Ganz Frankreich erzählte sich die Neuigkeit: Mit einem Aufgebot an Gefolge, als wolle er die Welt aus den Angeln heben, begab sich der Herr Kardinal auf eine Insel des Flusses Bidassoa im Baskenland, um dort mit den Spaniern den Frieden auszuhandeln. Es würde also vorbei sein mit dem ewigen Krieg, der alljährlich zusammen mit den Frühlingsblumen wiederauflebte. Doch mehr noch als diese so ersehnte Nachricht erfüllte ein unglaubliches Projekt auch den bescheidensten Handwerker des Königreichs mit Genugtuung. Als Friedenspfand bot das stolze Spanien dem jungen König von Frankreich seine Infantin als Gattin an. So warf sich, allem Groll und allen neidischen Blicken zum Trotz, beiderseits der Pyrenäen jedermann in die Brust, denn im damaligen Europa, zwischen dem im Aufruhr befindlichen England, den winzigen deutschen und italienischen Fürstentümern und jenen bürgerlichen Völkern, die man »die Seeleute« nannte: Flamen und Holländer, waren allein diese beiden Fürsten einander würdig.

Welchen anderen König konnte man schon für die Infantin ausersehen, die einzige Tochter Philipps IV., das reine Idol mit der perlmutterglänzenden Haut, die im Schatten düster-prunkvoller Paläste aufgewachsen war?

Und welche andere Prinzessin bot diesem jungen, fünfzehnjährigen Prinzen, der Hoffnung einer der größten Nationen, so viele Garantien für Adel und sonstige Vorzüge?

Seit Jahren hatte Monsieur de Lionne, der Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, in wachsender Verlegenheit die Porträts sämtlicher heiratsfähiger Prinzessinnen der Christenheit geprüft. Eine Zeitlang hatte die Große Mademoiselle in Frage gestanden, die sechs Jahre ältere Kusine des Königs, das einzige wirklich reiche Mädchen der Familie. Doch durch den Kanonenschuß, den die enragier-te Fronde-Anhängerin auf die königlichen Truppen abfeuern ließ, hatte dieses schöne Projekt einiges an Glanz eingebüßt.

Dann sprach man von Margarete von Savoyen, und der Hof machte sich nach Lyon auf den Weg. Doch während man dort tanzte und sich allmählich zu erwärmen begann, erschien ein anonymer Bote an einer Geheimtür; er wurde von Monsieur Colbert, dem Intendanten des Kardinals, in einem Winkel empfangen und durch dunkle Gänge in ein abgelegenes Kabinett geführt. Dort gesellte sich der Kardinal hinzu, und es wurde lange geflüstert. Dann kehrte Mazarin zur Königin Anna von Österreich unter die funkelnden Lüster zurück und flüsterte ihr zwischen zwei Gängen zu:

»Die Infantin gehört uns. Wir haben hier nichts mehr zu suchen.«

Natürlich kommentierten die Provinzhöfe diese Ereignisse mit Leidenschaft, und die Damen von Toulouse sagten, der König weine heimlich sehr viel, denn er sei unsterblich in eine kleine Kindheitsfreundin verliebt, die braune Marie Mancini, Nichte des Kardinals. Doch die Staatsraison ließ nicht mit sich spaßen. Bei dieser Gelegenheit bewies der Kardinal auf schlagende Weise, daß der Ruhm seines königlichen Zöglings und das Wohl des Königreichs vor allem anderen den Vorrang hatten.

Er wollte den Frieden als Krönung der Intrigen, die seine geschickten italienischen Hände seit Jahren spannen. Seine Familie wurde unbarmherzig beiseite geschoben. Ludwig XIV. würde die Infantin heiraten.

So näherte sich der Kardinal mit acht Kutschen für seine eigene Person, zehn Wagen für sein Gepäck, vierundzwanzig Maultieren, hundertfünfzig livrierten Dienern, hundert Reitern und zweihundert Fußsoldaten den smaragdgrünen Ufern von Saint-Jean-de-Luz. Unterwegs forderte er die Erzbischöfe von Bayonne und Toulouse mit ihrem gesamten Gefolge an, um die pompöse Wirkung der Abordnung zu steigern. Währenddessen überquerte auf der andern Seite des Gebirges Don Luis de Haro, der Vertreter

Seiner Allerchristlichsten Majestät, der so großem Aufwand nur stolze Schlichtheit entgegensetzte, das Hochplateau von Kastilien; er führte in seinen Truhen lediglich Wandteppiche mit sich, deren Szenen jedermann an den Ruhm des alten Königreichs Karls V. erinnern sollten.

Niemand hatte es eilig, denn keiner der beiden wollte als erster ankommen und sich der Demütigung aussetzen, auf den andern warten zu müssen. Zuletzt trottete man Meter für Meter dahin, und durch ein wahres Wunder der Etikette erreichten der Italiener und der Spanier am selben Tage, zur selben Stunde die Ufer der Bidassoa. Darauf verging die Zeit in Unentschlossenheit. Wer würde als erster den Kahn zu Wasser lassen, um zur kleinen Fasaneninsel in der Mitte des Stroms überzusetzen, wo die Begegnung stattfinden sollte? Jeder fand die Lösung, die seinen Stolz schonte. Der Kardinal und Don Luis ließen einander gleichzeitig mitteilen, sie seien krank. Da die List infolge zu großer Übereinstimmung fehlgeschlagen war, mußte man hübsch abwarten, bis die »Krankheiten« sich ausgetobt hatten, doch fürs erste wollte keiner gesunden.

