»Er soll hereinkommen!« brummte der Fürst nach einem Augenblick des Schweigens.
Er trat zum Ebenholzsekretär, der neben dem Fenster stand, und öffnete einige Schubfächer.
Aus dem Vorzimmer führte der Lakai einen Mönch in wollener Kapuze herein, der unter mehreren bemerkenswert tiefen Verbeugungen näher trat. Als er sich aufrichtete, wurde sein braunes Gesicht erkennbar, in dem große, schwarze, brennende Augen glänzten.
Das Erscheinen des Geistlichen schien die auf dem Bett liegende Frau keineswegs in Verlegenheit zu bringen. Sie biß weiterhin unbekümmert in die schönen Früchte. Kaum daß sie ein Tuch über den Ansatz der Beine gebreitet hatte.
Der über den Sekretär gebeugte blonde Mann entnahm ihm große, rot gesiegelte Umschläge.
»Vater«, sagte er, ohne sich umzuwenden, »ist es Monsieur Fouquet, der Euch schickt?«
»Eben der, Hoheit.«
Der Mönch fügte einen Satz in einer singenden Sprache hinzu, die Angélique für Italienisch hielt. Wenn er Französisch redete, lispelte er leicht, und sein Akzent hatte etwas Kindliches, das nicht ohne Charme war.
»Es war überflüssig, das Paßwort zu wiederholen, Signor Exili«, sagte der Fürst Condé. »Ich hätte Euch an Euerm Signalement und an dem blauen Mal erkannt, das Ihr im Augenwinkel tragt. Ihr also seid der geschickteste Künstler Europas in jener schwierigen und raffinierten Wissenschaft des Giftmischens?«
»Eure Hoheit ehren mich. Ich habe nur ein paar von meinen florentinischen Vorfahren vererbte Rezepte vervollkommnet.«
»Die Leute aus Italien sind Künstler auf allen Gebieten«, rief Condé aus. Er brach in wieherndes Gelächter aus, dann nahm seine Physiognomie plötzlich wieder ihren harten Ausdruck an.
»Habt Ihr das Ding?«
»Hier.«
Der Kapuziner brachte aus seinem weiten Ärmel ein ziseliertes Kästchen zum Vorschein. Er öffnete es selbst, indem er auf eine der Verzierungen aus edlem Holz drückte.
»Seht, Hoheit, es genügt, den Fingernagel in den Halsansatz dieser allerliebsten Figur zu drücken, die eine Taube auf der Faust trägt.«
Der Deckel war aufgesprungen. Auf einem Atlaspolster glänzte eine mit smaragdfarbener Flüssigkeitgefüllte Glasampulle. Der Fürst Condé nahm vorsichtig das Flakon heraus und hielt es ins Licht.
»Römisches Vitriol«, sagte leise der Pater Exili. »Es ist eine langsam, aber sicher wirkende Mixtur. Ich habe sie dem ätzenden Sublimat vorgezogen, das den Tod in wenigen Stunden hervorrufen kann. Den Andeutungen Monsieur Fouquets entnahm ich, daß Ihr selbst, Hoheit, wie auch Eure Freunde Wert darauf legen, daß auf die Umgebung der betreffenden Person kein Verdacht fällt. Die letztere wird von einem Unwohlsein ergriffen werden und vielleicht eine Woche Widerstand leisten, aber ihr Tod wird als die natürliche Folge des Genusses einer verdorbenen Speise erscheinen. Es wäre daher zweckmäßig, an der Tafel dieser Person Muscheln, Austern oder andere Schalentiere reichen zu lassen, deren Wirkungen zuweilen gefährlich sind. Ihnen die Schuld an einem so jähen Tode zuzuschreiben wird ein Kinderspiel sein.«
»Ich danke Euch für Eure vorzüglichen Ratschläge, Vater.«
Condé starrte noch immer auf die blaßgrüne Ampulle, und seine Augen glänzten haßerfüllt. Angélique empfand bittere Enttäuschung dabei: Der auf die Erde herabgestiegene Liebesgott war der Schönheit bar und flößte ihr Furcht ein. Dann warf der Fürst einen spöttischen Blick auf den Mönch, den er an Körpergröße überragte.
