Der König stand vor ihr. Seine hohen, lackierten Holzabsätze verursachten kein Geräusch auf dem dicken Wollteppich.
Angélique bemerkte, daß die Tür des kleinen Kabinetts sich wieder geschlossen hatte und daß sie mit dem Monarchen allein war. Sie empfand ein Gefühl der Befangenheit, ja geradezu der Panik. Bisher hatte sie den König immer nur inmitten einer dichten Menschenmenge gesehen. So war er ihr nicht eigentlich echt und lebendig erschienen; er hatte wie ein Schauspieler auf der Bühne gewirkt.
Jetzt spürte sie die ein wenig massige Gegenwart des Menschen, sie roch das diskrete Parfüm des Irispuders, mit dem er sein üppiges braunes Haar bleichte. Und dieser Mensch war der König.
Sie zwang sich, den Blick zu ihm zu erheben. Ludwig XIV. war ernst und ungerührt. Man hätte meinen mögen, er suche sich des Namens dieser jungen Frau zu erinnern, obgleich die Grande Mademoiselle sie kurz zuvor angemeldet hatte. Angélique fühlte sich unter seinem kalten Blick wie gelähmt.
Sie wußte nicht, daß Ludwig XIV. zwar nicht die Schlichtheit seines Vaters, wohl aber dessen Schüchternheit geerbt hatte. Empfänglich für Prunk und Ehrerbietung wie er war, beherrschte er nach bestem Vermögen dieses Minderwertigkeitsgefühl, das mit der Erhabenheit seines Titels so wenig in Einklang stand. Aber obwohl verheiratet und bereits höchst galant, verlor er noch immer die Fassung, wenn er einer schönen Frau gegenübertrat.
Nun, Angélique war schön. Sie hatte vor allem, was sie nicht wußte, eine stolze Kopfhaltung und in ihrem Blick einen zugleich zurückhaltenden und kühnen Ausdruck, den man zuweilen als Herausforderung auslegen konnte, aber auch als die Unschuld eines unberührten, lauteren Wesens. Ihr Lächeln verwandelte sie und offenbarte ihre Aufgeschlossenheit dem Leben gegenüber.
Doch in diesem Augenblick lächelte Angélique nicht. Sie mußte warten, bis der König das Wort an sie richtete, und angesichts des langen Schweigens wuchs ihre Beklommenheit.
Endlich ließ sich der König vernehmen:
»Ich erkenne Euch kaum wieder, Madame. Habt Ihr das wundervolle Goldkleid nicht mehr, das Ihr in Saint-Jean-de-Luz trugt?«
»Ich schäme mich wirklich, Sire, in einem so schlichten und abgetragenen Kleid vor Euch erscheinen zu müssen. Aber es ist das einzige, das ich noch besitze. Euer Majestät ist gewiß bekannt, daß mein gesamter Besitz versiegelt ist.«
Das Gesicht des Königs nahm einen kühlen Ausdruck an, dann entschloß er sich plötzlich zu einem Lächeln.
»Ihr kommt sehr rasch auf Euer Thema zu spre-chen, Madame. Aber eigentlich habt Ihr ganz recht. Ihr erinnert mich daran, daß die Zeit eines Königs kostbar ist und daß er sie nicht mit albernen Umschweifen vertrödeln sollte. Ihr seid ein wenig streng, Madame.«
Zarte Röte stieg in die blassen Wangen der jungen Frau, und sie lächelte verlegen.
