»Seid beruhigt, Madame. Ich frisiere diese junge Dame fertig und schlüpfe hinaus.«
Sie stieg eilig hinunter und lief in ihr Haus hinüber. Dabei gestand sie sich ein, daß sie diesen Binet gern mochte, nicht nur seines Geschmacks und seiner Geschicklichkeit, sondern auch seiner Schlauheit und seiner Untergebenenphilosophie wegen. Er hatte ihr einmal anvertraut, daß er alle Adligen mit »Hoheit« anrede, um sicherzugehen, niemanden zu kränken.
Im Schlafzimmer, wo die Unordnung noch schlimmer geworden war, fand Angélique ihren Gatten mit umgebundenem Handtuch in Erwartung des Barbiers vor.
»Nun, schöne Dame, Ihr nützt ja Eure Zeit!« meinte er. »Ich lasse Euch in tiefem Schlaf zurück, um mich nach Neuigkeiten und dem Programm der Zeremonien zu erkundigen. Und eine Stunde später finde ich Euch in vertrautem Gespräch mit der Herzogin von Montpensier und Monsieur, dem Bruder des Königs, wieder.«
»Die Herzogin von Montpensier! Die Grande Mademoiselle!« rief Angélique aus. »Mein Gott! Ich hätte es mir denken können, als sie von ihrem Vater sprach, den man in Saint-Denis beigesetzt hat.«
Während Angélique sich rasch entkleidete, erzählte sie, auf welche Weise sie zufällig die Bekanntschaft der berühmten Parteigängerin der Fronde gemacht hatte, der alten Jungfer des Regimes, die nun, nach dem Tode ihres Vaters Gaston d’Orléans, die reichste Erbin Frankreichs war.
»Ihre jüngeren Schwestern, Mesdemoiselles de Valois und d’Alençon, die bei der Trauung die Schleppe der Königin halten werden, sind also nur ihre Halbschwestern. Binet hat sie auch frisiert.«
Der Barbier kam atemlos angestürzt und begann, das Kinn seines Herrn einzuseifen. Angélique stand im Hemd da, aber das machte ihr im Augenblick nichts aus. Es ging darum, sich schleunigst zum König zu begeben, der an diesem Vormittag alle Adligen des Hofs zur Begrüßung zu sich beschieden hatte.
Marguerite, den Mund voller Stecknadeln, warf Angélique einen ersten Rock aus schwerem, gold-durchwirktem Stoff über, dann einen zweiten aus hauchzarter Goldspitze, deren Muster durch Edelsteine betont wurde.
»Und Ihr sagt, dieser weibische junge Mann sei der Bruder des Königs?« fragte Angélique. »Er benahm sich dem Grafen de Guiche gegenüber höchst merkwürdig. Man hätte meinen können, er sei verliebt in ihn. O Joffrey, glaubt Ihr wirklich, daß ... daß sie .?«
»Man nennt das auf italienische Art lieben«, sagte der Graf lachend. »Wir verdanken unsern Nachbarn von jenseits der Alpen die Wiedergeburt der Literatur und der Künste, aber auch die Einführung absonderlicher Sitten. Schade, daß ausgerechnet der einzige Bruder des Königs sie sich zu eigen macht.«
François Binet, geschwätzig wie alle Leute seines Berufs, ergriff das Wort. »Ich habe mir sagen lassen, daß der Kardinal Mazarin die Neigungen des kleinen Monsieur unterstützt habe, damit er im Schatten seines Bruders bleibe. Er soll Anweisungen gegeben haben, ihn in Mädchenkleider zu stecken und auch seine kleinen Freunde so zu verkleiden. Man befürchtet immer, als Bruder des Königs könne er nach dem Vorbild des seligen Monsieur d’Orléans, der reichlich unerträglich war, Komplotte schmieden.«
»Du urteilst recht hart über deine Fürsten, Barbier«, sagte Joffrey.
»Das ist das einzige Gut, das ich besitze, Herr Graf:
meine Zunge und das Recht, sie in Bewegung zu setzen.«
»Lügner! Du bist durch mich reicher geworden als der Perückenmacher des Königs.«
»Das ist richtig, Herr Graf, aber ich brüste mich damit nicht. Es ist nicht klug, Neid zu erwecken.«
Joffrey tauchte sein Gesicht in ein mit Rosenwasser gefülltes Becken, um die nach dem Rasieren brennende Haut zu kühlen. Dann begann er sich mit seines Kammerdieners und Alphonsos Unterstützung anzukleiden.
Indessen hatte Angélique ein Mieder aus Goldstoff übergestreift und stand unbeweglich da, während Marguerite den Brusteinsatz befestigte, ein wahres Kunstwerk aus Filigrangold mit Seide untermischt. Eine Goldspitze legte sich wie gleißendes Moos um ihre bloßen Schultern und verlieh ihrer Haut schimmernde Blässe. Sie betrachtete sich im Spiegel und kam sich mit ihren sanft rosigen Wangen, ihren dunklen Wimpern und Brauen, ihrem welligen Haar, das den gleichen Glanz wie ihr Kleid aufwies, der eigentümlichen Klarheit ihrer grünen Augen wie ein seltsames Idol vor, das wie aus den edelsten Stoffen geschaffen wirkte: aus Gold, Marmor, Smaragd.
