Er trieb seine Stute nicht an und ließ in der einen Hand die Zügel schleifen, während sein anderer Arm den Körper der jungen Frau an sich preßte. In wohligem Hingegebensein empfand sie zum zweitenmal jene bezwingende Kraft, die sich an einem gewissen Abend einen mit Abscheu verwehrten Kuß hatte ertrotzen wollen. Aber all das war fern und unwirklich. Nur auf den gegenwärtigen Augenblick kam es an. Bar jeden Gedankens und wie ausgelöscht schmiegte sie sich an, barg sie ihr Gesicht in dem knisternden Samt des Gewandes.

Er schaute sie nicht an, sondern starrte auf das vorbeieilende Gewässer. Dabei öffneten sich seine Lippen ein wenig, und er summte ein Lied in der alten Sprache, dessen Übersetzung sie kannte.

»Wie der Jäger die endlich erjagte Beute nach Hause trägt,

so trag’ ich mein Liebchen nach Haus, besiegt und fügsam

meiner Lust.«

Das Mondlicht lag voll auf seinem verwegenen Gesicht. Doch Angélique dachte:

»Er hat die schönsten Augen, die schönsten Zähne, die schönsten Haare der Welt. Die zarteste Haut, die schönsten Hände ... Wie konnte ich ihn abstoßend finden .? Ist dies denn die Liebe .? Der Zauber der Liebe ...?«

Im Lusthaus an der Garonne blieben die von ihrem anspruchsvollen Herrn sorgsam geschulten Diener unsichtbar. Das Zimmer war gerichtet. Auf der Terrasse lagen neben dem Ruhebett Früchte bereit, und in einem bronzenen Becken waren Flaschen kühlgestellt, doch alles wirkte verlassen.

Angélique und ihr Gatte schwiegen. Es war die Stunde der Stille. Gleichwohl murmelte sie, als er sie in dumpfer Ungeduld an sich zog:

»Warum lächelt Ihr nicht?«

Er atmete tief.

»Ich kann nicht lächeln, denn ich habe zu lange auf diesen Augenblick gewartet, und er macht mich fast schmerzhaft beklommen. Ich habe nie eine Frau wie dich geliebt, Angélique, und es will mir scheinen, als hätte ich dich schon geliebt, bevor ich dich kannte. Und als ich dich sah ... Du warst es, auf die ich wartete. Aber du gingst stolz an mir vorüber, unnahbar wie eine Moornixe. Und ich machte dir scherzhafte Geständnisse, aus Furcht vor einer Geste des Abscheus oder einer spöttischen Bemerkung.

Nie habe ich auf eine Frau so lange gewartet, noch soviel Geduld aufgebracht. Und dabei gehörtest du mir. Hundertmal war ich drauf und dran, Gewalt zu gebrauchen, aber ich wollte nicht nur deinen Körper, ich wollte deine Liebe. Und jetzt, da du endlich mein wirst, jetzt grolle ich dir ob all der Qualen, die du mir bereitet hast. Ich grolle dir«, wiederholte er in heißer Leidenschaft.

Sie hielt tapfer dem Ausdruck seines Gesichts stand, das sie nun nicht mehr erschreckte, und lächelte. »Räche dich«, flüsterte sie.

Er erbebte und lächelte auch.

»Du bist weiblicher, als ich dachte. Ach, fordert mich nicht heraus! Ihr werdet um Gnade bitten, schöne Feindin!«

Von diesem Augenblick an gehörte Angélique nicht mehr sich selbst. Den Lippen wiederbegegnend, die sie schon einmal trunken gemacht hatten, geriet sie von neuem in den Strudel ungekannter Empfindungen, die in ihrem Fleisch ein unbestimmtes Verlangen hinterlassen hatten. Alles wurde wach in ihr, und in Erwartung einer Wonne, der nichts sich in den Weg würde stellen können, nahm ihr Glücksgefühl eine Heftigkeit an, die sie erschreckte.

Keuchend bog sie sich zurück, versuchte sie, diesen Händen auszuweichen, deren jede einzelne Bewegung neue Quellen der Lust anschlug; und dann begannen der Sternenhimmel, die dunstige Ebene um sie zu kreisen, durch die die Garonne ihre silbernen Schleifen zog.

An Leib und Seele gesund, war Angélique wie für die Liebe geschaffen, aber das plötzliche Sichbewußt-werden ihres Körpers raubte ihr den Atem, und sie fühlte sich, innerlich mehr noch als äußerlich, von einem wilden Ansturm bedrängt und umklammert. Erst später, als sie erfahrener war, konnte sie ermessen, wie sehr Joffrey dennoch sein eigenes Verlangen gezügelt hatte, um sie völlig zu zähmen.

