»Jedenfalls kann ich erst etwas unternehmen, wenn der König Einzug in Paris gehalten hat«, schloß sie. »Alles ist bis nach den Festlichkeiten zurückgestellt. Die Königin-Mutter befindet sich im Louvre, der König und die Königin müssen jedoch bis dahin in Vincennes bleiben. Das verzögert die Sache. Aber werdet nicht ungeduldig. Ich vergesse Euch nicht und werde Euch holen lassen, sobald es angebracht erscheint.«
Nachdem Angélique sich verabschiedet hatte, irrte sie eine Weile durch die Gänge des Schlosses, in der Hoffnung, Péguillin de Lauzun zu begegnen, der, wie sie wußte, Mademoiselle sehr ergeben war. Sie sah ihn nicht, traf jedoch Cerbaland, der ein langes Gesicht machte. Auch er wußte nicht, was er über die Verhaftung des Grafen Peyrac denken sollte; alles, was er sagen konnte, war, daß niemand von ihm redete oder einen Verdacht zu hegen schien.
»Man wird es bald erfahren«, versicherte Angélique im Vertrauen auf die Grande Mademoiselle.
Nichts schien ihr jetzt schrecklicher als die Mauer des Schweigens, die das Verschwinden Joffreys umgab. Wenn man der Sache jetzt wirklich nachging, mußte sie ja ans Licht kommen.
Sie erkundigte sich nach dem Marquis d’Andijos. Cerbaland sagte, er habe sich gerade nach dem Pré-aux-Clercs zu einem Duell begeben.
»Er schlägt sich in einem Duell?« rief Angélique entsetzt aus.
»Er nicht. Lauzun und d’Humières tragen irgendeine Ehrenangelegenheit aus.«
»Begleitet mich, ich möchte sie aufsuchen.«
Als sie die Marmortreppe hinunterging, wurde sie von einer Frau mit großen, schwarzen Augen angesprochen. Sie erkannte die Herzogin von Soissons, eine der Mancini-Schwestern: Olympia, die Nichte des Kardinals.
»Madame de Peyrac, ich bin erfreut, Euch wiederzusehen«, erklärte die schöne Dame. »Aber mehr noch als Ihr selbst entzückt mich Euer ebenholzschwarzer Leibgardist. Ich bin schon in Saint-Jean-de-Luz mit dem Gedanken umgegangen, Euch seinetwegen anzugehen. Wollt Ihr ihn mir abtreten? Ich zahle Euch einen guten Preis.«
»Kouassi-Ba ist nicht verkäuflich«, protestierte Angélique. »Wohl hat ihn mein Gatte in Narbonne gekauft, als er noch ganz klein war, aber er hat ihn nie wie einen Sklaven behandelt, und er zahlt ihm Lohn wie einem Bedienten.«
»Ich werde ihm gleichfalls Lohn zahlen, einen sehr guten sogar.«
»Ich bedaure, Madame, aber ich kann Euren Wunsch nicht erfüllen. Kouassi-Ba ist mir nützlich, und mein Gatte wäre untröstlich, würde er ihn bei seiner Rückkehr nicht vorfinden.«
»Nun, dann eben nicht«, erklärte Madame de Soissons mit enttäuschtem Achselzucken.
Sie warf noch einen neidischen Blick auf den bronzenen Riesen, der regungslos hinter Angélique stand.
»Es ist schier unglaublich, wie ein solcher Hintergrund die Schönheit, die Zartheit und die weiße Hautfarbe einer Frau hervortreten läßt. Seid Ihr nicht auch dieser Ansicht, meine Teure?«
Angélique bemerkte den Marquis de Vardes, der auf die kleine Gruppe zusteuerte. Da sie keine Lust hatte, diesem Edelmann zu begegnen, der sich gegen sie so brutal und widerwärtig benommen hatte, verabschiedete sie sich eilig und stieg zu den Gärten hinunter.
