»Du hast eine Art, den schönen Plessis anzuschauen, die mich beunruhigt«, erklärte Marie-Agnès. »Du, die du die vernünftigste Frau bist, die ich kenne, wirst ihm doch nicht verfallen, diesem ...?«
Sie schien nach einem lapidaren Ausdruck zu suchen, fand keinen und ersetzte ihn durch eine Grimasse des Abscheus.
»Was wirfst du ihm vor?« verwunderte sich Angélique.
»Was ich ihm vorwerfe? Nun, daß er so schön und verführerisch ist und dabei nicht einmal weiß, wie man eine Frau in die Arme nimmt. Zugegeben, nicht viele Männer verstehen sich darauf, aber jeder tut zumindest sein Bestes. Während Philippe es nicht einmal versucht. Er kennt nur eine Art, mit den Frauen umzugehen: Er vergewaltigt sie. Er muß die Liebe auf den Schlachtfeldern gelernt haben. Selbst Ninon hat da nichts auszurichten vermocht. Alle Frauen verabscheuen ihn in dem Maße, wie er sie enttäuscht.«
Angélique, die sich über das Kaminfeuer beugte, in dem sie Kastanien röstete, beunruhigte sich über die Unruhe, die die Worte der Schwester in ihr auslösten. Sie hatte beschlossen, Philippe du Plessis zu heiraten. Das war die beste Lösung, die, die alles ins Lot brachte und die Krönung ihres Aufstiegs und ihrer Rehabilitierung darstellen würde. Aber sie hätte sich gern Illusionen über denjenigen gemacht, den sie sich zum zweiten Gatten erwählt hatte, und über die Gefühle, die sie für ihn hegte. Sie hätte ihn gern »liebenswert« gefunden, um das Recht zu haben, ihn zu lieben.
Ein plötzlich in ihr aufkeimendes Bedürfnis nach Ehrlichkeit sich selbst gegenüber veranlaßt sie, am nächsten Tag zu ihrer Freundin Ninon de Lenclos zu eilen und ohne Umschweife das sie bewegende Thema anzuschneiden.
»Was denkt Ihr über Philippe du Plessis?«
Die Kurtisane legte nachdenklich einen Finger an die Wange.
»Wenn man ihn gut kennt«, erklärte sie, »merkt man, daß er viel weniger nett ist, als er aussieht. Wenn man ihn jedoch besser kennt, merkt man, daß er viel netter ist, als er aussieht.«
»Ich kann Euch nicht folgen, Ninon.«
»Ich will damit sagen, daß er keine der Eigenschaften besitzt, die seine Schönheit erwarten läßt, nicht einmal das Bedürfnis, geliebt zu werden. Andererseits, so man den Dingen auf den Grund geht, flößt er Achtung ein, weil er das Musterexemplar einer so gut wie ausgestorbenen Kaste darstellt: Er ist der Adlige par excellence. Er nimmt es in Fragen der Etikette peinlich genau. Er fürchtet einen Schmutzfleck auf seinem Seidenstrumpf Aber er fürchtet den Tod nicht. Und wenn er dereinst stirbt, wird er einsam sein wie ein Wolf und niemanden um Beistand bitten. Er gehört nur dem König und sich selbst.«
»Ich wußte nicht, daß er soviel Größe besitzt.«
»Aber Ihr seht auch seine Niedrigkeit nicht, meine Liebe. Die Erbärmlichkeit eines wahren Adligen ist erblich. Sein Wappen hat seit Jahrhunderten die übrige Menschheit vor ihm verborgen. Warum bildet man sich immer ein, eine Tugend und ihr Gegenteil könnten sich in ein und demselben Wesen nicht vereinigt finden? Ein Aristokrat ist zugleich groß und erbärmlich.«
»Und was hält er von den Frauen?«
»Philippe? Liebste, wenn Ihr es in Erfahrung gebracht habt, kommt und sagt es mir.«
»Es scheint, daß er furchtbar brutal mit ihnen verfährt?«
»Man sagt so .«
»Ninon, Ihr werdet mir doch nicht einreden wollen, daß er nicht mit Euch geschlafen habe!«
»Leider doch, meine Liebe, ich rede es Euch ein. Ich muß wohl oder übel zugeben, daß alle meine Talente bei ihm versagten.«
»Ninon, Ihr erschreckt mich!«
»Offen gestanden, er reizte mich, dieser Adonis mit den harten Augen. Man hat behauptet, er sei auf dem Gebiet der Liebe ungezügelt, aber ich scheue eine gewisse ungeschickte Leidenschaftlichkeit nicht, und es macht mir Vergnügen, sie zu disziplinieren. Ich nahm mir deshalb vor, ihn in meinen Alkoven zu locken .«
»Und?«
»Gar nichts. Vermutlich hätte ich mit einem vom Hof hereingeholten Schneemann mehr Glück gehabt. Er gestand mir schließlich, daß ich ihn absolut nicht reizte, weil er mir gegenüber freundschaftliche Gefühle hege. Ich glaube, er braucht Haß und Jähzorn, um sich in Form zu fühlen.«
»Er ist ein Narr!«
»Möglich . Oder vielmehr: nein. Er hinkt nur seiner Zeit nach. Er hätte fünfzig Jahre früher auf die Welt kommen sollen. Philippe! Wenn ich ihn sehe, werde ich ordentlich rührselig, denn er erinnert mich an meine Jugend.«
»Ninon, redet nicht wie eine Großmutter! Das steht Euch nicht.«
»Ich muß schon einen Großmutterton annehmen, um Euch ein wenig zu schelten, Angélique. Denn ich habe Angst, daß Ihr Euch verirrt . Angélique, Liebste, Ihr, die Ihr wißt, was eine große Liebe ist, werdet mir nicht sagen wollen, daß Ihr in Philippe verliebt seid! Er ist Euch viel zu fern. Er würde Euch mehr als jeder andere enttäuschen.«
Angélique errötete, und ihre Mundwinkel zuckten kindlich.
