»Werde ich mein ganzes Leben lang solche Reden anhören müssen?« fragte sie sich verdrossen.
Währenddessen rollten die Lakaien große Fässer in den Saal, die auf Schemel gehoben und alsbald angestochen wurden.
»Saint-Emilion«, sagte Graf Carbon-Dorgerac, der aus Bordeaux stammte, »Sauternes, Médoc .«
An Apfelmost und Krätzer gewöhnt, kosteten die Bewohner von Schloß Monteloup nun mit Bedacht die angekündigten Sorten. Aber bald wurden Denis und die drei Kleinsten allzu vergnügt. Der berauschende Duft stieg ihnen in den Kopf. Angélique fühlte sich immer aufgeräumter werden. Sie sah ihren Vater lachen und nach alter Sitte und unbekümmert um seine abgetragene Leibwäsche den Rock öffnen. Doch schon knöpften auch die Edelleute ihre kurzen, ärmellosen Wämser auf; einer von ihnen nahm sogar seine Perücke ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, und setzte sie danach ein wenig schief wieder auf.
Marie-Agnès packte ihre Schwester am Arm und schrie ihr gellend ins Ohr:
»Angélique, komm doch schnell! Schau dir nur die märchenhaften Dinge in deinem Zimmer an .!«
Sie ließ sich mitschleppen.
In den großen Raum, in dem sie so lange mit Hortense und Madelon geschlafen hatte, waren mächtige Laden aus Eisen und gegerbten Fellen gebracht worden, die man damals »Garderobe« nannte. Diener und Mägde hatten sie geöffnet und breiteten ihren Inhalt auf dem Boden und auf einigen beinlahmen Sesseln aus. Auf dem monumentalen Bett erblickte Angélique ein Kleid aus grünem Taft, der die gleiche Farbe wie ihre Augen hatte. Eine Spitze von ungewöhnlicher Feinheit garnierte das mit Fischbein verstärkte Mieder, und der Brusteinsatz war gänzlich mit Diamanten und Smaragden in blumenförmiger Anordnung bestickt. Das gleiche Blumenmuster wies auch der schwarze Samt der Mantille auf. Diamantenagraffen rafften ihn an den Seiten des Rockes hoch.
»Euer Hochzeitskleid«, sagte der Marquis d’Andijos, der ihnen gefolgt war. »Graf Peyrac hat unter den Stoffen, die er aus Lyon kommen ließ, lange nach einer zu Euern Augen passenden Farbe gesucht.«
»Er hat sie nie gesehen«, protestierte sie.
»Molines hat sie ihm genauestens beschrieben: >Das Meer<, hat er gesagt, >wie man es vom Ufer aus erblickt, wenn die Sonne bis zum Sand in seine Tiefen taucht.«
»Dieser Sapperments-Molines!« rief der Baron aus. »Ihr wollt mir doch nicht glauben machen, daß er ein solcher Poet ist! Ich habe Euch im Verdacht, Marquis, daß Ihr die Wahrheit verbrämt, um die Augen einer jungen Braut strahlen zu sehen, die sich über eine solche Aufmerksamkeit ihres Verlobten geschmeichelt fühlt.«
»Und dies hier! Und das! Schau doch, Angélique!« rief Marie-Agnès, deren Gesichtchen vor Aufregung glühte, immer wieder aus.
Mit ihren kleinen Brüdern Albert und Jean-Marie hob sie die feine Wäsche hoch, öffnete die Schachteln, in denen Bänder und Spitzenzeug ruhten, oder Fächer aus Pergament und Federn. Da gab es weitere schlichte, aber höchst elegante Kleider, Handschuhe, Gürtel, eine kleine goldene Uhr und tausend andere Dinge, von denen Angélique nicht einmal ahnte, wozu sie dienten, wie etwa eine kleine Perlmutterdose, in der sich eine Auswahl »Fliegen« aus schwarzem Samt auf gummierter Unterlage befanden.
