkommen von hundertsechzigtausend Livres. Betrachten wir nun meine Ausgaben. Mein Palais in Paris kostet mich mit seinem Dienstpersonal und dem üblichen Aufwand für Empfänge, Uniformen, Kleidung, Karossen, Gehälter für sechzig Dienstboten und so weiter fünfzigtausend Livres. Mein Landhaus in Fontainebleau zwanzigtausend. Meine Reisen mit dem Hof sechzigtausend. Meine Frau verbraucht über fünfzigtausend Livres im Jahr, mein Sohn dreißigtausend. Ich muß fünfzehntausend an Zinsen für verschiedene Darlehen zu fünfzehn Prozent jährlich be-zahlen, und ich habe soeben weitere fünfundsiebzig-tausend Livres aufgenommen, um die Oberstenstelle meines Sohnes zu kaufen. In einem andern Jahr wird sich eine andere Ausgabe ergeben, Spielschulden beispielsweise, die bei Hof quasi obligatorisch sind. Rechnet Euch das aus, Herr Vetter!«

»Ich bin bestürzt, Marquis. Es ist doch nicht möglich, daß Euch Eure Lebenshaltung jährlich dreihunderttausend Livres kostet!«

»Dabei habe ich noch nicht die Zehntensteuer eingerechnet und die Renten, die der König uns zuweilen zu kaufen zwingt.«

»Es fehlen Euch also jährlich hundertfünfzigtausend Livres?«

»Ihr habt es erraten, Herr Vetter. Und wenn ich mir erlaubt habe, vor Euch diese Rechnung aufzustellen, so geschah es, damit Ihr mich versteht, wenn ich Euch sage, daß es mir im Augenblick unmöglich ist, an Monsieur de Trémaut, den Intendanten der Finanzen, heranzutreten.«

»Aber Ihr kennt ihn doch.«

»Ich kenne ihn, sehe ihn aber nicht mehr. Ich kann Euch nur immer wieder sagen, daß Monsieur de Trémaut dem König und der Regentin ergeben ist und sich selbst bei Mazarin beliebt zu machen bemüht.«

»Nun, genau ...«

»Genau aus diesem Grunde sehen wir ihn nicht mehr. Wißt Ihr denn nicht, daß Fürst Condé, dem ich mich verschworen habe, sich mit dem Hof überwerfen hat?«

»Wie sollte ich das wissen?« erwiderte Armand de Sancé verblüfft. »Ich habe Euch vor wenigen Monaten gesprochen, und damals hatte die Regentin keinen besseren Diener als den Fürsten.«

»Ja, die Zeit ist weitergegangen«, seufzte der Marquis du Plessis schmerzlich. »Ich kann Euch das nicht im einzelnen auseinandersetzen. Immerhin sollt Ihr wissen, daß nur dank dem Fürsten Condé die Königin, ihre beiden Söhne und dieser rote Teufel von Kardinal kürzlich wieder den Louvre in Paris beziehen konnten. Nun, zum Dank behandelt man diesen großen Mann auf unwürdige Weise. Vor ein paar Wochen kam es zum Bruch. Angebote aus Spanien erschienen dem Fürsten einigermaßen interessant. Er hat sich zu mir begeben, um die Sache genau zu prüfen.«

»Spanische Angebote?« wiederholte Baron Armand.

»Ja. Unter uns, stellt Euch vor, König Philipp IV geht so weit, unserm großen General wie auch Monsieur de Turenne eine Armee von je zehntausend Mann anzubieten.«

»Zu welchem Zweck?«

»Um die Regentin zu unterwerfen und vor allem diesen Dieb von Kardinal. Mittels der vom Fürsten Condé geführten spanischen Armeen würde dieser in Paris einziehen, und Gaston von Orléans, der Bruder des verewigten Königs Ludwig XIII., würde zum König ausgerufen werden. Die Monarchie wäre gerettet und endlich von Frauen, Kindern und einem Ausländer befreit, der sie entehrt. Was soll ich bei all diesen schönen Projekten tun, frage ich Euch? Wenn ich den Euch geschilderten Lebensstil beibehalten will, kann ich mich nicht einer verlorenen Sache widmen. Das Volk, das Parlament, der Hof, alle Welt haßt Mazarin. Die Königin hält weiter an ihm fest und wird niemals nachgeben. Das Leben, das der Hof und der kleine König seit zwei Jahren führen, ist unbeschreiblich. Man kann es nur mit dem der Zigeuner im Orient vergleichen: Flucht, Rückkehr, Zwistigkeiten, Kriege ... Es ist einfach zuviel. Die Sache des kleinen Königs Ludwig XIV. ist verloren.

Hinzu kommt noch, daß die Tochter Gastons von Orléans, Mademoiselle de Montpensier - Ihr wißt, jenes unmöglich gebaute Frauenzimmer -, eine verbissene Anhängerin der Fronde ist. Sie hat sich schon vor einem Jahr für die Empörer eingesetzt und möchte es am liebsten heute wieder tun. Meine Frau verehrt sie, und diesmal werde ich nicht zulassen, daß Alice sich einer anderen Partei anschließt als ich. Sich eine blaue Schärpe um die Hüfte schlingen und eine Kornähre an den Hut stecken wäre nicht schlimm, wenn solche Uneinigkeit zwischen Eheleuten nicht noch andere Verwirrungen zur Folge hätte. Nun, Alice ist ihrem Wesen nach immer >dagegen<. Gegen die Strumpfbänder und für die seidenen Degengehänge, gegen die Haarfransen und für die freie Stirn. Sie ist eben ein Original. Augenblicklich ist sie gegen Anna von Österreich, die Regentin, weil diese ihr gegenüber die Bemerkung hat fallenlassen, die Pastillen, die sie für die Mundpflege benutze, erinnerten sie an ein Abführmittel. Nichts wird Alice dazu bringen, an den Hof zurückzukehren, wo man sich, wie sie behauptet, bei den Andachtsübungen der Königin und den Streichen der kleinen Prinzen langweilt. Ich werde daher meiner Frau folgen, da meine Frau mir nicht folgen will. Ich bin schwach genug, einiges Pikante an ihr zu finden und gewisse Talente in der Liebe, die mir Spaß machen ... Schließlich ist die Fronde ein ganz hübsches Spiel.«

»Aber - aber Ihr wollt doch nicht sagen, daß auch Turenne ...?« stammelte Armand de Sancé, dem die Felle wegschwammen.

»Ach, Turenne, Turenne! Der ist wie alle andern. Der hat es nicht gern, wenn man seine Dienste mißachtet. Er wollte Sedan für seine Familie haben. Man hat es ihm verweigert. Er war verärgert, wie sich denken läßt. Er soll sogar bereits auf das Angebot des Königs von Spanien eingegangen sein. Fürst Condé hat es weniger eilig. Er wartet erst noch die Nachrichten seiner Schwester de Longueville ab, die mit der Fürstin Condé aufgebrochen ist, um die Normandie aufzuwiegeln. Nebenbei gesagt, ist da auch noch die Herzogin von Beaufort, für deren Reize er nicht unempfindlich ist ... Jedenfalls legt unser großer Schlachtenheld fürs erste wenig Ungeduld an den Tag, in den Krieg zu ziehen. Ihr werdet es ihm nachsehen, wenn Ihr der besagten Göttin begegnet. Mein Lieber, eine Haut .!«