»Woher wißt Ihr, daß ich eine große Liebe erlebte?«
»Weil das in Euren Augen geschrieben steht. Sie sind so selten, jene Frauen, die dieses melancholische und wunderbare Zeichen tragen. Ja, ich weiß wohl ... für Euch ist es vorbei. Auf welche Weise? Einerlei! Vielleicht habt Ihr erfahren, daß er verheiratet war, vielleicht hat er Euch betrogen, vielleicht ist er tot .«
»Er ist tot, Ninon!«
»Besser so. Eure große Wunde ist nicht vergiftet, aber .«
Angélique richtete sich entschlossen auf.
»Ninon, hört auf, ich bitte Euch. Ich will Philippe heiraten. Ich muß Philippe heiraten. Ihr könnt nicht verstehen, warum. Ich liebe ihn nicht, das stimmt, aber er zieht mich an. Er hat mich immer angezogen. Und ich habe immer gewußt, daß er eines Tages mir gehören würde ... Sagt nichts mehr .«
Die spärlichen, gefühlsbetonten Auskünfte, die Angélique bekommen hatte, änderten nichts an der Situation. Immer wieder stand sie in ihren Zimmern dem gleichen rätselhaften Philippe gegenüber, und ihre Beziehungen entwickelten sich nicht weiter.
Schließlich fragte sie sich, ob er nur Marie-Agnès’ wegen käme; doch auch nachdem ihre Schwester sie verlassen hatte, stellte er sich häufig ein. Sie erfuhr eines Tages, daß er sich rühmte, bei ihr den besten Rossoli von Paris zu trinken. Vielleicht kam er nur, um diesen feinen Likör zu kosten, den sie selbst unter reichlichem Zusatz von Fenchel, Anis, Koriander, Kamille und Zucker bereitete?
Angélique war stolz auf ihre hausfraulichen Talente, und keine Lockspeise durfte außer acht gelassen werden, aber sie ärgerte sich bei diesem Gedanken. Weder ihre Schönheit noch ihre Unterhaltung vermochte offenbar Philippe zu reizen.
Als die ersten Frühlingstage kamen, fühlte sie sich verzweifelt. Sie hatte sich insgeheim zu sehr an dem Gedanken berauscht, Philippe zu heiraten, um nun den Mut aufbringen zu können, darauf zu verzichten. Denn als Marquise du Plessis würde sie bei Hof vorgestellt werden, in ihre Heimat, zu ihrer Familie zurückkehren können und über das schöne, weiße Schloß regieren, das sie in ihrer Kindheit entzückt hatte.
Sie erfuhr die Neuigkeit von Mademoiselle de Para-jonc. Sie war nicht darauf gefaßt gewesen und brauch-te einige Zeit, um den verläßlichen Tatbestand aus dem hin und her streifenden Geschwätz der alten Preziösen zu erraten. Diese war nach ihrer Gewohnheit gegen Abend mit starrem, spähendem Blick wie eine dunkle, zerzauste Eule vor ihrer Tür aufgetaucht, um sie zu besuchen. Gastfreundlich bot ihr Angélique vor dem Kamin Gebäck an. Philonide schwatzte lange über ihrer beider Nachbarin, Madame de Gauffray, die soeben »die Folge der erlaubten Liebe verspürt« hatte, indem sie nämlich nach zehnmonatiger Ehe eines prächtigen Knaben genesen war. Danach verbreitete sie sich weidlich über die Beschwerden ihrer »lieben Leidenden«. Angélique glaubte, es sei von ihren alten Eltern die Rede, aber es handelte sich nur um die Füße Mademoiselles de Parajonc. Die »lieben Leidenden« waren von Hühneraugen geplagt. Nachdem sie sodann beim Anblick des an die Fensterscheiben peitschenden Regens geseufzt hatte: »Das dritte Element fällt«, entschloß sie sich, vom Vergnügen an der zu verkündenden Neuigkeit übermannt, ihre geschraubte Redeweise aufzugeben.
