Diejunge Frau beschloß, sich in die Vorratskammern zu begeben, wo man heute den ersten Likör der Jahreszeit in Flaschen füllte.
Doch kaum hatte sie die vom Duft der Orangen, des Anis und der aromatischen Gewürze erfüllte Küche betreten, als eines ihrer Negerlein atemlos angestürzt kam und meldete, Baron Benoît de Fontenac, Erzbischof von Toulouse, bitte, sie sowie ihren Gatten begrüßen zu dürfen.
Verwirrt und leicht beunruhigt über einen Besuch zu so unüblicher Stunde, nahm Angélique das Vorstecktuch ab, das sie eben an ihr Kleid geheftet hatte, und ging eilends zurück, wobei sie mit den Händen ihr Haar ordnete.
Sie trug es jetzt nach der Mode ziemlich lang, und die Locken fielen weich auf ihren Spitzenkragen hinunter.
Als sie die Eingangshalle erreichte, sah sie auf der obersten Stufe der Freitreppe die hohe Gestalt des Erzbischofs in roter Robe und weißem Kragen aufragen.
Angélique sank vor ihm in die Knie, um den Hirtenring zu küssen, doch der Erzbischof hob sie auf und küßte seinerseits ihre Hand, durch diese weltliche Geste andeutend, daß sein Besuch kein förmlicher war.
»Ich bitte Euch, Madame, laßt mich durch Eure Reverenz nicht allzu sehr fühlen, welch betagter Mann ich gegenüber Eurer Jugend bin.«
»Eminenz, ich wollte Euch nur den Respekt bezeigen, den ich einem erlauchten Mann gegenüber empfinde, der seine priesterliche Würde von Seiner Heiligkeit dem Papst und Gott selbst empfangen hat .«
Jedesmal, wenn Angélique derlei Worte äußerte, erschien ihr das Bild der Mutter Sainte-Anne, ihrer Lehrerin für weltliche Erziehung im Kloster von Poitiers. Mutter Sainte-Anne wäre mit ihrer Schülerin, die sich einst doch so ungelehrig gezeigt hatte, gewiß zufrieden gewesen.
Indessen legte der Erzbischof Hut und Handschuhe ab und übergab sie einem jungen Geistlichen seiner Begleitung, ihn zugleich mit einer Geste verabschie-dend.
»Meine Leute werden draußen auf mich warten. Ich möchte mich mit Euch, Madame, fern von leichtfertigen Ohren unterhalten.«
Angélique warf einen spöttischen Blick auf den kleinen Geistlichen, der beschuldigt wurde, leichtfertige Ohren zu haben, und deshalb errötete.
Nachdem der Erzbischof sich nachdenklich die Hände gerieben hatte, versicherte er, es bereite ihm großes Vergnügen, jene junge Frau wiederzusehen, die sich im Erzbischöflichen Palais recht rar gemacht habe seit dem bereits weit zurückliegenden Tage, da sie von ihm in der Kathedrale Saint-Severin getraut worden sei.
