Angélique erschauerte. »Hexerei!« Sie blickte umher. In dieser bezaubernden Umgebung wirkte das Wort wie ein böser Scherz. Aber es gab da noch zu viele Dinge, die Angélique nicht durchschaute.
»Ich werde dort drüben nachsehen«, beschloß sie. »Auf die Gefahr hin, daß er böse wird.«
Aber sie hörte den Schritt ihres Gatten, und gleich darauf betrat er den Salon. Seine Hände waren rußverschmiert. Gleichwohl lächelte er.
»Gottlob nichts Ernstes. Kouassi-Ba hat nur ein paar Hautwunden abbekommen, aber er hatte sich so gut unter dem Tisch verborgen, daß ich zuerst glaub-te, die Explosion habe ihn zerfetzt. Hingegen sind die materiellen Schäden beträchtlich. Meine wertvollsten Retorten aus besonderem böhmischen Glas liegen in Scherben. Nicht eine einzige ist übriggeblieben!«
Auf seinen Wink trugen zwei Pagen ein Becken und eine goldene Wasserkanne herbei. Er wusch sich die Hände, dann schüttelte er seine Spitzenmanschetten zurecht.
Angélique nahm all ihren Mut zusammen.
»Ist es nötig, Joffrey, daß Ihr diesen gefährlichen Experimenten so viele Stunden widmet?«
»Es ist nötig, Gold zum Leben zu haben«, sagte der Graf und wies mit einer schweifenden Geste auf den prächtigen Salon, dessen vergoldete Holzdecke er kürzlich neu hatte bemalen lassen. »Aber darum geht es gar nicht. Ich empfinde bei diesen Studien ein Vergnügen, das nichts anderes mir verschaffen kann. Darin liegt der Zweck meines Lebens.«
Angélique gab es einen Stich ins Herz, als beraubten sie solche Worte eines kostbaren Guts, aber da sie bemerkte, daß ihr Mann sie prüfend betrachtete, bemühte sie sich um eine gleichgültige Miene, während er fortfuhr:
»Darin liegt der einzige Zweck meines Lebens, abgesehen von dem, Euch zu erobern«, schloß er mit einer höfischen Verbeugung.
»Ich will absolut nicht in Rivalität mit Euern Phiolen und Retorten treten«, sagte Angélique eine Spur zu lebhaft, »aber die Worte Seiner Eminenz haben einige Unruhe in mir ausgelöst, wie ich Euch gestehen muß.«
»Wirklich?«
»Habt Ihr in ihnen keine verborgene Drohung gespürt?«
Er antwortete nicht sogleich. Ans Fenster gelehnt, sah er nachdenklich über die flachen Dächer der Stadt hinweg, die sich so eng aneinanderdrängten, daß sie mit ihren runden Ziegeln einen riesigen Teppich in den Farbtönen des Klees und des Mohns bildeten.
Da ihr Gatte verstummt war, kehrte Angélique zu ihrem Sessel zurück, und ein Negerknabe stellte das Kästchen aus Korbgeflecht neben sie, in dem die schimmernden Seidenfäden ihrer Handarbeit in buntem Wirrwarr durcheinanderliefen.
Es herrschte Stille im Palast an diesem Tage nach dem Fest. Angélique dachte daran, daß sie bei der Mittagstafel allein dem Grafen Peyrac gegenübersitzen würde, sofern sich der unvermeidliche Bernard d’Andijos nicht einstellte ...
