Angélique nutzte die Zeit, um ihre Kutsche, ihre Pferde und einige Schmuckstücke zu verkaufen. Sie teilte das bescheidene Leben des bürgerlichen Stadtviertels, in dem sie hauste. Sie machte sich in der Küche nützlich, spielte mit Florimond, der unermüdlich durch das Haus trippelte, wobei er über sein langes Kleid stolperte. Seine kleinen Vettern liebten ihn innig. Von ihnen, von Barbe, von der kleinen Magd aus Béarn verwöhnt, schien er glücklich zu sein; er hatte auch wieder rote Backen bekommen. In dem von Angélique gestickten roten Häubchen und mit seinem reizenden, von schwarzen Locken umrahmten Gesichtchen bildete er das Entzücken der ganzen Familie. Sogar Hortense entrunzelte zuweilen ihre Stirn und bemerkte, ein Kind in diesem Alter sei zweifellos sehr reizvoll. Sie selbst habe leider nie die Mittel gehabt, eine Amme ins Haus zu nehmen, so daß sie ihre Kinder immer erst kennenlerne, wenn sie vier Jahre alt seien. Nun ja, nicht jedermann könne einen lahmen und mißgestalteten, durch den Umgang mit dem Satan reich gewordenen Edelmann heiraten, und es sei immer noch besser, die Frau eines Staatsanwalts zu sein, als des ewigen Seelenheils verlustig zu gehen.
Angélique stellte sich taub. Um ihren guten Willen zu beweisen, ging sie allmorgendlich in der wenig unterhaltsamen Gesellschaft ihres Schwagers und ihrer Schwester zur Messe. Allmählich lernte sie die besondere Eigenart der Cité-Insel kennen, die in zunehmendem Maße von Robenträgern bevölkert wurde.
Die meisten von ihnen führten ein würdiges und sittenstrenges Dasein. Am Morgen beeilten sie sich, eine Messe zu hören, bevor sie zu den Gerichtssitzungen stürzten. Am Nachmittag kehrten sie in ihre Kanzleien zurück, wo neue Mandanten und neue Pflichten ihrer harrten. Sie lernten die Welt nur von der Seite des Neides, des Betrugs und des Hasses kennen, wurden dadurch nur um so scharfsichtiger und gerissener und schlugen Kapital aus dieser Anhäufung von Schandtaten, aus diesem Abschaum der Menschheit. Zu ihrer Entspannung spielten sie auf den Uferdämmen Boule - unter den verdutzten Blicken der Müßiggänger, die ihr Berufsjargon einschüchterte.
Am Sonntag zwängten sie sich mit ihren Freunden in gemietete Kutschen und fuhren in die Vororte, wo jeder Beamte ein kleines Landhaus und ein Rebstück besaß.
Genau besehen, teilten die Beamten die Souveränität über die Ile de la Cité mit den Domherren von Notre-Dame und den Dirnen der Rue de Glatigny.
Das einstige »Tal der Liebe« hatte sich ja in nächster Nähe des Pont-aux-Meuniers[5] befunden, so daß das Geräusch der Mühlenräder das der Küsse und minder harmlosen Belustigungen übertönte.
Am anderen Ende der Insel, auf dem rötlichgelben, lärmerfüllten Pont-Neuf, trugen sich Dinge zu, die den Herren von der Justiz recht wenig genehm waren. Wenn man einen Lakaien auf einen Botengang in diese Gegend schickte und ihn fragte, wann er zurück sein werde, pflegte er zu antworten: »Das hängt von den Liedern ab, die man heute auf dem Pont-Neuf zu hören bekommt.«
Zusammen mit den Liedern entquoll dem unaufhörlichen Gewoge um die kleinen Krambuden ein Schwarm von Gedichten, Libellen und Pamphleten. Auf dem Pont-Neuf wußte man alles. Und die Großen hatten die angeschmutzten fliegenden Blätter zu fürchten gelernt, die der Seinewind davontrug und die man die »Ponts-neufs« nannte.
Eines Abends, als man bei Maître Fallot vom Tische aufstand und der eine oder andere sich bei einem Gläschen Quitten- oder Himbeerwein gütlich tat, zog Angélique mechanisch einen Zettel aus der Tasche. Sie betrachtete ihn verwundert, dann erinnerte sie sich, daß sie ihn am Morgen ihres Ganges zu den Tuilerien einem armen Schlucker auf dem Pont-Neuf abgekauft hatte. Halblaut las sie:
»Und nun gehn wir ins Justizpalais, und da merken wir, daß Rabelais nicht so viele Spötterein könnt’ schreiben, als man hier sieht Schurkereien treiben.
Hier begeht den abgefeimtesten Betrug der Erlauchte, der den Schwachen schlug.
Laßt uns sehn, wie man die Unschuld preßt ...«
Zwei empörte Ausrufe unterbrachen sie. Der alte Onkel und Maître Fallot verschluckten sich fast an ihrem Wein. Mit einer Heftigkeit, die sie in ihrem gemessenen Schwager nicht vermutet hätte, riß dieser ihr das Blatt aus den Händen, zerknitterte es zu einer Kugel und warf es aus dem Fenster.
