Im Vestibül verneigte sich ein Lakai vor ihr und meldete, daß das Souper angerichtet sei. Sie begab sich ins Speisezimmer. Fast gleichzeitig erschien Philippe und ließ sich wortlos am einen Ende des Tisches nieder. Angélique nahm am andern Platz. Sie waren allein und wurden von zwei Lakaien und einem Küchenjungen bedient, der die Schüsseln hereintrug.

Die Flammen dreier Leuchter spiegelten sich in den kostbaren Silbergeräten. Während der ganzen Mahlzeit waren nur das Geräusch der Löffel und das Klingen der Gläser zu hören, die zuweilen vom durchdringenden Ruf der Grillen auf dem Rasen übertönt wurden. Die geöffnete Fenstertür ließ den Blick in den Park frei, über den die Nacht mählich herniedersank.

Angélique, die erwartet hatte, keinen Bissen schlucken zu können, aß dank den wunderlichen Reaktionen ihrer Konstitution mit gutem Appetit. Sie bemerkte, daß Philippe nicht wenig trank, aber weit davon entfernt, mitteilsamer zu werden, schien ihn das Getränk nur noch abweisender und starrsinniger zu machen.

Als er aufstand, ohne die Nachspeise angerührt zu haben, blieb ihr nichts übrig, als ihm in den anstoßenden Salon zu folgen. Dort fand sie Molines und den Hausgeistlichen vor sowie eine sehr alte Bauersfrau, die, wie sie später erfuhr, Philippes Amme war.

»Ist alles vorbereitet, Abbé?« fragte Philippe, endlich sein Schweigen brechend.

»Jawohl. Herr Marquis.«

»Dann wollen wir in die Kapelle gehen.«

Angélique erschauerte. Die Hochzeit, ihre Hochzeit mit Philippe, konnte doch nicht unter so unseligen Umständen stattfinden?

Sie erhob Einspruch.

»Ihr wollt doch nicht behaupten, daß alles für unsere Hochzeit vorbereitet sei und daß sie jetzt gleich begangen werden soll?«

»Ich behaupte es, Madame«, erwiderte Philippe spöttisch. »Wir haben den Kontrakt in Paris unterzeichnet. Der Herr Abbé hier wird uns trauen, und wir werden unsere Ringe tauschen. Weitere Vorbereitungen scheinen mir nicht erforderlich.«

Der Blick der jungen Frau glitt unschlüssig über die Zeugen dieser Szene. Eine einzige Kerze beleuchtete sie, die die alte Frau hielt. Draußen war es völlig Nacht geworden. Das Gesinde hatte sich zurückgezogen. Wäre Molines nicht gewesen, der rauhe, der harte Molines, der gleichwohl Angélique mehr als seine eigene Tochter liebte, sie hätte gefürchtet, in eine Falle gegangen zu sein.

Sie suchte den Blick des Verwalters, doch der Greis senkte die Augen in jener ihm eigenen Unterwürfigkeit, die er seiner Herrschaft gegenüber immer zur Schau trug.

So fügte sie sich.

In der von zwei dicken, gelben Wachskerzen erhellten Kapelle brachte ein verschüchterter, in ein Chorknaben-Meßgewand gekleideter Bauernjunge das Weihwasser.

Angélique und Philippe nahmen auf den bereitgestellten Betstühlen Platz. Der Priester trat eilfertig vor sie hin und sprach mit monotoner Stimme die üblichen Gebete und Formeln:

»Philippe du Plessis-Bellière, seid Ihr gewillt, Angélique de Sancé de Monteloup zur Ehefrau zu nehmen?«

»Ja.«

»Angélique de Sancé de Monteloup, seid Ihr gewillt, Philippe du Plessis-Bellière zum Ehemann zu nehmen?«

Sie sagte ihr »Ja« und streckte Philippe die Hand entgegen, damit er ihr den Ring überstreife. Und die Erinnerung an die gleiche Geste ein paar Jahre zuvor in der Kathedrale von Toulouse durchzuckte sie.