»Ich hoffe, Euer solcher Kunst gewidmetes Leben hat Euch nicht allzu skrupulös gemacht, Signor Exili. Was würdet Ihr indessen denken, wenn ich Euch gestände, daß dieses Gift für einen Eurer Landsleute bestimmt ist, einen Italiener aus den Abruzzen?«
Ein Lächeln kräuselte die feinen Lippen Exilis. Er verbeugte sich von neuem.
»Ich betrachte als Landsleute nur diejenigen, die meine Dienste nach ihrem genauen Wert einschätzen, Hoheit. Und im Augenblick zeigt sich Monsieur Fouquet vom Parlament in Paris mir gegenüber hochherziger als ein gewisser Italiener aus den Abruzzen, den ich gleichfalls kenne.«
»Bravo! Bravissimo, Signore!« sagte Condé lachend. »Ich habe gerne schlagfertige Leute Eurer Art um mich.«
Sorgsam legte er das Flakon auf sein Atlaspolster zurück. Es entstand eine Pause. Signor Exili betrachtete sein Werk mit einer Befriedigung, die von Eitelkeit nicht ganz frei war.
»Ich bemerke noch, Hoheit, daß diese Flüssigkeit den Vorteil hat, geruch- und nahezu geschmacklos zu sein. Sie verändert die Nahrungsmittel nicht, denen man sie beimischt, und die betreffende Person wird, falls sie überhaupt sonderlich auf das achtet, was sie ißt, höchstens ihrem Koch vorwerfen können, er sei mit den Gewürzen etwas zu großzügig umgegangen.«
»Ihr seid ein gewitzter Mann«, wiederholte der Fürst, der nachdenklich zu werden schien. Ein wenig fahrig schob er auf der Platte des Nähtischchens die versiegelten Umschläge zusammen.
»Hier ist, was ich Euch als Gegengabe für Monsieur Fouquet überreichen soll. Dieser Umschlag da enthält die Erklärung des Marquis d’Hocquincourt. Hier sind diejenigen von Monsieur de Charost, Monsieur du Plessis, Madame du Plessis, Madame de Richeville, der Herzogin von Beaufort, von Madame de Longueville. Wie Ihr seht, sind die Damen weniger lässig ... oder weniger skrupulös als die Herren. Es fehlen mir noch die Briefe von Monsieur de Maupéou, vom Marquis de Créqui und einigen anderen .«
»Und der Eurige, Hoheit.«
»Ganz recht. Hier ist er. Ich habe ihn eben geschrieben, aber noch nicht unterzeichnet.«
»Würden Eure Hoheit die Güte haben, mir den Text vorzulesen, damit ich mich Punkt für Punkt von der Richtigkeit des Wortlauts überzeugen kann? Monsieur Fouquet legt großen Wert darauf, daß die Erklärung vollständig ist.«
»Wie es Euch beliebt«, sagte der Fürst und zuckte unmerklich die Schultern.
Er nahm das Blatt und las mit lauter Stimme:
»Ich, Ludwig II., Herzog von Enghien, Fürst Condé, gebe Monseigneur Fouquet die Versicherung, daß ich nie zu jemand anderem als zu ihm halten, ausnahmslos nur ihm gehorchen, ihm meine Städte, Befestigungen und sonstiges übergeben werde, wann immer er es befiehlt.
Zwecks Versicherung dessen überreiche ich dieses von meiner Hand geschriebene und unterzeichnete Schriftstück aus freien Stücken und ohne daß er auch nur darum ersucht hätte, da er die Güte hat, sich auf mein Wort zu verlassen, das ihm sicher ist.
Gegeben zu Plessis-Bellière am 20. September 1649.«
»Unterzeichnet, Hoheit«, sagte Exili, dessen Augen im Schatten seiner Kapuze funkelten.
