»Du übertreibst .«

»Bitte: Seid Ihr zur Hochzeit des Königs eingeladen worden oder nicht .?«

Angélique gab keine Antwort und verließ den Salon. Es hatte keinen Sinn, dieses fruchtlose Gerede fortzuführen. Sie wollte lieber Florimond holen, da der Schwager ja einverstanden war. Während sie die Treppe hinunterging, ertappte sie sich bei einem Lächeln. Wie rasch sie doch zu dem altvertrauten zänkischen Ton zurückgefunden hatten, Hortense und sie .! Monteloup war also noch nicht tot. Es war immer noch besser, sich gegenseitig an den Haaren zu zerren, als einander fremd gegenüberzustehen.

Die Lakaien und die beiden Kutscher saßen im Schatten des Gepäckwagens, tranken Rotwein und aßen saure Heringe, denn es war Freitag.

Angélique betrachtete ihr staubbedecktes Kleid und den bis zu den Wimpern mit Nasenschleim und Honig verschmierten Florimond, den Binet auf dem Arm trug. Welch kläglicher Aufzug!

Doch sie schien gleichwohl auf die Frau des in bescheidenen Verhältnissen lebenden Staatsanwalts höchst luxuriös zu wirken, denn Hortense, die ihr gefolgt war, lachte höhnisch:

»Nun, meine Liebe, für eine Frau, die sich beklagt, an einer Straßenecke nächtigen zu müssen, bist du nicht grade übel dran: eine Kutsche, ein Packwagen, insgesamt sechs Pferde, vier oder fünf Lakaien und zwei Dienerinnen?«

»Ich habe ein Bett«, erklärte Angélique. »Soll ich es hinaufschaffen lassen?«

»Das ist unnötig. Wir haben genügend Schlafgelegenheiten, um dich aufzunehmen. Hingegen ist es mir unmöglich, dieses ganze Bedientenvolk unterzubringen.«

»Du hast doch sicher eine Mansarde für Margot und die Kindermagd? Was die Männer betrifft, so werde ich ihnen Geld geben, damit sie in der Herberge übernachten können.«

Mit zusammengekniffenem Mund und angewiderter Miene starrte Hortense auf diese Männer aus dem Süden, die es für unter ihrer Würde erachteten, sich durch die Frau eines Staatsanwalts stören zu lassen, und unbekümmert weiteraßen, während sie sie mit ihren glühenden Augen herausfordernd anstierten.

»Die Leute deines Gefolges sehen entschieden wie Banditen aus«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme.

»Du tust ihnen unrecht. Alles was man ihnen vorwerfen kann, ist eine Vorliebe für das Schlafen in der Sonne.«

Sanft nahm Angélique Florimond aus François Binets Armen, der eben dem Kleinen zur Linderung seiner Schmerzen eine selbstbereitete Arznei aus Opium und zerstoßener Minze eingeflößt hatte. Nun vollführte der junge Barbier eine ehrerbietige Verbeugung vor Madame Fallot, was diese ein wenig besänftigte. Resignation heuchelnd, stieß sie einen Seufzer aus.

»Schön, ich werde die Mädchen und vielleicht auch diesen Burschen unterbringen, der mir manierlich zu sein scheint. Hingegen weiß ich nicht, was mit deinen Wagen und Pferden geschehen soll. Du siehst, woraus unsere Ställe bestehen.«

Mit sarkastischer Miene deutete sie auf einen Winkel, in dem einer jener zweirädrigen Wagen stand, die man Halbkutsche nannte.

»Das ist mein ganzer Wagenpark! Mein Hausbursche, der für die Leuchter und das Holz sorgt, zwängt mich da hinein, wenn ich mich zu weit entfernt wohnenden Freunden begeben muß. Was Bertrand betrifft, so ist sein Pferd in einem Stall in der Nachbarschaft untergebracht, wo die Beamten monatsweise einen Verschlag mieten können.«

Schließlich lud man zwei Kästen vom Gepäckwagen ab und rief einen Kanzleiangestellten, um die Kutscher und ihre Fahrzeuge zum öffentlichen Stall zu geleiten.