»Nichts liegt mir ferner, als Euch an die ernsten Pflichten zu erinnern, die auf Euch lasten, Sire. Ich habe nur in aller Bescheidenheit Eure Frage beantworten wollen und möchte nicht, daß Eure Majestät mich für nachlässig hält, weil ich in so abgetragener Kleidung und mit allzu schlichtem Schmuck vor Euch erscheine.«
»Ich habe keinen Befehl erlassen, Euren persönlichen Besitz zu beschlagnahmen. Und ich habe sogar ausdrücklich Anweisung gegeben, Madame de Peyrac volle Bewegungsfreiheit zu lassen und sie in keiner Weise zu belästigen.«
»Ich bin Eurer Majestät für die mir erwiesene Aufmerksamkeit unendlich dankbar«, sagte Angélique mit einer Verneigung. »Aber ich habe nichts, was mir persönlich gehört, und da ich so rasch wie möglich in Erfahrung bringen wollte, was mit meinem Gatten geschehen war, bin ich mit nichts anderem als meinem Reisebedarf und einigen Schmuckstücken nach Paris gefahren. Aber ich komme nicht zu Euch, um zu klagen, Sire. Meine einzige Sorge ist das Schicksal meines Gatten.«
Sie verstummte und unterdrückte die Flut von Fragen, die ihr auf der Zunge lagen: Weshalb habt Ihr ihn verhaftet? Was werft Ihr ihm vor? Wann gebt Ihr ihn mir zurück?
Ludwig XIV. betrachtete sie mit unverhohlener Neugier.
»Es ist mir unbegreiflich, Madame, wie eine so schöne Frau in einen so abstoßenden Gatten vernarrt sein kann!«
Der verächtliche Ton des Monarchen wirkte auf Angélique wie ein Dolchstoß. Sie verspürte quälenden Schmerz. Empörung funkelte in ihren Augen.
»Wie könnt Ihr so reden«, rief sie hitzig aus. »Ihr habt ihn doch gehört, Sire! Ihr habt die Goldene Stimme Frankreichs gehört!«
»Sie hatte allerdings einen Reiz, dem man sich schwerlich verschließen konnte.«
Er näherte sich ihr und fuhr mit einschmeichelnder Stimme fort:
»Es trifft doch wohl zu, daß Euer Gatte die Macht besaß, alle Frauen, selbst die kühlsten, zu behexen. Man hat mir berichtet, er sei auf diese Gabe so stolz gewesen, daß er daraus so etwas wie eine Lehre entwickelte und Feste gab, bei denen die schamloseste Zügellosigkeit Brauch war.«
»Weniger schamlos als das, was bei Euch im Louvre vorgeht«, verlangte es Angélique zu sagen. Sie beherrschte sich nach bestem Vermögen.
»Man hat Eurer Majestät gegenüber den Sinn dieser Zusammenkünfte falsch ausgelegt. Meinem Gatten machte es Freude, in seinem Palais die mittelalterlichen Traditionen der Troubadours aus dem Süden Wiederaufleben zu lassen, die die Galanterie gegenüber den Frauen zur Höhe eines Kults erhoben. Gewiß waren die Unterhaltungen ungezwungen, da man ja über die Liebe sprach, aber der Anstand blieb gewahrt.«
»Wart Ihr nicht eifersüchtig, Madame, als Ihr saht, wie dieser Gatte, den Ihr so angebetet habt, sich Ausschweifungen hingab?«
»Ich habe nie erlebt, daß er sich Ausschweifungen in dem Sinne hingab, in dem Ihr es meint, Sire. Jene Lehren schreiben die Treue zu einer einzigen Frau vor, der legitimen Gattin oder der Geliebten. Und ich war diejenige, die er erwählt hatte.«
»Immerhin habt Ihr lange gezögert, bis Ihr Euch dieser Wahl beugtet. Wie kam es, daß Eure anfängliche Abneigung sich plötzlich in verzehrende Liebe verwandelte?«
»Ich sehe, daß Eure Majestät sich für die intimsten Einzelheiten im Leben seiner Untertanen interessiert«, sagte Angélique, die sich diesmal der Ironie nicht enthalten konnte. Der Zorn kochte in ihr. Sie brannte danach, ihm die bissigen Erwiderungen ins Gesicht zu schleudern, die ihr auf der Zunge lagen. Doch beherrschte sie sich mühsam und senkte den Kopf in der Befürchtung, man könne ihr die Gefühle vom Gesicht ablesen.
