Ein Windstoß rüttelte heftig an der Tür und drückte aus dem Kamin beizenden Rauch ins Innere des Raums. Angélique hatte hoffnungsvoll den Kopf gehoben.

»O nein, es wird niemand kommen!« lachte der Bruder des Königs höhnisch. »Dieses Bett ist Euer Sterbebett, Madame. Man hat es für Euch gerichtet.«

»Aber was habe ich denn getan?« rief Angélique, der der Angstschweiß auszubrechen begann. »Ihr redet von meinem Tode wie von einer natürlichen, unumgänglichen Sache. Erlaubt mir, anderer Meinung zu sein. Der größte Verbrecher hat das Recht zu erfahren, wessen man ihn beschuldigt, um sich zu verteidigen.«

»Die geschickteste Verteidigung wird auf den Urteilsspruch keinen Einfluß haben, Madame.«

»Nun, wenn ich sterben muß, sagt mir wenigstens, weshalb«, erwiderte die junge Frau heftig. Es kam darauf an, Zeit zu gewinnen.

Der junge Prinz warf einen fragenden Blick auf seine Genossen.

»Da ohnehin Eure letzte Stunde geschlagen hat, sehe ich nicht ein, warum wir unnötig unmenschlich sein sollten«, sagte er in zuckersüßem Ton. »Madame, Ihr seid nicht so ahnungslos, wie Ihr tut. Ihr wißt doch, in wessen Auftrag wir hier sind?«

»Des Königs?« fragte Angélique, Respekt heuchelnd.

Philippe d’Orléans hob seine schwächlichen Schultern.

»Der König taugt gerade noch dazu, Leute ins Gefängnis zu schicken, auf die man ihn eifersüchtig macht. Nein, Madame, es handelt sich nicht um Seine Majestät.«

»Von wem sonst läßt sich der Bruder des Königs Aufträge erteilen?«

Der Prinz zuckte zusammen.

»Ich finde Eure Sprache reichlich kühn, Madame. Ihr macht mich ärgerlich.«

»Und ich finde, daß Ihr und Eure Familie reichlich empfindliche Leute seid«, gab Angélique zurück, deren Zorn die Angst besiegte. »Ob man Euch feiert oder hätschelt, Ihr ärgert Euch, weil der Edelmann, der Euch bei sich empfängt, reicher zu sein scheint als Ihr. Wenn man Euch Geschenke darbringt, so ist das eine Unverschämtheit; wenn man Euch nicht ehrerbietig genug grüßt, desgleichen. Wenn man nicht wie ein Bettler lebt und nicht so lange die Hand hinhält, bis der Staat ruiniert ist, wie das so üblich ist, dann ist das verletzende Arroganz. Wenn man seine Steuern auf Heller und Pfennig bezahlt, so ist das eine Herausforderung ... Eine Bande von Zänkern, das ist es, was Ihr seid, Ihr, Euer Bruder, Eure Mutter und Eure ganze heimtückische Vetternschaft: Condé, Montpensier, Soissons, Guise, Lorraine, Vendôme ...«

Sie hielt, völlig außer Atem gekommen, inne.

Philippe d’Orléans spreizte sich auf seinen hohen Holzhacken wie ein junger Hahn und warf einen empörten Blick auf seinen Günstling.

»Habt Ihr jemals auf so unverschämte Weise über die königliche Familie reden hören?«

Der Chevalier de Lorraine lächelte grausam.

»Beleidigungen töten nicht, Monseigneur. Machen wir Schluß, Madame.«

»Ich will wissen, warum ich sterbe«, sagte Angélique hartnäckig. Zu allem entschlossen, um ein paar Minuten zu gewinnen, setzte sie überstürzt hinzu:

»Ist es wegen Monsieur Fouquet?«

Der Bruder des Königs konnte ein befriedigtes Lächeln nicht unterdrücken. »Euer Gedächtnis läßt Euch also doch nicht ganz im Stich? Ihr wißt, weshalb Monsieur Fouquet soviel an Eurem Schweigen liegt?«

»Ich weiß nur eines, nämlich daß ich vor Jahren den Giftanschlag zum Scheitern brachte, der Euch aus dem Wege räumen sollte, Euch, Monsieur, sowie den König und den Kardinal, und daß ich heute zutiefst bedauere, daß der von Monsieur Fouquet und dem Fürsten Condé eingefädelte Anschlag nicht geglückt ist.«