»Ich habe den Eindruck, daß die schöne Olympia lüsterne Blicke auf Euern Neger wirft«, sagte Cerbaland. »De Vardes, ihr derzeitiger Liebhaber, scheint ihr nicht zu genügen. Sie brennt darauf, festzustellen, wie ein Mohr sich im Bett benimmt.«
»Oh, beeilt Euch lieber, anstatt so schreckliche Dinge zu reden«, erklärte Angélique ungeduldig. »Ich meinerseits möchte vor allem wissen, ob Lauzun und d’Humières nicht im Begriff sind, sich gegenseitig aufzuspießen.«
Wie überdrüssig sie dieser oberflächlichen Leute mit ihren hohlen Köpfen und egoistischen Herzen war! Sie hatte das Gefühl, wie in einem Traum hinter etwas Dunklem, Ungreifbarem herzulaufen und sich vergeblich zu mühen, verstreute Elemente zusammenzufügen. Doch alles entglitt ihr und löste sich auf.
Sie befanden sich schon auf dem Uferdamm, als eine Stimme sie anrief und abermals aufhielt. Ein hochgewachsener Edelmann, den Angélique nicht kannte, bat sie um eine kurze Unterredung.
»Ja, aber beeilt Euch.«
Er zog sie zur Seite.
»Madame, mich schickt seine Königliche Hoheit, Philippe d’Orléans, der Bruder des Königs. Monsieur wünscht Euch zu sprechen. Es handelt sich um Monsieur de Peyrac.«
»Mein Gott!« murmelte Angélique, deren Herz wild zu klopfen begann.
Würde sie endlich etwas Genaues erfahren? Sie mochte zwar den Bruder des Königs, diesen kleinen Mann mit den düsteren und kalten Augen, nicht sehr, doch erinnerte sie sich der bewundernden, wenn auch recht zweideutigen Worte, die er über den Grafen Peyrac geäußert hatte. Was mochte er über den Gefangenen der Bastille erfahren haben?
»Seine Hoheit erwartet Euch heute nachmittag gegen fünf Uhr«, fuhr der Edelmann mit gedämpfter Stimme fort. »Ihr werdet durch die Tuileriengärten gehen und Euch zum Pavillon de Flore begeben, wo Monsieur seine Gemächer hat. Redet zu niemandem von alldem.«
»Ich werde mich von meiner Zofe begleiten lassen.«
»Dem steht nichts im Wege.« Er grüßte und entfernte sich sporenklirrend. »Wer ist dieser Edelmann?« erkundigte sich Angélique bei Cerbaland.
»Der Chevalier de Lorraine, der neue Günstling Monsieurs. Ja, de Guiche hat enttäuscht: Er brachte nicht genügend Begeisterung für die perversen Liebschaften auf und interessierte sich zu sehr für das schöne Geschlecht. Aber auch der kleine Monsieur ist kein eingeschworener Frauenverächter. Es heißt, man werde ihn nach dem Einzug des Königs vermählen, und wißt Ihr, wen er heiratet? Die Prinzessin Henriette von England, die Tochter des armen Karls L, den die Engländer enthauptet haben ...«
Angélique hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie begann hungrig zu werden und sah sich um, in der Hoffnung, einen Waffelhändler zu entdecken.
Ihr neuerlicher Gang durch die Stadt hatte sie auf die andere Seite der Seine geführt, zur alten, von ihrem Turm flankierten Porte de Nesle. Lange schon existierte der Pré-aux-Clercs nicht mehr, wo sich einstmals die Studenten vergnügt hatten. Geblieben aber war zwischen der Abtei Saint-Germain-des-Prés und den alten Gräben ein freies, mit Gesträuch bepflanztes Gelände, wo die empfindlichen jungen Leute, vor neugierigen Blicken sicher, ihre Ehre reinwaschen konnten.
