Im Vorbeifahren sah Angélique einen kurzen Augenblick das puterrote Gesicht des Sieur Masse-neau, der, seinen bebänderten Stock schwingend, schrie:
»Ich werde einen Bericht machen ... Ich werde zwei Berichte machen . Monseigneur d’Orléans, der Statthalter des Languedoc, wird in Kenntnis gesetzt
werden ... und der Ministerrat des Königs dazu.«
Eines Morgens, als Angélique mit ihrem Gatten die Bibliothek des Palastes betrat, entdeckte sie Clément Tonnel, den Haushofmeister, der damit beschäftigt war, auf Wachstafeln Büchertitel zu notieren. Er schien verlegen und suchte Tafeln und Stift zu verbergen.
»Naseweiser Bursche, Ihr scheint Euch wahrhaftig für das Latein zu interessieren!« rief der Graf mehr überrascht als verärgert aus.
»Ich habe immer etwas für die Gelehrsamkeit übrig gehabt, Herr Graf. Mein Ehrgeiz war es, Notariatsschreiber zu werden, und es bedeutet eine große Freude für mich, dem Hause nicht nur eines großen Herrn, sondern auch eines ausgezeichneten Gelehrten anzugehören.«
»Es sind wohl kaum meine alchimistischen Bücher, die Euch über rechtliche Dinge zu belehren vermögen«, sagte Joffrey stirnrunzelnd, denn die verschlagene Art des Bedienten hatte ihm nie gefallen. Als einzigen von allen seinen Leuten duzte er ihn nicht.
Nachdem Tonnel sich entfernt hatte, sagte Angélique nachdenklich:
»Ich kann mich über die Dienste dieses Clément nicht beklagen, aber ich weiß nicht, weshalb mich seine Anwesenheit zunehmend bedrückt. Wenn ich ihn anschaue, habe ich das Gefühl, daß er mich an etwas Unangenehmes erinnert; und doch habe ich ihn aus dem Poitou mitgebracht.«
»Pah!« machte Joffrey, indem er mit den Schultern zuckte. »Es fehlt ihm ein wenig an Diskretion, aber solange ihn seine Wißbegierde nicht dazu verführt, in meinem Laboratorium herumzuschnüffeln . Im übrigen wird mein Mohr schon aufpassen. Clément muß der Sohn von Bauern oder sehr kleinen Handwerkern und mit der Absicht in Dienst gegangen sein, voranzukommen und sich zu bilden. Für einen beweglichen und aufgeschlossenen Geist gibt es kein besseres Mittel, die Umgangsformen der Großen kennenzulernen.«
Trotz dieser Worte fühlte sich Angélique auch weiterhin unerklärlich beunruhigt. Oftmals im Lauf des Tages drängte sich das pockennarbige Gesicht des Haushofmeisters in ihre Gedanken. Und doch war dieser Mann das einzige Stück »Heimat« in Languedoc, ein vorzüglich geschulter Diener, der sich nie einen Tadel zugezogen hatte. Er war zurückhaltend und ziemlich still, aber das Hausgesinde fürchtete ihn. Man erkannte seine Erfahrung und seine Fähigkeiten an, und immer gab es einen Schwarm junger Burschen, die als Küchenjungen in das Palais des Grafen Peyrac aufgenommen werden wollten, um unter der Leitung Clément Tonnels ihre Lehrzeit durchzumachen. Indessen mochte man ihn nicht, und das war verständlich, denn er stammte aus einer andern Gegend und hatte ein steifes Wesen.
Kurze Zeit danach erbat er Urlaub, um zur Regelung von Erbschaftsangelegenheiten nach Niort zurückzukehren. »Er hört offenbar nie auf zu erben«, dachte Angélique. Sie erinnerte sich, daß er schon einmal aus dem gleichen Grunde eine Stelle hatte verlassen müssen. Meister Clément versprach, im kommenden Monat zurück zu sein, aber als sie ihn sorgfältig das Gepäck auf seinem Pferd verschnüren sah, überkam Angélique eine Ahnung, daß sie ihn nicht so bald wiedersehen würde. Ihre Absicht, ihm einen Brief für ihre Familie anzuvertrauen, gab sie im letzten Augenblick auf.
Als er abgereist war, wurde sie plötzlich von dem unerklärlichen Verlangen erfaßt, Monteloup und das Heimatland wiederzusehen. Dabei sehnte sie sich nicht einmal so sehr nach ihrem Vater. Obzwar sie sehr glücklich geworden war, grollte sie ihm immer noch ein wenig wegen der Art, in der er sie verheiratet hatte. Ihre Brüder und Schwestern waren in alle Winde verstreut. Der alte Wilhelm war tot, und den Briefen, die sie bekam, entnahm sie, daß die Tanten zänkisch und kindisch und die Amme immer despotischer wurden. Ihre Gedanken wanderten kurz zu Nicolas, aber Nicolas war nach ihrer Hochzeit aus der Gegend verschwunden.
Angélique ging ihrem Wunsch auf den Grund und wurde sich bewußt, daß nur der Gedanke sie in die Heimat trieb, Schloß Plessis aufzusuchen und festzustellen, ob sich das berüchtigte Giftkästchen noch in seinem Versteck befand. Eigentlich bestand kein Grund, warum es nicht mehr dort sein sollte.
Es war höchstens zu entdecken, wenn man das Schloß abtrug. Wie kam es, daß diese alte Geschichte sie plötzlich so beschäftigte? Die damaligen Rivalitäten lagen weit zurück. Kardinal Mazarin, der König und sein jüngerer Bruder waren noch am Leben. Monsieur Fouquet war zu Macht und Ehren gekommen, ohne ein Verbrechen begehen zu müssen. Und wurde nicht von einer Rückkehr des Fürsten Condé in Gnaden gesprochen?
Sie schüttelte ihre Bedenken ab und gewann bald ihre Ruhe zurück.
Im Hause Angéliques wie im ganzen Königreich herrschte eitel Freude. Und der Erzbischof von Toulouse, der für den Augenblick wichtigere Sorgen hatte, hörte für eine Weile auf, seinen Rivalen, den Grafen Peyrac, argwöhnisch zu bespitzeln. Seine Eminenz war nämlich zugleich mit dem Erzbischof von Bayonne eingeladen worden, Mazarin auf seiner Reise nach den Pyrenäen zu begleiten.
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