waren seine Haare ebenso reichlich gepudert wie die der Schloßherrn.
»Hier ist Valentin, der Sohn des Müllers, der der Braut sein Angebinde überbringen möchte«, rief Baron Armand aus.
»Valentin«, lächelte Angélique, »ich habe dich seit meiner Rückkehr noch nicht gesehen. Fährst du immer noch mit deinem Kahn durch die Kanäle, um für die Mönche von Nieul Angelika zu pflücken?«
Der junge Mann verbeugte sich sehr tief, ohne zu antworten. Er wartete, bis sie sich bedient hatte, dann nahm er seinen Korb und bot ihn reihum an. Er verlor sich in der Menge und in der Nacht.
»Wenn all diese Leute schweigen würden, könnte ich zu dieser Stunde die Unken im Moor hören«, dachte Angélique. »Wenn ich nach Jahren wiederkommen werde, höre ich sie vielleicht nicht mehr, denn dann wird das Moor trockengelegt sein.«
»Ihr müßt unbedingt von diesem hier kosten«, sagte an ihrem Ohr die Stimme des Marquis d’Andijos.
Er bot ihr ein Gericht von wenig einladendem Aussehen an, dessen Geruch jedoch köstlich war.
»Es ist ein Ragout aus grünen Trüffeln, Madame, die ganz frisch aus dem Périgord gekommen sind. Ihr müßt wissen, daß die Trüffel magische Kräfte besitzt. Es gibt kein begehrteres Gericht, um den Körper einer jungen Braut auf den Empfang der Huldigungen ihres Gatten vorzubereiten. Die Trüffel macht das Herz warm, das Blut feurig und die Haut für Liebkosungen empfindlich.«
»Nun, ich sehe keinen Anlaß, heute abend davon zu essen«, sagte Angélique kühl, indem sie die silberne Schüssel wegschob, »da ich meinem Gatten erst in einigen Wochen begegnen werde .«
»Aber Ihr müßt Euch darauf vorbereiten, Madame. Glaubt mir, die Trüffel ist die beste Freundin der Ehe. Bei solch auserlesener Kost werdet Ihr am Abend Eurer Hochzeit die Zärtlichkeit selbst sein.«
»In unserer Gegend«, sagte Angélique, während sie ihm mit einem feinen Lächeln ins Gesicht blickte, »stopft man die Gänse vor Weihnachten mit Fenchel, damit ihr Fleisch in der Nacht, da man sie gebraten verspeist, schmackhafter ist!«
Der angetrunkene Marquis brach in Lachen aus.
»Ach, wie gern wäre ich derjenige, der diese kleine Gans knabbert, die Ihr seid«, erklärte er, während er so nahe heranrückte, daß sein Schnurrbart ihre Wange berührte. »Gott soll mich verdammen«, fügte er hinzu, indem er sich, die Hand auf dem Herzen, aufrichtete, »wenn ich mich zu weiteren unschicklichen Worten hinreißen lasse. Ach, ich bin ja nicht allein schuldig, denn man hat mich getäuscht! Als mein Freund Joffrey de Peyrac mich bat, bei Euch die Rolle des Ehemanns zu spielen und die Formalitäten zu erledigen, ohne zugleich die entsprechenden reizvollen Rechte zu haben, da ließ ich ihn schwören, daß Ihr bucklig seid und schielt, aber ich sehe, daß es ihm wieder einmal gar nichts ausmacht, mich in schlimme Gewissenskonflikte zu stürzen. Ihr wollt wirklich nichts von diesen Trüffeln?«
»Nein, danke.«
»Dann werde ich sie eben essen«, erklärte er mit einer jämmerlichen Grimasse, die die junge Frau unter anderen Umständen belustigt hätte, »wenn ich auch ein falscher Ehemann bin und Junggeselle obendrein. Und die Natur möge es gut mit mir meinen, indem sie mir in dieser Festnacht eine weniger grausame Dame zuführt, als Ihr es seid.«
Sie zwang sich ein Lächeln über diese leichtfertigen Reden ab. Die Fackeln und die Leuchter verbreiteten eine unerträgliche Hitze. Kein Lüftchen regte sich. Man sang, man trank. Der Geruch der Weine und der Saucen war bedrückend. Angélique fuhr sich mit dem Finger über die Schläfen und fand sie feucht.
»Was habe ich nur«, dachte sie. »Es ist mir, als könnte ich nicht mehr an mich halten, als müßte ich ihnen haßerfüllte Worte zuschreien. Weshalb? Vater ist glücklich. Er verheiratet mich geradezu fürstlich. Die Tanten jubilieren. Graf Peyrac hat ihnen große Halsketten aus Pyrenäensteinen geschickt und allen möglichen Flitterkram. Meine Brüder und Schwestern werden eine gute Ausbildung genießen. Und ich selbst, warum beklage ich mich? Man hat uns im Kloster immer vor romantischen Träumereien gewarnt. Ein reicher Ehemann von hohem Stand, ist das nicht das höchste Ziel einer vornehmen Frau?«
Ein Zittern überkam sie, dem der ermatteten Pferde vergleichbar. Doch war sie keineswegs erschöpft. Es war eine nervöse Reaktion, eine physische Auflehnung ihres ganzen Wesens, das sich in einem Augenblick überwältigen ließ, in dem sie es am wenigsten erwartete.
