»Warum habt Ihr Euch nicht bemüht, den König für Eure Entdeckungen zu interessieren? Es wäre doch möglich, daß es noch weitere Gebiete in Frankreich gibt, die man mit Hilfe Eurer Verfahren ausbeuten könnte, und der König wäre Euch dankbar dafür.«
»Der König ist fern, Liebste, und ich bin nicht zum Höfling geboren. Nur Leute dieser Art können einigen Einfluß auf die Geschicke des Königreichs nehmen. Mazarin ist der Krone ergeben, ich leugne es nicht, aber er ist vor allem ein internationaler Intrigant. Fouquet aber, der den Auftrag hat, das Geld für den Kardinal Mazarin aufzutreiben, ist ein Genie der finanziellen Kombinationen, doch auf die Bereicherung des Landes durch eine richtig verstandene Ausbeutung seiner natürlichen Schätze legt er, vermute ich, keinen Wert.«
»Fouquet!« rief Angélique aus. »Ja, jetzt erinnere ich mich, wo ich von römischem Vitriol und Quecksilber habe reden hören! Es war auf Schloß Plessis.«
Die ganze Szene lebte vor ihren Augen auf. Der Italiener in der Mönchskutte, die nackte Frau zwischen den Spitzen, der Fürst Condé und das Kästchen aus Sandelholz, in dem ein smaragdgrünes Fläschchen schillerte.
»Vater«, hatte der Fürst Condé gesagt, »ist es Monsieur Fouquet, der Euch schickt?«
Angélique fragte sich unversehens, ob sie nicht dem Schicksal in den Arm gefallen war, als sie jenes Kästchen versteckt hatte.
»Woran denkt Ihr?« fragte Graf Peyrac.
»An ein seltsames Abenteuer, das ich früher einmal erlebt habe.«
Und sie, die so lange geschwiegen hatte, sie erzählte ihm plötzlich die Geschichte des Kästchens, deren sämtliche Einzelheiten in ihrem Gedächtnis eingegraben geblieben waren.
»Die Absicht des Fürsten Condé richtete sich gewiß darauf, den Kardinal und vielleicht sogar den König und seinen jungen Bruder zu vergiften«, schloß sie, »aber was ich nicht recht verstanden habe, sind jene Briefe, die eine Art unterzeichneter Verpflichtung enthielten. Der Fürst und andere Edelleute sollten sie Fouquet übergeben. Wartet! Der Text ist mir nicht ganz gegenwärtig. Er lautete ungefähr folgendermaßen: >Ich verpflichte mich, daß ich nur zu Monsieur Fouquet halten und meinen Besitz zu seiner Verfügung stellen werde .«
Joffrey de Peyrac hatte ihr schweigend zugehört. Am Schluß lachte er höhnisch.
»Da habt Ihr unsere schöne Welt! Wenn man bedenkt, daß Fouquet damals nichts als ein obskurer Parlamentarier war! Trotzdem konnte er bei seiner Geschicklichkeit in finanziellen Dingen schon die Fürsten in seinen Dienst zwingen. Jetzt ist er der reichste Mann im Königreich, neben Mazarin, versteht sich. Was beweist, daß in der Sonne Seiner Majestät Platz für alle beide war. Ihr habt also Eure Verwegenheit so weit getrieben, Euch des Kästchens zu bemächtigen? Ihr habt es versteckt?«
»Ich habe es .«
Eine Warnung ihres Instinkts verschloß ihr plötzlich die Lippen.
»Nein, ich habe es in den Seerosenteich des großen Parks geworfen.«
»Und glaubt Ihr, daß Euch jemand der Beseitigung verdächtigt hat?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, daß man meiner kleinen Person sonderliche Bedeutung beimaß. Gleichwohl habe ich nicht unterlassen, vor dem Fürsten Condé aufjenes Kästchen anzuspielen.«
»Wie? Aber das war ja Wahnsinn!«
»Ich mußte doch für meinen Vater die Befreiung vom Wegezoll für die Maultiere erwirken. Oh, das ist eine lange Geschichte«, sagte sie lachend, »und ich weiß jetzt, daß Ihr indirekt in sie verwickelt wart. Aber ich würde mit Vergnügen von neuem Dummheiten solcher Art begehen, nur um noch einmal die entsetzten Gesichter dieser hochnäsigen Leute zu sehen.«
Als sie ihm von ihrem Scharmützel mit dem Fürsten erzählt hatte, schüttelte ihr Gatte den Kopf.
