»Meiner Treu«, sagte der Advokat, »ich vermute, es geschieht mit der gleichen Absicht, die ich ins Auge fassen würde, wenn ich Euch hunderttausend Livres Rente anbieten könnte.«

Angélique starrte ihn verständnislos an, dann errötete sie ein wenig unter dem kühnen Blick des jungen Mannes. Sie war noch nie darauf verfallen, ihren Advokaten von diesem speziellen Blickwinkel aus zu betrachten. In leiser Unruhe stellte sie fest, daß seine abgetragene Kleidung einen kräftigen, wohlproportionierten Körper verhüllen mußte. Mit seiner großen Nase und seinen unregelmäßigen Zähnen war er nicht hübsch, aber er hatte eine ausdrucksvolle Physiognomie. Maître Fallot behauptete, abgesehen von Talent und Bildung fehlten ihm alle Voraussetzungen für einen ehrenwerten Beamten. Er pflege keinen Umgang mit seinen Kollegen und treibe sich noch immer wie in seiner Studentenzeit in den verrufensten Kneipen herum. Das war auch der Grund, weshalb man ihm gewisse Fälle anvertraute, die Nachforschungen an Stätten erforderlich machten, wohin sich jene Herren aus der Rue Saint-Landry aus Angst um ihr Seelenheil nicht trauten.

»Nun, es ist absolut nicht so, wie Ihr denkt«, sagte Angélique. »Ich will die Frage anders stellen: Weshalb hat man zweimal versucht, mich zu ermorden, was eine viel zuverlässigere Art ist, mich zum Schweigen zu bringen?«

Das Gesicht des Advokaten verfinsterte sich jäh.

»Aha, hab’ ich mir’s doch gedacht!« sagte er.

Er gab die ungezwungene Haltung auf, in der er auf dem Tischrand in Maître Fallots kleinem Büro gehockt hatte, und ließ sich mit ernster Miene Angélique gegenüber nieder.

»Madame«, fuhr er fort, »ich flöße Euch als Rechtsberater vielleicht nicht allzuviel Vertrauen ein. Trotzdem dürfte, wie die Dinge nun einmal liegen, Euer Herr Schwager keine schlechte Wahl getroffen haben, indem er Euch an mich verwies, denn die Angelegenheit Eures Gatten erfordert eher die Fähigkeiten eines Privatdetektivs, der ich zwangsläufig geworden bin, als die Kenntnis der Paragraphen und der Prozeßordnung. Ich kann dieses Imbroglio aber nur entwirren, wenn Ihr mich über all seine einzelnen Elemente aufklärt. Zunächst eine Frage, die mir ganz besonders wichtig erscheint .«

Er stand auf, schaute hinter die Tür, hob einen Vorhang hoch, der einen Aktenschrank verbarg, kehrte zu der jungen Frau zurück und fragte mit gedämpfter Stimme:

»Von welchem Geheimnis wißt Ihr, Ihr und Euer Gatte, das imstande ist, einer der höchsten Persönlichkeiten des Königreichs Furcht einzujagen? Ich will sie nennen: Fouquet.«

Angélique erbleichte bis in die Lippen. Sie starrte den Advokaten entgeistert an.

»Ich habe mich also nicht getäuscht, wie ich sehe«, fuhr Desgray fort. »Ich erwarte täglich den Bericht eines Spitzels, den ich in Mazarins Umgebung eingeschmuggelt habe. Inzwischen hat mich ein anderer auf die Spur eines Bedienten namens Clément Tonnel gesetzt, der früher einmal im Dienste des Fürsten Condé stand .«

»Er war auch Haushofmeister bei uns in Toulouse.«

»Richtig. Dieser Bursche steht außerdem in enger Verbindung mit Fouquet. Tatsächlich arbeitet er ausschließlich für ihn, während er von Zeit zu Zeit beträchtliche Zuwendungen von seinem ehemaligen Herrn, dem Fürsten, bezieht, die er sich vermutlich durch Erpressung ergaunert. Nun eine andere Frage: Durch welche Mittelsperson hat man Euch jenen Vorschlag gemacht, Euch in solch fürstliche Verhältnisse zu begeben?«