»Ich sehe Euch beim Hochamt und muß Euren Eifer bei den Andachten der Fastenzeit loben. Doch ich gestehe, meine Tochter, daß es mich einigermaßen enttäuscht hat, Euch nie in meinem Beichtstuhl zu begegnen.«
»Ich habe als Beichtvater den Kaplan der Visitan-dinerinnen, Eminenz.«
»Ein ehrenwerter Priester, ohne Zweifel, aber angesichts Eurer Stellung, Madame, scheint mir .«
»Verzeiht mir, Eminenz«, rief Angélique lachend aus, »aber ich möchte Euch meinen Standpunkt darlegen: Ich begehe allzu geringfügige Sünden, um sie einem Manne von Eurer Bedeutung zu beichten. Ich würde mich genieren.«
»Mir scheint, mein Kind, Ihr befindet Euch, was das eigentliche Wesen des Sakraments der Buße be-
trifft, im Irrtum. Nicht dem Sünder kommt es zu, die Schwere seiner Verfehlungen zu bemessen. Und wenn das Echo der Stadt mir von den Zügellosigkeiten kündet, deren Schauplatz dieses Haus ist, so bezweifle ich stark, daß eine so hübsche und reizende junge Frau davon völlig unberührt geblieben sein kann.«
»Ich bilde mir das nicht ein, Eminenz«, murmelte Angélique, während sie die Augen senkte, »aber ich glaube, das Echo übertreibt. In Wirklichkeit sind unsere Feste harmlos fröhlich. Man reimt, man singt, man trinkt, man spricht von der Liebe, und man lacht viel. Aber ich bin nie Zeuge von Zügellosigkeiten gewesen, die mein Gewissen hätten beunruhigen können ...«
»Laßt mich bei dem Glauben, daß Ihr wohl naiv, aber nicht scheinheilig seid, mein Kind. Ihr wart zu jung, als man Euch in die Hände eines Gatten gab, dessen Worte mehr als einmal an Häresie grenzten und dessen bei den Frauen erworbene Gewandtheit und Erfahrung ihm erlaubten, Euren noch willfährigen Geist mühelos zu formen. Ich brauche nur an die Minnehöfe zu denken, die er alljährlich in seinem Palais veranstaltet und zu denen sich nicht nur die Edelleute der Stadt begeben, sondern auch Bürgerfrauen und junge Adlige aus der Provinz, um mir mit Erschauern des täglich wachsenden Einflusses bewußt zu werden, den er dank seines Reichtums auf die Stadt gewinnt.«
»Glaubt Ihr wirklich, daß meine und meines Gatten Seele ernstlich in Gefahr sind, Eminenz?«
fragte Angélique, indem sie ihre wasserklaren Augen weit öffnete.
»Weiß ich es?« seufzte er nach einigem Zögern. »Ich weiß nichts. Was in diesem Palais vorgeht, ist mir lange ein Geheimnis geblieben, und es wird mir von Tag zu Tag mehr Anlaß zur Beunruhigung.«
Unvermittelt fragte er: »Seid Ihr über die alchimistischen Studien Eures Gatten im Bilde, Madame?«
»Nicht eigentlich«, erwiderte Angélique, ohne die Ruhe zu verlieren. »Graf Peyrac hat eine Neigung für die Wissenschaften .«
»Man sagt sogar, er sei ein großer Gelehrter.«
»Ich glaube es. Er verbringt viele Stunden in seinem Laboratorium, aber er hat mich nie dorthin mitgenommen. Vermutlich meinte er, Frauen interessierten sich nicht für solche Dinge.«
Sie öffnete ihren Fächer und spielte mit ihm, um ein Lächeln zu verbergen, vielleicht auch eine gewisse Verlegenheit, die sich ihrer unter dem durchdringenden Blick des Bischofs zu bemächtigen begann.
»Es ist mein Beruf, in den Herzen der Menschen zu forschen«, sagte dieser, als habe er ihre Unruhe gespürt. »Aber seid ohne Sorge, meine Tochter. Ich erkenne an Euerm Blick, daß Ihr aufrichtig seid und für Euer zartes Alter einen ungewöhnlich ausgeprägten Charakter besitzt. Und für Euern Gatten ist es vielleicht noch nicht zu spät, seine Verfehlungen zu bereuen und seine Ketzerei abzuschwören.«
Angélique stieß einen kleinen Schrei aus.
