Während ihr Gatte sich mit dem Marschall Gra-mont unterhielt, trat ein junger Mann von kleinem Wuchs, aber angenehmem Gesicht auf Angélique zu. »Erkennt Ihr mich, o Göttin, die Ihr eben dem Wagen des Sonnengotts entstiegen seid?«
»Natürlich!« rief sie erfreut. »Ihr seid Péguillin.«
Um gleich darauf entschuldigend fortzufahren: »Ich bin recht formlos, Monsieur de Lauzun, aber was wollt Ihr, ich höre überall von Péguillin reden. Péguillin da, Péguillin dort! Alle Welt hegt so viel Zuneigung für Euch, daß ich mich, ohne Euch inzwischen wiedergesehen zu haben, einfach anpaßte.«
»Ihr seid anbetungswürdig und beglückt nicht nur meine Augen, sondern auch mein Herz. Wißt Ihr, daß Ihr die auffallendste Erscheinung in dieser Versammlung seid? Ich kenne Damen, die im Begriff sind, ihre Fächer kurz und klein zu zerbrechen und ihre Taschentücher zu zerreißen, so neidisch hat sie Euer Kleid gemacht. Wie werdet Ihr erst am Tage der Hochzeit geschmückt sein, wenn Ihr so beginnt?«
»Oh, vermutlich werde ich dann im Prunk der Aufzüge verschwinden. Aber heute hat man mich dem König vorgestellt. Ich bin noch ganz benommen.«
»Habt Ihr ihn liebenswert gefunden?«
»Wie kann man den König nicht liebenswert finden?« sagte Angélique lachend.
»Ich sehe, daß Ihr schon darüber im Bilde seid, was man bei Hofe sagen darf und was nicht. Was mich betrifft, ist es ein wahres Wunder, daß ich noch dazugehöre. Denn der König ist zwar ein reizender Freund, aber Vorsicht! Man darf ihn nicht zu fest anpacken, wenn man mit ihm spielt.«
Er beugte sich zu ihrem Ohr.
»Wißt Ihr, daß ich um ein Haar in die Bastille gesperrt worden wäre?«
»Was hattet Ihr getan?«
»Ich erinnere mich nicht mehr. Ich glaube, ich hatte der kleinen Marie Mancini, in die der König so unsterblich verliebt war, ein bißchen zu sehr den Hof gemacht. Der Verhaftbefehl war bereits unterzeichnet. Ich wurde rechtzeitig gewarnt, warf mich weinend dem König zu Füßen und brachte ihn so zum Lachen, daß er mir verzieh und mich, statt mich ins dunkle Gefängnis zu werfen, zum Hauptmann befördert hat. Ihr seht, er ist ein liebenswerter Freund ... wenn er nicht Euer Feind ist.«
»Weshalb sagt Ihr mir das?« fragte Angélique sofort.
Péguillin de Lauzun machte große, unschuldsvolle Augen, worauf er sich trefflich verstand. »Ach, nur so, meine Teuerste.«
Er nahm sie ungezwungen beim Arm und zog sie fort.
»Kommt, ich muß Euch Freunden vorstellen, die darauf brennen, Euch kennenzulernen.«
Diese Freunde waren junge Leute aus dem Gefolge des Königs. Sie fand es herrlich, sich so auf gleichem Fuße mit den oberen Rängen des Hofes zu bewegen. Saint-Thierry, Brienne, Cavois, Ondedeï, der Marquis d’Humières, den Lauzun als seinen geschworenen Feind vorstellte, Louvigny, der zweite Sohn des Herzogs von Gramont - sie alle wirkten sehr lustig und galant und waren prächtig gekleidet. Sie sah auch de Guiche, an den sich noch immer der Bruder des Königs klammerte. Philippe streifte sie mit einem feindseligen Blick.
»Oh, ich erkenne sie wieder«, sagte er und kehrte ihr den Rücken zu.