»Es gehört zum guten Ton«, erklärte Graf Carbon-Dorgerac, »daß Ihr diese kleinen Schönheitspflästerchen an irgendeiner Stelle Eures Gesichts anbringt.«
»Mein Teint ist nicht so weiß, daß ich Anlaß hätte, ihn noch zu betonen«, sagte sie, indem sie die Dose wieder schloß.
Angesichts einer solchen Überfülle zögerte sie, sich dem instinktiven Entzücken einer jungen Frau hinzugeben, die sich zum erstenmal ihrer Freude an Schmuck und schönen Dingen bewußt wird.
»Und was dies hier betrifft«, fragte der Marquis d’Andijos, »sträubt sich dagegen auch Euer Teint?«
Er öffnete ein flaches Kästchen, und in dem Raum, in dem sich Mägde, Lakaien und Knechte drängten, erhoben sich Ausrufe der Bewunderung, die in ein allgemeines Gemurmel übergingen.
Auf dem weißen Atlas schimmerte eine dreifache Reihe von Perlen reinsten, ein wenig golden glänzenden Lichts. Nichts konnte besser zu einer jungen Braut passen. Ohrringe vervollständigten das Ganze, wie auch zwei Reihen kleinerer Perlen, die Angélique zuerst für Armbänder hielt.
»Das ist ein Haarschmuck«, erklärte der Marquis d’Andijos, der trotz seines Wanstes und seiner Kriegerallüren über die Nuancen der Eleganz völlig im Bilde zu sein schien. »Ihr richtet damit Eure Haarkrone auf. Allerdings kann ich Euch nicht genau sagen, auf welche Weise.«
»Ich werde Euch den Kopf putzen, Madame«, mischte sich eine große und kräftige Magd ein, indem sie herantrat.
Wenn auch jünger, glich sie doch auffallend der Amme Fantine Lozier. Dieselbe von weit zurückliegenden Invasionen herrührende sarazenische Flamme hatte der einen wie der andern die Haut verbrannt. Schon warfen sie einander aus ihren gleichfalls dunklen Augen feindselige Blicke zu.
»Das ist Marguerite, die Milchschwester des Grafen Peyrac. Diese Frau hat in den Diensten der großen Damen von Toulouse gestanden und ist ihren Herrinnen oftmals nach Paris gefolgt. Sie wird künftig Eure Kammerfrau sein.«
Geschickt nahm die Magd das schwere, goldkäfer-farbene Haar hoch und schloß es in das Perlengeflecht ein. Dann löste sie mit unbarmherziger Hand die kleinen, bescheidenen Steine von Angéliques Ohr, die Baron de Sancé seiner Tochter zu ihrer Erstkommunion geschenkt hatte, und brachte den prächtigen Schmuck an. Sodann kam das Halsband an die Reihe.
»Eigentlich müßte der Busen weiter entblößt sein«, rief der kleine Baron Cerbaland, dessen Augen, schwarz wie Brombeeren nach dem Regen, die anmutigen Formen des Mädchens zu erraten suchten.
Der Marquis d’Andijos versetzte ihm ohne Umstände einen Stockhieb auf den Kopf.
Endlich kam ein Page mit einem Spiegel hereingestürzt, und Angélique erblickte sich in ihrem neuen Glanz. Alles an ihr schien zu leuchten, selbst ihre glatte, an den Backenknochen schwach rosig gefärbte Haut. Ein plötzliches Glücksgefühl keimte in ihr auf
und teilte sich ihren Lippen mit, die sich zu einem reizenden Lächeln öffneten.
»Ich bin schön«, sagte sie zu sich.
Doch schon trübte sich alles wieder, und aus der Tiefe des Spiegels glaubte sie das furchtbare Hohngelächter aufsteigen zu hören.