Ohne daß sie sich dessen bewußt wurde, entkleidete er sie und legte sie auf das Ruhebett. Mit beharrlicher Geduld überwand er ihren Widerstand, preßte er die mählich fügsamer Werdende immer wieder an sich. Bald entzog sie sich, bald schmiegte sie sich ihm an, doch als die Erregung, deren sie nicht Herr zu werden vermochte, ihren Höhepunkt erreicht hatte, trat eine plötzliche Entspannung ein. Angélique war es, als überkäme sie ein Wohlgefühl, in das sich eine köstliche Erregung mischte; sie begab sich ihres Schamgefühls und bot sich willenlos den kühnsten Liebkosungen dar. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich vom Strom der Wollust mitreißen. Sie bäumte sich nicht mehr gegen den Schmerz auf, denn schon verlangte jede Faser ihres Körpers wild nach der Beherrschung durch den Herrn. Als er in sie drang, schrie sie nicht auf, doch ihre Augenlider öffneten sich weit, und die Sterne des Frühlingshimmels spiegelten sich in ihren grünen Augen.

»Schön!« flüsterte Angélique. - Ausgestreckt lag sie auf dem Ruhebett und kam langsam wieder zur Besinnung. Ein weicher indischer Shawl schützte ihren heißen Körper vor dem nächtlichen Windhauch. Sie betrachtete Joffrey, der aufgestanden war und den kühlen Wein in Becher goß. Er mußte lachen.

»Hübsch langsam, mein Herz! Ihr seid zu sehr Neuling, als daß ich mir eine noch längere Unterrichtsstunde erlauben dürfte. Die Zeit für ausgedehntere Genüsse wird schon noch kommen. Trinken wir inzwischen!«

Er stützte ihren schlanken Oberkörper, während sie trank, und sie betonte ihre Abspannung und Müdigkeit, indem sie sich instinktiv kokett und hilfsbedürftig an ihn lehnte. Sie genoß skrupellos das warme Gefühl, das sie in diesem Manne erspürte, der so blasiert und übersättigt hätte sein können und der doch in vollem Maße das Geschenk zu würdigen wußte, das sie ihm dargebracht hatte. Er verbarg jugendliche Glückseligkeit hinter scherzhaften Bemerkungen, aber die feinhörige Angélique fühlte sich jetzt über ihn allmächtig. Sicher würde sie damit keinen Mißbrauch treiben. Sie würde ihn innig lieben, ihm Kinder schenken und unter dem Himmel von Toulouse glücklich mit ihm leben!

Mit den Fingern strich er über die weiße und feste Wölbung ihres Leibes. Sie lächelte und stieß einen langen Seufzer des Wohlbehagens aus. Man hatte ihr immer gesagt, die Männer seien nach der Befriedigung brutal oder gleichgültig. Aber Joffrey war ja nie den andern Männern ähnlich. Er legte sich dicht neben sie auf das Ruhebett, und sie hörte ihn ganz leise lachen.

»Wenn ich mir vorstelle, daß der Erzbischof gerade jetzt vom Turm seines Bischofspalastes auf unser Haus herunterschaut und meinen lockeren Lebenswandel verflucht! Wenn er wüßte, daß ich zu eben dieser Stunde die sträfliche Lust< mit meiner eigenen Frau genieße, deren Ehebund er selbst gesegnet hat!«

»Ihr seid unverbesserlich. Er hat allen Grund, Euch mit seinem Argwohn zu verfolgen. Denn wenn man eine Sache auf zweierlei Weise machen kann, erfindet Ihr eine dritte. So könntet Ihr entweder Ehebruch begehen oder ganz brav Euren ehelichen Pflichten nachkommen. Aber nein, Ihr müßt Eure Hochzeitsnacht so einrichten, daß ich in Euren Armen ein Gefühl von Schuld empfinde!«

»Ein höchst angenehmes Gefühl, nicht wahr?«

»Schweigt! Ihr seid der Teufel in Person!«

»Und Ihr, Angélique, seid eine anbetungswürdige, nackte kleine Nonne! Und ich zweifle nicht, daß meiner Seele zwischen Euren Händen Absolution zuteil wird. Aber wir wollen die Annehmlichkeiten des Lebens nicht bekritteln. So viele andere Völker haben andere Sitten und sind doch nicht weniger großherzig oder glücklich. Nein, Angélique, mein Täubchen, ich empfinde keine Gewissensbisse und gehe nicht zur Beichte .«

An den folgenden Tagen kam Angélique sich vor, als sei sie über Nacht in eine andere Welt versetzt, in eine Welt der Fülle und der zauberhaften Entdeckungen. Ihre Verliebtheit wuchs, ihr Teint nahm einen rosigen Ton an, ihr Lachen bekam etwas Ungezwungenes. Joffrey fand sie jeden Tag gieriger, bereitwilliger, und sie verweigerte sich nicht mehr jäh wie eine junge Diana, wenn er neue Liebesspiele erfand.