»Welche Schande, Schwester!« rief er aus. »Wie könnt Ihr es wagen, solchen Unflat in unser Haus zu bringen! Ich wette, Ihr habt ihn bei einem jener heruntergekommenen Zeitungsverkäufer des Pont-Neuf gekauft.«
»Allerdings. Man drückte mir das Blatt in die Hand und verlangte zehn Sols dafür. Ich habe es nicht zurückzuweisen gewagt.«
»Die Schamlosigkeit dieser Leute übersteigt jedes Maß. Ihre Feder verschont nicht einmal die Gerichtsbeamten. Und da sperrt man sie in der Bastille ein, als wären sie Leute von Stand, während doch das finsterste Verlies des Châtelet noch viel zu gut für sie wäre.«
Hortenses Gatte schnaubte wie ein Stier. Nie hätte sie ihn für fähig gehalten, dermaßen in Wut zu geraten.
»Man überschüttet uns mit Pamphleten, Libellen und Spottversen. Die Kerle verschonen niemand, weder den König noch den Hof, und ergehen sich in den gottlosesten Schmähungen.«
»Zu meiner Zeit«, sagte der alte Onkel, »fing das Journalistenvolk eben an, sich auszubreiten. Jetzt ist es eine wahre Seuche, der Schandfleck unserer Hauptstadt.«
Er redete selten und tat den Mund nur auf, um ein Gläschen Quittenwein oder seine Tabaksdose zu verlangen. Dieser lange Satz verriet, wie sehr ihn das Vorlesen des Pamphlets erregt hatte.
»Keine anständige Frau wagt sich zu Fuß auf den Pont-Neuf«, erklärte Hortense.
Maître Fallot war zum Fenster gegangen.
»Der Fluß hat dieses schmähliche Machwerk davongetragen. Aber ich hätte gern gewußt, ob es vom >Schmutzpoeten< unterzeichnet war.«
»Zweifellos. Kein andrer verspritzt soviel Gift.«
»Der Schmutzpoet«, murmelte Maître Fallot dumpf, »der Mann, der die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit kritisiert, der geborene Aufwiegler, der berufsmäßige Parasit! Ich habe ihn einmal von einem Podest aus, ich weiß nicht welches zersetzende Elaborat an die Menge verteilen sehen. Es ist ein gewisser Claude Le Petit. Wenn ich daran denke, daß diese Hopfenstange mit dem wachsbleichen Gesicht es fertigbringt, Fürsten und sogar den König in ohnmächtige Wut zu versetzen, dann sage ich mir, daß es ein Jammer ist, in einer solchen Zeit leben zu müssen. Wann wird uns die Polizei endlich von solchen Gesellen befreien?«
Man gab noch ein paar Seufzer von sich, dann wurde der Zwischenfall abgeschlossen.
Ganz Paris lebte in Gedanken an den Einzug des Königs. Bei dieser Gelegenheit kamen Angélique und ihre Schwester einander näher. Eines Tages trat Hortense in Angéliques Zimmer, wobei sie die lieblichste Miene aufsetzte, die ihr zur Verfügung stand.
»Stell dir vor, was passiert ist«, rief sie. »Du erinnerst dich doch meiner alten Pensionsfreundin Athénaïs de Rochechouart, der ich in Poitiers innig verbunden war?«
»Nein, absolut nicht.«
»Das tut nichts. Sie ist nach Paris gekommen, und da sie von jeher eine Intrigantin war, hat sie es bereits fertiggebracht, sich an verschiedene hochgestellte Persönlichkeiten heranzumachen. Kurz, am Einzugstag kann sie ins Hôtel de Beauvais gehen, das in der Rue Saint-Antoine liegt, wo der Festzug beginnen wird. Wir werden also von den Dachfenstern aus zuschauen, womit nicht gesagt ist, daß wir schlechte Aussicht haben, im Gegenteil.«
»Warum sagst du >wir<?«
»Weil sie uns aufgefordert hat, mitzukommen. Ihre Schwester, ihr Bruder und eine andere Freundin, die gleichfalls aus Poitiers stammt, werden auch dabeisein. Das gibt eine ganze Kutsche voller Poitou-Leute. Ist das nicht nett?«
»Wenn es meine Kutsche ist, auf die du rechnest, muß ich dir leider mitteilen, daß ich sie verkauft habe.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber das macht nichts. Athénaïs kommt mit der ihrigen. Sie ist ein bißchen klapprig, denn die Familie nagt am Hungertuch, vor allem weil Athénaïs sehr verschwenderisch ist. Ihre Mutter hat sie mit einer Frau, einem Lakaien, der alten Kalesche und der strikten Weisung nach Paris expediert, in kürzester Frist einen Mann zu finden. Oh, sie wird es schaffen, sie strengt sich gehörig an! Was nun aber den Einzug des Königs betrifft, hat sie mir zu verstehen gegeben, daß sie ein wenig knapp an Kleidern ist. Weißt du, diese Madame de Beauvais, die uns eins ihrer Dachfenster zur Verfügung stellt, ist nicht irgendwer. Es heißt sogar, die Königin-Mutter, der Kardinal und alle möglichen hohen Persönlichkeiten würden während des Festzuges bei ihr speisen. Wir werden uns also in vornehmster Gesellschaft befinden. Da können wir natürlich nicht so auftreten, daß man uns für Kammerfrauen oder Bettelweiber hält und die Lakaien uns womöglich verjagen.«
Schweigend öffnete Angélique einen ihrer großen Koffer.