In dem großen Zimmer, das ihr im zweiten Stock angewiesen worden war, konnte sich Angélique endlich ein wenig entspannen und erfrischen, indem sie in einen Kübel stieg und sich mit kühlem Wasser besprengte. Sie wusch sogar ihr Haar, dann frisierte sie sich schlecht und recht vor einem über dem Kamin aufgehängten Spiegel aus Stahl. Der Raum war dunkel, die Ausstattung sehr häßlich, aber ausreichend. In einem kleinen, sauber bezogenen Bett schlief Florimond friedlich weiter.

Nachdem Angélique sich sehr zurückhaltend geschminkt hatte - sie vermutete, daß ihr Schwager es nicht schätzte, wenn Frauen allzuviel Rot auflegten -, geriet sie bei der Auswahl ihres Kleides in Verlegenheit. Selbst das einfachste mußte neben den Toiletten der armen Hortense, die höchstens ein paar Samtborten am Mieder trug, noch zu prunkvoll wirken.

Schließlich entschloß sie sich für ein kaffeebraunes Hauskleid mit ziemlich diskreten Goldstickereien und ersetzte die zarte Spitzenkrause durch einen Kragen aus schwarzer Seide. Sie war eben mit ihrer Toilette fertig, als Margot erschien. Wie alle Hugenotten, hatte das Mädchen eine erklärte Vorliebe für Wasser, und so war sie schnurstracks in eines der öffentlichen Bäder gegangen. Sie entschuldigte sich ob ihrer Verspätung und fügte verachtungsvoll hinzu, die Leute von Paris kämen ihr ausgesprochen hinterwäldlerisch vor. Die Sainte-Jeanne-Badestuben hatten sie erschauern lassen. Sie hielten keinen Vergleich mit den römischen Bädern von Toulouse aus, wo selbst das niedere Volk seine Gesundheit durch Schwitzen fördern konnte. In Sainte-Jeanne war zwar das Wasser schön heiß, die Badelaken aber waren von höchst zweifelhafter Sauberkeit, und alle Augenblicke schaute jemand durch die Kabinentür herein, die zum Räume des Baders führte, der zugleich Wundarzt war und bald einen Kunden rasierte, bald ein Karbunkel aufschnitt.

Danach hatte sie auf die Kindsmagd warten und sie abkanzeln müssen, weil sie natürlich die günstige Gelegenheit benützt hatte, sich auf den Straßen herumzutreiben.

Mit geübter Hand brachte Margot das Haar ihrer Herrin wieder in die gewohnte graziöse Form und konnte der Versuchung nicht widerstehen, es zu parfümieren.

»Gib acht, ich darf nicht zu elegant aussehen! Ich muß meinem Schwager, dem Staatsanwalt, Vertrauen einflößen.«

»Ach, da mache ich Euch nun schön, damit Ihr einen Staatsanwalt verführt, nachdem Ihr so viele vornehme Edelleute zu Euren Füßen gesehen habt!«

»Das ist viel schwieriger, als man denkt. Schau mich genau an. Wirke ich einigermaßen schlicht und zugleich anmutig?«

»Solange Ihr Augen von solcher Farbe habt, werdet Ihr nie schlicht aussehen«, erklärte die Zofe. »Selbst damals, als ich Euch in Eurem Schloß im Poitou zum erstenmal sah und Ihr noch ein unbändiges junges Mädchen wart, schautet Ihr die Männer auf eine Art an, als wolltet Ihr zu ihnen sagen: >Ich bin dein, wenn du dich ein bißchen bemühst.<«

»Ich? O Margot!« rief Angélique entrüstet aus.

