Er hielt inne und versank einen Augenblick in Nachdenken, während sein Blick forschend auf Angéliques Gesicht ruhte. Sein Lächeln erlosch, und die Gestalt des Monarchen schien wie vom Blitz getroffen zu erstarren. Vor den Augen der zunächst verblüfften, dann erschrockenen Höflinge erblaßte er. Der Vorgang konnte niemandem entgehen, denn der König hatte die kräftige Hautfarbe der Sanguiniker, und sein Chirurg mußte ihn häufig zur Ader lassen.
»Stammt Ihr nicht aus dem Süden, Madame?« fragte er schließlich in brüskem Ton. »Aus Toulouse .?«
»Nein, Sire, meine Frau stammt aus dem Poitou«, fiel Philippe sofort ein. »Ihr Vater ist der Baron de Sancé de Monteloup, dessen Besitzungen in der Gegend von Niort liegen.«
»O Sire! Wie könnt Ihr eine Bewohnerin des Poitou mit einer Dame aus dem Süden verwechseln!« sagte Athénaïs de Montespan und brach in ihr hübsches Lachen aus.
Der tapfere Einwurf der jungen Frau, die sich dank der erwachenden Gunst des Königs dergleichen Keckheiten erlauben konnte, löste die allgemeine Verlegenheit. Die Farbe kehrte in das Gesicht des Monarchen zurück. Er zwinkerte Athénaïs belustigt zu.
»Freilich vereinigen die Frauen des Poitou alle Reize des Nordens und des Südens in sich«, seufzte er. »Aber nehmt Euch in acht, Madame, daß Monsieur de Montespan nicht genötigt ist, sich mit allen Gaskognern der Nachbarschaft einzulassen, die die ihren Damen zugefügte Beleidigung rächen möchten.«
»Habe ich sie beleidigt, Sire? Das lag nicht in meiner Absicht. Ich wollte nur sagen, daß man, sind auch die Reize beider Rassen gleich attraktiv, sie dennoch nicht miteinander vergleichen kann. Eure Majestät möge mir meine harmlose Bemerkung verzeihen.«
Das Lächeln der großen, blauen Augen war nichts weniger als zerknirscht, aber zweifellos unwiderstehlich.
»Ich kenne Madame du Plessis seit vielen Jahren«, fuhr Madame de Montespan fort. »Wir sind zusammen aufgewachsen. Ihre Familie ist mit der meinen verwandt .«
In ihrem ganzen Leben würde Angélique nie vergessen, was sie Athénaïs de Montespan verdankte. Was für Berechnungen ihrem Vermitteln auch zugrunde liegen mochten - sie hatte ihre Freundin gerettet.
Der König verneigte sich abermals mit einem besänftigten Lächeln vor Angélique du Plessis.
»Nun denn! Versailles ist beglückt, Euch begrüßen zu dürfen, Madame. Seid willkommen!«
Etwas leiser setzte er hinzu: »Wir sind erfreut, Euch wiederzusehen.«
Aus diesem letzten Wort ersah sie, daß er sie erkannt hatte, daß er sie aber trotzdem aufnahm und das Vergangene auslöschen wollte.
Ein letztes Mal zuckte die Flamme eines Scheiterhaufens zwischen ihnen auf.
In eine tiefe Reverenz versunken, fühlte Angélique eine Flut von Tränen in ihre Augen steigen.
Der König hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Sie konnte sich erheben und flüchtig ihre Augen trocknen. Dann warf sie Philippe einen ein wenig verlegenen Blick zu.
»Wie soll ich Euch danken, Philippe?«
»Mir danken?« stieß er unwirsch hervor. »Ich mußte meinen Namen vor der Lächerlichkeit bewahren! Ihr seid meine Frau, zum Teufel! Ich bitte Euch, in Zukunft daran zu denken. Einfach so nach Versailles zu kommen ...! Ohne eingeladen, ohne eingeführt zu sein! Und mit welcher Unverfrorenheit Ihr den König angeschaut habt ...! Kann man Euch denn wirklich Euren teuflischen Trotz nicht austreiben?«
Es schwang beinahe etwas wie Achtung in seiner Stimme.
»Oh, bitte, Philippe«, sagte sie, mit ihrem Fächer spielend, »verderbt mir nicht diesen schönen Tag!«
Sie sah lächelnd zu ihm auf. Die Tränen hatten in ihren Augen einen irisierenden Glanz zurückgelassen. Eine winzige, kaum wahrnehmbare Spur von Spott glitzerte in ihnen, aber noch etwas anderes ruhte in den flimmernden Tiefen ihrer blaugrünen Unergründlichkeit, etwas, das Philippe, sosehr er auch widerstrebte, auf eine ihm unbegreifliche Weise berührte. Es war etwas, das zwischen ihnen Gemeinsames schaffte, sie auf eine Art verband, die er nicht wollte und die er sich auf jeden Fall nicht erklären konnte. Einen flüchtigen Moment lang dachte er an das kleine Mädchen, das ihn vor langer Zeit im Dämmer des Treppenhauses von Monteloup mit zornsprühenden Augen angestarrt hatte. Wenn nichts sonst, war dieses Geschöpf doch von einem beachtlichen Stolz gewesen.