»Durch Madame de Beauvais.«

»Aha! Diesmal ist die Sache klar. Dahinter steckt Fouquet. Er zahlt dieser alten Megäre riesige Summen, um alle Hofgeheimnisse zu erfahren. Früher stand sie im Sold Mazarins, der sich jedoch weniger großzügig zeigte als der Oberintendant. Ich füge hinzu, daß ich einer weiteren hohen Persönlichkeit auf die Spur gekommen bin, die Eures Gatten Untergang und auch den Eurigen beschlossen hat.«

»Und das wäre?«

»Monsieur, der Bruder des Königs.«

Angélique stieß einen Schrei aus. »Ihr seid verrückt!«

Der junge Mann verzog sein Gesicht zu einer hämischen Grimasse:

»Glaubt Ihr, ich habe Euch um Eure fünfzehnhundert Livres geprellt? Ich mag Euch als Hanswurst erscheinen, Madame, aber wenn die Auskünfte, die ich einhole, viel Geld kosten, so deshalb, weil sie immer stimmen. Der Bruder des Königs ist es, der Euch im Louvre eine Falle stellte und versuchte, Euch ermorden zu lassen. Ich weiß es von dem Burschen selbst, der Eure Dienerin Margot erdolchte, und es hat mich nicht weniger als zehn Finten Wein im >Roten Hahn< gekostet, um ihm dieses Geständnis zu entreißen.«

Angélique legte die Hand an die Stirn. In abgerissenen Sätzen berichtete sie Desgray den seltsamen Zwischenfall, dessen Zeuge sie einige Jahre zuvor im Schloß Plessis-Bellière gewesen war.

»Wißt Ihr, was aus Eurem Verwandten, dem Marquis du Plessis, geworden ist?«

»Nein. Vielleicht ist er in Paris oder bei der Armee.«

»Die Fronde liegt weit zurück«, murmelte der Advokat nachdenklich, »aber es bedarf nur eines Funkens, um die noch rauchende Strohfackel wieder aufflammen zu lassen. Zweifellos gibt es viele Leute, die davor bangen, daß ein solches Zeugnis ihres Verrats ans Tageslicht kommt.«

Mit einer einzigen Bewegung schob er die auf dem Tisch aufgehäuften Schriftstücke und Gänsekiele beiseite.

»Fassen wir kurz zusammen. Da haben wir also Euch, Mademoiselle Angélique de Sancé, ein kleines Mädchen, das man jedoch verdächtigt, im Besitz eines furchtbaren Geheimnisses zu sein. Der Fürst beauftragt seinen Diener Clément, Euch zu bespitzeln. Lange Jahre hindurch hat dieser ein Auge auf Euch. Endlich wird ihm zur Gewißheit, was bis dahin nur ein Verdacht war: Ihr seid es, die das Kästchen hatte verschwinden lassen, Ihr allein samt Eurem Gatten wißt um das Geheimnis seiner Aufbewahrung. Diesmal sucht unser Diener Fouquet auf und läßt sich seine Auskunft mit Gold bezahlen. Von diesem Augenblick an ist Euer Untergang beschlossene Sache. Alle diejenigen, die auf Kosten des Oberintendanten leben, alle diejenigen, die fürchten, ihre Pension und die Gunst des Hofs zu verlieren, verbünden sich insgeheim gegen den toulousanischen Edelmann, der eines schönen Tages vor dem König erscheinen und sagen könnte: >Hört an, was ich weiß!< Wären wir in Italien, hätte man zu Dolch oder Gift gegriffen. Aber man weiß, daß Graf Peyrac gegen Gift gefeit ist, und im übrigen gibt man in Frankreich den Dingen gern einen legalen Anstrich. So kommt also die von Monsieur de Fontenac eingefädelte Kabale höchst gelegen. Man wird den kompromittierenden Mann als Hexenmeister verhaften. Der König ist für die Sache gewonnen. Man schürt seine Eifersucht auf den allzu reichen Edelmann. Und siehe da, die Tore der Bastille schließen sich hinter dem Grafen Peyrac! Alle Welt kann aufatmen.«