»Er hinkt! Er hinkt! Er ist häßlicher als der Teufel. Oh, welch schönen Gatten Ihr da haben werdet, Mademoiselle de Sancé!«
Die Trauung mit dem Stellvertreter des Bräutigams fand eine Woche darauf statt, und die Lustbarkeiten dauerten drei Tage. Man tanzte in allen Nachbardörfern, und am Abend der Hochzeit wurden Böller und Feuerwerkskörper abgeschossen.
Im Schloßhof und bis zu den nahe gelegenen Wiesen waren große Tische aufgebaut, auf denen Humpen mit Wein und Most und alle Arten Fleisch und Obst standen, an denen sich die Bauern gütlich taten, während sie sich über die lärmenden Gaskogner und Toulousaner lustig machten, deren baskische Trommler, Lautenspieler, Geiger und Zimbelisten über den Dorfspielmann und den Schalmeienbläser die Nase rümpften.
Am Abend vor der Abreise der Braut nach dem fernen Lande Languedoc gab es ein großes Festessen im Schloßhof, das alle Honoratioren und die Schloßherren der Umgebung vereinigte. In dem großen Schlafzimmer, wo Angélique des Nachts so manches Mal dem Knarren der riesigen Wetterfahnen des alten Schlosses gelauscht hatte, half ihr die Amme beim Ankleiden. Nachdem sie liebevoll das prachtvolle Haar gebürstet hatte, reichte sie ihr das türkis-farbene Mieder und befestigte dann den juwelenbesetzten Gürtel.
»Wie schön du bist! Ach, wie schön du bist, mein Schätzchen!« seufzte sie mit verzückter Miene. »Deine Brust ist so fest, daß sie all dieser Verschnürungen gar nicht bedarf.«
»Bin ich nicht zu tief dekolletiert, Nounou?«
»Eine große Dame soll ihre Brüste zeigen. Nein, wie schön du bist - und für wen, großer Gott?« seufzte sie mit erstickter Stimme.
Angélique sah, daß über das Gesicht der alten Frau Tränen rannen.
»Weine nicht, Nounou«, sagte sie, »du nimmst mir ja allen Mut!«
»Ach, du wirst ihn brauchen, mein Kind ... Neig den Kopf, damit ich deine Halskette festmache. Was die Haarperlen angeht, so überlasse ich Margot das Feld. Ich verstehe mich nicht auf diese Schlangengebilde!«
Sie ließ sich auf die Knie nieder, um auf dem Boden die Schleppe zu ordnen, und Angélique hörte sie schluchzen.
»Vergib mir, daß ich dich nicht zu bewahren vermocht habe, mein Kind, ich, die ich dich mit meiner Milch genährt habe. Aber seitdem ich von jenem Manne reden höre, kann ich kein Auge mehr zutun.«
»Was sagt man von ihm?«
Die Amme richtete sich auf; wieder einmal bekam sie ihren starren, prophetischen Blick.