Streng fügte sie hinzu: »Wie kommst du auf solche Ideen? Du hattest mehr als jede andere Gelegenheit festzustellen, was für ein sittenstrenges Leben ich führte.«

»Weil Ihr einen eifersüchtigen und wachsamen Gatten hattet - obwohl er es sich nicht anmerken ließ -, den alle Welt fürchtete«, erwiderte die Zofe schlagfertig. »Aber ich, die ich so viele vornehme Damen kennengelernt und beobachtet habe, ich sage Euch, daß Ihr bestimmt zur gefährlichsten Art gehört.«

»Ich?« wiederholte Angélique, unsicher geworden.

Sie ließ sich immer noch leicht von dieser großen Frau bestimmen, die sie um Haupteslänge überragte und deren Gebaren sie an die selbstbewußte Art ihrer Amme erinnerte.

»Jawohl, Madame. Weil Ihr bei den Männern nicht eine flüchtige Neigung erregt, sondern die große Liebe, die Liebe, auf die sie ihr ganzes Leben lang gewartet haben, und es ist ärgerlich, wenn das mehreren Männern zu gleicher Zeit passiert. Wißt Ihr, daß ein junger Mann aus Toulouse sich Euretwegen in die Garonne gestürzt hat?«

»Nein, das habe ich nicht gewußt.«

»Ich werde Euch seinen Namen nicht sagen, da Ihr nie Notiz von ihm genommen habt. Eben deshalb hat er sich ertränkt.«

Ein markerschütterndes Geheul, das aus dem Erdgeschoß heraufdrang, unterbrach sie, und sie eilten auf den Flur.

Es waren Angstschreie einer Frau, die durch das Treppenhaus schallten. Angélique lief hinunter und fand ihre Dienerschaft mit verwunderten Mienen im Vestibül versammelt. Die Schreie dauerten an, klangen aber jetzt gedämpfter und schienen aus einer hohen Truhe zu kommen, die den Vorraum zierte.

Hortense war gleichfalls herbeigeeilt, schlug die Truhe auf und zog mit einige Mühe die dicke Magd heraus, die Angélique die Tür geöffnet hatte, sowie zwei Kinder von acht und zwölf Jahren, die sich an deren Röcke klammerten.

Madame Fallot verabfolgte dem Mädchen eine Ohrfeige und fragte sie dann, was eigentlich mit ihr los sei.

»Dort! Dort!« stammelte die Unglückselige mit ausgestrecktem Finger.

Angélique wandte sich in die betreffende Richtung und bemerkte den guten Kouassi-Ba, der verschüchtert hinter den Dienstboten stand.

Hortense fuhr unwillkürlich zusammen, beherrschte sich aber und sagte trocken: »Nun ja, das ist ein Schwarzer, ein Mohr, deshalb braucht man doch nicht so zu schreien. Habt Ihr noch nie einen Mohren gesehen?«

»N... nein, nein, Madame.«

»Es gibt niemanden in Paris, der noch keinen Mohren gesehen hat. Da merkt man, daß Ihr vom Lande kommt. Ihr seid eine alberne Person.«

Sie trat zu Angélique und flüsterte ihr zu:

»Alle Achtung, meine Liebe! Du verstehst es, mein Heim auf den Kopf zu stellen. Sogar einen Wilden schleppst du mir ins Haus! Vermutlich wird mich dieses Mädchen stehenden Fußes verlassen, nachdem ich solche Mühe hatte, es zu bekommen!«

»Kouassi-Ba!« rief Angélique. »Diese kleinen Kinder und dieses Fräulein fürchten sich vor dir. Zeig Ihnen deine Kunststücke!«

»Gern, Médême.«

Mit einem Satz sprang der Neger vor. Die Magd schrie auf und lehnte sich an die Truhe, als ob sie wieder in ihr verschwinden wolle. Aber Kouassi-Ba zog, nachdem er ein paar Purzelbäume geschlagen hatte, bunte Bälle aus seinen Taschen und begann mit einer verblüffenden Geschicklichkeit zu jonglieren. Er schien durch seine kürzlich empfangene Wunde keineswegs behindert zu sein. Schließlich, als er die Kinder lächeln sah, ergriff er die Gitarre des kleinen Giovanni, hockte sich mit gekreuzten Beinen auf die Erde und begann mit seiner weichen und gedämpften Stimme zu singen.

