Im Juni heiratete Sauliers Tochter, und es wurde ein großes Fest. Er war der einzige Pachtbauer des Barons de Sancé, der Landarbeiter beschäftigte. Der Mann, der nebenbei noch den Dorfkrug bewirtschaftete, war wohlhabend.
Die kleine, romanische Kirche war mit Blumen und faustdicken Kerzen geschmückt, und der Baron selbst führte die Tochter zum Altar.
Nach dem Hochzeitsschmaus erschienen dem Brauch gemäß alle Frauen des Orts, um der Jungvermählten ihre Geschenke zu überreichen. Sie saß in ihrem neuen Heim auf einer Bank vor einem großen Tisch, auf dem sich bereits Geschirr, Bettzeug, kupferne und zinnerne Kochtöpfe häuften. Ihr rundes Gesicht unter dem riesigen Margeritenkranz strahlte vor Freude.
Madame de Sancé war es beinahe peinlich, daß sie ein so bescheidenes Geschenk brachte: ein paar schöne Steingutteller, die sie für solche Gelegenheiten aufbewahrte. Angélique mußte plötzlich daran denken,
daß man auf Schloß Sancé aus Bauernnäpfen aß. Sie war zornig und zugleich verletzt angesichts solcher Vernunftwidrigkeit. Wie komisch die Menschen doch waren! Man konnte wetten, daß auch die Bäuerin diese Teller nicht benützen, sondern sorgsam in einem Kasten verstauen und weiterhin aus ihrem Napf essen würde. Und auf Schloß Plessis gab es all jene herrlichen Gegenstände, die unbenutzt wie in einem Grabe ruhten ...!
Angéliques Miene nahm einen verschlossenen Ausdruck an, und sie gab der jungen Frau einen flüchtigen Kuß.
Indessen versammelten sich die jungen Leute um das große Ehebett und machten ihre Scherze.
»Na, junge Frau«, rief einer von ihnen, »wenn man euch so anschaut, dich und dein Ehegespons, möchte man zweifeln, ob die Brautsuppe willkommen sein wird, die man euch im Morgengrauen bringt!«
»Mutter«, fragte Angélique beim Hinausgehen, »was ist das mit der Brautsuppe, von der bei den Hochzeiten immer geredet wird?«
»Das ist eine Bauernsitte wie das Geschenkebringen oder das Tanzen«, erwiderte sie ausweichend. Die Erklärung befriedigte ihre Tochter nicht, die sich vornahm, bei der »Brautsuppe« dabeizusein.
Auf dem Dorfplatz tanzte man noch nicht um die große Ulme. Die Männer saßen noch an den Tischen, die auf Podesten im Freien standen.
Angélique hörte ihre ältere Schwester schluchzen. Sie wollte nach Hause, weil sie sich ihres allzu schlichten und geflickten Kleides schämte.
»Pah!« rief Angélique aus. »Warum machst du dir das Leben so schwer? Beklage ich mich vielleicht über mein Kleid, obwohl es mich drückt und viel zu kurz ist? Nur meine Stiefel tun mir richtig weh. Ich habe meine Holzschuhe in einem Bündel mitgebracht, und ich werde sie anziehen, um besser tanzen zu können. Ich bin fest entschlossen, mich zu amüsieren!«
Hortense klagte, sie fühle sich heiß und gar nicht wohl, und bestand darauf, nach Hause zu gehen. So teilte Madame de Sancé ihrem bei den Honoratioren sitzenden Manne mit, sie zöge sich zurück, ließe aber Angélique bei ihm. Das Mädchen blieb eine Weile neben ihrem Vater. Sie hatte viel gegessen und fühlte sich schläfrig.
In ihrer Gesellschaft befanden sich der Pfarrer, der Bürgermeister, der Schullehrer, der bei Gelegenheit auch Kantor, Wundarzt, Barbier und Glöckner war, und einige Bauern, die »Pflüger« genannt wurden, weil sie Besitzer von Ochsenpflügen waren und mehrere Tagelöhner beschäftigten, so daß sie gewissermaßen eine Dorfaristokratie bildeten. Schließlich gehörte zu dieser Gruppe noch der Vater der Hochzeiterin, Paul Saulier, der selbst Hornvieh, Pferde und Esel züchtete.
Tatsächlich war dieser korpulente Poitou-Bauer der angesehenste der kleinen Pachtbauern, und wenn Baron Armand de Sancé auch sein »Herr« war, so war doch sein Pächter zweifellos reicher als er selbst.
Angélique betrachtete ihren Vater, dessen Stirn sich auchjetzt nicht glättete, und ahnte, was er dachte. »Das ist auch wieder ein Zeichen der Aufwärtsentwicklung der unteren Stände und des Abstiegs der Aristokraten«, stellte er wohl melancholisch fest.
Vielleicht zum erstenmal in seinem Leben sagte sich der Landedelmann, daß die Dinge komplizierter waren, als sie aussahen. Doch im Grunde war er ein Mensch, der sich keine Fragen stellte. Beispielsweise war er ein guter Katholik, ohne sich aber wie sein Vater, dem er im übrigen ein hohes Maß an Achtung entgegenbrachte, für unfehlbar zu halten.
