Es war eine lange Karawane, die da mit ihren sechsspännigen Kutschen, ihren Gepäckwagen, ihren Lasttieren, ihren berittenen Lakaien und Leibwachen zwischen dem jungen Korn ihres Weges zog. An den Stadttoren warteten Abordnungen der Bürgerschaft und traten demütig an die Karosse des Königs heran, um ihm auf silberner Schale oder auf einem Samtkissen die Schlüssel darzureichen.
Sie zogen Bordeaux, Saintes und Poitiers vorüber, das die in diesem Trubel wie verlorene Angélique kaum erkannte.
Auch sie reiste mit dem Hof nach Paris.
»Da man Euch nichts sagt, tut so, als ob nichts wäre«, hatte Péguillin geraten. »Euer Gatte wollte nach Paris gehen, so geht auch Ihr dorthin. Alles wird sich dort klären. Vielleicht handelt es sich nur um ein Mißverständnis.«
»Aber was wißt Ihr, Péguillin?«
»Nichts, nichts ... ich weiß nichts.«
Er entfernte sich mit sorgenvoller Miene, um vor dem König den Hanswurst zu spielen.
Schließlich schickte Angélique, nachdem sie Andijos und Cerbaland gebeten hatte, sie zu begleiten, einen Teil ihres Trosses nach Toulouse zurück. Sie behielt nur eine Kutsche und einen Gepäckwagen, außerdem Margot, eine kleine Kindsmagd bei Florimond, drei Lakaien und die beiden Kutscher. Im letzten Augenblick baten der Perückenmacher Binet und der kleine Violinist Giovanni inständig, mitgenommen zu werden.
»Wenn der Herr Graf uns in Paris erwartet und ich nicht komme, wird er sehr ungehalten sein, das versichere ich Euch«, sagte François Binet.
»Paris kennenlernen, oh, Paris kennenlernen!« wiederholte der junge Musikus. »Wenn es mir gelingt, dort dem Hofkomponisten des Königs, Baptiste Lully, zu begegnen, von dem man so viel redet, dann wird er mich gewiß beraten, und ich werde ein großer Künstler.«
»Also gut, steig ein, großer Künstler!« gab Angélique am Ende nach.
Sie bewahrte ihr Lächeln und beherrschte sich, indem sie sich an die Worte Péguillins klammerte: »Vielleicht ist es nur ein Mißverständnis.« Abgesehen von der Tatsache, daß Graf Peyrac spurlos verschwunden war, schien sich tatsächlich nichts geändert zu haben; nichts verlautete, daß er in Ungnade gefallen war.
Die Grande Mademoiselle ließ keine Gelegenheit zu einem freundschaftlichen Gespräch mit der jungen Frau ungenutzt. Sie, die ein völlig naiver Mensch ohne jede Verstellung war, hätte nicht zu heucheln vermocht.
Hie und da erkundigte sich jemand auf ungezwungene Weise nach Monsieur de Peyrac. Angélique erklärte schließlich, er sei nach Paris vorausgefahren, um ihre Ankunft vorzubereiten. Bevor sie jedoch Saint-Jean-de-Luz verließ, bemühte sie sich vergeblich, Monseigneur de Fontenac zu begegnen. Er war nach Toulouse zurückgekehrt.
In manchen Augenblicken glaubte sie, geträumt zu haben, und schalt sich eine Närrin. Vielleicht war Joffrey ganz einfach in Toulouse .?
Aber in der Gegend von Dax, als man die sandige und heiße Provinz des Landes durchquerte, brachte sie ein schauerlicher Zwischenfall in die tragische Wirklichkeit zurück. Die Bewohner eines Dorfs meldeten sich und fragten, ob ein paar Leute der Leibwache ihnen bei einer Treibjagd helfen könnten, die sie auf ein schwarzes blutrünstiges Ungeheuer veranstalten wollten.
Andijos galoppierte zu Angélique und flüsterte ihr zu, es handele sich zweifellos um Kouassi-Ba.
Sie verlangte die Leute zu sehen. Diese bestärkten die junge Frau in ihren Befürchtungen. Ja, vor zwei Tagen hätten sie Schreie und Schüsse auf der Straße gehört. Als sie an Ort und Stelle angelangt seien, hätten sie gesehen, wie ein Reiter mit schwarzem Gesicht, der einen gekrümmten Säbel schwang, wie die Türken sie tragen, eine Kutsche attackierte. Glücklicherweise hätten die Leute von der Kutsche eine Pistole besessen. Der schwarze Mann müsse verwundet worden sein und sei davongelaufen.
»Wer waren die Leute dieser Kutsche?« fragte Angélique.
»Wir wissen es nicht«, erwiderte sie. »Die Vorhänge waren zugezogen. Wir sahen nur zwei Männer, die die Eskorte bildeten. Sie gaben uns ein Geldstück, damit wir den begraben sollten, dem das Ungeheuer den Kopf abgehauen hatte.«
»Den Kopf abgehauen?« wiederholte Andijos entsetzt.