Im Näherkommen hörten sie Rufe und erkannten Lauzun und den Marquis d’Humières, die sich eben noch in Duellstellung befunden hatten und sich nun anschickten, auf Andijos loszustürzen. Beide erzählten, sie hätten vorher Andijos heimlich gebeten, sie im Namen der Freundschaft zu trennen, sobald sie auf dem Felde angekommen sein würden. Aber der Verräter hatte sich hinter einem Gebüsch versteckt und höchst erheitert das ängstliche Gebaren der beiden »Gegner« verfolgt, die ihre Auseinandersetzung krampfhaft hinauszögerten, indem sie fanden, der eine Degen sei kürzer als der andere, die Fechtschuhe seien zu eng und so weiter .
Schließlich protestierten sie, als der Vermittler erschien.
»Wären wir nicht so gefühlvolle Menschen, hätten wir einander hundertmal die Kehle durchgeschnitten«, schrie der kleine Péguillin. Und auch Angélique machte ihrem Ärger Luft.
»Bildet Ihr Euch ein, mein Gatte habe Euch fünfzehn Jahre lang ernährt, damit Ihr alberne Possen treibt, während er im Gefängnis ist?« fuhr sie ihn an. »Ach, diese Leute aus dem Süden .!«
Sie packte ihn am Arm, zog ihn beiseite und befahl ihm, unverzüglich nach Toulouse aufzubrechen und ihr in kürzester Frist Geld zu bringen. Ziemlich kleinlaut gestand er ihr darauf, er habe am Abend zuvor bei der Prinzessin Henriette gespielt und dabei alles verloren, was er besaß. Sie gab ihm fünfhundert Livres mit und Kouassi-Ba zu seiner Begleitung.
Als sie gegangen waren, stellte Angélique fest, daß Lauzun und d’Humières sowie ihre Sekundanten sich gleichfalls davongemacht hatten.
Sie fuhr sich müde über die Stirn.
»Ich muß gegen fünf Uhr in die Tuilerien zurückkehren«, sagte sie zu Margot. »Gehen wir so lange in eine Schenke, wo man uns zu trinken und zu essen geben wird.«
»Eine Schenke?« wiederholte die Zofe entrüstet. Madame, das ist kein Ort für Euch.«
»Findest du, daß das Gefängnis ein Ort für meinen Gatten ist? Ich bin hungrig und durstig. Du bist es ganz gewiß auch. Mach keine Geschichten, wir wollen uns ausruhen.«
Sie nahm sie vertraulich beim Arm und lehnte sich an sie. Sie war kleiner als Margot, und daher kam es wohl, daß sie sich lange Zeit hindurch von der Kammerfrau hatte bestimmen lassen.
Jetzt kannte sie sie genau. Lebhaft, heftig und empfindlich, wie sie war, bewahrte Marguerite, genannt Margot, eine unerschütterliche Anhänglichkeit zur Familie de Peyrac.
»Vielleicht möchtest auch du mich verlassen?« sagte Angélique unvermittelt. »Ich weiß absolut nicht, wie das alles ausgehen wird. Du hast ja gesehen, wie schnell die Diener es mit der Angst zu tun bekamen, und sie haben vielleicht nicht unrecht.«
»Ich habe nie daran gedacht, dem Beispiel der Diener zu folgen«, erklärte Margot, deren Augen wie glühende Kohlen funkelten, verächtlich. Nach kurzem Überlegen fügte sie hinzu:
»Mein ganzes Leben wird von einer einzigen Erinnerung beherrscht. Ich bin zu ihm in die Kiepe des katholischen Bauern gesteckt worden, der ihn zu seinen Eltern nach Toulouse zurückbrachte. Es war nach dem Massaker der Leute meines Dorfs, bei dem auch meine Mutter, seine Amme, den Tod fand. Ich war knapp vier Jahre alt, aber ich erinnere mich an jede Einzelheit. Er war völlig erschöpft und stöhnte. Ich wischte sein blutendes Gesichtchen ungeschickt ab, und da er vor Durst umkam, stopfte ich ihm ein wenig Schnee zwischen die Lippen. Genausowenig wie damals werde ich ihn heute im Stich lassen, und sollte ich auf dem Stroh einer Gefängniszelle sterben ...«
Angélique erwiderte nichts, aber sie schmiegte sich noch enger an sie und legte einen Augenblick ihre Wange an die Schulter der Zofe.