Was das materielle Leben anging, so nahm er es, wie es kam. Genauer gesagt: mit Gutmütigkeit und Optimismus. Gewiß, es gab schwierige Momente, und die Geldangelegenheiten überschatteten in letzter Zeit alles. Vor allem sorgte er sich um die Zukunft seines ältesten Sohnes, der wie verraten und verkauft umherschlich. Raymond, der zweite Sohn, war vernünftiger. Er durchstöberte die magere Bibliothek des Schulmeisters und fand immerhin einiges, sein Latein zu vervollkommnen.
Aber es war sinnlos, die Entscheidung noch länger hinauszuzögern. Die bis jetzt vertrauensvoll erhoffte Hilfe des Königs traf nicht ein. Es hieß, in Paris seien infolge der neuen Steuern Unruhen ausgebrochen, ja die Königin-Mutter sei mit ihren beiden Söhnen nach Saint-Germain geflüchtet. Was konnte bei solchem Wirrwarr aus der Bittschrift eines bescheidenen Landedelmannes werden?
Und da war nun dieser beunruhigende Vorschlag des Verwalters Molines. Doch Madame de Sancé war dagegen. Der Gedanke, von einem Schloßverwalter Geld anzunehmen, hatte sie so aufgebracht, daß er gar nicht erst gewagt hatte, die andere, für die Versorgung der Kinder angebotene Summe zu erwähnen. Ihr Instinkt sagte ihr, daß da etwas nicht stimmte, daß hinter diesen Plänen eine geheime Absicht steckte.
Lief er nicht tatsächlich Gefahr, sich in ein Abenteuer zu verstricken, bei dem er das wenige verlieren konnte, das ihm noch geblieben war, nämlich die Ehre seines Wappens?
Solcherlei Gedanken bedrängten den bedauernswerten Baron, als auf dem Platz um die Ulme eine Bewegung entstand. Zwei Männer, deren jeder eine Art weißen, bereits stark aufgeblasenen Sacks unter dem Arm trug, schwangen sich auf Fässer. Es waren die Dudelsackpfeifer. Ein Schalmeienbläser gesellte sich ihnen zu.
»Der Tanz beginnt!« rief Angélique und stürzte zum Hause des Bürgermeisters, wo sie beim Kommen ihre Holzschuhe versteckt hatte.
Ihr Vater beobachtete sie, wie sie hüpfend und mit den Händen den Takt der Balladen und Rundtänze schlagend, die nun getanzt werden würden, zurückkam. Vielleicht war ihr zu kurzes und enges Kleid daran schuld, daß er mit einem Male gewahr wurde, wie sehr sie sich in diesen letzten Monaten entwickelt hatte. Sie, die immer recht zart gewesen war, wirkte jetzt wie eine Zwölfjährige; ihre Schultern waren breiter geworden, ihre Brust wölbte sich leicht un-ter dem abgenutzten Stoff ihres Kleids. Ihre frische, braungetönte Gesichtsfarbe verriet gesundes Blut, und hinter ihren halbgeöffneten, feuchten Lippen blitzten zwei Reihen makelloser kleiner Zähne. Wie die meisten Mädchen des Landes hatte sie in den Ausschnitt ihres Mieders ein Sträußchen gelber und malvenfarbiger Schlüsselblumen gesteckt.
Die anwesenden Männer waren über ihre frische, blühende Erscheinung ebenso verblüfft.
»Euer kleines Fräulein wird ein ungemein schönes Mädchen«, sagte Vater Saulier mit vielsagendem Lächeln und einem Blick des Einverständnisses zu seinen Nachbarn, der den Stolz des Barons mit leiser Unruhe erfüllte.
»Sie ist schon zu erwachsen, um sich noch unter diese Grobiane zu mischen«, dachte er plötzlich. »Eigentlich müßte man sie und nicht Hortense ins Kloster stecken ...«
Unbekümmert um die Blicke und Gedanken, die sie erregte, mischte sich Angélique fröhlich unter die jungen Männer und Mädchen, die von allen Seiten in Gruppen oder paarweise herbeiströmten. Fast stieß sie mit einem Jüngling zusammen, den sie nicht gleich erkannte, weil er so prächtig gekleidet war.
»Meiner Treu, Valentin«, rief sie aus, »wie schön du bist, Lieber!«
Der Müllerssohn trug ein offensichtlich in der Stadt angefertigtes Gewand aus grauem Tuch von so auserlesener Qualität, daß die Schöße seines Überrocks wie gestärkt aussahen. Dieser und die Weste waren mit mehreren Reihen kleiner, goldfarben funkelnder Knöpfe garniert. Stiefel und Filzhut zierten metallene Schnallen. Der junge Bursche, der mit seinen vierzehn Jahren von herkulischer Gestalt war, wirkte in seiner Ausstaffierung ziemlich linkisch, aber sein rotes Gesicht strahlte vor Stolz. Angélique, die ihn, da er mit seinem Vater in die Stadt gereist war, ein paar Monate nicht gesehen hatte, stellte fest, daß sie ihm kaum bis zur Schulter reichte, und sie fühlte sich fast ein bißchen eingeschüchtert. Um ihre Verlegenheit zu überwinden, nahm sie ihn bei der Hand.