Als sie sich umwandte, befestigte Graf Peyrac eben seinen Degen am diamantbesetzten Gehänge. Er war völlig in Schwarz und Silber gekleidet. Über dem Mantel aus schwarzem Moire lag eine durch Diamantennadeln festgehaltene Silberspitze. Das Wams aus Silberbrokat war mit schwarzen, sehr feinen Spitzen verziert, die Schuhe mit Diamantenschnallen. Die Halsbinde war nicht zu einem Kragen, sondern zu einem dicken Knoten geschlungen und ebenfalls mit sehr kleinen Diamanten besetzt. Auch an den Fingern trug er eine Menge Diamanten und einen einzigen, sehr großen Rubin.
Sie betrachtete ihn lange, und ein wunderlicher Schauer überlief sie.
»Ich glaube, die Grande Mademoiselle hat nicht ganz unrecht, wenn sie sagt, Ihr sähet furchterregend aus.« - »Es wäre vergebliche Mühe, mein unerfreuliches Äußere zu tarnen«, sagte der Graf. »Würde ich versuchen, mich wie ein Laffe zu kleiden, wäre ich lächerlich und erbarmenswert. So passe ich eben meine Kleidung meinem Gesicht an.«
Sie betrachtete dieses Gesicht. Es gehörte ihr, dachte sie zärtlich; sie hatte es gestreichelt, sie kannte seine kleinsten Fältchen. Sie lächelte und murmelte: »Mein Liebster!«
Draußen vor der Tür war Kouassi-Ba in seinem Wams aus kirschfarbenem Samt, seiner weiten türkischen Hose und seinem Turban, beide aus weißer Seide, Gegenstand der Bewunderung aller Gaffer. Man machte einander auf seinen gekrümmten Säbel aufmerksam. Auf einem Kissen hielt er einen goldbeschlagenen Kasten aus sehr schönem rotem Saffian.
Zwei Sänften erwarteten den Grafen und Angélique.
Sehr rasch erreichte man das Haus, in dem der König, seine Mutter und der Kardinal abgestiegen wa-ren. Wie alle vornehmen Häuser von Saint-Jean-de-Luz war es ein schmales Gebäude in spanischem Stil mit vorgesetzten Balustraden und winzigen Balkons aus vergoldetem Holz. Die Hofleute drängten sich auf dem Platz, wo der Seewind die Federn der Hüte wehen ließ.
Angélique fühlte ihr Herz bis zum Halse schlagen, als sie die Stufen zum Hause emporstieg. »Ich werde den König sehen«, dachte sie, »die Königin-Mutter! Den Kardinal!«
Wie nahe er ihr immer gewesen war, dieser junge König, von dem die Amme erzählt hatte, überfallen vom aufrührerischen Pariser Volk, auf der Flucht durch das von der Fronde verheerte Frankreich, nach der Willkür der Fürstenparteien von Stadt zu Stadt, von Schloß zu Schloß gejagt, verraten, verlassen, schließlich siegreich. Jetzt erntete er die Früchte seiner Kämpfe. Und mehr noch als der König genoß die Frau, die Angélique im Hintergrund des Saales erblickte, die Königin-Mutter in ihren schwarzen Schleiern mit ihrem stumpfen spanischen Teint, in ihrer zugleich unnahbaren und anmutigen Haltung, die Stunde des Triumphs.
Der Zeremonienmeister kündigte an:
»Graf Peyrac de Morens d’Irristru.«
Angélique machte ihren Hofknicks. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Vor ihr ragten eine schwarze und eine rote Gestalt auf: die KöniginMutter und der Kardinal.
Sie dachte: »Joffrey müßte sich tiefer verbeugen. Vorhin hat er die Grande Mademoiselle so schön gegrüßt. Aber vor dem Allergrößten macht er nur einen kleinen Kratzfuß ... Binet hat recht ... Binet hat recht .«
Es war dumm, in diesem Zusammenhang an den guten Binet zu denken und sich immer wieder zu sagen, er habe recht. Weshalb tat sie das eigentlich? Eine Stimme sagte:
»Wir sind erfreut, Euch wiederzusehen, Graf, und Madame zu begrüßen ... zu bewundern, über die man Uns schon so viel Erfreuliches berichtet hat. Aber Wir müssen feststellen, daß die Wirklichkeit alles Lob übertrifft.« Angélique hob die Augen. Sie begegnete einem leuchtenden Blick, der sehr aufmerksam auf ihr ruhte: dem Blick des Königs.
Prächtig gekleidet, war der König von mittlerem Wuchs, aber er hielt sich so gerade, daß er alle seine Hofleute zu überragen schien. Angélique stellte fest, daß seine Haut leicht pockennarbig war, Überbleibsel der Blattern, an denen er in seiner Kindheit gelitten hatte. Seine Nase war zu lang, sein Mund aber kräftig und sinnlich unter dem dünnen, schmalen Schnurrbärtchen. Das kastanienbraune, quellende Haar fiel in welligen Kaskaden herab. Er hatte schöne Beine und wohlgeformte Hände. Unter den Spitzen und Bändern ahnte man einen geschmeidigen, kräftigen, durch Jagd und Gymnastik gestählten Körper.