»Ihr gesteht also?«

»Ich habe nichts zu gestehen. Der Verrat dieses Bedienten hat Euch weitgehend darüber informiert, was ich wußte und was ich meinem Gatten anvertraute. Ich habe Euch einmal das Leben gerettet, Monseigneur, und das ist nun der Dank!«

Einen Augenblick lang schien es, als sei der junge Mann von Angéliques Worten beeindruckt. Sein egozentrisches Wesen machte ihn für alles empfänglich, was ihn betraf.

»Was vergangen ist, ist vergangen«, sagte er zögernd. »Seitdem hat mich Monsieur Fouquet mit Wohltaten überhäuft. Es ist nur gerecht, wenn ich die Drohung beseitige, die auf ihm lastet. Wirklich, Madame, mir blutet das Herz, aber es ist zu spät. Warum seid Ihr nicht auf den vernünftigen Vorschlag eingegangen, den Monsieur Fouquet Euch durch Vermittlung von Madame de Beauvais gemacht hat?«

»Ich glaubte zu verstehen, daß ich dann meinen Gatten seinem traurigen Schicksal überlassen müßte.«

»Allerdings. Man kann einen Grafen Peyrac nur dadurch zum Schweigen bringen, daß man ihn zwischen Gefängnismauern einschließt. Aber eine Frau, die von Luxus und Ruhm umgeben ist, vergißt rasch die Erinnerungen, die sie vergessen soll. Doch es ist zu spät. Also, Madame .«

»Und wenn ich Euch sagte, wo jenes Kästchen sich befindet?« schlug Angélique vor, indem sie ihn an den Schultern packte. »Ihr, Monseigneur, Ihr ganz allein hieltet die Macht in Händen, Monsieur Fouquet in Schrecken zu setzen, zu beherrschen, und dazu den Beweis des Verrats so vieler großer Herren, die Euch über die Schulter ansehen und nicht ernst nehmen .«

Ein Funke des Ehrgeizes blitzte in den Augen des jungen Prinzen auf, und er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Doch nun packte ihn der Chevalier de Lorraine und zog ihn zu sich, als wolle er ihn Angéliques unheilvoller Unklammerung entreißen.

»Seht Euch vor, Monseigneur. Laßt Euch von dieser Frau nicht erweichen. Sie sucht sich uns durch lügnerische Versprechungen zu entwinden. Es ist besser, sie nimmt ihr Geheimnis mit ins Grab. Besäßet Ihr es, so würdet Ihr zweifellos sehr mächtig sein, aber Eure Tage wären gezählt.«

An die Brust seines Günstlings geschmiegt, beglückt über diesen männlichen Schutz, dachte Philippe d’Orléans nach.

»Ihr habt recht wie immer, Liebster«, seufzte er. »Nun, so laßt uns unsre Pflicht tun. Madame, wofür entscheidet Ihr Euch: das Gift, den Degen oder die

Pistole?«

»Entschließt Euch rasch«, fiel der Chevalier de Lorraine drohend ein. »Andernfalls werden wir für Euch wählen.«

Der Augenblick der Hoffnung war für Angélique vorüber. Ihre Lage war nicht weniger grausig und ausweglos als zuvor.

Die drei Männer standen vor ihr. Sie hätte sich nicht von der Stelle zu rühren vermocht, ohne vom Degen des Chevaliers oder von Cléments Pistole aufgehalten zu werden. Kein Klingelzug war in Reichweite. Kein Laut kam von draußen. Einzig das Knistern der Holzscheite im Kamin und das Prasseln der Regentropfen an den Fensterscheiben unterbrachen die erdrückende Stille. In ein paar Sekunden würden ihre Mörder sich auf sie stürzen. Angéliques Augen hefteten sich auf die Waffen. Durch die Pistole oder den Degen würde sie zuverlässig sterben. Aber vielleicht konnte das Gift ihr nichts anhaben? Seit über einem Jahr nahm sie täglich die winzige Dosis toxischer Produkte zu sich, die Joffrey ihr zubereitet hatte.

Sie streckte die Hand aus und bemühte sich, sie ruhig zu halten.