»Ist es Angst? Weder Molines noch mein Vater haben mir verheimlicht, daß dieser Graf Peyrac ein Forscher ist. Von da bis zu ich weiß nicht was für teuflischen Orgien ist ein allzu weiter Weg. Nein, ich fürchte mich nicht davor. Ich glaube nicht daran.«
Neben ihr hob der Marquis de Valérac, die Serviette unter dem Kinn, mit der einen Hand eine saftige Trüffel, mit der andern sein Bordeauxglas. Er deklamierte mit leicht unsicherer Stimme, wobei ihn gelegentlich ein Schluckauf unterbrach: »O göttliche Trüffel, Segnung der Liebenden! Flöße meinen Adern den frohen Schwung der Liebe ein! Ich werde mein Schätzchen bis zum Frührot liebkosen .!«
»Das ist es«, dachte Angélique, »eben das ist es, was ich ablehne, was ich niemals ertragen werde.«
Sie sah den grausigen und mißgestalteten Edelmann vor sich, dessen Beute sie sein würde. In den stillen Nächten jenes fernen Languedoc würde der fremde Mann jedes Recht über sie haben. Mochte sie rufen, schreien, beschwören - niemand würde kommen. Er hatte sie gekauft; man hatte sie verkauft. Und so würde es sein bis ans Ende ihres Lebens!
»Das ist es, was sie alle denken und was man einander nicht sagt, was man sich vielleicht nur in den Küchen, unter Knechten und Mägden zuflüstert. Deshalb liegt etwas wie Mitleid mit mir in den Augen der Musiker aus dem Süden, in den Augen dieses hübschen Henrico mit den Kräuselhaaren zum Beispiel, der so geschickt das Tamburin schlägt. Aber die Heuchelei ist stärker als das Mitleid. Ein einziger geopferter Mensch und so viele zufriedene Leute! Das Gold und der Wein fließen in Strömen. Ist das denn schon von Wichtigkeit, was zwischen ihrem Herrn und mir vorgehen wird? Oh, ich schwöre es, nie wird er mich mit seinen Händen betasten .!«
Sie stand auf, denn sie war von einem furchtbaren Zorn erfüllt, und die Anstrengung, die sie aufwandte, um sich zu beherrschen, machte sie fast krank. Im allgemeinen Lärm blieb ihr Verschwinden unbemerkt.
Als sie den Haushofmeister bemerkte, den ihr Vater in Niort engagiert hatte, fragte sie ihn, wo der Knecht Nicolas sei.
»Er ist in der Scheune und füllt die Flaschen, Madame.«
Die junge Frau setzte ihren Weg fort. Sie schritt wie ein Automat dahin. Sie wußte nicht, weshalb sie Nicolas suchte, aber sie wollte ihn sehen. Seit der Szene in dem kleinen Gehölz hatte Nicolas nie mehr die Augen zu ihr erhoben und sich darauf beschränkt, seinen Lakaiendienst in einer mit Gleichgültigkeit vermischten Gewissenhaftigkeit zu versehen.
Sie traf ihn in der Vorratskammer an, wo er den Wein aus den Fässern in die Krüge und Karaffen umfüllte, die ihm Bediente und Pagen unaufhörlich brachten. Er war in eine gelbe Hauslivree mit goldenen Knöpfen und galonierten Aufschlägen gekleidet, die Baron Sancé für diese Gelegenheit ausgeliehen hatte. Er wirkte in diesem abgetragenen Kleidungsstück keineswegs linkisch, gab vielmehr eine recht gute Figur ab. Er richtete sich auf, als er Angélique erblickte, und machte einen tiefen Diener, wie ihn der Haushofmeister achtundvierzig Stunden lang allen Leuten des Schlosses beigebracht hatte.
»Ich habe dich gesucht, Nicolas.«
»Frau Gräfin?« Er warf einen Blick auf die Diener, die mit ihren Kannen in der Hand wartend dastanden.
»Laß dich für ein paar Augenblicke von jemandem vertreten und folge mir.«
Draußen führte sie abermals ihre Hand an die Stirn. Nein, sie wußte absolut nicht, was sie zu tun im Begriff war; die wachsende Erregung und der starke Geruch der Weinlachen auf dem Boden lähmten ihr Denkvermögen. Sie stieß das Tor einer benachbarten Scheune auf. Auch hier, wo man am frühen Abend die Flaschen gefüllt hatte, war die Luft von Weindunst erfüllt. Es war dunkel und heiß in der Scheune.
Angélique legte ihre Hände auf Nicolas’ kräftige Brust. Und plötzlich drängte sie sich an ihn, von trockenem Schluchzen geschüttelt.