»Wißt Ihr, daß Madame de Lamoignon ihre Tochter verheiraten wird?«
»Möge es ihr zum Segen gereichen! Die Kleine ist nicht hübsch, aber sie hat genügend Geld, um eine glänzende Partie zu machen.«
»Ihr habt, wie immer, den Nagel auf den Kopf getroffen, Liebste. Das Geld ist tatsächlich der einzige Vorzug dieses kleinen Schwarzkopfs, der einen schönen Edelmann wie Philippe du Plessis zu locken vermag.«
»Philippe?«
»Habt Ihr denn nicht davon munkeln hören?« fragte Philonide, deren aufmerksame Augen blinzelten.
Angélique hatte sich wieder gefaßt. Sie sagte achselzuckend:
»Schon möglich ... Aber ich habe dem keine Bedeutung beigemessen. Philippe du Plessis kann sich nicht so weit erniedrigen, die Tochter eines Präsidenten zu heiraten, der gewiß eine hochgestellte Persönlichkeit ist, aber doch von bürgerlicher Herkunft.«
Die alte Jungfer lachte spöttisch: »Ein Bauer auf meinen Gütern pflegte mir zu sagen: >Das Geld kann man nur auf der Erde auflesen, und um es aufzulesen, muß man sich bücken.< Jedermann weiß, daß der kleine du Plessis ständig in Schwierigkeiten ist. Er verspielt sein Geld in Versailles, und für die Ausrüstung seines letzten Feldzugs hat er ein Vermögen ausgegeben. Zehn Maulesel zogen hinter ihm drein, die sein goldenes Service und ich weiß nicht was sonst noch trugen. Die Seide seines Zelts war so reich bestickt, daß die Spanier es sogleich erkannten und aufs Korn nahmen ... Ich gebe im übrigen zu, daß dieser charmante Gefühllose verteufelt schön ist .«
Angélique ließ sie schwatzen. Nachdem ihr die Nachricht im ersten Augenblick höchst unglaubwürdig erschienen war, fühlte sie nun, wie die Entmutigung sie überwältigte. Diese letzte Schwelle, die es zu überschreiten galt, um wieder im Licht des Sonnenkönigs zu erscheinen - die Verheiratung mit Philippe -, erwies sich als zu hoch. Übrigens, sagte sie sich jetzt, hatte sie immer gewußt, daß es zu schwierig sein, daß sie nicht genug Kraft haben würde. Sie war verbraucht, am Ende ... Sie war nur eine Schokoladeverkäuferin und würde niemals vom Adel anerkannt werden. Man empfing sie, aber man nahm sie nicht auf . Versailles! Versailles! Der Glanz des Hofs, der strahlende Sonnenkönig! Philippe! Der schöne, unnahbare Gott Mars ...! Sie würde auf das Niveau eines Audiger zurückgleiten, und ihre Kinder würden nie Edelleute werden ...
Sie war so in ihre Gedanken versponnen, daß sie nicht merkte, wie die Zeit verrann. Das Feuer erlosch im Kamin, die Kerze blakte.
Angélique hörte, wie Philonide Flipot, der an der Tür Wache hielt, scharf anfuhr:
»Unnütz, beseitigt den Überfluß dieser Leuchte.« Da Flipot verständnislos dreinblickte, übersetzte Angélique mit müder Stimme:
»Putz die Kerze, Lakai.«
Philonide de Parajonc erhob sich befriedigt. »Meine Liebe, Ihr scheint nachdenklich. Ich überlasse Euch Euren Musen .«
In der Nacht tat Angélique kein Auge zu, und des Morgens wohnte sie der Messe bei. In ausgeglichener Stimmung kehrte sie nach Hause zurück. Gleichwohl hatte sie noch keinen Entschluß gefaßt, und als am Nachmittag die Stunde des Korsos kam und sie in ihre Kutsche stieg, wußte sie noch nicht, was sie tun würde. Aber sie hatte sich mit ganz besonderer Sorgfalt angekleidet.
"Angélique" отзывы
Отзывы читателей о книге "Angélique". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Angélique" друзьям в соцсетях.