»Habt Ihr die Taktik des Herrn Großinquisitors beobachtet?« fragte der Graf plötzlich. »Er spricht zunächst von der Moral, streift im Vorbeigehen die >Orgien< in unserm Hause, spielt auf meine Reisen an und führt uns von da aus zu Salomon. Kurz, man steht plötzlich vor der Tatsache, daß Baron Benoît de Fontenac, Erzbischof von Toulouse, mich auffordert, mit ihm mein Geheimnis des Goldmachens zu teilen, andernfalls werde er mich wie einen Hexenmeister auf der Place des Salins verbrennen lassen.«
»Das ist eben die Drohung, die ich herauszuhören glaubte«, sagte Angélique verängstigt. »Meint Ihr, daß er sich wirklich einbildet, Ihr wäret mit dem Teufel im Bunde?«
»Er? Nein. Das überläßt er seinem naiven Becher. Der Erzbischof besitzt eine zu nüchterne Intelligenz und kennt mich zu genau. Nur ist er überzeugt, daß ich das Geheimnis in Händen halte, auf künstlichem Wege Gold und Silber zu mehren. Er möchte es auch kennen, um es selbst nutzen zu können.«
»Er ist ein verworfener Mensch!« rief die junge Frau aus. »Dabei wirkt er so würdig, so aufrichtig, so großmütig.«
»Das ist er auch. Seine Geldmittel fließen den barmherzigen Werken zu. Er hält täglich freien Tisch für die armen Kirchenbeamten. Er kümmert sich um die Brandgeschädigten, um die Findelkinder und so fort. Er ist durchdrungen von der Unschuld der Seelen und der Größe Gottes. Aber er ist auch vom Dämon der Herrschsucht besessen. Er sehnt sich nach der Zeit zurück, da der einzige Herr einer Stadt, ja selbst einer Provinz der Bischof war, den Krummstab in der Hand, Recht sprechend, strafend, belohnend. Er erträgt es einfach nicht, zusehen zu müssen, wie mein Einfluß wächst. Wenn die Dinge sich so weiterentwickeln, wird es in ein paar Jahren der Graf Peyrac sein, Euer Gatte, meine liebe Angélique, der Toulouse beherrscht. Gold und Silber verleihen Macht, und hier fällt nun die Macht in die Hände eines Gehilfen des Satans. Da gibt es für Seine Eminenz kein Zögern. Entweder wir teilen die Macht oder .«
»Was wird geschehen?«
»Ängstigt Euch nicht, meine Liebe. Wenn sich auch die Intrigen eines Mannes in seiner Stellung für uns unheilvoll auswirken können, sehe ich doch nicht ein, warum es dazu kommen müßte. Er hat seine Karten auf den Tisch gelegt. Er will das Geheimnis des Goldmachens wissen. Ich werde es ihm gerne ausliefern.«
»Ihr besitzt es also?« murmelte Angélique mit aufgerissenen Augen.
»Wir wollen die Dinge nicht verwechseln. Ich besitze keine Zauberformel, um Gold zu machen. Mein Ziel ist es weniger, Reichtümer zu schaffen, als vielmehr die Kräfte der Natur wirken zu lassen.«
»Aber ist dieser Gedanke nicht schon ein wenig ketzerisch, wie Seine Eminenz sagen würde?«
Joffrey lachte.
»Ich sehe, daß man Euch mit Erfolg gepredigt hat. Ihr beginnt Euch in dem Spinngewebe seiner Scheinargumentationen zu verwickeln. Ach ja, ich gebe zu, daß es schwer ist, in diesen Dingen klar zu sehen. Schließlich hat die Kirche früherer Jahrhunderte die Müller nicht exkommuniziert, für die der Wind oder das Wasser die Flügel der Mühlen drehte. Aber die heutige würde sich auf die Hinterbeine stellen, wenn ich mich unterfinge, auf einer Anhöhe in der Umgebung von Toulouse das gleiche Modell einer Dampfpumpe zu errichten, das ich in Eurer Silbermine aufstellen ließ! Wenn ich einen Behälter aus Glas oder Steingut über ein Hüttenfeuer setze, ist damit ja wohl nicht gesagt, daß Luzifer schnurstracks hineinschlüpft .«
»Immerhin war die Explosion von vorhin ziemlich eindrucksvoll. Seine Eminenz schien darüber höchst erregt zu sein, und in diesem Fall, glaube ich, war er ehrlich. Habt Ihr es absichtlich getan, um ihn aufzubringen?«
»Nein, ich habe eine Fahrlässigkeit begangen. Ich habe ein Knallgold-Präparat, das ich mit Hilfe von Königswasser aus Blattgold gewonnen und danach mit Ammoniak niedergeschlagen hatte, zu lange trocknen lassen. Es kam bei diesem Vorgang zu keinerlei Urzeugung. Aber ich langweile Euch .«
»Nein, bestimmt nicht«, sagte Angélique mit leuchtenden Augen. »Ich könnte Euch stundenlang zuhören.«
Über sein Gesicht huschte ein Lächeln, das durch die Narben seiner linken Wange einen ironischen Akzent erhielt.