Rasch, als habe er Eile, damit fertig zu werden, ergriff Condé auf dem Sekretär einen Federkiel und schnitt ihn zu. Während er den Brief mit seinem Namenszug versah, zündete der Mönch ein Öllämpchen an. Condé brachte daran Wachs zum Schmelzen und siegelte die Botschaft.
»Alle anderen Erklärungen sind nach diesem Muster verfaßt und unterzeichnet«, schloß er. »Ich denke, Euer Meister wird befriedigt sein und es uns beweisen.«
»Seid dessen gewiß, Hoheit. Doch kann ich dieses Schloß nicht verlassen, ohne die anderen Erklärungen mitzunehmen, auf die Ihr mich hoffen ließet.«
»Ich werde es mir angelegen sein lassen, sie Euch vor morgen mittag zukommen zu lassen. Unsere Freundin, die Marquise du Plessis, wird inzwischen für Eure Unterbringung sorgen, Signore. Ich habe ihr Eure Ankunft in Aussicht gestellt.«
»Inzwischen dürfte es wohl zweckmäßig sein, diese Briefe in das Geheimkästchen zu tun, das ich Euch soeben übergab. Seine Öffnungsvorrichtung ist unsichtbar, und sie werden nirgends vor Indiskretionen sicherer sein.«
»Ihr habt recht, Signor Exili. Wenn ich Euch reden höre, wird mir klar, daß auch die Verschwörung eine Kunst ist, die Erfahrung fordert. Ich selbst bin nur ein Krieger und gebe es offen zu.«
»Ein ruhmreicher Krieger!« rief der Italiener mit einer Verbeugung aus.
»Ihr schmeichelt mir, Vater. Doch ich gestehe, daß es mir lieb wäre, wenn Monsieur de Mazarin und Ihre Majestät die Königin Eure Ansicht teilten. Wie dem auch sei, ich glaube immerhin, daß die militärische Taktik, wenn auch plumper und vielfältiger, ein wenig Euren subtilen Kunstgriffen gleicht. Man muß immer die Absichten des Gegners im voraus erkennen.«
»Hoheit, Ihr redet, als sei Machiavelli selbst Euer Lehrmeister gewesen.«
»Ihr schmeichelt mir«, wiederholte der Fürst. Doch da seine Eitelkeit gestillt war, heiterte er sich wieder auf.
Exili zeigte ihm, wie man das Atlaspolster anhob, um die kompromittierenden Umschläge darunterschieben zu können. Dann wurde das Ganze in den Sekretär verschlossen.
Kaum hatte sich der Italiener zurückgezogen, als Condé wie ein Kind das Kästchen wieder hervorzog und es abermals öffnete.
»Zeigt!« flüsterte die Frau und streckte den Arm aus.
Während der Unterhaltung hatte sie sich nicht eingemischt und sich darauf beschränkt, nacheinander ihre Ringe wieder an die Finger zu stecken. Aber offensichtlich war ihr kein Wort entgangen.
Condé trat ans Bett, und beide beugten sich über das smaragdgrüne Flakon.
»Glaubt Ihr, daß es wirklich so furchtbar ist, wie er sagt?« flüsterte die Herzogin von Beaufort abermals.
»Fouquet versichert, es gebe keinen geschickteren Apotheker als diesen Florentiner.«
Die Dame war auf die Kissen zurückgesunken. »So ist Monsieur de Mazarin also tot!« sagte sie ruhig.
»So gut wie, denn hier halte ich ihn in Händen, diesen Tod.«
»Heißt es nicht, die Königin-Mutter teile zuweilen ihre Mahlzeiten mit dem, den sie so leidenschaftlich liebt?«
»Man sagt so«, versetzte Condé nach kurzem Schweigen. »Aber ich kann Euern Plan nicht billigen, Liebste. Ich denke an ein anderes Vorgehen, ein einfacheres und wirksameres. Was wäre die KöniginMutter ohne ihre Söhne ...? Der Spanierin bliebe nichts übrig, als sich in ein Kloster zurückzuziehen und sie dort zu beweinen .«
»Den König vergiften?« fuhr die Herzogin auf.