»Ärgert Euch nicht über solches Benehmen«, flüsterte Péguillin. »Für den kleinen Monsieur sind alle Frauen Rivalen, und de Guiche war so unbesonnen, Euch einen freundschaftlichen Blick zuzuwerfen.«
»Ihr wißt, daß er nicht mehr der kleine Monsieur genannt sein will«, erklärte der Marquis d’Humières. »Seit dem Tode seines Onkels Gaston d’Orléans muß man kurzweg Monsieur sagen.«
Eine Bewegung entstand in der Menge, der ein Gedränge folgte, und mehrere diensteifrige Hände streckten sich aus, um Angélique zu beschützen.
»Ihr Herren, seht Euch vor!« rief Lauzun und hob warnend den Finger wie ein Magister. »Seid eines im Languedoc berühmten Degens eingedenk!«
Aber das Geschiebe wurde so groß, daß Angélique lachend und ein wenig bestürzt sich unversehens gegen kostbare, bebänderte und nach Iris- und Ambrapuder duftende Wämser gedrückt fühlte.
Die Aufseher vom Tafeldienst des Königlichen Hauses forderten Durchlaß für eine Prozession von Lakaien, die silberne Platten und Schüsseln trugen. Es hieß, Ihre Majestäten und der Kardinal hätten sich soeben für eine Weile zurückgezogen, um einen Imbiß zu sich zu nehmen und sich von den ununterbrochenen Vorstellungen zu erholen. Worauf Lauzun und seine Freunde sich entfernten, da ihr Dienst sie rief.
Angélique hielt Ausschau nach ihren toulousani-schen Bekannten. Sie hatte sich vor einem Zusammentreffen mit der impulsiven Carmencita gefürchtet, aber nun erfuhr sie, daß Monsieur de Mérecourt sich plötzlich auf seine Würde besonnen und seine Frau endlich ins Kloster geschickt hatte.
Während sie sich zwischen den Gruppen hindurchwand, verspürte sie unversehens tüchtigen Hunger. Der Vormittag mußte schon weit vorgeschritten sein, und sie beschloß, nach Hause zu gehen und sich Schinken und Wein servieren zu lassen, falls sie nicht bald aufJoffrey stieß.
Die Leute aus ihrer Provinz hatten sich offenbar irgendwo in der Stadt zum Mittagessen versammelt. Überall sah sie nur unbekannte Gesichter. Diese Stimmen ohne jede Dialektfärbung verursachten ihr ein Gefühl der Fremdheit. Vielleicht hatte auch sie nach so vielen im Languedoc verbrachten Jahren diese singende und rasche Sprechweise angenommen? Sie fühlte sich ein wenig bedrückt.
Sie fand einen stillen Winkel unter der Treppe und setzte sich auf ein Bänkchen, um Atem zu schöpfen. Es war offensichtlich schwierig, aus diesen nach spanischer Art gebauten Häusern mit ihren dunklen Gängen und blinden Türen ins Freie zu gelangen.
Nur wenige Schritte entfernt ließ die mit Teppichen verkleidete Wand eine Spalte erkennen. Ein Hund, der mit einem Knochen im Maul aus dem Nebenraum kam, vergrößerte die Öffnung.
Angélique warf einen Blick hinein und erkannte die königliche Familie, die in Gesellschaft des Kardinals, der beiden Erzbischöfe von Bayonne und Toulouse und des Monsieur de Lionne um einen Tisch versammelt war. Die die Fürstlichkeiten bedienenden Lakaien kamen und gingen durch eine andere Tür.
Der König warf zu wiederholten Malen sein Haar zurück und fächelte sich mit seiner Serviette.
»Die Hitze dieses Landes verdirbt einem die schönsten Feste.«
»Auf der Fasaneninsel ist das Wetter günstiger. Dort weht ein angenehmer Seewind«, sagte Monsieur de Lionne.
