Rührig krempelten sie die weiten Ärmel ihrer Kutten auf und drangen, unbekümmert um die brennenden Holzstücke, die auf ihre Schädel fielen, in die Nachbarhäuser ein. Gleich darauf sah man sie in schwindelnder Höhe obenauf den Dächern erscheinen und ihre Feuerhaken schwingen. Dank ihrem wirkungsvollen Eingreifen wurde das brennende Haus in kurzer Frist isoliert, und da kein Wind ging, griff der Brand nicht auf die umliegenden Häuser über. Man hatte schon eine jener großen Feuersbrünste befürchtet, von denen die Stadt mit
ihren dicht zusammengedrängten alten Holzhäusern in jedem Jahrhundert zwei- bis dreimal heimgesucht zu werden pflegte.
Eine große, mit Schutt und Asche angefüllte Lücke gähnte an der Stelle, an der vor wenigen Stunden noch die fröhliche Schenke zur »Roten Maske« gestanden hatte, aber das Feuer war erloschen.
Mit geschwärzten Wangen starrte Angélique auf die Stätte ihrer Hoffnungen. Neben ihr hielt sich regungslos der Hund Sorbonne.
»Wo ist Desgray? Ach, ich möchte mit ihm sprechen«, dachte Angélique. »Er wird mir sagen, was ich tun soll.«
Sie nahm den Hund am Halsband.
»Führ mich zu deinem Herrn.«
Sie brauchte nicht weit zu gehen. Nach ein paar Schritten erkannte sie im Dunkel eines Torbogens den Hut und den weiten Mantel des Polizisten, der friedlich seinen Tabak rieb.
»Guten Abend«, sagte er mit seiner ruhigen Stimme. »Üble Nacht, nicht wahr?«
»Ihr wart da!« rief Angélique fassungslos aus. »Zwei Schritte entfernt? Und Ihr seid nicht gekommen?«
»Weshalb hätte ich kommen sollen?«
»Habt Ihr mich nicht schreien hören?«
»Ich wußte nicht, daß Ihr es wart, Madame.«
»Das ist doch gleichgültig! Es war eine Frau, die schrie.«
»Ich kann nicht allen schreienden Frauen zu Hilfe eilen«, sagte Desgray in scherzhaftem Ton. »Freilich, wenn ich gewußt hätte, daß es sich um Euch handelt, Madame, wäre ich gekommen, das könnt Ihr mir glauben.«
»Ich bezweifle es!«
Desgray seufzte. »Habe ich nicht schon einmal Euretwegen mein Leben und meine Karriere aufs Spiel gesetzt? Warum sollte ich’s da nicht auch ein zweites Mal tun. Ihr seid leider in meinem Leben eine bedauerliche Gewohnheit geworden, und ich fürchte sehr, daß mich das eines Tages trotz meiner angeborenen Besonnenheit um Kopf und Kragen bringen wird.«
»Sie haben mich auf dem Tisch festgehalten ... Sie wollten mich vergewaltigen.«
»Nun und? Sie hätten Schlimmeres tun können.«
Angélique fuhr sich verwirrt über die Stirn.
»Das stimmt! Sie hätten Schlimmeres tun können. Und dann ist Sorbonne gekommen ... zur rechten Zeit.«
»Ich habe immer großes Vertrauen in die Initiative dieses Hundes gesetzt.«
»Habt Ihr ihn geschickt?«
»Freilich.«
Angélique stieß einen tiefen Seufzer aus und lehnte in einer unwillkürlichen, aus dem Gefühl der Schwäche und des Bedauerns geborenen Bewegung ihre Wange an die rauhe Schulter des jungen Mannes.
»Danke.«
»Wißt Ihr«, fuhr Desgray in jenem gleichmütigironischen Tone fort, der Angélique zugleich aufbrachte und beruhigte, »ich gehöre nur zum Schein der Staatspolizei an. Ich bin in erster Linie Polizist des Königs, und es ist nicht meine Sache, die reizvollen Vergnügungen unserer Edelleute zu stören. Und habt Ihr denn noch nicht genug Erfahrungen gesammelt, meine Liebe, um zu wissen, in was für einer Welt Ihr lebt? Jedermann geht mit der Mode. Die Völlerei ist ein Scherz, die zur Ausschweifung gesteigerte Sinnenlust eine harmlose Wunderlichkeit, die bis zum Verbrechen getriebene Orgie ein angenehmer Zeitvertreib. Tagsüber sind’s Bücklinge bei Hofe, in der Nacht Liebe, Spielhäuser, Schenken. Ist das nicht auch eine hübsche Art zu leben? Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, daß diese Leute gefährlich seien. Ihre kleinen Amüsements sind doch so harmlos. Der wirkliche Feind, der schlimmste Feind des Königreichs, ist derjenige, der durch ein Wort ihre Macht brechen kann: der Pamphletist. Und ich, ich spüre den Pamphletisten nach.«
»Nun, Ihr könnt Euch auf die Jagd machen«, sagte Angélique mit zusammengepreßten Zähnen, »denn ich kann Euch Arbeit versprechen.«
Plötzlich war ihr ein Gedanke gekommen. Sie wandte sich ab, entfernte sich einige Schritte, kam jedoch wieder zurück.
»Es waren dreizehn. Von dreien kenne ich die Namen nicht. Ihr müßt sie mir verschaffen.«
Der Polizist nahm seinen Hut ab und verbeugte sich.
»Zu Euren Diensten, Madame«, sagte er im Tonfall und mit dem Lächeln des ehemaligen Advokaten Desgray.
Angélique stöberte Claude Le Petit in einem Heukahn in der Gegend des Arsenals auf. Sie weckte ihn und berichtete ihm die Ereignisse der vergangenen Nacht. Die Mörder in Spitzen hatten abermals ihr Leben verheert, so gründlich, wie eine Armee von Marodeuren das Land verheert, das sie durchquert.
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