Der Fürst wieherte vergnügt. Er ging zum Sekretär zurück und schloß das Kästchen ein.
»Das ist echt weiblich!« rief er aus. »Der König! Ihr geratet in Rührung, weil es sich um ein hübsches Kind handelt, das in der Pubertät steckt und Euch am Hofe seit einer Weile schmachtende Blicke zuwirft. Das ist es, was Euch der König bedeutet. Für uns ist er ein gefährliches Hindernis bei all unsern Absichten. Was seinen Bruder betrifft, ein auf Abwege geratenes Jüngelchen, dem es bereits Vergnügen macht, sich als Mädchen anzuziehen und sich von den Männern streicheln zu lassen, so kann ich mir ihn noch weniger auf dem Thron vorstellen als Euern unschuldigen königlichen Knaben. Nein, glaubt mir, mit Monsieur d’Orléans, der so wenig streng ist, wie sein Bruder Ludwig XIII. es zuviel war, werden wir einen König nach unserm Geschmack bekommen. Er ist reich und von schwachem Charakter. Was brauchen wir mehr?«
Condé versenkte, nachdem er den Sekretär wieder abgeschlossen hatte, den Schlüssel in die Tasche seines Schlafrocks und fuhr fort: »Meine Liebe, ich glaube, wir müssen daran denken, uns unseren Gastgebern zu zeigen. Es ist Zeit für das Souper. Soll ich Eure Kammerzofe rufen lassen?«
»Ich wäre Euch dankbar, mein teurer Gebieter.«
Angélique, deren Glieder steif zu werden begannen, hatte sich auf das Kranzgesims zurückgezogen. Sie sagte sich, daß ihr Vater sie suchen würde, konnte sich aber nicht entschließen, ihren Lauscherposten zu verlassen. Im Zimmer hüllten sich der Fürst und seine Mätresse unter Assistenz der Dienstboten in ihre Staatsgewänder, wobei Seine Hoheit sich ziemlich ungeduldig zeigte und mehrmals Flüche ausstieß.
Als Angélique die Augen von der Lichtwand abkehrte, die das offene Fenster bildete, sah sie um sich her nur die undurchdringliche Nacht, aus der das Rauschen des vom Herbstwind bewegten Waldes emporstieg.
Endlich wurde ihr bewußt, daß das Zimmer verlassen worden war. Das Nachtlicht schimmerte noch, aber über den Raum hatte sich von neuem das Mysterium gebreitet.
Ganz leise schlich das Mädchen zum Fensterkreuz und ließ sich ins Innere gleiten. Der Geruch der Schminke und der Parfüms vermischte sich auf seltsame Weise mit dem Duft feuchten Holzes und reifer Kastanien, den die Nachtluft mit sich führte.
Angélique wußte noch nicht recht, was sie tun sollte. Sie hätte überrascht werden können. Sie fürchtete sich nicht davor. All das war nur ein Traum, etwas wie die närrische Dame von Monteloup, wie die Verbrechen des Gilles de Retz ...
In spontanem Entschluß holte sie aus der Tasche des auf einem Stuhl liegenden Schlaf rocks den kleinen Schlüssel zum Sekretär, öffnete diesen und entnahm ihm das Kästchen. Es war aus Sandelholz und verbreitete einen durchdringenden Geruch. Nachdem sie den Sekretär wieder abgeschlossen und den Schlüssel an seinen Platz getan hatte, kletterte Angélique, das Kästchen unter dem Arm, auf das Gesims zurück. Plötzlich empfand sie ein königliches Vergnügen. Sie stellte sich das Gesicht des Fürsten Condé vor, wenn er das Verschwinden des Giftes und der kompromittierenden Briefe entdecken würde.
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