Am nächsten Tage jedoch kehrte sie, da noch immer kein Bote gekommen war, allein zu ihrem Vater zurück. Mit ihm zusammen wanderte sie über die Felder, und er machte sie auf alle Verbesserungen aufmerksam, die er hatte vornehmen lassen.
Es war ein köstlicher Nachmittag. Angélique war so aufgeräumt, daß sie am liebsten gesungen hätte.
Am Ende des Spaziergangs, dicht vor dem Schloß, blieb der Baron plötzlich stehen und betrachtete seine Tochter. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.
»So bist du also zurückgekehrt, Angélique?« sagte er.
Er legte seine Hand auf ihre Schulter und wiederholte mehrmals: »Angélique, meine Tochter Angélique .«
Ihre Augen wurden feucht. Bewegt sagte sie:
»Ich bin zurückgekehrt, Vater, und wir werden einander oft sehen können. Ihr wißt, daß bald meine Hochzeit mit Philippe du Plessis-Bellière stattfinden wird, für die Ihr uns Eure Zustimmung übersandt habt.«
»Aber ich dachte, die Hochzeit habe bereits stattgefunden?« versetzte er verwundert.
Angélique preßte die Lippen zusammen und erwiderte nichts. Was bezweckte Philippe damit, daß er die Leute der Umgebung und ihre eigene Familie bei dem Glauben ließ, die Trauung sei in Paris vollzogen worden .?
Auf dem Heimweg war sie ziemlich unruhig, und ihr Herz klopfte rascher, als sie im Hof die Kutsche des Marquis erkannte.
Die Lakaien sagten ihr, er sei vor über zwei Stunden schon angekommen. Eilig schritt sie dem Eingang zu. Als sie die Treppe hinaufstieg, hörte sie die Kinder schreien.
»Gewiß ein Jähzornanfall Florimonds oder Can-tors«, dachte sie verärgert. »Die Landluft bringt sie außer Rand und Band.«
Ihr zukünftiger Stiefvater durfte nicht zu dem Eindruck gelangen, daß sie unerträgliche Wesen seien. Sie hastete also nach dem Zimmer der Kleinen, um energisch Ordnung zu schaffen, und erkannte im Näherkommen Cantors Stimme. Er schrie in Tönen unsagbaren Entsetzens, und in sein Geschrei mischte sich wütendes Hundegebell.
Angélique stieß die Tür auf und blieb wie versteinert stehen.
Vor dem brennenden Kamin standen, eng aneinandergedrückt, Florimond und Cantor. Sie wurden von drei riesigen, kohlrabenschwarzen Wolfshunden bedrängt, die sie wütend anbellten, während sie wild an ihren Koppelriemen zerrten. Die Enden der Koppelriemen fanden sich in der Hand des Marquis du Plessis vereinigt, der sich höchlichst über die Angst der Kinder zu amüsieren schien. Auf dem Fußboden entdeckte Angélique den in einer Blutlache liegenden Kadaver einer der Doggen der kleinen Jungen, die offenbar bei dem Versuch, sie zu beschützen, erwürgt worden war.
Cantor schrie, sein rundes Gesicht war tränen-überströmt. Florimonds bleiche Miene dagegen zeigte einen außerordentlich mutigen Ausdruck. Er hatte seinen kleinen Degen gezogen und richtete ihn auf die Meute, um seinen Bruder zu verteidigen.
Angélique kam nicht dazu, einen Schrei auszustoßen. In einer impulsiven Aufwallung griff sie nach einem schweren Schemel und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die Hunde, die vor Schmerz aufheulten und zurückwichen.
Schon hatte sie Florimond und Cantor in ihre Arme gerissen. Sie klammerten sich an sie, und Cantor verstummte sofort.
»Philippe«, sagte sie keuchend, »Ihr dürft die Kinder nicht so erschrecken ... Sie hätten rückwärts ins Feuer fallen können. Seht, Cantor hat sich schon an einer herausschlagenden Flamme die Hand verbrannt.«
Der junge Mann richtete seine harten, klaren Augen auf sie.