»Welch verwunderliches kleines Köpfchen! Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, eine Frau könne sich für diese Dinge erwärmen. Auch mir macht es Freude, Euch davon zu sprechen. Ich habe den Eindruck, daß Ihr alles zu begreifen vermögt. Gleichwohl ... wart Ihr nicht nahe daran, mir dunkle Kräfte zuzuschreiben, als Ihr nach Languedoc kamt? Flöße ich Euch noch immer soviel Angst ein?«
Angélique fühlte sich erröten, aber sie erwiderte tapfer seinen Blick.
»Nein! Ihr seid noch ein Unbekannter für mich, und das kommt, glaube ich, daher, daß Ihr niemandem gleicht, aber Ihr flößt mir keine Angst mehr ein.«
Er humpelte schweigend zu dem Stuhl hinter ihr, auf dem er während des bischöflichen Besuchs gesessen hatte. Wenn er sich auch in gewissen Momenten nicht scheute, auf geradezu herausfordernde Weise sein versehrtes Gesicht ins volle Licht zu heben, so suchte er in andern den Schatten und das Dunkel. Seine Stimme bekam dann einen neuen Klang, als könne die von ihrer körperlichen Hülle befreite Seele Joffrey de Peyracs sich endlich ungehemmt äußern.
So fühlte Angélique neben sich die unsichtbare Gegenwart des »roten Mannes«, der sie so sehr erschreckt hatte. Wohl war es derselbe Mensch, aber ihr Verhältnis zu ihm hatte sich verändert. Fast hätte sie die bange weibliche Frage gestellt: »Liebt Ihr mich?«
Doch dann bäumte sich ihr Stolz auf, denn sie erinnerte sich der Stimme, die zu ihr gesagt hatte: »Ihr werdet kommen ... Sie kommen alle.«
Um ihre Verwirrung zu überwinden, lenkte sie die Unterhaltung wieder auf wissenschaftliches Gebiet, wo seltsamerweise ihre Geister einander begegnet waren und wo ihre Freundschaft sich bestätigt hatte.
»Wenn Ihr Euch nicht scheut, Euer Geheimnis preiszugeben - weshalb weigert Ihr Euch da, den Mönch Becher zu empfangen, auf den Seine Eminenz so große Stücke zu halten scheint?«
»Pah! In diesem Punkt könnte ich ihn schon zufriedenstellen. Aber das Heikle dabei ist nicht, mein Geheimnis zu enthüllen, sondern es ihm verständlich zu machen. Ich werde ihm vergeblich zu beweisen versuchen, daß man die Materie transformieren, aber nicht transmutieren kann. Die Köpfe, die uns umgeben, sind für solche Offenbarungen nicht reif. Und der Ehrgeiz dieser falschen Gelehrten ist so groß, daß sie Zeter und Mordio schreien werden, wenn ich ihnen erkläre, daß die beiden wertvollsten Helfer bei meinen Forschungen ein Mohr und ein derber sächsischer Bergmann gewesen sind.«
»Kouassi-Ba und der alte Bucklige von der Silbermine, Fritz Hauer?«
»Ja. Kouassi-Ba hat mir erzählt, daß er, als er noch ein Kind war und frei, irgendwo im Innern seines wilden Afrikas gesehen hat, wie nach alten, von den Ägyptern übernommenen Verfahren Gold gewonnen wurde. Die Pharaonen und König Salomon hatten dort sogar Goldminen. Aber ich frage Euch, Liebste, was wird Seine Eminenz sagen, wenn ich ihm anvertraue, daß mein Neger Kouassi-Ba es ist, der das Geheimnis des Königs Salomon bewahrt? Und doch war er es, der mich bei meinen