»Ich wundere mich geradezu, daß ich Euch noch lebendig neben mir sehe. Ihr müßt tatsächlich sehr harmlos gewirkt haben. Es ist nämlich eine gefährliche Sache, als Statist in die Intrigen der Leute vom Hof verstrickt zu werden. Sie würden sich nichts daraus machen, bei Gelegenheit auch mal ein kleines Mädchen zu beseitigen.«
Während des Redens erhob er sich und trat leise auf einen nahen Türvorhang zu, den er rasch zur Seite schob. Mit enttäuschtem Gesichtsausdruck wandte er sich zurück.
»Ich bin nicht flink genug, um Neugierige zu ertappen.«
»Hat uns jemand belauscht?«
»Ich bin dessen gewiß.«
»Ich habe schon öfter den Eindruck gehabt, daß jemand unseren Unterhaltungen zuhört. Es ist sehr lästig.«
»Es ist unvermeidlich. Das Spionieren ist die Stärke der Regierungen, und unsere Epoche hat diese üble Tätigkeit zur Institution erhoben. So gibt es in diesem Palais mindestens drei Spione unter unseren Lakaien und Pagen. Einen im Dienst des Gouverneurs, einen im Dienst des Königs, einen im Dienst des Erzbischofs. Ich kenne den letzteren: es ist Alphonso. Deshalb jage ich ihn nicht fort, denn ich habe längst mit ihm abgesprochen, was er seinem Herrn erzählen soll. Aber der beunruhigendste ist der vierte, der, den man nicht ausmachen kann. Ich spüre ihn seit einiger Zeit hier herumschleichen.«
»Was für ein komisches Leben!« seufzte Angélique, die nicht recht wußte, ob sie die Worte ihres Gatten ernst nehmen sollte, denn es war seine Art, alles gleichsam wie im Scherz zu sagen.
Er nahm wieder seinen Platz hinter ihr ein. Die Hitze wurde drückender, und plötzlich begann die Stadt unter dem Dröhnen der tausend Glocken zu erbeben, die zum Angelus läuteten. Die junge Frau bekreuzigte sich andächtig und murmelte das Gebet zur Jungfrau Maria. Die klingende Flut schlug über ihnen zusammen, und während einer guten Weile konnten sie, die am offenen Fenster saßen, kein Wort wechseln. So blieben sie stumm, und diese Intimität, die sich nun häufiger zwischen ihnen ergab, bewegte Angélique tief.
»Seine Gegenwart mißfällt mir nicht nur nicht, ich bin sogar glücklich«, sagte sie sich verwundert. »Würde es mir unangenehm sein, wenn er mich wieder küßte?«
Wie vorhin während des Besuchs des Erzbischofs hatte sie das Bewußtsein, daß Joffrey auf ihren weißen Nacken blickte.
»Nein, mein Liebling, ich bin kein Zauberer«, murmelte er. »Ich habe vielleicht von der Natur gewisse Kräfte empfangen, aber vor allem wollte ich lernen. Begreifst du?« fuhr er in einschmeichelndem Tone fort, der sie bezauberte, »ich war begierig, alle schwierigen Dinge zu erforschen: die Naturwissenschaften, die Literatur und auch das Herz der Frauen. Ich habe mich mit Lust diesem bezaubernden Mysterium hingegeben. Man glaubt, hinter den Augen einer Frau gebe es nichts, und man entdeckt eine Welt. Oder aber man erwartet eine Welt und entdeckt nichts ... als ein kleines Narrenglöckchen. Was ist hinter deinen grünen Augen, die an unberührte Wiesen und an den stürmischen Ozean erinnern? - Ich lasse dich in meine Karten sehen. Ich habe nur ein Verlangen: dich zu verführen, denn du bist mir als die schönste und liebenswerteste, als die Dame meines Herzens erschienen .«
Sie hörte ihn sich bewegen, und das reiche, schwarze Haar glitt über ihre bloße Schulter wie ein warmes, seidiges Fell. Sie erbebte vor der Berührung der Lippen, die ihr gebeugter Nacken unbewußt erwartete. Mit geschlossenen Augen, den langen, glühenden Kuß kostend, der sich zur Sättigung Zeit nahm, fühlte Angélique die Stunde ihrer Niederlage nahen. Dann würde sie, zitternd, zögernd noch, aber unterjocht, wie die andern kommen und sich der Umschlingung dieses wunderlichen Mannes darbieten.
Das Pferd folgte langsamen Schrittes dem Flußufer und wirbelte den Staub des sich dahinschlängelnden Weges auf. In einiger Entfernung folgten drei bewaffnete Lakaien, aber Angélique war sich deren Gegenwart nicht bewußt. Es schien ihr, als sei sie völlig allein unter dem Sternenhimmel, allein in den Armen Joffrey de Peyracs, der sie vor sich quer über den Sattel gesetzt hatte und nun zum Lusthaus an der Garonne ritt, um dort die erste Liebesnacht mit ihr zu erleben.
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