Damals war ihr nicht minder bang zumute gewesen als heute, aber die Hand, die die ihre ergriffen hatte, hatte sie leise gedrückt, um sie zu beruhigen. In ihrer Beklommenheit hatte sie die Bedeutung jenes heimlichen Drucks nicht erfaßt. Jetzt fiel ihr diese Einzelheit wieder ein, und sie zerriß ihr Herz wie ein Dolchstoß, während sie sah, wie Philippe, halb betrunken und blind gemacht durch den Weindunst, vergeblich versuchte, ihr den Ring über den Finger zu streifen. Endlich gelang es ihm. Die Zeremonie war beendet.

Die Gruppe verließ die Kapelle.

»Nun seid Ihr an der Reihe, Madame«, sagte Philippe und starrte sie mit seinem unerträglichen, eisigen Lächeln an.

Sie bat ihn, ihr in ihr Zimmer zu folgen.

Dort entnahm sie dem Sekretär das Kästchen, ließ den Mechanismus spielen, der es verschloß, und übergab es ihrem Gatten. Die Kerzenflammen spiegelten sich in der Phiole.

»Ja, das ist das verlorene Kästchen«, erklärte Philippe nach kurzem Schweigen. »Alles ist in Ordnung, Messieurs.«

Der Hausgeistliche und der Verwalter unterzeichneten ein Schriftstück, in dem sie bestätigten, Zeugen der Übergabe des Kästchens durch Madame du Plessis gewesen zu sein, gemäß den Bestimmungen des Ehekontrakts. Dann verneigten sie sich abermals vor dem Paar und entfernten sich samt der alten Frau, die ihnen leuchtete, mit kleinen Schritten.

Angélique unterdrückte ihr Verlangen, Molines zurückzuhalten. Es war lächerlich. Die panische Angst, die sie verspürte, war gewiß unbegründet. Es war nicht angenehm, dem zornigen Groll eines Mannes trotzen zu müssen, aber vielleicht würde es zwischen ihr und Philippe doch einen Weg zur Verständigung, zum Waffenstillstand geben.

Sie beobachtete ihn verstohlen. Er beugte sein makellos reines, nur oberhalb der Lippe durch den blonden Schnurrbart unterbrochenes Profil über das berüchtigte Kästchen. Seine langen Wimpern warfen einen leichten Schatten auf seine Wangen, aber er war röter als gewöhnlich, und der starke Weingeruch, der von ihm ausging, war ihr widerlich.

Als er mit unsicherer Hand die Giftphiole herausnahm, sagte Angélique warnend:

»Seht Euch vor, Philippe. Der Mönch Exili behauptete, ein einziger Tropfen dieses Gifts könne einen Menschen auf immer verunstalten.«

»Wirklich?«

Er starrte sie an, und seine Augen glänzten tückisch. Seine Hand schwenkte die Phiole. Blitzartig erfaßte sie, daß er versucht war, sie ihr ins Gesicht zu schleudern. Von Entsetzen gelähmt, verzog sie keine Miene und gab seinen Blick ruhig und beherzt zurück.

Er lächelte spöttisch, dann verschloß er die Phiole wieder im Kästchen. Wortlos nahm er Angéliques Handgelenk und zog sie mit sich aus dem Zimmer.

Das Schloß lag still und dunkel. Doch der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht zeichneten sich die Schatten der hohen Fensterkreuze auf den Fliesen des Fußbodens ab.

Philippe umklammerte das zarte Handgelenk der jungen Frau so fest, daß sie ihren Puls schlagen fühlte, aber seine Roheit ließ sich immer noch eher ertragen als seine gespenstische Teilnahmslosigkeit. In seinem Schloß nahm Philippe eine Haltung an, die er bei Hof nicht hatte. Wahrscheinlich verhielt er sich so im Kriege, wo er die Hülle des schönen, verträumten Höflings ablegte, um sich in seiner wahren Gestalt als tapferer, zuverlässiger, wenn auch barbarischer Krieger zu zeigen.