»Nicolas«, stöhnte sie, »mein Kamerad, sag mir, daß es nicht wahr ist. Sie werden mich nicht fortführen, sie werden mich ihm nicht ausliefern. Ich habe Angst, Nicolas. Nimm mich in deine Arme, nimm mich fest in deine Arme!«
»Frau Gräfin ...«
»Sei still«, schrie sie, »ach, sei du nicht auch herzlos.«
Mit einer hohlen, heiseren Stimme, die ihr völlig fremd vorkam, fügte sie hinzu: »Drück mich an dich, drück mich fest an dich! Das ist alles, worum ich dich bitte.«
Er schien zu zögern, dann schlang er seine muskulösen Bauernarme um sie. Es war finster in der Scheune. Die Wärme des aufgeschichteten Strohs erzeugte etwas wie eine bebende Spannung, die derjenigen des Gewitters glich. Angélique, trunken, ihrer Sinne nicht mehr mächtig, ließ die Stirn auf Nicolas’ Schultern sinken. Abermals fühlte sie sich von wildem Verlangen nach dem Manne erfaßt, doch diesmal gab sie sich ihm hin.
»Ach, du bist gut«, seufzte sie. »Du, du bist mein Freund. Ich möchte, daß du mich lieb hast ... Ein einziges Mal. Ein einziges Mal möchte ich von einem jungen und schönen Manne geliebt werden. Begreifst du?«
Sie schlang ihre Arme um den festen Nacken, zwang ihn, sein Gesicht an ihres zu lehnen. Er hatte getrunken, und sie spürte seinen heißen Weinatem.
»Lieb mich«, flüsterte sie, die Lippen an seinen Lippen. »Ein einziges Mal. Dann gehe ich fort . Willst du nicht? Liebst du mich nicht mehr?«
Er antwortete mit einem dumpfen Laut, riß sie in seine Arme, strauchelte und ließ sich mit ihr auf einen Strohhaufen fallen.
Angélique fühlte sich auf seltsame Weise hellwach und zugleich wie losgelöst von allen menschlichen Bindungen. Sie war in eine andere Welt versetzt, sie schwebte über dem, was bis dahin ihr Leben gewesen war. Benommen von der vollkommenen Finsternis der Scheune, von der Hitze und dem stickigen Geruch, von der Ungewohntheit dieser zugleich brutalen und raffinierten Liebkosungen, bemühte sie sich vor allem, ihr Schamgefühl zu bewahren, das sich wider ihren Willen verflüchtigte. Ihr ganzes Wollen war darauf gerichtet, daß es geschehen möge und rasch, denn sie konnten überrascht werden. Mit zusammengebissenen Zähnen sagte sie sich immer wieder, daß es nicht der andere sein würde, der sie zum erstenmal nahm. Das würde ihre Rache sein, die Antwort an das Gold, das alles kaufen zu können glaubte.
Sie gehorchte den Weisungen des Mannes, dessen Atem immer heftiger ging, überließ sich ihm und teilte sich fügsam unter dem Gewicht dieses Körpers, der sich jetzt über sie senkte ...
Jäh leuchtete das Licht einer Laterne in der Scheune auf, und vom Tor her erhob sich der Entsetzensschrei einer Frau. Nicolas war mit einem Satz zur Seite geglitten, und Angélique sah, wie eine massige Gestalt über den Knecht herfiel. Sie erkannte den alten Wilhelm und klammerte sich mit ganzer Kraft an ihm fest. Blitzartig hatte Nicolas das Dachgebälk erklettert und oben eine Luke geöffnet. Man hörte ihn hinausspringen und davonlaufen.
Die Frau auf der Schwelle stieß noch immer Schreie aus. Es war Tante Jeanne, die in der einen Hand eine Karaffe hielt, während sie die andere an ihren bebenden Busen preßte.
Angélique ließ Wilhelm los, stürzte sich auf sie und bohrte ihre Nägel wie Krallen in den Arm der Tante.
»Werdet Ihr still sein, alte Närrin? Wollt Ihr denn, daß es zu einem Skandal kommt, daß der Marquis de Valérac mit Geschenken und Versprechungen wieder abzieht? Dann ist es aus mit Euren Pyrenäensteinen und Euren kleinen Leckereien. Schweigt still oder ich bohre meine Faust in Euren alten, zahnlosen Mund!«
Aus den benachbarten Scheunen liefen Bauern und Knechte neugierig herzu. Angélique sah ihre Amme kommen, dann ihren Vater, der trotz eifrigen Zechens und unsicheren Ganges als guter Hausherr den Verlauf des Gastgelages überwachte.
»Seid Ihr das, Jeanne, die diese Schreie ausstößt wie eine vom Teufel gekitzelte Jungfer?«
»Gekitzelt!« rief die alte Dame, der der Atem wegblieb, »Ach, Armand, ich vergehe.«
»Und weshalb, meine Teure?«
»Ich bin hierhergekommen, um ein wenig Wein zu holen. Und in dieser Scheune habe ich gesehen . habe ich gesehen .«
»Tante Jeanne hat ein Tier gesehen«, unterbrach Angélique. »Sie weiß nicht, ob es eine Schlange oder ein Marder war. Aber wirklich, Tante, Ihr solltet Euch nicht so erregen. Geht lieber zu Eurem Tisch zurück, man wird Euch den Wein bringen.«
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