»Aber ich schwöre Euch, daß Ihr Euch irrt, Eminenz! Mein Gatte mag nicht das Leben eines vorbildlichen Katholiken führen, aber er gibt sich durchaus nicht mit der Reformation und anderen hugenottischen Glaubenslehren ab. Ich habe sogar gehört, wie er sich über die >trübsinnigen Bärte von Genf< lustig machte, die, wie er sagte, vom Himmel offenbar den Auftrag bekommen hätten, der Menschheit die Lust zum Lachen zu nehmen.«
»Trügerische Worte«, erklärte der Erzbischof düster. »Sieht man nicht immer wieder bei ihm, bei Euch, Madame, notorische Protestanten einkehren?«
»Das sind Gelehrte, mit denen er sich über wissenschaftliche Dinge unterhält, nicht über religiöse.«
»Wissenschaft und Religion sind eng miteinander verknüpft. Kürzlich haben mich meine Leute darüber informiert, daß der berühmte Italiener Bernalli ihm einen Besuch abgestattet hat. Wißt Ihr, daß dieser Mann, nachdem er um gottloser Schriften willen mit Rom in Konflikt geraten war, in der Schweiz Zuflucht suchte und dort zum Protestantismus übertrat? Aber halten wir uns nicht bei diesen enthüllenden Zeichen einer Geistesverfassung auf, die ich beklage. Wenden wir uns einer Frage zu, die mich seit langen Jahren verfolgt. Graf Peyrac ist sehr reich und wird von Tag zu Tag reicher. Woher kommt ein solcher Überfluß an Gold?«
»Aber Eminenz, gehört er nicht einer der ältesten Familien des Languedoc an, verwandt mit den einstigen Grafen von Toulouse, die damals ebensoviel Macht über Aquitanien hatten wie die Könige über die Ile-de-France.«
Auf dem Gesicht des Bischofs erschien ein kleines, verächtliches Lächeln.
»Das ist wohl richtig. Aber die Eltern Eures Gatten waren so arm, daß das prächtige Palais, in dem Ihr heute herrscht, noch vor kaum fünfzehn Jahren völlig verfallen dastand. Hat Euch Monsieur de Peyrac nie von seiner Jugend erzählt?«
»N ... ein«, murmelte Angélique, selbst verwundert über ihre Unwissenheit.
»Er war der Jüngste der Familie und so arm, ich wiederhole es, daß er sich mit siebzehn Jahren nach fernen Ländern einschiffte. Man sah ihn viele Jahre lang nicht und hielt ihn für tot, bis er eines Tages wieder auftauchte. Seine Eltern und sein älterer Bruder waren gestorben; ihre Gläubiger teilten sich in den Landbesitz. Er kaufte alles zurück, und seither ist sein Vermögen unaufhörlich gewachsen. Nun, er ist ein Edelmann, den man nie bei Hofe sah, der sogar damit prahlt, sich ihm fernzuhalten, und der keinerlei königliche Einkünfte bezieht.«
»Aber er hat Grundbesitz«, warf Angélique ein, »er hat Schafherden im Gebirge, die ihm Wolle liefern, eine große Tuchfabrik, in der diese Wolle verarbeitet wird, Ölmühlen, Seidenwurmzüchtereien, Gold-und Silbergruben ...«
»Ihr sagtet Gold und Silber?«
»Ja, Eminenz, Graf Peyrac besitzt zahlreiche Steinbrüche in Frankreich, aus denen er angeblich eine Menge Gold und Silber gewinnt.«
»Wie richtig Ihr Euch ausgedrückt habt, Madame!« sagte der Geistliche mit süßlicher Stimme. »Aus denen er angeblich Gold und Silber gewinnt .!
Genau das wollte ich hören. Die fürchterliche Vermutung wird zur Gewißheit.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Eminenz? Ihr erschreckt mich.«
Der Erzbischof von Toulouse fixierte sie mit jenem allzu klaren Blick, der zuweilen die Härte des Stahls annahm.