Angélique trat zu den übrigen Dienstboten.

»Ich werde Euch etwas geben, damit ihr in der Herberge nächtigen und essen könnt«, sagte sie.

Der Kutscher der Equipage trat vor und drehte verlegen den Filzhut mit der roten Feder, der zu der stattlichen Livree der Leute des Grafen Peyrac gehörte.

»Vergebung, Madame, wir möchten Euch bitten, uns auch den restlichen Lohn zu geben. Wir sind in Paris, und das ist eine Stadt, wo man viel ausgibt.«

Nach kurzem Zögern stimmte die junge Frau dem Verlangen zu. Sie bat Margot, ihr die Kassette zu bringen, und zahlte jedem aus, was ihm zustand. Die Männer dankten und verneigten sich. Der kleine Giovanni sagte, er käme morgen wieder und stände der Frau Gräfin zu Diensten. Die andern zogen sich stumm zurück. Als sie über die Türschwelle traten, rief ihnen Margot von der Treppe aus etwas im Languedoc-Dialekt zu, aber sie antworteten nicht.

»Was hast du ihnen gesagt?« fragte Angélique nachdenklich.

»Daß der Herr sie behexen werde, wenn sie morgen nicht zum Dienst kämen.«

»Du glaubst, sie kommen nicht mehr?«

»Ich fürchte sehr.«

Angélique fuhr sich müde über die Stirn.

»Du hättest nicht sagen sollen, daß der Herr sie behexen wird, Margot. Solche Worte fügen ihm mehr Schaden zu, als sie ihm Macht verleihen. Komm, bring die Kassette wieder in mein Zimmer und richte den Brei für Florimond, damit er essen kann, wenn er aufwacht.«

»Madame«, ließ sich eine zarte Stimme neben Angélique vernehmen, »mein Herr Vater hat mich beauftragt, Euch mitzuteilen, daß die Mahlzeit aufgetragen ist und daß wir Euch im Speisezimmer zum Tischgebet erwarten.«

Es war der achtjährige Junge, den sie vorhin in der Truhe gesehen hatte.

»Du fürchtest dich doch nicht mehr vor Kouassi-Ba?« fragte sie ihn.

»Nein, Madame, ich bin sehr froh, daß ich jetzt einen schwarzen Mann kenne. Alle meine Kameraden werden mich beneiden.«

»Wie heißt du?«

»Martin.«

Im Speisezimmer hatte man die Fenster geöffnet, um mehr Licht zu haben und die Leuchter nicht anzünden zu müssen. Denn die Abenddämmerung senkte sich bereits rosafarben und rein über die Dächer. Es war die Stunde, da die Glocken der Gemeindekirchen das Angelus einläuteten. Dunkle und volle Klänge aus einiger Nähe übertönten die andern und schienen das Gebet der Stadt selbst in die Ferne zu tragen.

»Ihr habt sehr schöne Glocken auf Eurer Pfarrkirche«, bemerkte Angélique, um über die anfängliche Beklemmung hinwegzukommen, nachdem man sich gesetzt und das Tischgebet gesprochen hatte.

»Das sind die Glocken von Notre-Dame«, berichtigte Maître Fallot. »Unsere Gemeindekirche ist Saint-Landry, aber die Kathedrale liegt ganz in der Nähe. Wenn Ihr Euch aus dem Fenster beugt, könnt Ihr die beiden großen Türme und die Spitze des Vierungsturms sehen.«