Er straffte die Schultern, wie um die ungewohnten Empfindungen abzuschütteln, und wandte sich zum Gehen.
»Kommt, Madame«, sagte er kühl. »Unser Zurückbleiben fällt auf. Ich habe kein Verlangen, dem Hof das absurde Bild eines jungen Ehemannes zu bieten, der das Bedürfnis verspürt, mit seiner Frau allein zu sein.«
Mit einem leisen Druck ihres Fächers hielt Angélique ihn zurück.
»Und es wäre doch nur das Natürlichste von der Welt«, murmelte sie, »und würde überdies gewiß die Lästerzungen zum Schweigen bringen, die sich schon anschicken, weidlich über uns herzuziehen.«
»Über Euch!«
»Die Eure Gattin ist«, sagte Angélique heiter. »Muß ich Euch daran erinnern, daß ich ebenfalls Euren Namen trage, den Ihr so sehr vor Lächerlichkeit zu bewahren wünscht.«
Philippe griff hart nach ihrem Arm, und für eine Sekunde sah sie jähzornige Funken in seinen hellen Augen aufspringen. Doch schon in der nächsten lok-kerte sich sein Griff. »Ihr seid wahrhaftig unbezahlbar, Madame«, sagte er halblaut. »Mich an die Wahrung meines guten Namens zu erinnern, den nur Ihr in Gefahr gebracht habt.«
Er trat einen halben Schritt zurück, deutete spöttisch eine Verbeugung an und fuhr fort: »Ich könnte fast Eure Haltung bewundern.«
Angélique übersah seinen Spott. Mit schräg geneigtem Kopf blickte sie ihn über die leicht und regelmäßig hin und her wehende Spitzenkante ihres Fächers an.
»Wißt Ihr«, sagte sie nachdenklich, »was mir eine gute Freundin einst über Euch verriet? Ihr wäret viel weniger nett, als Ihr ausseht, wenn man Euch kenne, aber viel netter, als Ihr ausseht, wenn man Euch erst besser kennenlernte.«
Philippe hatte einen ungeduldigen Blick zum Ende der Galerie geworfen, wo die bunte Höflingsschar um den König eben geräuschvoll über die Treppe in den Park hinunter verschwand. Nun starrte er sie argwöhnisch an.
»Was Ihr nicht sagt! Und was soll dieser Orakelspruch Eurer Freundin bedeuten?«
Sie ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie spürte die Unsicherheit, die in ihm war und die auch sein barsches Benehmen nicht verbarg. Er war ein anderer, das fühlte sie genau, als der, der in ihrem Traumschloß Plessis-Bellière in blinder Wut Rache an ihr genommen hatte. Er hatte geglaubt, sie mit seiner Brutalität und Verachtung besiegt, sie ein für allemal in ihre Schranken und aus dem Vordergrund seines Daseins verwiesen, ihr unmißverständlich gezeigt zu haben, welche jämmerliche Rolle sie fürderhin in seinem Schatten spielen würde. Und nun hatte sie ihn durch ihren Auftritt bei Hofe gezwungen, sich in aller Öffentlichkeit, ja sogar vor dem König zu ihr zu bekennen. »Eure Majestät möge mir verstatten, Ihr meine Frau, die Marquise du Plessis-Bellière, vorzustellen ...« Angélique lächelte der Erinnerung zu. Wenn Philippe überhaupt Achtung vor Menschen empfand, dann vor solchen, deren Stolz es nicht zuließ, daß sie sich beugten. Und Achtung war etwas, worauf sich eine Ehe schon aufbauen ließ.
»Nun, ich habe Euch etwas gefragt«, ließ er sich verärgert vernehmen.
Sie nahm seinen Arm und lenkte ihn langsam an der Estrade entlang den anderen nach. Über ihrer hochgetürmten Frisur wehten die seidig-weißen Federn wie fröhliche Wimpel der Zuversicht.
»Ich meinte«, sagte sie, »daß das, was da aus sehr berufenem Munde so hübsch über Euch gesagt wurde, auch auf mich zutreffen könnte. Ihr kennt mich kaum, Philippe, aber ich wünschte von Herzen, daß Ihr mich besser kennenlerntet.«
Sie sah von neuem zu ihm auf, und diesmal war ihr Blick klar und ernst, und nichts war in ihm, das ihn an das Berechnende, Habgierige, Listig-Verschlagene des Weibes gemahnte, das er zu hassen gelernt hatte.
Für einen kurzen überraschenden Augenblick legte sie ihre Stirn an die steife, kühle Seide seiner Brust, und wie in ihrer seltsamen Hochzeitsnacht weckte der zarte, gebeugte Nacken, der da schlank aus der Pracht des grünsilbrigen Brokats herauswuchs, jenes mysteriöse, fast zärtliche Gefühl, das er niemals zuvor gekannt hatte.
»Eure Haltung, Madame«, murmelte er mahnend, und diesmal lag keine Härte in seiner Stimme.
