»Wer A sagt, muß auch B sagen«, hätte Meister Bourgeaud sicherlich festgestellt.
Erhobenen Hauptes betrat sie einen großen Salon, der nur vom Kaminfeuer erleuchtet wurde. Es war niemand im Raum. Sie konnte in Ruhe ihren Mantel ablegen, sich demaskieren und ihre Hände über das Feuer halten. Obwohl sie sich jeglicher Beklemmung erwehrte, spürte sie, daß ihre Hände kalt waren und daß ihr Herz klopfte.
Nach einer Weile hob sich eine Portiere, und ein alter, schlicht in Schwarz gekleideter Mann näherte sich ihr und begrüßte sie ehrerbietig. Angélique hatte keinen Augenblick daran gedacht, daß der Verwalter der du Plessis-Bellière der Sieur Molines sein könne. Als sie ihn erkannte, stieß sie einen Ausruf der Überraschung aus und ergriff spontan seine beiden Hände.
»Oh, Monsieur Molines! Ist das denn möglich: Wie bin ich glücklich, Euch wiederzusehen!«
»Ihr ehrt mich sehr, Madame«, erwiderte er, indem er sich abermals verbeugte. »Wollt gefälligst auf diesem Sessel Platz nehmen.«
Er selbst setzte sich an ein vor den Kamin gerücktes Tischchen, auf dem Schreibtafeln, ein Tintenzeug und ein Sandbecher verteilt waren.
Während er eine Feder zuschnitt, betrachtete ihn Angélique, noch immer verblüfft über diese Erscheinung. Er hatte sich nicht sehr verändert. Seine Züge waren fest geblieben, sein Blick war noch immer lebhaft und prüfend. Nur sein Haar, auf dem ein Käppchen aus schwarzem Tuch saß, war vollkommen weiß geworden. Unwillkürlich stellte sich Angélique neben ihm die robuste Gestalt ihres Vaters vor, der so oft in das Heim des hugenottischen Verwalters gekommen war, um mit ihm über die Zukunft seiner Kinderschar zu beratschlagen.
»Könnt Ihr mir etwas über meinen Vater berichten, Monsieur Molines?«
Er blies die kleinen Hornsplitter vom Tisch, die er abgeraspelt hatte.
»Dem Herrn Baron geht es ausgezeichnet, Madame.«
»Und die Maulesel?«
»Die vom letzten Jahr machen sich sehr gut. Ich glaube, daß der Herr Baron mit diesem kleinen Geschäft recht zufrieden ist.«
Angélique sah sich wieder als unberührtes, ein wenig starrsinniges, aber lauteres junges Mädchen neben Molines sitzen. Er war es gewesen, der ihre Heirat mit dem Grafen Peyrac ausgehandelt hatte. Heute trat er ihr als Philippes Sachwalter gegenüber. Wie eine Spinne, die geduldig Fäden webt, war Molines stets mit ihrem Lebensfaden verknüpft gewesen. Es war beruhigend, ihm hier wieder zu begegnen; es war das Zeichen, daß ihr Leben wieder seine ursprüngliche Richtung einschlug.
»Erinnert Ihr Euch«, sagte sie versonnen, »Ihr wart am Abend meiner Hochzeit in Monteloup bei uns. Ich war schrecklich böse auf Euch. Und dennoch habe ich es Euch zu verdanken, daß ich eine Zeitlang sehr glücklich gewesen bin.«
Der Greis warf ihr einen Blick über seinen dicken Schildpattkneifer zu. »Sind wir hier, um uns in rührselige Betrachtungen über Eure erste Ehe zu verlieren oder um den Vertrag für die zweite auszuhandeln?«
Die junge Frau errötete.