»Ich werde es mir ein wenig zunutze machen, da ich der spanischen Etikette gemäß meine Braut erst am Tage der Hochzeit sehen darf.«
»Aber Ihr werdet Euch auf die Fasaneninsel begeben, um dort mit dem König von Spanien, Eurem Oheim, zusammenzutreffen, der Euer Schwiegervater werden wird«, stellte die Königin fest. »Dabei soll auch der Frieden unterzeichnet werden.«
Sie wandte sich an Madame de Motteville, ihre Hofdame.
»Ich bin sehr bewegt. Ich habe meinen Bruder sehr geliebt und regelmäßig mit ihm korrespondiert. Aber bedenkt, daß ich zwölf Jahre alt war, als ich mich an eben jenem Ufer von ihm trennte, und daß ich ihn seitdem nie wiedergesehen habe.«
Man war allgemein gerührt. Niemand schien sich daran zu erinnern, daß dieser selbe Bruder, Philipp IV, der größte Feind Frankreichs gewesen war und daß seine Korrespondenz mit Anna von Österreich diese bei Kardinal Richelieu in den Verdacht des Komplotteschmiedens und des Verrats gebracht hatte. Diese Geschehnisse lagen jetzt weit zurück. Man war im gleichen Maße von Hoffnung erfüllt wie fünfzig Jahre zuvor, als an eben diesem Flusse Bidassoa kleine Prinzessinnen mit runden, in breite, röhrenförmig gefaltete Halskrausen gezwängten Wangen zwischen den beiden Ländern ausgetauscht worden waren: Anna von Österreich, die den jungen Ludwig XIII., und Elisabeth von Frankreich, die den kleinen Philipp IV. ehelichte. Die Infantin Maria-Theresia, die man jetzt erwartete, war die Tochter jener Elisabeth.
Angélique betrachtete in leidenschaftlicher Neugier diese Großen der Welt in ihrem Privatleben.
Der König langte herzhaft, aber mit Würde zu; er trank wenig und ließ mehrmals Wasser in seinen Wein mischen.
»Bei meiner Ehre«, rief er unvermittelt aus, »das Beachtlichste, was ich am heutigen Vormittag sah, war dieses schwarz-goldene Paar aus Toulouse. Was für eine Frau, meine Freunde! Welcher Glanz! Man hatte es mir gesagt, aber ich konnte nicht daran glauben. Und sie scheint ehrlich in ihn verliebt zu sein. Wirklich, aus diesem Hinkefuß werde ich nicht schlau.«
»Keiner, der ihm begegnet, wird schlau aus ihm«, sagte der Erzbischof von Toulouse in bissigem Ton. »Ich, der ich ihn seit mehreren Jahren kenne, gebe es auf, ihn zu durchschauen. Es steckt etwas Teuflisches in ihm.«
»Da fängt er wieder an zu faseln«, dachte Angélique bekümmert. Ihr Herz hatte bei den Worten des Königs freudig geklopft, aber die Einmischung des Erzbischofs weckte ihre Besorgnis. Der Kirchenfürst dachte noch nicht daran, die Waffen zu strecken.
Einer der Edelleute aus dem Gefolge des Monarchen sagte mit höhnischem Lächeln: »In den eigenen Gatten verliebt zu sein - ist das nicht einfach lächerlich? Diese junge Person sollte einmal eine Weile an den Hof kommen. Da würde man ihr die dummen Gefühle schon austreiben.«
»Ihr scheint zu glauben, Monsieur, der Hof sei ein Ort, an dem der Ehebruch das einzige Gesetz ist«, protestierte Anna von Österreich streng. »Es ist jedenfalls gut und natürlich, daß Ehegatten einander in Liebe zugetan sind. An der Liebe ist nichts Lächerliches zu finden.«
»Aber sie ist so selten«, seufzte Madame de Motte-ville.
»Aus dem einfachen Grunde, weil es selten geschieht, daß man sich unter dem Zeichen der Liebe ehelicht«, sagte der König in schmerzlichem Ton. Es trat ein etwas verlegenes Schweigen ein. Die KöniginMutter wechselte mit dem Kardinal einen verzweifelten Blick. Monseigneur de Fontenac hob salbungsvoll die Hand.