»Eure Söhne sind zimperlich wie alte Weiber«, sag-te er träge.
Seine Gesichtsfarbe schien dunkler als gewöhnlich, und er schwankte leicht.
»Er hat getrunken«, sagte sie sich.
In diesem Augenblick kam Barbe atemlos hereingestürzt, die Hand an ihre Brust gepreßt, um ihr klopfendes Herz im Zaum zu halten. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, während sie von Philippe zu Angélique und schließlich zu dem leblos auf dem Boden liegenden Hunde wanderten.
»Madame möge mir verzeihen. Ich war in die Speisekammer gegangen, um Milch für die Mahlzeit der Kleinen zu holen. Ich hatte sie unter Flipots Obhut gelassen. Ich ahnte nicht .«
»Es ist nichts Schlimmes geschehen, Barbe«, unterbrach Angélique sie ruhig. »Die Kinder sind an den Anblick so blutgieriger Jagdhunde nicht gewöhnt. Sie müssen sich damit vertraut machen, wenn sie später wie richtige Edelmänner den Hirsch und das Wildschwein jagen wollen.«
Die zukünftigen Edelmänner warfen wenig begeisterte Blicke auf die drei Tiere, aber da sie von Angéliques Armen umschlossen waren, hatten sie keine Angst mehr.
»Ihr seid kleine Toren«, sagte sie in sanft scheltendem Ton zu ihnen.
In seinem Reisekostüm aus goldbraunem Samt stand Philippe breitbeinig da und betrachtete schweigend die Gruppe der Mutter mit ihren Kindern. Plötzlich schwang er die Peitsche über den Hunden,
zog sie zurück und verließ den Raum.
Barbe beeilte sich, die Tür zu schließen.
»Flipot hat mich geholt«, flüsterte sie. »Der Herr Marquis hatte ihn aus dem Zimmer gejagt. Ihr könnt mir nicht ausreden, daß er die Kinder von seinen Hunden auffressen lassen wollte ...«
»Red keine Dummheiten, Barbe«, fiel Angélique ihr ins Wort. »Der Herr Marquis ist an Kinder nicht gewöhnt. Er wollte spielen.«
»Ja, ja, die Spiele der vornehmen Leute. Man weiß, wie weit das gehen kann. Ich kenne einen armen Jungen, dem sie teuer zu stehen kamen.«
Angélique erschauerte bei dem Gedanken an Linot. War der blonde Philippe mit dem nachlässigen Gang nicht auch unter den Peinigern des kleinen Oblatenverkäufers gewesen? Zumindest hatte er taube Ohren für dessen verzweifeltes Flehen gehabt ...
Da sie sah, daß die Kinder sich beruhigt hatten, kehrte sie in ihre Gemächer zurück. Sie setzte sich vor den Frisiertisch und ordnete ihr Haar. Was hatte dieser Auftritt eben zu bedeuten? Mußte man ihn ernst nehmen? Philippe war betrunken, das sah man auf den ersten Blick. Wieder nüchtern geworden, würde er sich entschuldigen, solche Aufregung verursacht zu haben ... Aber ein Wort ihrer Schwester Marie-Agnès kam auf Angéliques Lippen: »Ein Rohling!« Ein heimtückischer, erbarmungsloser Rohling. »Wenn er sich an einer Frau rächen will, schreckt er vor nichts zurück.«
»Er wird jedenfalls nicht so weit gehen, sich an meinen kleinen Kindern zu vergreifen«, sagte sie sich, während sie den Kamm auf den Tisch zurücklegte und erregt aufstand.
Im selben Augenblick ging die Tür, und Philippe stand auf der Schwelle. Er warf einen düsteren Blick auf sie.
»Habt Ihr jenes Giftkästchen?«
»Ich werde es Euch am Tage unserer Hochzeit übergeben, Philippe, wie es im Kontrakt festgelegt worden ist.«
»Wir werden heute abend heiraten.«
»Dann werde ich es Euch heute abend übergeben«, erwiderte sie und bemühte sich, ihre Verwirrung nicht zu zeigen.