Die Welt wurde ungehalten. Würde es zum Frieden kommen? Würde es zur Heirat kommen? Die geringste Geste wurde mit ausführlichen Kommentaren gewürdigt.

In Toulouse verfolgte Angélique die Dinge nur aus der Ferne. Sie war über ein persönliches Ereignis freudig erregt, das ihr viel wichtiger erschien als die Heirat des Königs.

Da ihr Verhältnis zu Joffrey von Tag zu Tag inniger wurde, war der glühende Wunsch in ihr aufgekeimt, ein Kind zu bekommen. Erst dann, so wollte ihr scheinen, würde sie wirklich seine Frau sein. Er mochte ihr immer wieder versichern, seine Liebe sei noch nie so weit gegangen, daß er einer Frau sein Laboratorium gezeigt und ihr von Mathematik geredet habe - sie blieb skeptisch und bekam nachträgliche Eifersuchtsanfälle, die ihn zum Lachen brachten und ihn insgeheim beglückten.

Sie wußte jetzt, welche Sensibilität sich hinter diesem anscheinend so verwegenen Charakter verbarg, sie ermaß die Kraft, die er aufgeboten hatte, um mit seiner Häßlichkeit und seinem Gebrechen fertig zu werden. Es kam ihr vor, als hätte sie ihn nicht so leidenschaftlich zu lieben vermocht, wäre er schön und unverwundbar gewesen. Sie wollte ihm ein Kind schenken, um ihn glücklich zu machen. Doch die Zeit verging, und sie begann schon zu fürchten, sie könne unfruchtbar sein.

Als sie sich schließlich zu Beginn des Winters 1658 schwanger fühlte, weinte sie vor Glück.

Joffrey verbarg seine Begeisterung und seinen Stolz nicht. In jenem Winter, da man sich in die Vorbereitungen der noch gar nicht feststehenden königlichen Hochzeit stürzte, zu der alle Edelleute der Provinz zu reisen hofften, war das Leben sehr still im Palais von Toulouse. Graf Peyrac teilte seine Zeit zwischen seinen Studien und seiner jungen Frau und gab die großzügige Geselligkeit auf, die er bis dahin in seinem Heim gepflegt hatte. Nebenbei und ohne Angélique etwas davon zu sagen, nützte er die Abwesenheit des Erzbischofs, um zur großen Befriedigung eines Teils der Ratsherrn und der Bevölkerung das öffentliche Leben von Toulouse wieder in die Hand zu nehmen.

Für die Niederkunft begab sich Angélique auf ein kleines Schloß, das der Graf im Béarn besaß, auf den Ausläufern der Pyrenäen, wo es kühler war als in der Stadt.

Natürlich diskutierten die zukünftigen Eltern im voraus viel über den Vornamen, den man diesem Sohn, dem Erben der Grafen von Toulouse, geben würde. Joffrey wollte ihn Cantor nennen - nach dem berühmten Troubadour des Languedoc, Cantor de Marmont, aber da er mitten in der Festzeit auf die Welt kam, als die Blumenspiele in Toulouse stattfanden, bekam er den Namen Florimond.

Es war ein brauner, kleiner Bursche mit dichtem, schwarzem Haar. Ein paar Tage lang trug Angélique ihm die Ängste und Schmerzen der Niederkunft nach. Die Hebamme versicherte ihr jedoch, für einen Erstling sei die Sache sehr gut vonstatten gegangen. Aber Angélique war selten krank gewesen, und körperlicher Schmerz war ihr unbekannt. Im Verlauf der langen Stunden des Wartens hatte sie das Gefühl empfunden, ganz allmählich von dieser elementaren Qual überwältigt zu werden, und ihr Stolz bäumte sich dagegen auf. Sie war allein auf einem Wege, auf dem weder Liebe noch Freundschaft ihr helfen konnte, beherrscht von dem unbekannten Kind, das sie schon völlig in Anspruch nahm. Die Gesichter, die sie umgaben, wurden ihr fremd.

Diese Stunden waren für sie der Vorgeschmack jener bitteren Einsamkeit, der sie eines Tages gegenüberstehen sollte. Sie wußte es nicht, aber ihr ganzes Wesen wurde von einer Vorahnung erfaßt, und während vierundzwanzig Stunden beunruhigte sich Joffrey über ihre Blässe, ihre Verschlossenheit und ihr gezwungenes Lächeln.

Dann, am Abend des dritten Tages, als Angélique sich neugierig über die Wiege beugte, in der ihr Sohn schlief, erblickte sie ein Gesicht mit ausgeprägten Zügen, wie es ihr zuweilen das nicht verunstaltete Profil Joffreys offenbart hatte. Sie glaubte zu sehen, wie ein grausamer Säbel auf dieses Engelsgesichtchen niederfuhr, wie der zarte Körper aus einem Fenster geschleudert wurde und im Schnee zerschellte.