»Komm, tanzen.«
»Nein! Nein!« protestierte er. »Ich will mein schönes Gewand nicht verderben. Ich gehe mit den Männern trinken«, fügte er selbstgefällig hinzu und gesellte sich zu der Gruppe der Honoratioren, bei der auch sein Vater sich gerade niedergelassen hatte.
»Tanz mit mir!« rief ein Bursche und legte seinen Arm um Angéliques Taille. Es war Nicolas, dessen Augen, dunkelbraun wie reife Kastanien, vor Übermut glänzten.
Sie stellten sich einander gegenüber und begannen im Takt der Dudelsäcke und der Schalmei zu stampfen. Diesen Tänzen, die an sich schwerfällig und monoton waren, verlieh ein instinktives Gefühl für Rhythmus ungewöhnliche Harmonie.
Es wurde Abend. Die Kühle erfrischte die schweißtriefenden Stirnen. Ganz dem Tanze hingegeben, fühlte Angélique sich glücklich, aller bedrängenden Gedanken ledig. Von den Augen ihrer vielen Kavaliere las sie etwas ab, das sie betraf und das sie ein wenig erregte.
Der Staub schwebte wie ein Pastellhauch in der Luft, von der untergehenden Sonne rötlich gefärbt. Die Wangen des Schalmeienspielers glichen zwei Kugeln, und er blies so angestrengt in sein Instrument, daß ihm die Augen förmlich aus dem Kopf traten.
Man legte eine Pause ein, um sich an den mit Kannen reich bestellten Tischen zu erfrischen.
»Woran denkt Ihr, Vater?« fragte Angélique, während sie sich neben den Baron setzte, dessen Stirnfalten sich noch nicht geglättet hatten.
Sie war gerötet und atemlos. Fast nahm er es ihr übel, daß sie unbekümmert und glücklich war, während er sich so sehr quälte, daß er nicht einmal mehr wie ehedem ein Dorffest genießen konnte.
»An die Steuern«, erwiderte er, indem er einen finsteren Blick auf sein Gegenüber warf, das kein anderer war als der Steuereintreiber Corne, den man so oft vor das Schloßportal gesetzt hatte. Sie widersprach lebhaft.
»Es ist nicht recht, daran zu denken, während alle Welt sich vergnügt. Tun das vielleicht all unsere Bauern hier? Dabei drücken sie die Abgaben noch viel mehr. Nicht wahr, Monsieur Corne«, rief sie fröhlich über den Tisch hinweg, »nicht wahr, an einem solchen Tag darf niemand mehr an die Steuern denken, nicht einmal Ihr .?«
Ihre Worte lösten schallendes Gelächter aus. Man begann zu singen, und Vater Saulier gab das Lied vom »Steuereintreiber als Holzdieb« zum besten, das Monsieur Corne mit biederem Lächeln anzuhören geruhte. Aber da es vermutlich das Signal für weitere, weniger harmlose Reime war und Armand de Sancé angesichts des Benehmens seiner Tochter, die einen Becher nach dem andern leerte, immer unruhiger wurde, entschloß er sich zum Aufbruch. Raymond und die kleineren Kinder waren schon lange mit der Amme heimgekehrt. Nur der älteste Sohn Josselin verweilte sich noch, den Arm um die Hüfte eines der artigsten Mädchen des Dorfes geschlungen. Der Baron hütete sich, ihn zurechtzuweisen. Er war froh, daß der schmale und blasse Kollegschüler in den Armen von Mutter Natur gesündere Farben und Gedanken bekam. In seinem Alter hatte er selbst schon lange mit einer drallen Schäferin aus dem Nachbarort tüchtig im Heu scharmuziert. Wer weiß, vielleicht würde ihn das in der Heimat festhalten?
Überzeugt, daß Angélique ihm folgte, begann er sich von der Tischrunde zu verabschieden.
Doch seine Tochter hatte andere Pläne. Seit ein paar Stunden suchte sie nach einem Mittel, um bei Tagesanbruch der Zeremonie der »Brautsuppe« beiwohnen zu können. So tauchte sie im Gedränge unter und machte sich davon. Sie nahm ihre Holzschuhe in die Hand und rannte zum Ende des Dorfs, dessen Häuser jetzt sogar von den Großmüttern verlassen waren. An einer Scheune lehnte eine Leiter, sie kletterte hurtig hinauf und fand oben weiches, duftendes Heu vor.
Der Wein und die Müdigkeit vom Tanzen ließen sie gähnen.
»Ich werde schlafen«, dachte sie. »Wenn ich aufwache, wird es soweit sein, und ich werde zur Brautsuppe gehen.«
Ihre Lider schlossen sich, und sie fiel in tiefen Schlaf.
Sie erwachte in einem wohligen, frohen Gefühl. Das Dunkel der Scheune war noch dicht und warm. In der Ferne war das Lärmen der feiernden Bauern zu hören.
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