Sie stiegen die Treppe hinab, durchquerten das Vestibül und traten in den Park hinaus. Silbriger Nebel schwebte über dem Teich. An der kleinen Anlegestelle aus weißem Marmor schob Philippe die junge Frau in den Kahn.

»Steigt ein!« befahl er barsch.

Auch er nahm Platz und stellte das Kästchen behutsam auf eine der Bänke. Sie hörte, wie das Halteseil ins Wasser klatschte, dann löste sich das Boot langsam vom Ufer. Philippe hatte eins der Ruder ergriffen und steuerte den Kahn auf die Mitte des Teiches zu. Die Mondreflexe spielten über sein seidig aufschimmerndes Gewand. Die Szene hatte etwas Unwirkliches und Bezwingendes. Nur das Geräusch des an den dichten Seerosenblätter-Inseln vorbeistreifenden Bootsrumpfs war zu vernehmen. Die Frösche waren ängstlich verstummt.

Als sie ins schwarze, klare Wasser der Teichmitte gelangten, bremste Philippe den Kahn ab. Er schien sich aufmerksam umzusehen. Sie waren weitab vom Ufer, und das weiße Schloß war nur noch eine ferne Vision. Schweigend ergriff der Marquis du Plessis abermals das Kästchen, dessen Verschwinden seine Familie jahrelang Tag und Nacht beunruhigt hatte. Entschlossen warf er es ins Wasser. Es versank, und rasch glätteten sich die Wellenkreise, die von der Stelle seines Falls ausgingen.

Dann glitt Philippes Blick zu Angélique, und sie erzitterte. Er stand langsam auf und setzte sich neben sie. Diese Geste, die zu solcher Stunde und in einer so zauberhaften Szenerie die eines Verliebten hätte sein können, ließ sie vor Angst erstarren.

Langsam, mit jener Grazie, die jeder seiner Bewegungen eigen war, hob er beide Hände und legte sie um Angéliques Hals.

»Und jetzt werde ich Euch erwürgen, meine Schöne«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »und Ihr werdet zusammen mit Eurem verfluchten Kästchen auf den Grund des Wassers sinken.«

Sie zwang sich, sich nicht zu rühren. Er war betrunken oder wahnsinnig. Jedenfalls war er zu allem fähig, und sie war ihm ausgeliefert. Sie konnte weder rufen noch sich wehren. Mit einer fast unmerklichen Bewegung lehnte sich ihr Kopf an seine Schulter. An ihrer Stirn fühlte sie die Berührung einer Wange, die zu dieser späten Stunde rauh geworden war, einer wohltuenden Männerwange. Alles versank ins Nichts ... Der Mond wanderte am Himmel, das Kästchen ruhte auf dem Grunde des Wassers, der letzte Akt der Tragödie hob an, und es war ganz in der Ordnung, daß Angélique de Sancé so durch die Hand eines jungen Mannes starb, der schön war wie ein Gott und Philippe du Plessis hieß.

Plötzlich kam sie wieder zu Atem, und die Umklammerung, die sie zu ersticken drohte, löste sich. Philippe starrte sie mit zusammengebissenen Zähnen und wutverzerrtem Gesicht an.

»Zum Teufel!« fluchte er. »Vermag denn keine Angst Euren verdammten, stolzen, kleinen Kopf zu beugen, Euch zum Schreien, zum Winseln zu bringen? Nur Geduld, wir werden es schon schaffen!«

Brutal stieß er sie von sich und ruderte zurück.