»Ihr seid hart, Molines.«
»Auch Euch muß ich hart nennen, Madame, wenn ich an die Mittel denke, mit denen Ihr meinen jungen Herrn dahin gebracht habt, Euch zu heiraten.«
Angélique holte tief Atem, aber ihr Blick wandte sich nicht ab. Sie fühlte, daß die Zeit vorüber war, da sie noch als schüchternes Kind, als armes junges Mädchen zu dem allmächtigen Molines aufgeschaut hatte, der das Schicksal ihrer Familie in seinen Händen hielt.
Sie war eine Geschäftsfrau, mit der sich zu unterhalten Monsieur Colbert nicht für unter seiner Würde hielt und deren klare Vernunftschlüsse den Bankier Pennautier entwaffnet hatten.
»Molines, Ihr habt mir einmal gesagt: >Wenn man ein Ziel erreichen will, muß man bereit sein, etwas von seiner eigenen Person zu opfern.< So glaube ich, daß ich bei dieser Angelegenheit etwas sehr Kostbares verlieren werde: meine Selbstachtung ... Aber was hilft’s! Ich habe ein Ziel vor mir.«
Der Greis verzog seine strengen Lippen zu einem feinen Lächeln.
»Wenn meine bescheidene Billigung Euch ein wenig zu trösten vermag, Madame, so gewähre ich sie Euch.«
Nun lächelte auch Angélique. Sie würde sich immer mit Molines verstehen. Diese Gewißheit gab ihr Mut für die Verhandlungen über den Kontrakt.
»Madame, in dieser Angelegenheit müssen wir uns um größtmögliche Klarheit bemühen. Der Herr Marquis hat mir zu verstehen gegeben, daß dabei sehr viel auf dem Spiele steht. Deshalb werde ich Euch zunächst die verschiedenen Bedingungen darlegen, zu denen Ihr Eure Zustimmung geben sollt. Dann werdet Ihr mir die Eurigen nennen. Alsdann setze ich den Kontrakt auf und verlese ihn vor den beiden Parteien. Zuvor, Madame, werdet Ihr noch einen feierlichen Eid ablegen, daß Ihr das Versteck eines gewissen Kästchens kennt, in dessen Besitz der Herr Marquis zu gelangen wünscht. Erst nach dieser eidlichen Versicherung erlangt das Schriftstück Gültigkeit ...«
»Ich bin bereit, es zu tun«, versicherte Angélique.
»In wenigen Augenblicken wird Monsieur du Plessis mit seinem Hausgeistlichen erscheinen. Inzwischen wollen wir die Situation klären. Im guten Glauben also, daß Madame Morens ein Geheimnis bewahrt, an dem er höchlichst interessiert ist, erklärt sich der Marquis du Plessis-Bellière bereit, Madame Morens, geborene Angélique de Sancé de Monteloup, zu ehelichen, und zwar unter den folgenden Bedingungen: Nach vollzogener Eheschließung, das heißt sofort nach der kirchlichen Trauung, werdet Ihr das besagte Kästchen in Gegenwart zweier Zeugen übergeben, die vermutlich der Priester, der die Trauung vornimmt, und ich selbst, Euer ergebener Diener, sein werden. Alsdann wünscht der Herr Marquis, frei über Euer Vermögen verfügen zu können.«
»Oh, Verzeihung!« sagte Angélique scharf. »Der Herr Marquis wird über soviel Geld verfügen, wie er mag, und ich bin bereit, die Summe der Rente festzulegen, die ich ihm jährlich zukommen lasse. Aber ich bleibe alleinige Besitzerin und Verwalterin meiner Habe. Ich lehne es ab, ihn auf irgendeine Weise daran teilnehmen zu lassen, denn ich möchte nicht so hart gearbeitet haben, um plötzlich, wenn auch mit einem großen Namen, wieder völlig verarmt dazustehen. Ich weiß zu gut, wie groß diese hochmögenden Herrn im Verschwenden sind!«
Ohne eine Miene zu verziehen, änderte Molines den Wortlaut einiger Zeilen. Darauf bat er Angélique, ihm einen möglichst detaillierten Bericht über die verschiedenen Geschäfte zu geben, die sie betreibe, und ihm einige bedeutende Persönlichkeiten zu nennen, von denen er sich die Richtigkeit ihrer Aussagen bestätigen lassen könne. Diese Vorsichtsmaßregel empfand Angélique nicht als kränkend, denn seitdem sie sich mit den Gebräuchen des Finanz- und Handelswesens vertraut gemacht hatte, wußte sie nur zu gut, daß jedes Wort nur in dem Maße Gültigkeit besaß, in dem kontrollierbare Fakten es stützten. Einigermaßen stolz berichtete sie dem Verwalter von ihren Unternehmungen und genoß es, daß sie sich bei dieser Unterhaltung dem schlauen alten Fuchs gewachsen fand. Sie sah, daß seine Augen bewundernd aufleuchteten, nachdem sie ihm ihre gegenwärtigen Beziehungen zur Ostindischen Gesellschaft geschildert hatte, und wie sie dazu gekommen war.