Gleich darauf schritten sie weiter, und während sie sich von ihm der Treppe zuführen ließ, war ihr Herz voller Hoffnung. Sie würde nicht mehr zurückblik-ken. Was gewesen war, war gewesen, so vernichtend sie jener Schlag auch getroffen hatte. Aber darauf kam es nicht an. Es kam darauf an, daß man überwand, daß man nicht liegenblieb, wenn einen das Schicksal zu Boden schleuderte, sondern alle Kräfte zusammenraffte, Schritt für Schritt sich wieder erhob, die Verzweiflung bezwang und das Herz bereit für das Kommende machte. Es würde gewiß nie wieder so sein, wie es einstmals gewesen war, aber auch mit dem dunklen Ballast des Leides würde man leben und froh sein können.
Sie verhielt zögernd den Schritt. Vor ihnen sank die breite Marmorkaskade der Treppe über Terrassen und Absätze in den Park hinab.
Sie hatten sich der Hofgesellschaft wieder angeschlossen und waren im Park angelangt. Das blaue Rieseln des Himmels, das sich mit dem der Wasserspiele mischte, die Sonnenstrahlen, die sich glitzernd auf der glatten Oberfläche der beiden großen Bassins der ersten Terrasse brachen, versetzten Angélique in sprachloses Staunen. Sie glaubte durch ein Paradies zu wandern, in dem sich jede Einzelheit wie in den elysäischen Gefilden der Antike auf geheimnisvolle Weise harmonisch ineinanderfügte.
Von der Terrasse aus konnte sie das herrliche Muster der schachbrettartig angeordneten Baumreihen sehen, die vom Reigen der weißen Marmorstatuen längs der kiesbestreuten Alleen begleitet wurden. Blumenrabatten breiteten sich buntschillernd wie Teppiche bis zum Horizont.
Angélique blieb regungslos stehen und hob in kindlichem Entzücken die Hände zum Mund. Ein sanfter Wind wehte ihr die weißen Federn ihres Kopfputzes ins Gesicht.
Am Fuß der Treppe fuhr die Kalesche des Königs vor. Schon im Begriff, einzusteigen, besann er sich eines andern und stieg noch einmal die Stufen hinauf. Angélique sah ihn plötzlich allein neben sich, denn durch eine kaum wahrnehmbare Geste hatte er die andern zum Zurückbleiben veranlaßt. »Ihr bewundert Versailles, Madame?« erkundigte er sich.
Angélique machte eine Reverenz und erwiderte anmutig:
»Sire, ich danke Eurer Majestät, daß Sie Ihren Untertanen soviel Schönheit vor Augen führt. Die Geschichte wird Ihr dafür dankbar sein.«
Ludwig XIV. schwieg eine Weile. Nicht etwa, weil das Lob, an das er gewöhnt war, ihn verwirrt hätte, sondern weil es ihm schwerfiel, das auszudrücken, was er sagen wollte.
»Seid Ihr glücklich?« fragte er schließlich.
Angélique blickte zur Seite, und in Sonne und Wind wirkte sie plötzlich jünger, fast kindlich, wie ein junges Mädchen, das weder Sorge noch Schmerz kennt.
»Muß man in Versailles nicht glücklich sein?«
»Dann weint nicht mehr«, sagte der König, »und macht mir heute die Freude, zu mir in die Kalesche zu steigen. Ich möchte Euch den Park zeigen.«
Angélique legte ihre Hand in die Ludwigs XIV. Mit ihm zusammen schritt sie langsam die Stufen hinab. Die Höflinge verneigten sich, als sie an ihnen vorüberkamen.
Während sie neben Athénaïs de Montespan Platz nahm, den beiden Prinzessinnen und Seiner Majestät gegenüber, gewahrte sie flüchtig Philippes Gesicht, und es war ihr, als lächle er ihr zu. Ja, er lächelte, sie war dessen gewiß.
Sie hätte sich in die Lüfte schwingen mögen, so leicht fühlte sie sich. Die Zukunft erschien ihr blauer noch als der Horizont. Nun war Wirklichkeit geworden, was Sinn und Absicht ihres Strebens gewesen war: Ihre Söhne würden nie mehr in Armut leben. Sie würden auf der Akademie von Mont-Parnasse zu Edelleuten erzogen werden. Sie selbst würde eine der gefeiertsten Frauen des Hofes sein.
Und da der König es ausdrücklich gewünscht hatte, wollte sie versuchen, die Bitterkeit aus ihrem Herzen zu vertreiben. Im Grunde wußte sie genau, daß das Feuer der Liebe, das sie verzehrt hatte, das furchtbare Feuer, das ihre Liebe verzehrt hatte, nie erlöschen würde.
Doch das Schicksal, das nicht ungerecht ist, wollte, daß Angélique für eine Weile auf dem verwunschenen Hügel haltmachte, um aus dem Rausch der Erfüllung und dem Triumph ihrer Schönheit neue Kräfte zu schöpfen.
Danach würde sie ihren abenteuerlichen Lebensweg weitergehen. Aber heute fürchtete sie nichts mehr. Sie hatte Philippe bezwungen, sie hatte den König gewonnen. Sie war in Versailles!
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