Als sie von neuem festen Boden unter den Füßen hatte, widerstand sie der Versuchung davonzulaufen. Sie wußte nicht mehr, was tun. Sollte sie Philippe ermuntern, noch mehr zu trinken, damit er sie in Ruhe ließ? Sollte sie ihn hart anfahren oder im Gegenteil versuchen, ihm ins Gewissen zu reden? Ihre Gedanken blieben wirr. Ihr Hals schmerzte sie heftig, und sie bedeckte ihn mit den Händen.

Er beobachtete sie mit argwöhnischer Aufmerksamkeit. Diese Frau schien nicht von der üblichen Art zu sein. Weder Tränen noch Schreie; sie zitterte nicht einmal. Sie trotzte ihm, obgleich er der Beleidigte war. Sie hatte ihn erpreßt, gedemütigt, wie kein Mann es hinnehmen konnte. Auf eine solche Kränkung mußte ein Edelmann mit dem Degen antworten. Aber was tat man mit einer Frau? Welche Genugtuung sollte man von diesem aalglatten, schlaffen, scheinheiligen Geschlecht verlangen, das einen mit Worten listig einwickelte, bis man am Ende genarrt dastand und sich womöglich noch selbst schuldig vorkam?

Oh, sie blieben nicht immer Sieger! Er wußte, wie man sich an ihnen rächte. Er hatte sich an ihren Tränen geweidet, am demütigen Flehen jener Mädchen und Frauen, denen er an den Abenden nach den Schlachten Gewalt antat, um sie dann seinen Männern zu überlassen.

Das war seine Rache für die Demütigungen, die sie ihm in seinen Jünglingsjahren zugefügt hatten.

Aber diese da, wie konnte man sie niederzwingen? Hinter dieser gewölbten, glatten Stirn, hinter diesem meergrünen Blick verbargen sich alle weiblichen Listen, versteckte sich die ganze gewitzte Kraft ihres Geschlechts. Jedenfalls glaubte er das. Er wußte nicht, daß Angélique zitterte und sich zu Tode erschöpft fühlte. Wenn sie ihm trotzte, so deshalb, weil sie es gewohnt war, den Schmerzen zu trotzen, unablässig zu kämpfen.

Wie ein grober Wächter packte er sie am Arm und brachte sie ins Schloß zurück. Als sie die große Treppe hinaufstiegen, gewahrte sie, daß er im Vorbeigehen nach einer an der Wand hängenden Hundepeitsche griff.

Angélique zuckte zurück.

»Wir wollen uns hier trennen, Philippe. Ihr seid betrunken. Wozu uns länger streiten. Morgen .«

»Oh, nicht doch!« sagte er sarkastisch. »Vergeßt nicht, daß ich noch meine ehelichen Verpflichtungen zu erfüllen habe. Aber zuvor sollt Ihr ein wenig gezüchtigt werden, damit Euch die Lust am Erpressen vergeht. Denkt daran, Madame, daß ich Euer Gebieter bin und alle Macht über Euch habe.«

Sie wollte sich ihm entwinden, aber er hielt sie fest und versetzte ihr einen Schlag mit der Peitsche, als habe er eine widerspenstige Hündin vor sich.

Angélique stieß einen Schrei aus, der eher eine Reaktion der Empörung als des Schmerzes war.

»Philippe, Ihr seid wahnsinnig!«

»Ihr werdet mich um Verzeihung bitten«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ihr werdet mich um Verzeihung bitten für das, was Ihr getan habt!«

»Nein!«

Er zerrte sie in ihr Zimmer, verschloß die Tür und begann, mit einer Präzision auf sie einzuschlagen, die auf lange Übung schließen ließ. Die Arme vorm Gesicht, um es zu schützen, wich sie zur Wand zurück und drehte sich unwillkürlich um. Jeder Schlag ließ sie erzittern, und sie biß sich auf die Lippen, um nicht zu stöhnen. Indessen überkam sie ein merkwürdiges Gefühl, und wenn sie anfangs aufbegehrt hatte, so empfand sie die Züchtigung jetzt als eine gerechte Strafe.