Nur allzu ungern kehrte sie nach einer Woche mit Joffrey ins Palais zurück. Sie war bekümmert, daß diese köstlichen Tage ihr Ende fanden. Solche Augenblicke des Glücks erlebte man kein zweites Mal. Niemals, das fühlte Angélique plötzlich ganz klar, niemals würde diese berauschende, von allem Irdischen befreite Zeit wiederkehren.

Gleich am ersten Abend schloß sich Joffrey in sein Laboratorium ein.

Diese Geschäftigkeit empörte Angélique, und sie wälzte sich vergeblich wartend in ihrem großen Bett wütend von einer Seite zur anderen.

»So sind die Männer«, sagte sie sich bitter. »Sie geruhen, einem im Vorbeigehen ein paar Augenblicke zu schenken, aber nichts vermag sie im Grunde zu fesseln als ihre persönlichen Steckenpferde. Für die einen ist es das Spiel, für andere der Krieg. Für Joffrey sind es seine Retorten. Früher hat es mich interessiert, wenn er mir davon sprach, weil er mir dann freundschaftliche Gefühle entgegenzubringen schien, aber jetzt hasse ich dieses Laboratorium.«

Grollend schlief sie schließlich dennoch ein.

Sie erwachte, als der Schein einer Kerze auf sie fiel, und erblickte Joffrey, der sich gerade ausgezogen hatte, neben dem Bett. Sie setzte sich brüsk auf und verschränkte die Arme um die Knie.

»Muß das sein?« fragte sie. »Ich höre schon die Vögel im Garten erwachen. Findet Ihr es nicht besser, Ihr würdet diese so wohl begonnene Nacht vollends in Euerm Laboratorium verbringen und eine dickbäuchige Glasretorte an Euer Herz drücken?«

Er lachte, ohne die geringste Zerknirschung zu bekunden.

»Ich bin untröstlich, Liebste, aber ich war in ein Experiment vertieft, das ich unmöglich im Stich lassen konnte. Wißt Ihr, daß unser gräßlicher Erzbischof gewissermaßen wieder daran schuld ist? Er hat mir ein Ultimatum gestellt, seinem idiotischen Mönch Becher mein Geheimnis zu enthüllen. Und da ich ihn schließlich nicht über meinen spanischen Handel aufklären kann, habe ich beschlossen, Becher nach Salsigne mitzunehmen, wo er der Förderung und der Umwandlung des goldhaltigen Gesteins beiwohnen soll. Vorher werde ich den Sachsen Fritz Hauer zurückbeordern und außerdem einen Boten nach Genf schicken. Bernalli brennt darauf, diese Vorgänge kennenzulernen, und wird bestimmt kommen.«

»Das interessiert mich alles gar nicht«, unterbrach Angélique verstimmt. »Ich will schlafen.«

Sie war sich wohl bewußt, daß sie mit ihren weich über das Gesicht fallenden Haaren und in ihrem Hemdchen, dessen Spitzenvolant über ihren bloßen Arm heruntergeglitten war, sehr viel weniger streng wirkte als ihre Worte.

Er streichelte die zarte, weiße Schulter, aber mit einer raschen Kopfbewegung grub sie ihre spitzen Zähne in seine Hand. Er gab ihr einen Klaps und warf sie in geheucheltem Zorn auf das Bett zurück. Sie kämpften eine kurze Weile, dann unterlag Angélique Joffreys Kraft, die sie jedesmal mit der gleichen Überraschung empfand. Doch ihr Widerstandsgeist war noch nicht erlahmt, und sie wehrte sich gegen die Umklammerung, bis ihr Blut rascher zu kreisen begann. Ein Funke der Wollust entzündete sich in ihrem tiefsten Innern und teilte sich ihrem ganzen Wesen mit. Sie kämpfte weiter, doch sie suchte in keuchender Begier das wunderliche Gefühl zurückzugewinnen, das sie eben verspürt hatte. Ihr Körper fing Feuer. Die Wogen der Lust trugen sie von Gipfel zu Gipfel, in einem Rausch, wie sie ihn noch nie empfunden hatte.

»O Joffrey!« seufzte sie. »Mir ist, als müsse ich sterben. Warum ist es jedesmal wunderbarer?«

»Weil die Liebe eine Kunst ist, in der man sich vervollkommnet, Liebste, und weil Ihr eine wunderbare Schülerin seid.«

Gesättigt suchte sie jetzt den Schlaf, indem sie sich an ihn schmiegte. Wie braun Joffreys Brust zwischen den Spitzen des Hemdes wirkte! Und wie so ganz besonders und berauschend dieser leise Tabakgeruch doch war!

Angélique dachte, daß sie ewig glücklich sein würden ...

Ungefähr zwei Monate danach bewegte sich eine kleine Reitertruppe, der eine Kutsche mit dem Wappen des Grafen Peyrac folgte, auf einer Uferstraße dem kleinen Ort Salsigne im Departement Aude zu.