»Voller Gold! Voller lauteren Goldes ist sein Schloß ...«
»Es ist doch keine Sünde, Gold zu besitzen, Amme. Schau dir all die Geschenke an, die er mir gemacht hat. Ich bin ganz beglückt.«
»Laß dich nicht täuschen, Kind. Auf diesem Gold liegt ein Fluch. Er macht es mit seinen Retorten und Zaubersprüchen. Einer von den Pagen, der, der so gut Tamburin spielt, Henrico, hat mir gesagt, daß es in seinem Palast in Toulouse eine ganze Zimmerflucht gibt, die niemand betreten darf. Derjenige, der den Zugang bewacht, ist ein vollkommen schwarzer Mann, so schwarz wie der Grund meiner Kochkessel. Eines Tages, als der Wächter sich entfernt hatte, hat Henrico durch eine Türspalte einen großen Saal voller Glaskugeln, Retorten und Röhren gesehen. Und das pfiff und brodelte! Und plötzlich gab es eine Flamme und ein donnerähnliches Geräusch. Henrico ist davongelaufen.«
»Dieser Bursche hat eine blühende Phantasie wie alle Leute aus dem Süden.«
»Ach, es lag ein Ton von Aufrichtigkeit und Entsetzen in seiner Stimme, der einen nicht täuscht. Dieser Graf Peyrac ist ein Mann, der Macht und Reichtum vom Teufel erworben hat. Und auch die Frauen lockt er durch seltsame Zauberkünste an«, flüsterte die Amme weiter. »In seinem Palais finden Orgien statt. Der Erzbischof von Toulouse soll ihn von der Kanzel herab bloßgestellt und verdammt haben. Und der gottlose Diener, der mir die Geschichte gestern in meiner Küche unter unbändigem Gelächter erzählte, hat gesagt, auf die Predigt hin habe Graf Peyrac seinen Leuten befohlen, die Pagen und Sänftenträger des Erzbischofs zu verprügeln, und es sei bis in die Kathedrale hinein zu Schlägereien gekommen. Glaubst du, so etwas wäre bei uns möglich? Und all das Gold, das er besitzt - woher bekommt er es? Seine Eltern haben ihm nichts als Schulden und überbelasteten Grundbesitz hinterlassen. Er ist ein Edelmann, der weder beim König noch bei den Großen seine Aufwartung macht. Man erzählt, der Graf habe, als Monsieur d’Orléans, der Statthalter des Languedoc, nach Toulouse gekommen sei, sich geweigert, das Knie vor ihm zu beugen, unter dem Vorwand, es strenge ihn zu sehr an, und als Monsieur ihn ganz gelassen darauf aufmerksam machte, daß er an höchster Stelle große Vorteile für ihn erwirken könne, soll Graf Peyrac geantwortet haben .«
Die alte Fantine hielt inne und heftete hier und dort einige Nadeln an den gleichwohl gutsitzenden Rock.
»Was soll er geantwortet haben?«
»Daß ... daß, wenn jener auch einen langen Arm habe, er selber dadurch kein längeres Bein bekäme. Das ist eine Unverfrorenheit!«
»Es stimmt also, was man sich erzählt, daß er hinkt?« fragte sie, um einen gleichgültigen Ton bemüht.
»Es stimmt leider Gottes, mein Herzchen. Ach, und du bist so schön!«
»Schweig, Amme. Ich habe genug von deinem Geseufze. Ruf Margot, damit sie mich frisiert, und hör mir mit diesen Geschichten über den Grafen Peyrac auf. Vergiß nicht, daß er von nun an mein Gatte ist.«
Als es dunkel geworden war, hatte man im Hof Fackeln angezündet. Die auf der Freitreppe installierten Musiker bildeten ein kleines, aus zwei Viellen, einer Laute, einer Flöte und einer Hoboe bestehendes Orchester, das gedämpft die lärmenden Unterhaltungen begleitete. Angélique verlangte plötzlich, man möge den Dorfmusikanten holen, der sonst den Bauern auf der großen Wiese zu Füßen des Schlosses zum Tanz aufspielte. Ihr Ohr war an diese andere, ein wenig gezierte, für den Hof und die Feste der Adligen geschaffene Musik nicht gewöhnt. Ein letztes Mal wollte sie die sanften Dudelsackweisen und den kecken Klang der Schalmei hören, den das dumpfe Stampfen der bäuerlichen Holzschuhe skandierte.
Der Himmel war mit Sternen geschmückt, aber von einem leichten Dunst überzogen, der einen goldenen Hof um den Mond legte. Die Schüsseln und die guten Weine zogen unaufhörlich vorbei. Ein Korb mit runden, noch warmen Semmeln wurde vor Angélique gestellt und blieb dort stehen, bis die junge Frau den Blick zu dem erhob, der ihn ihr darreichte. Sie sah einen großen Mann, der mit einem jener weiten, hellgrauen Gewänder bekleidet war, wie sie die Müller tragen. Da ihn das Mehl wenig kostete,
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