Die Vision war so deutlich, daß sie vor Entsetzen aufschrie. Sie nahm das Neugeborene und preßte es krampfhaft an sich. Ihre Brüste schmerzten, denn die Milch stieg, und die Hebamme hatte sie eng geschnürt. Die vornehmen Damen stillten ihre Kinder nicht. Eine junge Amme sollte Florimond in ihre Berge mitnehmen, wo er die ersten Jahre seines Daseins verbringen würde.

Doch als die Hebamme an jenem Abend das Zimmer der Wöchnerin wieder betrat, hob sie entsetzt die Arme gen Himmel, denn Florimond lag vergnügt an der Brust seiner eigenen Mutter.

»Madame, Ihr seid nicht bei Trost! Was soll nun mit Eurer Milch geschehen? Ihr werdet Fieber bekommen und eine verhärtete Brust.«

»Ich werde ihn selbst nähren«, erklärte Angélique entschlossen. »Ich will nicht, daß man ihn aus einem Fenster wirft!«

Man sprach mit Entrüstung über diese Edelfrau, die sich wie eine Bäuerin benahm. Schließlich einigte man sich dahin, daß die Amme trotzdem im Hause der Gräfin Peyrac blieb, um das Stillen Florimonds, der sich als überaus gierig erwies, zu ergänzen.

Als die Milchfrage noch sämtliche Gemüter des zum Schloß gehörenden Dorfs beschäftigte, erschien plötzlich Bernard d’Andijos auf der Bildfläche. Graf Peyrac hatte ihn zum ersten Kavalier seines Hauses ernannt und nach Paris geschickt, um dort sein Palais für einen Besuch vorzubereiten, den er der Hauptstadt abzustatten gedachte.

Zurückgekehrt, war Andijos sofort nach Toulouse geeilt, um den abwesenden Grafen bei den Festlichkeiten der Blumenspiele zu vertreten. Jedenfalls erwartete man ihn nicht im Béarn.

Nun war er gekommen und schien sehr erregt. Nachdem er die Zügel seines Pferdes einem Lakaien zugeworfen hatte, sprang er, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und brach in Angéliques Zimmer ein. Diese lag in ihrem Bett, während Joffrey am Fenster saß und summend auf seiner Gitarre zupfte. Da der Abend kühl war, hatte man Feuer im Kamin gemacht. Die Amme, die auf den Fliesen neben dem Korb des Säuglings hockte, rollte Gazebinden auf, mit denen sie später den Neugeborenen so fest wie einen Dreikönigskuchen wickeln würde.

Andijos hatte für das stimmungsvolle Familiengemälde keinen Blick übrig. »Der König kommt!« rief er atemlos.

»Wohin denn?«

»Zu Euch, ins Palais, nach Toulouse ...!«

Dann ließ er sich in einen Sessel fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Nun«, sagte Joffrey, nachdem er auf seiner Gitarre eine kleine Weise gespielt hatte, um ihn zu Atem kommen zu lassen, »laßt uns nicht den Kopf verlieren. Man hat mir wohl berichtet, der König, seine Mutter und der Hof hätten sich auf den Weg gemacht, um den Kardinal in Saint-Jean-de-Luz zu treffen, aber weshalb sollten sie über Toulouse reisen?«

»Das ist eine lange Geschichte! Es scheint, als hätten Don Luis de Haro und Mazarin vor lauter Höflichkeitsbezeigungen noch gar nicht das Thema der Heirat angeschnitten. Im übrigen wird die Atmosphäre, wie man sagt, immer gespannter. Man kann sich in der Angelegenheit des Fürsten Condé nicht einig werden. Spanien wünscht, daß man ihn mit offenen Armen empfängt und daß man nicht nur die Verrätereien der Fronde vergißt, sondern auch die Tatsache, daß dieser Fürst aus französischem Geblüt jahrelang spanischer General war. Die Pille ist bitter und schwer zu schlucken. Das Erscheinen des Königs wäre unter diesen Umständen grotesk. Mazarin hat zur Reise geraten. Man reist. Der Hof begibt sich nach Aix, wo die Gegenwart des Königs zweifellos die Revolte dämpfen wird, die kürzlich dort ausgebrochen ist. Aber diese ganze schöne Gesellschaft kommt durch Toulouse. Und Ihr seid nicht dort! Und der Erzbischof ist nicht dort! Die Ratsherrn sind völlig kopflos!«

»Es ist ja schließlich nicht das erstemal, daß sie eine hohe Persönlichkeit empfangen.«

»Ihr müßt unbedingt dort sein«, sagte Andijos beschwörend. »Ich bin eigens hierhergekommen, um Euch zu holen. Als der König erfuhr, daß man durch Toulouse kommen würde, soll er gesagt haben: >Endlich werde ich diesen Großen Hinkefuß des Languedoc kennenlernen, von dem man mir bis zum Überdruß erzählt hat!<«