Er sagte gemessen:
»Ich bezweifle nicht, daß Euer Gatte einer der größten Gelehrten unserer Zeit ist, und eben deshalb glaube ich, Madame, daß er tatsächlich den Stein der Weisen entdeckt hat, nämlich Salomons Geheimnis des Goldmachens. Doch welchen Weg ist er gegangen, um dahin zu gelangen? Ich fürchte sehr, er hat diese Macht durch einen Handel mit dem Teufel erlangt!«
Abermals hielt Angélique den Fächer über ihre Lippen, um nicht in Gelächter auszubrechen. Sie hatte Anspielungen auf den vom Grafen betriebenen Handel erwartet, in den sie durch Molines und ihren Vater Einblick bekommen hatte: da sie wußte, daß solche Betätigung bei einem Edelmann anrüchig genug war, um sein Haus in Mißkredit zu bringen, war sie ein wenig besorgt gewesen. Aber die bizarre Anschuldigung des Erzbischofs, der im Rufe großer Intelligenz stand, schien ihr im ersten Augenblick geradezu komisch. Meinte er es wirklich ernst?
Plötzlich kam ihr in einem jähen Gedankensprung zum Bewußtsein, daß Toulouse noch immer das Hauptquartier der Inquisition beherbergte. Die schreckliche Institution des Ketzertribunals genoß hier Vorrechte, die nicht einmal die Autorität des Königs selbst anzufechten wagte.
Toulouse, die lachende Stadt, war auch die rote Stadt, die im vergangenen Jahrhundert die meisten Hugenotten massakriert hatte. Lange vor Paris hatte sie ihre Bartholomäusnacht gehabt. Unter dem ersten Bogen der Saint-Michel-Brücke war ein eiserner Käfig angebracht, in dem man die Protestanten so lange ins Wasser zu tauchen pflegte, bis sie tot waren oder abschworen. Und zuweilen trug der Wind von der Place des Salins, wo man wieder einmal irgendeinen störrischen Hugenotten oder eine Hexe verbrannte, den Geruch verkohlten Fleisches bis zum Palais des Grafen Peyrac.
Die in den Wirbel genußfrohen Lebens gezerrte Angélique hatte sich nicht mit diesem Aspekt von Toulouse befaßt. Aber sie wußte sehr wohl, daß der Erzbischof selbst, dieser Mann, der da vor ihr in dem hohen Polstersessel saß und ein Glas eisgekühlter Limonade zum Munde führte, der Großmeister dieser Martern war.
»Eminenz«, murmelte sie, ehrlich entrüstet, »es ist doch nicht möglich, daß Ihr meinen Gatten ernstlich der Hexerei beschuldigt? Das Goldmachen erübrigt sich in diesem Lande, über das Gott seine Gaben im Überfluß ausgestreut hat und in dem sich das Gold im reinen Zustand in der Erde findet!« Listig fügte sie hinzu:
»Ich habe mir sagen lassen, daß Ihr selbst Goldwäscher angestellt habt, die den Kies der Garonne in Körben waschen und Euch ihre Ausbeute an Goldsand und Körnern bringen, mit der Ihr manche Not lindert.«
»Euer Einwurf ist nicht ganz unberechtigt, meine Tochter. Aber eben weil ich weiß, was die Goldsuche einbringen kann, vermag ich dies zu versichern: Würde man den Kies aller Flüsse und Bäche des Languedoc waschen, so würde man nicht die Hälfte dessen ernten, was Graf Peyrac zu besitzen scheint. Glaubt mir, ich bin genau informiert.«
»Ich zweifle nicht daran«, dachte Angélique, »und tatsächlich ist da seit langem dieser Handel mit dem spanischen Gold und den Mauleseln .«
Die kalten blauen Augen erspähten ihre Nachdenklichkeit. Sie klappte ein wenig nervös ihren Fächer zusammen.
»Ein Gelehrter ist nicht notwendigerweise ein Gehilfe des Teufels. Heißt es doch, daß es bei Hofe Gelehrte gibt, die ein Fernrohr aufgestellt haben, um die Sterne und die Gebirge des Mondes zu betrachten, und daß Monsieur Gaston d’Orléans, der Onkel des Königs, sich derlei vom Abbé Picard geleiteten Beobachtungen widmet.«
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