»Meine Amme würde sagen: Er ist eine schöne Mannsperson und taugt zum Heiraten«, dachte Angé-lique und ärgerte sich alsbald über solch unfeine Gedanken in einem so feierlichen Augenblick ihres Lebens.
Die Königin-Mutter verlangte den Inhalt des Kästchens zu sehen, das Kouassi-Ba eben kniend in der Haltung eines der Heiligen Drei Könige dargeboten hatte.
Man geriet in Begeisterung angesichts des kleinen Handtäschchens mit seinen Döschen und Kämmen, Scheren, Spangen, Petschaften aus purem Gold und Schildpatt. Doch der Reisealtar bezauberte die frommen Damen des Hofstaats der Königin-Mutter noch mehr. Diese lächelte und bekreuzigte sich.
Das Kruzifix und die beiden Statuetten spanischer Heiliger sowie die ewige Lampe und das kleine Weihrauchgefäß waren aus Gold und Silber. Und Joffrey de Peyrac hatte von einem italienischen Maler auf vergoldetem Holz ein Triptychon malen lassen, das Szenen der Passion darstellte. Die Miniaturen waren äußerst zart und von großer Farbenfrische. Anna von Österreich erklärte, die Infantin stehe im Ruf strenger Frömmigkeit und werde über ein solches Geschenk zweifellos entzückt sein.
Sie wandte sich dem Kardinal zu, um ihn die Malereien bewundern zu lassen; der aber nahm eines der Instrumente des Täschchens nach dem andern in die Hand und ließ sie durch die Finger gleiten.
»Man sagt, Euch fließe das Gold aus der hohlen Hand, Monsieur de Peyrac, wie die Quelle aus dem Felsen?«
»Euer Bild ist treffend, Eminenz«, erwiderte der Graf zurückhaltend. »Wie die Quelle aus dem Felsen ... aber aus einem Felsen, den man zuvor mit einem großen Aufgebot an Zündschnüren und Pulver unterminiert, den man bis zu ungeahnten Tiefen ausgegraben, dann gewälzt und zerstoßen hat. Dann allerdings kann dank der Mühe und des Schweißes Wasser aus ihm quellen, und das sogar im Überfluß.«
»Das nenne ich eine hübsche Parabel über die Arbeit, die Früchte trägt. Wir sind es nicht gewohnt, Leute Eures Standes eine solche Sprache führen zu hören, aber ich gestehe, daß es mir nicht mißfällt.«
Mazarin lächelte noch immer. Er hielt einen Spiegel aus dem Täschchen vor sein Gesicht und warf einen flüchtigen Blick hinein. Trotz Schminke und Puder, unter denen er seinen krankhaft gelben Teint zu verbergen suchte, glänzte es feucht vor Schwäche an seinen Schläfen, und die Locken seiner Haare waren verklebt unter seinem roten Kardinalskäppchen.
Seit Monaten zehrte die Krankheit an ihm; er zumindest hatte nicht gelogen, als er seine Blasensteine zum Vorwand nahm, um sich nicht als erster dem spanischen Bevollmächtigten Don Luis de Haro vorstellen zu müssen. Angélique fing einen Blick der Königin-Mutter auf den Kardinal auf, den Blick einer besorgten Frau. Vermutlich hätte sie ihm gar zu gern gesagt: Redet nicht so viel, Ihr strengt Euch zu sehr an. Das ist die Stunde für Euren Kräutertee.
War es wahr, daß sie ihren Italiener geliebt hatte, die so lange von einem allzu keuschen Gatten verschmähte Königin? Alle Welt behauptete es, aber niemand wußte es genau. Ein einziges Wesen kannte vielleicht das Geheimnis, und das war der streng behütete Sohn, der König. Nannten ihn der Kardinal und die Königin in den Briefen, die sie austauschten, nicht den »Mitwisser«? Mitwisser wessen?
»Bei Gelegenheit würde ich mich gerne mit Euch über Eure Arbeiten unterhalten«, sagte der Kardinal.
Der junge König erklärte seinerseits mit einer gewissen Lebhaftigkeit: »Ich ebenfalls. Was ich erfahren habe, hat meine Neugier geweckt.«
»Ich stehe Eurer Majestät und Eurer Eminenz zur Verfügung.«
Die Audienz war beendet.
Angélique und ihr Gatte begrüßten Monseigneur de Fontenac, den sie in der unmittelbaren Umgebung des Kardinals bemerkten. Danach machten sie bei allen hohen Persönlichkeiten und deren Anhang die Runde. Angélique war so angeregt, daß sie keine Müdigkeit verspürte. Die Komplimente, die sie empfing, ließen keinen Zweifel an ihrem Erfolg zu. Es war offenkundig, daß das Paar große Aufmerksamkeit erregte.
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