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Madame«, sagte der König in eisigem Ton.
Angélique fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Weshalb habe ich begonnen, diesen Mann zu lieben?« murmelte sie. »Wahrscheinlich, weil er alle Eigenschaften besitzt, die bewirken, daß eine Frau sich glücklich schätzt, Sklavin eines solchen Mannes zu sein.«
»Ihr gebt also zu, daß Euer Gatte Euch behext hat?«
»Ich habe fünf Jahre an seiner Seite gelebt, Sire. Ich bin bereit, auf das Evangelium zu schwören, daß er weder Hexenmeister noch Magier war.«
»Ihr wißt, daß man ihn der Hexerei anklagt?«
Sie nickte stumm.
»Es handelt sich nicht allein um den seltsamen Einfluß, den er auf die Frauen ausübt, sondern auch um die verdächtige Herkunft seines riesigen Vermögens. Es heißt, er habe das Geheimnis der Transmutation unedler Metalle in Gold durch den Umgang mit dem Satan empfangen.«
»Sire, man stelle meinen Gatten vor ein Tribunal. Er wird mühelos beweisen, daß er das Opfer falscher Vorstellungen in überwundenen Traditionen befangener Alchimisten geworden ist, Traditionen, die in unserer Zeit mehr Schaden als Nutzen stiften.«
Der König wurde ein wenig umgänglicher.
»Ihr werdet zugeben, Madame, daß wir, Ihr und ich, von der Alchimie nicht allzuviel verstehen. Dennoch muß ich gestehen, daß die Schilderungen, die man mir von den teuflischen Praktiken des Monsieur de Peyrac gemacht hat, reichlich unbestimmt sind und der Präzisierung bedürfen.«
Angélique unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung.
»Wie bin ich glücklich, Sire, daß Ihr ein so mildes und verständnisvolles Urteil fällt!«
Auf dem Gesicht des Königs erschien ein winziges Lächeln, in das sich leise Verärgerung mischte.
»Wir wollen nichts vorwegnehmen, Madame. Ich habe nur gesagt, daß ich nähere Einzelheiten über diese Transmutationsgeschichte verlange.«
»Sire, eine Transmutation hat es nie gegeben. Mein Gatte hat lediglich ein Verfahren ausgearbeitet, durch das man mit Hilfe geschmolzenen Bleis sehr feines Gold ausscheiden kann, das in einem bestimmten Gestein enthalten ist. Durch Anwendung dieses Verfahrens hat er sein Vermögen erworben.«
»Wäre es ein unantastbares und lauteres Verfahren gewesen, hätte er dessen Ausnützung normalerweise seinem König angeboten, während er in Wirklichkeit zu niemand darüber gesprochen hat.«
»Sire, ich bin Zeuge, daß er sein Verfahren vor einigen Edelleuten und dem Abgesandten des Erzbischofs von Toulouse demonstrierte, aber das Verfahren ist nur auf ein bestimmtes Gestein anwendbar, das man die unsichtbaren Goldadern der Pyrenäen nennt, und man braucht ausländische Spezialisten, um es durchzuführen. Es ist also keine kabalistische Formel, die er verraten könnte, sondern etwas, das ein Spezialwissen und ein beträchtliches Kapital erfordert.«
»Zweifellos zog er es vor, sich die Ausnutzung eines solchen Verfahrens vorzubehalten, das ihn nicht nur reich machte, sondern ihm auch den Vorwand lieferte, Ausländer bei sich zu empfangen, Spanier, Deutsche, Engländer und aus der Schweiz kommende Ketzer. So konnte er in aller Bequemlichkeit die autonomisti-sche Revolte des Languedoc vorbereiten.«
»Mein Gatte hat niemals Komplotte gegen Eure Majestät geschmiedet.«
»Immerhin hat er beachtliche Arroganz und Selbstbewußtheit an den Tag gelegt. Ihr müßt zugeben, Madame, daß es wider die Üblichkeit ist, wenn ein Edelmann vom König nichts verlangt. Wenn er sich aber auch noch rühmt, ihn nicht zu brauchen, überschreitet das jedes Maß.«
Angélique fühlte sich wie vom Fieber geschüttelt. Sie tat bescheiden, gab zu, daß Joffrey ein Sonderling sei, der, infolge seiner physischen Defekte von seinesgleichen isoliert, alles ans Werk gesetzt habe, um mittels seiner Philosophie und seines Wissens über sie zu triumphieren.