»Gebt zu, daß ich meine Sache nicht schlecht gemacht habe, Monsieur Molines.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das habt Ihr nicht. Ich muß anerkennen, daß Eure Berechnungen nicht ungeschickt sind. Natürlich hängt alles davon ab, was Ihr zu Anfang hineingesteckt habt.«
»Hineingesteckt? Ich hatte nichts, Molines, weniger als nichts. Die Armut, in der wir auf Monteloup lebten, war nichts im Vergleich zu dem Elend, das ich nach dem Tode Monsieur de Peyracs erfuhr.«
Das Nennen dieses Namens bewirkte ein Schweigen, das lange anhielt. Da das Feuer nachließ, nahm Angélique ein Holzscheit aus dem neben dem Kamin stehenden Kasten und legte es auf die Glut.
»Ich muß Euch noch von Eurer Silbermine berichten«, sagte Molines schließlich im gleichen ruhigen Ton. »Sie hat in diesen letzten Jahren viel zum Unterhalt Eurer Familie beigetragen, aber es ist nur billig, daß nun, nachdem Ihr wieder aufgetaucht seid, Euch und Euren Kindern deren Erträgnisse zufließen.«
»Ist denn die Mine nicht enteignet und andern zugeteilt worden wie alle Güter des Grafen Peyrac?«
»Sie ist der Raffgier der königlichen Kontrolleure entgangen. Diese Mine stellte damals Eure Mitgift dar. Die Eigentumsverhältnisse sind einigermaßen unklar geblieben .«
»Wie alle Dinge, mit denen Ihr Euch befaßt, Meister Molines«, sagte Angélique lachend. »Ihr habt ein beachtliches Geschick, gleichzeitig mehreren Herren zu dienen.«
»Durchaus nicht«, protestierte der Verwalter mit leicht gekränkter Miene, »ich habe nicht mehrere Herren, sondern mehrere Geschäfte.«
»Ich erfasse und würdige die Nuance, Meister Molines. Reden wir von dem Geschäft du Plessis-Bellière Sohn. Ich erkläre mich mit der mir auferlegten Verpflichtung bezüglich des Kästchens einverstanden. Ich bin bereit, mir die Summe der dem Herrn Marquis auszusetzenden Rente zu überlegen. Als Gegenleistung fordere ich die Ehe und die Anerkennung als Marquise und Mitbesitzerin der meinem Gatten gehörigen Ländereien und Titel. Ebenso verlange ich, seiner Verwandt- und Bekanntschaft als seine legitime Frau vorgestellt zu werden. Ich verlange auch, daß meine beiden Söhne im Hause ihres Stiefvaters Aufnahme und Schutz finden. Schließlich möchte ich über das Vermögen und die Sachwerte aufgeklärt werden, über die er verfügt.«
»Hm . da werdet Ihr freilich nur sehr geringe Vorteile entdecken, Madame. Ich will Euch nicht verhehlen, daß mein junger Herr sehr verschuldet ist. Er besitzt außer diesem Palais zwei Schlösser, das eine in der Touraine, das er von seiner Mutter geerbt hat, das andere im Poitou, aber die Ländereien beider Schlösser sind verpfändet.«
»Solltet Ihr etwa die Geschäfte Eures Herrn schlecht geführt haben, Monsieur Molines?«