Laboratoriumsarbeiten beraten und mir den Gedanken eingegeben hat, ein gewisses, unsichtbares Gold enthaltendes Gestein zu behandeln. Fritz Hauer aber ist der Bergmann par excellence, der Mann der Stollen, der Maulwurf, der nur im Schoß der Erde atmen kann. Vom Vater zum Sohn vererben diese sächsischen Bergleute ihre Verfahren, dank derer ich mich endlich in den bizarren Mystifikationen der Natur zurechtfinden und mit allen meinen verschiedenen Ingredienzen ins klare kommen konnte:
Blei, Gold, Silber oder Vitriol, Quecksilber-Sublimat und anderen.«
»Es ist Euch geglückt, Quecksilber-Sublimat und Vitriol herzustellen?« fragte Angélique, für die diese Worte immerhin ungefähre Begriffe darstellten.
»Jawohl, und das hat mich in die Lage versetzt, die Unsinnigkeit der ganzen Alchimie darzutun, denn aus dem Quecksilber-Sublimat kann ich nach Belieben entweder reines Quecksilber oder gelben und roten Hermes gewinnen, und diese letzteren Stoffe lassen sich ihrerseits in Quecksilber zurückverwandeln. Das Ausgangsgewicht erhöht sich dabei nicht nur nicht, es verringert sich vielmehr, denn es entstehen Verluste durch Verdampfung. Ebenso kann ich durch verschiedene Verfahren das Silber aus dem Blei ausscheiden und das Gold aus bestimmtem, scheinbar taubem Gestein. Aber wenn ich über die Tür meines Laboratoriums die Worte setze: >Nichts geht verloren, nichts wird erschaffen<, schiene meine Philosophie höchst gewagt, ja sogar im Widerspruch zum Geist der Genesis stehend.«
»Gelangen nicht mit Hilfe eines ähnlichen Verfahrens die mexikanischen Goldbarren, die Ihr in London kauft, in die Silberminen von Monteloup?«
»Ihr seid ein Schlaukopf, und ich finde Molines reichlich geschwätzig. Gleichviel, wenn er geredet hat, dann bedeutet das, daß er Euch vertraut. Ja, die spanischen Barren können in einem Schmelzofen mit Schwefelkies oder Bleiglanz umgeschmolzen werden. Sie nehmen dann das Aussehen einer dunkelgrauen Schlacke an, die auch dem gewiegtesten Zöllner nicht verdächtig erscheint. Und dieser >Rohstein< ist es, den die guten kleinen Maulesel Eures Herrn Vaters von England nach dem Poitou transportieren oder von Spanien nach Toulouse, wo er von mir oder meinem Sachsen Hauer abermals in schönes, schimmerndes Gold verwandelt wird.«
»Das ist Betrug am Fiskus«, sagte Angélique ziemlich streng.
»Ihr seid herrlich, wenn Ihr so sprecht. Dieser Betrug schadet weder dem Königreich noch Seiner Majestät, und er macht mich reich. Überdies werde ich binnen kurzem Fritz zurückkommen lassen, damit er die Ausbeutung jener Goldader vorbereitet, die ich in einer Salsigne genannten Gegend entdeckt habe, in der Nachbarschaft von Narbonne. Dank dem Golde jenes Bergs und dem Silber aus dem Poitou werden wir auf die amerikanischen Edelmetalle verzichten können, infolgedessen auch auf diesen Betrug, wie Ihr es nennt.«
"Angélique" отзывы
Отзывы читателей о книге "Angélique". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Angélique" друзьям в соцсетях.