»Euer Gatte wollte einen Staat im Staate schaffen«, sagte der König hart. »Ob Schwarzkünstler oder nicht - er wollte mittels seines Reichtums herrschen. Seit seiner Verhaftung brodelt es in Toulouse, und das Languedoc befindet sich in Unruhe. Glaubt nicht, Madame, daß ich jenen Verhaftbefehl aus keinem stichhaltigeren Grunde als wegen des Verdachts der Hexerei unterschrieben habe, der zwar beunruhigend ist, aber gegen die schwerwiegenden Vergehen in seinem Gefolge wenig zu bedeuten hat. Ich habe schlagende Beweise für seinen Verrat bekommen.«
»Die Verräter wittern überall Verrat«, sagte Angélique ruhig, und ihre grünen Augen schossen Blitze. »Wenn Eure Majestät mir diejenigen nennen würden, die in solcher Weise den Grafen Peyrac verleumden, würde ich unter ihnen zweifellos Persönlichkeiten finden, die sich in nicht allzu ferner Vergangenheit tatsächlich gegen die Macht und sogar das Leben Eurer Majestät verschworen haben.«
Ludwig XIV. blieb gelassen, nur sein Gesicht färbte sich ein wenig dunkler.
»Ihr seid recht kühn, Madame, daß Ihr Euch zu bestimmen anmaßt, in wen ich mein Vertrauen setzen soll. Die gezähmten und angeketteten Raubtiere sind mir nützlicher als der stolze und freie Vasall, der gar leicht zum Rivalen werden kann. Möge der Fall Eures Gatten anderen Edelleuten als Beispiel dienen, die gerne das Haupt erheben möchten. Man wird ja sehen, ob er mit all seinem Geld seine Richter kaufen kann und ob der Satan ihm zu Hilfe kommt. Meine Pflicht ist es, das Volk vor den verderblichen Einflüssen jener großen Adligen zu schützen, die sich zu Beherrschern der Körper und der Seelen und des Königs selbst erheben möchten.«
»Ich müßte mich ihm weinend zu Füßen werfen«, dachte Angélique, aber sie war dessen nicht fähig. Die Gloriole des Königs verflüchtigte sich vor ihren Augen. Sie sah nur noch einen jungen Mann ihres Alters - zweiundzwanzigjährig -, den sie am liebsten an seinem Spitzenkragen gepackt und wie einen Pflaumenbaum geschüttelt hätte.
»Das also ist die Gerechtigkeit des Königs«, sagte sie in einem harten Ton, der ihr fremd vorkam. »Ihr seid von gepuderten Mördern umgeben, von federgeschmückten Banditen, von Bettlern, die sich in den elendesten Schmeicheleien ergehen. Einem Fouquet, einem Condé, den Conti, Longueville, Beaufort ... Der Mann, den ich liebe, hat nie Verrat begangen. Er hat die schlimmsten Schicksalsschläge überwunden, hat die königliche Schatzkammer um einen Teil seines Vermögens bereichert, das er sich durch seine Genialität, sein unermüdliches Arbeiten erworben hatte. Er hat von niemandem etwas gefordert, und das wird man ihm nie verzeihen .«
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