Sie lächelte und bot ihm die Hand.
»Wir haben uns noch nicht guten Tag gesagt, Philippe.«
»Ich sehe keine Veranlassung dazu«, antwortete er und schlug die Tür wieder zu.
Angélique biß sich auf die Lippen. Offensichtlich war der Gebieter, den sie sich erwählt hatte, nicht durch schmeichlerische Töne zu gewinnen. Molines’ Ratschlag fiel ihr ein: »Versucht, ihn durch die Sinne zu unterjochen.« Doch zum erstenmal zweifelte sie an ihrem Sieg. Diesem eiskalten Manne gegenüber fühlte sie sich machtlos. Und im Augenblick hatte er auch keinerlei Reiz mehr für sie.
»Er hat gesagt, wir würden heute abend heiraten. Er weiß nicht mehr, was er spricht. Nicht einmal mein Vater ist verständigt worden .«
Sie war noch in ihre Gedanken versunken, als jemand zaghaft an die Tür klopfte. Angélique öffnete und entdeckte ihre Söhne, die sich noch immer auf rührende Weise eng aneinanderschmiegten. Doch diesmal dehnte Florimond seinen Beistand auf den Affen Piccolo aus, den er auf dem Arm hielt.
»Mama«, sagte er mit dünner, aber entschlossener Stimme, »wir möchten zu unserm Herrn Großvater gehen. Hier haben wir Angst.«
»Angst ist ein Wort, das ein Junge, der den Degen trägt, nicht aussprechen sollte«, sagte Angélique streng. »Seid ihr gar wirklich so zimperlich, wie man es euch vorhin vorgeworfen hat?«
»Monsieur du Plessis hat schon Parthos getötet. Womöglich wird er auch Piccolo töten.«
Cantor brach in unterdrücktes Schluchzen aus. Cantor, der beherrschte Cantor, außer Fassung geraten! Das war mehr, als Angélique ertragen konnte. Es kam nicht darauf an, ob es töricht war oder nicht: Die Kinder hatten Angst, und sie hatte sich geschworen, daß sie nie mehr Angst empfinden sollten.
»Gut, ihr werdet mit Barbe nach Monteloup gehen, und zwar sofort. Ihr müßt mir nur versprechen, daß ihr sehr artig sein werdet.«
»Mein Großvater hat mir versprochen, daß ich auf einem Maulesel reiten darf«, zirpte Cantor, bereits getröstet.
»Pah! Mir wird er ein Pferd schenken«, versicherte Florimond.
Knapp eine Stunde später verstaute Angélique sie und die Dienstboten außer Javotte sowie ihren Reisekoffer in der Kutsche. In Monteloup gab es genügend Betten für sie und ihr Gefolge. Die Dienstboten schienen gleichfalls froh zu sein, der unerträglichen Atmosphäre zu entrinnen, die Philippes Gegenwart erzeugte. Der schöne junge Mann, der am Hof des Sonnenkönigs den Liebenswürdigen spielte, führte auf seinem einsamen Herrensitz ein despotisches Regiment.
Barbe flüsterte:
»Madame, wir können Euch doch nicht allein hierlassen mit diesem ... diesem Mann.«
»Welchem Mann?« fragte Angélique streng. Sie setzte hinzu:
»Barbe, du scheinst über den jetzigen bequemen Verhältnissen gewisse Episoden unseres gemeinsamen Lebens vergessen zu haben. Erinnere dich, daß ich mit allem und jedem fertig zu werden weiß.«
Und sie küßte die Magd auf ihre guten, runden Wangen, denn ihr Herz war beklommen.
Als die Glöckchen der kleinen Kutsche im bläulich getönten Abend verklangen, kehrte Angélique langsamen Schrittes ins Schloß zurück. Sie war erleichtert, ihre Kinder unter den schützenden Fittichen von Monteloup zu wissen, aber das Schloß Plessis erschien ihr um so verlassener, ja geradezu feindselig.
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