»Jawohl, Herr, und mit einem solchen Schwung, daß wir ihn im Graben suchen mußten, in den er gerollt war.«
In der folgenden Nacht, in der die Insassen der meisten Equipagen sich gezwungen sahen, in den Dörfern der Umgebung von Bordeaux zu kampieren, hörte Angélique im Schlaf abermals den düsteren Ruf:
»Médême! Médême!«
Sie wurde unruhig und wachte endlich auf. Ihr Bett war im einzigen Raum eines Bauernhauses aufgestellt worden, dessen Bewohner im Stall schliefen. Florimonds Wiege stand vor dem Herd. Margot und die kleine Magd hatten sich auf einem Strohsack ausgestreckt.
Angélique sah, daß Margot aufgestanden war und sich nun eilig einen Rock überstreifte.
»Wohin gehst du?«
»Es ist Kouassi-Ba, ich bin dessen ganz sicher«, flüsterte die Zofe. Und schon war Angélique aus dem Bett gesprungen.
Vorsichtig öffneten die beiden Frauen die wacklige Tür. Glücklicherweise war die Nacht sehr finster.
»Kouassi-Ba, komm!« flüsterten sie.
Ein mächtiger, schwankender Körper stolperte über die Schwelle. Sie hießen ihn, sich auf eine Bank setzen. Seine Kleider waren blutbespritzt. Seit drei Tagen irrte er verwundet durch die Gegend.
Margot wühlte in den Truhen und ließ ihn einen Schluck Branntwein trinken. Darauf begann er zu reden.
»Einen einzigen Kopf, Herrin, ich habe nur einen einzigen Kopf abhauen können.«
»Das genügt vollkommen, ich versichere es dir«, sagte Angélique lächelnd.
»Ich habe meinen langen Säbel und mein Pferd verloren.«
»Du bekommst neue. Reg dich nicht auf . Du hast uns wiedergefunden, das ist die Hauptsache. Wenn der Herr dich sieht, wird er sagen: >Gut so, Kouassi-Ba.<«
»Werden wir den Herrn wiedersehen?«
»Wir werden ihn wiedersehen, verlaß dich drauf.«
Im Reden hatte sie ein Leintuch zerrissen, um Scharpie daraus zu machen. Sie fürchtete, die Pistolenkugel könne unter dem Schlüsselbein stek-kengeblieben sein; aber sie entdeckte eine zweite Wunde unter der Achsel, die bewies, daß das Geschoß wieder ausgetreten war. Umsichtig goß sie Branntwein auf beide Stellen und legte einen festen Verband an.
»Was sollen wir mit ihm machen, Madame?« fragte Margot ängstlich.
»Ihn behalten, natürlich! Er wird wieder seinen Platz auf dem Gepäckwagen einnehmen.«
»Aber was wird man sagen?«
»Wer >man<? Glaubst du, all die Leute unserer Umgebung kümmern sich um das Tun und Lassen meines Negers? Gut essen, gute Pferde auf den Umspannstationen bekommen, bequem nächtigen, das sind ihre einzigen Sorgen. Er bleibt unter der Wagenplane, und wenn wir in Paris zwischen unseren eigenen vier Wänden sind, werden sich die Dinge von allein klären.«
Um sich selbst Mut einzuflößen, wiederholte sie nachdrücklich: »Du weißt ja, Margot, all das ist ein Mißverständnis.«
Am Abend des fünften Tages machte der Hof auf Schloß Vaux-le-Vicomte Station, bei Monsieur Nicolas Fouquet, dem Oberintendanten der Finanzen.
Angélique wäre eigentlich lieber weitergefahren, aber ihre Neugier war doch zu groß. Hier bot sich die seltene Gelegenheit, dem berühmten Fouquet zu begegnen, dessen Namen sie das erstemal unter so eigenartigen Umständen gehört hatte. Vielleicht würde ihr auch Clément Tonnel auf den Gängen des Schlosses über den Weg laufen?
Sie schickte Andijos voraus, um für die nächste Etappe in Rambouillet Vorbereitungen zu treffen, und behielt nur Cerbaland bei sich, der dank seiner sanften Augen und Seele noch immer der junge Cerbaland genannt wurde. Er tat sein möglichstes, um eine passende Unterkunft für sie auf zutreiben, aber jedermann hatte bei Fouquet wohnen wollen. Angélique fand nur ein ziemlich unbequemes Quartier über den Ställen, an dem sie jedoch keinen Anstoß nahm. Sie hatte ja nicht die Absicht, sich in den Vordergrund zu drängen oder sich vorstellen zu lassen.
In der Menge der Hofdamen und Edelleute verborgen, bewunderte sie das weiße Gebäude mit der harmonischen Fassade, durchquerte das viereckige, mit einer dorischen Säulenreihe und antiken Statuen ausgestattete Vestibül und betrat den großen, ovalen Salon, der unter der Hauptkuppel lag. Sechs Hermen stützten sie, die auf ihren Häuptern Körbe mit Blumen und Obst trugen. Die Fresken der Kuppel waren noch unvollendet. Ein Maler, dem viel Gutes nachgesagt wurde, der Sieur Charles Le Brun, befaßte sich, unterstützt von zehn Handwerkern, mit ihrer Ausführung.