»Schau nach, ob du etwas Passendes für sie findest und auch für dich selbst. Du bist größer als ich, aber es dürfte keine Schwierigkeiten bereiten, einen Rock durch eine Spitze oder ein Volant zu verlängern.«
Mit leuchtenden Augen trat Hortense herzu. Sie konnte ihr Staunen nicht verbergen, während Angélique die prächtigen Toiletten auf dem Bett ausbreitete. Angesichts des Kleides aus Goldstoff stieß sie einen bewundernden Schrei aus.
»Ich glaube, das wäre für unser Dachfenster nicht ganz passend«, erklärte Angélique.
»Na ja, du bist bei der Hochzeit des Königs gewesen. Da steht es dir natürlich an, die Hochnäsige zu spielen.«
»Ich versichere dir, daß ich vollkommen zufrieden bin. Niemand erwartet mit größerer Ungeduld den Einzug des Königs als ich. Aber dieses Kleid möchte ich behalten, um es später verkaufen zu können, falls Andijos mir kein Geld mitbringt, wie ich allmählich fürchte. Über die andern kannst du nach Gutdünken verfügen. Es ist nur billig, daß du dich für die Kosten schadlos hältst, die mein Aufenthalt dir verursacht.«
Nach langem Zögern entschloß sich Hortense endlich zu einem Kleid aus himmelblauem Satin für ihre Freundin. Für sich selbst wählte sie ein apfelgrünes, das ihren ein wenig verwaschenen brünetten Typ betonte.
Als Angélique am Morgen des 26. August die magere, durch die Polster der Mantille ein wenig ausgestopfte Gestalt ihrer Schwester musterte, den matten, durch das kräftige Grün hervorgehobenen Teint, das etwas spärliche, aber weiche und feine kastanienbraune Haar, stellte sie kopfschüttelnd fest: »Wirklich,
Hortense, du wärest geradezu hübsch, wenn du nicht eine so gallige Art hättest.«
Zu ihrer großen Überraschung wurde Hortense nicht zornig. Sie seufzte, während sie fortfuhr, sich im großen Stahlspiegel zu betrachten.
»Ich glaube es auch«, sagte sie. »Weißt du, ich habe nie etwas für Mittelmäßigkeit übrig gehabt und doch nichts anderes kennengelernt. Es macht mir Freude zu reden, mit geistreichen und gut gekleideten Leuten zusammen zu sein, ich liebe das Theater. Aber es ist so schwer, sich von den häuslichen Pflichten freizumachen. Im vergangenen Winter konnte ich zu den Leseabenden eines satirischen Schriftstellers gehen, des Dichters Scarron. Ein gräßlicher Mensch, verkrüppelt, böse, aber was für ein Geist, meine Liebe! Diese Abende sind mir eine kostbare Erinnerung. Leider ist Scarron kürzlich gestorben. Da muß ich eben wieder mit der Mittelmäßigkeit vorliebnehmen.«
»Im Augenblick flößt du mir kein Mitleid ein. Ich versichere dir, du wirkst ungemein vornehm.«
»Natürlich hätte ein solches Kleid bei einer >rich-tigen< Staatsanwaltsgattin nicht die gleiche Wirkung. Man kann die Vornehmheit nicht kaufen. Man hat sie im Blut.«
Während sie sich auswählend über die Schmuckkästchen beugten, gewannen sie den Stolz ihres Standes zurück. Sie vergaßen das düstere Zimmer, die geschmacklosen Möbel und die faden bergamas-kischen Wandteppiche, die in der Normandie für die Kleinbürger gewebt wurden.
Im Morgengrauen des großen Tages brach der Herr Staatsanwalt zu Pferd nach Vincennes auf, wo die Vertreter des Staats sich zur Begrüßung des Königs versammeln mußten.
Die Kanonen antworteten donnernd den Kirchenglocken. Die Bürgerwehr in Galauniform, von Lanzen, Hellebarden und Musketen starrend, belegte die Straßen mit Beschlag, die die Ausrufer mit ohrenbetäubendem Geschrei erfüllten, während sie Heftchen verteilten, die das Festprogramm, die Beschreibung der Triumphbogen und der Route des königlichen Geleitzugs enthielten.
Gegen acht Uhr hielt die durch die Zeit längst ihres Goldglanzes beraubte Kutsche Mademoiselle Athénaïs de Rochechouarts vor dem Haus. Es war ein bildhübsches Mädchen mit frischen Farben: goldblondem Haar, rosigen Wangen, einer perlmutterglänzenden, durch ein Schönheitspflästerchen belebten Stirn. Das blaue Kleid paßte wundervoll zu ihren saphierfarbenen, lebhaften und klugen Augen.
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