»Ach, Madame! Selbst Monsieur Colbert, der täglich fünfzehn Stunden arbeitet, um die Finanzen des Königreichs wieder in Ordnung zu bringen, vermag nichts gegen die Verschwendungssucht des Königs, die alle seine Berechnungen über den Haufen wirft. Ebenso verpraßt der Herr Marquis die durch den Aufwand seines Herrn Vaters ohnehin schon zusammengeschmolzenen Einkünfte mit kriegerischen Unternehmungen oder höfischen Vergnügungen. Der König hat ihm zu wiederholten Malen einträgliche Ämter zukommen lassen. Aber er hat sie alsbald wieder verkauft, um eine Spielschuld zu bezahlen oder eine Equipage zu kaufen. Nein, Madame, das Geschäft du Plessis-Bellière ist für mich kein interessantes Geschäft. Ich widme mich ihm aus ... sagen wir, sentimentaler Gewohnheit. Erlaubt mir, Eure Bedingungen niederzuschreiben, Madame.«
Eine Zeitlang hörte man im Raum nur das Kratzen der Feder, das das Echo zum Knistern des Feuers bildete.
»Wenn ich heirate«, dachte Angélique, »wird Molines mein Verwalter. Wie seltsam! Das hätte ich nie gedacht. Er wird bestimmt versuchen, seine langen Finger in meine Geschäfte zu stecken. Ich werde auf der Hut sein müssen. Aber im Grunde ist es sehr gut so. Ich werde in ihm einen glänzenden Berater haben.«
»Darf ich mir erlauben, Euch eine zusätzliche Klausel vorzuschlagen?« fragte Molines, indem er den Kopf hob.
»Zu meinen oder zu seinen Gunsten?«
»Zu Euren Gunsten.«
»Ich dachte, Ihr vertretet die Interessen Monsieur du Plessis’?«
Der Greis lächelte, ohne zu antworten, und nahm seinen Kneifer ab. Dann lehnte er sich in seinen Sessel zurück, richtete den gleichen lebhaften und durchdringenden Blick auf Angélique wie zehn Jahre zuvor und sagte:
»Ich halte es für eine sehr gute Sache, daß Ihr meinen Herrn heiratet. Ich glaubte nicht, Euch jemals wieder zu begegnen. Doch Ihr seid da, jeder Wahrscheinlichkeit zum Trotz, und Monsieur du Plessis sieht sich gezwungen, Euch zu heiraten. Ihr werdet mir zubilligen, Madame, daß ich nichts mit den Umständen zu schaffen habe, die Euch zu diesem Entschluß führten. Aber es geht jetzt darum, daß diese Verbindung ein Erfolg wird: in seinem Interesse, im Eurigen und, meiner Treu, im meinigen, denn das Glück des Herrn ist zugleich das des Dieners.«
»Ich bin ganz Eurer Ansicht, Molines. Worin besteht also diese Klausel?«
»Daß Ihr die Vollziehung der Ehe fordert .«
»Die Vollziehung der Ehe?« wiederholte Angélique und riß die Augen auf wie ein eben aus der Klosterschule entlassener Zögling.
»Mein Gott, Madame ... ich nehme doch an, Ihr versteht, was ich meine?«
»Ja ... freilich ... ich verstehe«, stammelte Angélique, »aber Ihr habt mich überrascht. Es ist doch selbstverständlich, daß Monsieur du Plessis, wenn er mich heiratet .«
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