»Nein«, sagte Angélique heftig. »Ich werde sie nicht aufatmen lassen. Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, bis uns Gerechtigkeit widerfährt. Ich gehe selbst zum König und sage ihm, warum wir so viele Feinde haben.«

»Pst!« machte Desgray. »Laßt Euch nicht fortreißen. Ihr tragt eine Pulverladung in Euren Händen, aber gebt acht, daß Ihr nicht als erste von ihr in Stücke gerissen werdet. Wer garantiert Euch, daß der König oder Mazarin über diese Geschichte nicht bereits im Bilde ist?«

»Aber sie sollten doch die Opfer des damaligen Komplotts sein: Man wollte den Kardinal und, wenn möglich, auch den König und seinen Bruder ermorden.«

»Ich verstehe, meine Schöne, ich verstehe sehr wohl«, sagte der Advokat. »Ich erkenne die Logik Eurer Argumentation durchaus an, Madame. Aber seht, die Intrigen der Großen gleichen einem Rattenkönig. Man riskiert das Leben, wenn man ihre Gefühle entwirren will. Es ist sehr wohl möglich, daß Monsieur de Mazarin durch einen seiner Spitzel in Kenntnis gesetzt worden ist. Aber was kümmert Mazarin eine Vergangenheit, aus der er als unbestrittener Sieger hervorging? Der Kardinal war im Begriff, mit den Spaniern die Rückkehr des Fürsten Condé auszuhandeln. War das der Moment, dem düsteren Bild, das man eben mit dem Schwamm aufhellen wollte, ein weiteres Verbrechen hinzuzufügen? Er stellte sich taub. Man will diesen Edelmann aus Toulouse verhaften - nun gut, soll man ihn verhaften. Ein vorzüglicher Gedanke. Der König tut immer, was der Kardinal sagt, und im übrigen hat der Reichtum Eures Gatten seinen Neid erregt. Es wird ein Kinderspiel sein, ihn den Verhaftbefehl für die Bastille unterschreiben zu lassen.« - »Aber der Bruder des Königs?« - »Der Bruder des Königs? Nun, auch den kümmert es kaum mehr, daß Fouquet ihn hatte umbringen lassen wollen, als er noch klein war. Nur das Heute interessiert ihn, und heute ist es Fouquet, der ihn erhält. Fouquet überschüttet ihn mit Gold, verschafft ihm Günstlinge. Der kleine Monsieur ist weder von seiner Mutter noch von seinem Bruder verwöhnt worden: Er zittert davor, daß man seinen Beschützer kompromittieren könnte. - Kurz und gut, diese Geschichte wäre bestens verlaufen, wenn Ihr nicht auf der Bildfläche erschienen wäret. Man hoffte, Ihr würdet, des Beistands Eures Gatten beraubt, geräuschlos verschwinden ... irgendwohin. Man will es gar nicht wissen. Das Schicksal der Ehefrauen bleibt immer unbekannt, wenn ein Edelmann in Ungnade fällt. Sie sind so taktvoll, sich in Rauch aufzulösen. Vielleicht gehen sie ins Kloster. Vielleicht wechseln sie den Namen. Nur Ihr paßt Euch dem herrschenden Gesetz nicht an. Ihr verlangt Gerechtigkeit! Das ist höchst vermessen - hab’ ich nicht recht? Zweimal versucht man, Euch umzubringen. Als es mißlingt, spielt Fouquet den Versucher .«