Der Hof reckte die Nasen hoch und konnte erkennen, daß der Künstler im Begriff war, eine Art himmlischen Sonnentempel darzustellen. Inmitten eines leuchtenden Himmels war das Gestirn in Form eines Eichhörnchens, des Fouquetschen Emblems, abgebildet. Die Götter und Göttinnen des Olymp, die Jahreszeiten, die Monate, die Wochen, die Tage, die Stunden huldigten ihm und reichten die Gaben der Erde und des Himmels dar.
Die Leute gerieten in Ekstase, und selbst der König verbarg seine Bewunderung nicht, aber manche schauten einander schweigend an. Wußte denn Fouquet nicht, daß der junge König bereits die Sonne zum Emblem genommen hatte? War es nicht eine Vermessenheit sondergleichen, das mutwillige Eichhörnchen mit ihr in Verbindung zu bringen, auf dessen allegorische Darstellung man hier überall stieß, begleitet von dem anmaßenden Wahlspruch des Hausherrn:
>Quo non ascendat?<
Danach besichtigte der König den vom Gartenkünstler Le Nôtre entworfenen Park, und während auch Angélique die großartige Perspektive der parallel angelegten Gehölze bewunderte, die Gartenbeete, auf denen die Blumen schillernde Stickereimuster bildeten, mußte sie mit einem Male an ihre Mutter denken. Welche Freude hätte Madame de Sancé an der harmonischen Anordnung der Gebüsche, Gewässer und Pflanzen gehabt!
In einer Kalesche sah Angélique Nicolas Fouquet und den König vorüberfahren. Sie betrachtete ihn neugierig. Wer hätte wohl für möglich gehalten, daß hinter diesem ausgemergelten Gesicht mit den großen melancholischen Augen, in denen sich Schüchternheit mit Tücke mischte, so viel Ehrgeiz loderte?
»Er sieht wirklich nicht furchterregend aus, dieser Fouquet«, dachte sie.
Aufs neue rollte die Kutsche durch den Wald. Angélique war eingenickt, denn die Hitze war drük-kend. Florimond schlief auf Margots Knien. Plötzlich ließ das Geräusch einer trockenen Detonation alle in die Höhe fahren. Es gab einen Stoß. Angélique hatte die Vision einer sich jäh öffnenden tiefen Schlucht. In einer Staubwolke kippte die Kutsche mit fürchterlichem Krachen um. Florimond heulte, halb erdrückt von der Dienerin. Man vernahm das trompetenartige Wiehern der Pferde, die Schreie des Postillions, das Knallen der Peitsche.
Das gleiche kurze, trockene Geräusch erscholl abermals, und in der Scheibe der Kutsche entdeckte Angélique einen merkwürdigen Stern, ähnlich den Eisblumen im Winter, mit einem kleinen Loch in der Mitte. Sie versuchte, sich im Innern des umgestürzten Wagens aufzurichten und Florimond in die Arme zu nehmen, als der Schlag aufgerissen wurde und das Gesicht Péguillin de Lauzuns sich über die Öffnung beugte.
»Nichts Schlimmes passiert, hoffentlich?«
»Alles schreit. Also nehme ich an, daß alles lebt«, erwiderte Angélique.
Sie reichte dem Herzog das Kind und ließ sich sodann von Louvigny beim Herausklettern helfen. Auf der Straße nahm sie Florimond sofort wieder an sich und bemühte sich, ihn zu beruhigen. Das Geschrei des Kleinen übertönte allen Lärm, und es war unmöglich, dabei Worte zu wechseln.
»Was ist denn nun eigentlich geschehen?« fragte sie, sobald Florimond sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
Der Kutscher sah verstört aus. Er war nicht sehr zuverlässig, ziemlich großtuerisch und geschwätzig, und er hatte vor allem eine ausgesprochene Schwäche für den Alkohol.
»Du hattest getrunken und bist eingeschlafen?«
»Nein, Madame, auf Ehre. Es war mir heiß, das gebe ich zu, aber ich hatte meine Tiere fest am Zügel. Plötzlich sind zwei Männer aus dem Schatten der Bäume aufgetaucht. Der eine hatte eine Pistole. Er schoß in die Luft, und die Pferde scheuten. Sie gingen hoch und wichen zurück. In diesem Augenblick stürzte die Kutsche um. Einer der Männer hatte die Pferde beim Gebiß gepackt. Ich schlug mit meiner Peitsche auf ihn ein. Der andere lud die Pistole von neuem, kam heran und schoß in den Wagen. Dann ist der Gepäckwagen erschienen, und dann diese berittenen Herren ... Die beiden Kerle haben sich aus dem Staub gemacht.«
»Das ist eine merkwürdige Geschichte«, sagte Lau-zun. »Der Wald ist wegen des königlichen Zuges von allen fragwürdigen Elementen gesäubert worden. Wie sahen die Burschen denn aus?«
"Angélique" отзывы
Отзывы читателей о книге "Angélique". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Angélique" друзьям в соцсетях.