Nicht viel später fanden sie in der Nähe der Porte de Nesle vor der kleinen Brücke, die den alten Stadtgraben überquerte, eine Schenke. Die Wirtin bereitete ihnen ein Frikassee auf dem Herd, während sie Rotwein tranken und runde Brötchen verzehrten.
Es waren kaum Leute im Raum, nur ein paar Soldaten, die neugierig die vornehm gekleidete Dame musterten, die da an einem derben Tisch saß.
Durch die offenstehende Tür betrachtete Angélique die finstere Tour de Nesle mit ihrem kleinen Anbau. Von ihr waren einstmals die Liebhaber der mannstollen Marguerite de Bourgogne, Königin von Frankreich, die maskiert durch die Gassen gegangen war und sich Studenten mit frischen Gesichtern gegriffen hatte, in den Fluß gestürzt worden.
Jetzt war der verfallene Turm von der Stadt an Wäscherinnen vermietet worden, die ihre Wäsche über die Zinnen und Schießscharten hängten.
Der Ort war still und fast menschenleer. Flußschiffer zogen ihre Kähne in den Morast der Ufer. Kinder angelten in den Gräben ...
Als es zu dunkeln begann, überquerte Angélique abermals den Fluß, um sich in die Tuilerien zu begeben.
Am Pavillon de Flore kam ihnen der Chevalier de Lorraine persönlich entgegen und führte sie zu einer Bank im Vorzimmer. Seine Hoheit werde bald erscheinen, erklärte er und ließ sie allein.
Der Durchgang, der die Verbindung zwischen den Tuilerien und dem Louvre herstellte, war sehr belebt. Wiederholt bemerkte Angélique Gesichter, die ihr schon in Saint-Jean-de-Luz begegnet waren. Man begab sich zum Souper bei Mademoiselle. Man kam bei Madame Henriette zum Kartenspiel zusammen. Manche bedauerten, daß sie ins Schloß Vincennes zurückkehren mußten, das dem König bis zu seinem Einzug in Paris als Unterkunft zu dienen hatte, obwohl es so ungemütlich war.
Allmählich wurde es auf den Gängen dunkel. Lakaien erschienen mit Leuchtern, die sie auf die Konsolen zwischen den hohen Fenstern stellten.
»Madame«, sagte Margot unversehens, »wir müssen gehen. Es wird Nacht. Wenn wir jetzt nicht aufbrechen, werden wir nicht heimfinden oder von irgendeinem Räuber ermordet werden.«
»Ich rühre mich nicht von der Stelle, bevor ich Monsieur gesprochen habe«, erklärte Angélique trotzig. »Und wenn ich die Nacht auf dieser Bank verbringen muß.«
Die Zofe schwieg. Doch nach einer Weile begann sie mit gedämpfter Stimme von neuem:
»Madame, ich fürchte, man hat es auf Euer Leben abgesehen!«
Angélique fuhr auf.
»Du bist verrückt. Wie kommst du auf solche Ideen?«
»Das ist nicht so abwegig. Man hat ja erst vor vier Tagen versucht, Euch umzubringen.«
»Wie meinst du das?«
»Im Wald von Rambouillet. Man hatte es nicht auf den König und die Königin abgesehen, Madame, sondern auf Euch. Und wäre der Wagen nicht ins Schwanken geraten, so hätte Euch der Schuß, den man aus nächster Nähe auf die Fensterscheibe abgab, ganz zweifellos in den Kopf getroffen.«
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