Angélique stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Es ist grauenhaft«, murmelte sie. »Wohin man auch schaut, man sieht nur Feinde, haßerfüllte, neidische, verächtliche, drohende Blicke .«

»Seid vernünftig, Madame, noch ist es Zeit«, sagte Desgray. »Fouquet bietet Euch die Möglichkeit, Euch auf anständige Weise aus der Affäre zu ziehen. Zwar gibt man Euch nicht das Vermögen Eures Gatten zurück, aber man verhilft Euch zu einem sorgenlosen Leben. Was wollt Ihr mehr?«

»Ich will meinen Mann!« schrie Angélique und sprang wütend auf.

Der Advokat musterte sie mit einem ironischen Blick.

»Ihr seid wirklich eine wunderliche Frau.«

»Und Ihr seid ein elender Feigling. In Wahrheit zittert Ihr um Euer Leben wie alle andern.«

»Freilich, in den Augen jener hohen Persönlichkeiten ist das Leben eines kümmerlichen Kanzlisten keinen Deut wert.«

»Schön, dann behütet es doch, Euer armseliges Leben! Behütet es für die Krämer, die sich von ihren Lehrlingen bestehlen lassen, und für die neidischen Erben. Ich brauche Euch nicht.«

Der Advokat erhob sich wortlos und entfaltete umständlich ein Blatt Papier.

»Hier ist die Aufstellung meiner Auslagen. Ihr werdet daraus ersehen, daß ich nichts für mich selbst einbehalten habe.«

»Ob Ihr ehrlich seid oder ein Gauner, ist mir gleichgültig.«

»Einen Ratschlag noch.«

»Ich bedarf Eurer Ratschläge nicht mehr. Ich werde mich von meinem Schwager beraten lassen.«

»Euer Schwager hat keineswegs die Absicht, in dieser Angelegenheit Partei zu ergreifen. Er hat Euch aufgenommen und an mich verwiesen, weil er, wenn die Dinge günstig verlaufen, Ruhm zu ernten hofft, andernfalls seine Hände in Unschuld waschen wird und sich in jedem Fall hinter seiner Verpflichtung dem König gegenüber verschanzen kann. Und deshalb sage ich Euch abermals: Versucht, bis zum König vorzudringen.«

Er verneigte sich ehrerbietig, setzte seinen abgetragenen Hut auf und wandte sich in der Tür noch einmal um.

»Wenn Ihr mich braucht, könnt Ihr mich in den >Drei Mohren< rufen lassen, wo ich mich jeden Abend aufhalte.«

Als er gegangen war, verspürte Angélique plötzlich das Bedürfnis zu weinen. Nun fühlte sie sich völlig allein. Es war ihr, als laste ein Gewitterhimmel über ihr, ein bedrohliches Wolkengebilde, das sich aus allen Richtungen zusammengezogen hatte: der Ehrgeiz des Erzbischofs von Toulouse, die Angst Fouquets und Condés, die Charakterlosigkeit des Kardinals und in ihrer nächsten Umgebung die mißtrauische Wachsamkeit ihres Schwagers und ihrer Schwester, die bereit waren, sie beim ersten beunruhigenden Anzeichen aus dem Hause zu jagen .

Im Vestibül begegnete sie Hortense, die eine weiße Schürze um ihre magere Taille gebunden hatte. Das Haus duftete nach Himbeeren und Apfelsinen. Im September pflegten die guten Hausfrauen ihre Marmelade zu bereiten. Es war ein gewichtiges Unternehmen, das da zwischen großen Kupferkesseln, zerstoßenen Zuckerhüten und Barbes Tränen abrollte. Der Haushalt stand drei Tage lang auf dem Kopf.

Hortense trug einen der kostbaren Zuckerhüte in den Händen und stieß gegen Florimond, der, seine silberne Rassel schwingend, eben aus der Küche schoß. Das genügte, um das Gewitter losbrechen zu lassen.