»Sire, laßt es Euch nicht verdrießen. Wenn die Wege der Vorsehung unerforschlich sind, so sind es die des kleinen Gottes Eros nicht minder. Und da Ihr ein Beispiel aufgreift, das Euch beeindruckt zu haben scheint, so kann ich Euch versichern, daß dieser Edelmann und seine Frau einander vor dem Tage ihrer Trauung, die ich in der Kathedrale von Toulouse vollzog, nie gesehen hatten. Und nun, nach mehreren, durch die Geburt eines Sohnes gekrönten Jahren der Ehe ist die Liebe, die sie einander entgegenbringen, auch für die minder Eingeweihten augenfällig.«
Anna von Österreich sah ihn dankbar an, und Monseigneur warf sich in die Brust.
»Scheinheilig oder ehrlich?« fragte sich Angélique.
Die ein wenig lispelnde Stimme des Kardinals ließ sich vernehmen:
»Ich hatte heute morgen den Eindruck, im Theater zu sein. Dieser Mann ist häßlich, verunstaltet, kränklich, und trotzdem - als er an der Seite seiner strahlenden Frau erschien, gefolgt von jenem großen Mohren in weißer Seide, sagte ich mir: Wie schön sie sind!«
»In jedem Falle bringt er Abwechslung in die Galerie so vieler langweiliger Gesichter, die heute an uns vorbeizog«, sagte der König. »Stimmt es, daß er eine prachtvolle Stimme hat?«
»Es wird immer wieder versichert.«
Der Edelmann, der schon einmal gesprochen hatte, lachte spöttisch.
»Das ist ja eine äußerst rührende Geschichte, fast ein Märchen. Man muß schon in den Süden kommen, um dergleichen zu hören.«
»Oh, Ihr seid unerträglich mit Euren ewigen Spötteleien!« protestierte abermals die Königin-Mutter. »Euer Zynismus mißfällt mir, Monsieur.«
Der Höfling senkte den Kopf, und als die Unterhaltung wiederaufgenommen wurde, tat er, als interessiere er sich für das Treiben des Hundes, der im Türrahmen an seinem Knochen nagte. Da Angélique sah, daß er auf ihren Schlupfwinkel zukam, stand sie hastig auf, um sich zu entfernen. Sie tat ein paar Schritte in den Vorplatz, aber ihr Mantel verfing sich in den Verzierungen eines Pfeilertischchens.
Während sie sich niederbeugte, um sich frei zu machen, stieß der junge Mann den Hund mit dem Fuß beiseite, trat heraus und schloß die kleine, hinter dem Wandteppich verborgene Tür. Da er sich bei der Königin-Mutter mißliebig gemacht hatte, hielt er es für klug, fürs erste aus ihrem Gesichtskreis zu verschwinden.
Unbekümmert passierte er Angélique, wandte sich dann aber noch einmal um, um sie zu mustern.
»Oh, das ist ja die Frau in Gold!«
Sie sah ihn hochmütig an und wollte weitergehen, aber er versperrte ihr den Weg.
»Nicht so hastig! Laßt mich das Phänomen betrachten. Ihr seid also die Dame, die in ihren Gatten verliebt ist? Und in was für einen Gatten! Einen Adonis!«
Sie fixierte ihn mit stummer Verachtung. Er war größer als sie, schlank und kräftig. Seinem Gesicht fehlte es nicht an Schönheit, aber sein schmaler Mund hatte einen bösen Ausdruck, und seine mandelförmigen Augen waren gelb mit kleinen braunen Tupfen. Die unbestimmte, ziemlich vulgäre Farbe entstellte ihn ein wenig. Er war mit Geschmack und Sorgfalt gekleidet. Seine Perücke von nahezu weißem Blond stand in apartem Gegensatz zur Jugendlichkeit seiner Züge.
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