»Gebt!« flüsterte sie.

Als sie das Glas an die Lippen führte, bemerkte sie, daß sich auf dem Grund ein metallisch schimmernder Satz gebildet hatte. Sie bemühte sich, während des Trinkens die Flüssigkeit nicht aufzurühren. Sie schmeckte scharf und bitter.

»Und nun laßt mich allein«, sagte sie, nachdem sie das Glas auf das Tischchen zurückgestellt hatte.

Doch der Prinz hatte den Satz bemerkt, der auf dem Grund zurückgeblieben war. Er nahm eine silberne Zange, scharrte die Reste zu einer kleinen Kugel zusammen und hielt sie der Unglücklichen hin.

»Ihr werdet dies schlucken«, befahl er böse.

Der Chevalier packte Angélique an beiden Händen und hielt sie fest, während Monsieur versuchte, das konzentrierte Gift gewaltsam zwischen ihre Lippen zu schieben. Schließlich gab sie nach, warf sich in gespielter Verzweiflung aufs Bett, und es gelang ihr, die tödliche Pille zwischen die Falten des Lakens zu spucken. Sie verspürte keinerlei Schmerz. Zweifellos schützte die Nahrung, die sie bei der Prinzessin Henriette zu sich genommen hatte, vorläufig noch ihre Magenwände vor der ätzenden Wirkung des Giftstoffes. Auch jetzt verlor Angélique noch nicht alle Hoffnung, ihren Peinigern und einem grausigen Tod zu entrinnen.

Sie glitt vor dem Prinzen auf die Knie.

»Monseigneur, erbarmt Euch meiner Seele. Schickt mir einen Priester. Ich werde sterben. Ich habe schon nicht mehr die Kraft, mich fortzuschleppen. Ihr habt jetzt die Gewißheit, daß ich Euch nicht mehr entkommen kann. Laßt mich nicht ohne Beichte sterben. Gott würde Euch die Schändlichkeit nicht vergeben, mich des Trostes der Religion beraubt zu haben.«

Mit gellender Stimme schrie sie:

»Einen Priester! Einen Priester! Gott wird Euch nicht vergeben.«

Sie sah, daß Clément Tonnel sich erblassend bekreuzigte.

»Sie hat recht«, sagte der Prinz mit bewegter Stimme. »Wir gewinnen nichts, wenn wir sie der Tröstungen der Religion berauben. Madame, beruhigt Euch. Ich habe Eure Bitte vorhergesehen. Ich werde Euch einen Geistlichen schicken, der in einem Nachbarraum wartet.«

»Meine Herren, zieht Euch zurück«, bat Angélique beschwörend, indem sie die Schwäche ihrer Stimme übertrieb und die Hand auf den Magen hielt, als sei sie von Krämpfen befallen, »ich will nur noch mein Gewissen befrieden. Ich spüre deutlich, daß ich, wenn auch nur einer von Euch vor meinen Augen bleibt, nicht fähig sein werde, meinen Feinden zu vergeben. O diese Schmerzen! Mein Gott, hab Erbarmen!«

Mit einem fürchterlichen Schrei ließ sie sich zurückfallen. Philippe d’Orléans zog den Chevalier hinaus.

»Gehn wir rasch. Sie macht es nur noch ein paar Augenblicke.«

Der Haushofmeister hatte den Raum schon vor ihnen verlassen.

Doch kaum waren sie verschwunden, als Angélique auch schon aufsprang und zum Fenster lief. Es gelang ihr, es zu öffnen; der Regen schlug ihr ins Gesicht, und sie beugte sich über den dunklen Abgrund.

Sie sah absolut nichts und konnte nicht berechnen, wie weit es bis zum Boden war, aber ohne zu zögern kletterte sie auf das Fenstersims.

In diesem Augenblick betrat der Priester den Raum. Als er sah, daß die junge Frau im Begriff war hinauszuspringen, stürzte er hinzu und packte sie am Rockschoß, aber der Stoff zerriß. Angélique war bereits ins Leere gesprungen.

Der Fall kam ihr endlos vor. Sie landete unsanft in einer Art Kloake, in der sie einsank und der sie es zu danken hatte, daß sie sich nicht ernstlich verletzte. Sie verspürte zwar einen Schmerz am Knöchel und glaubte im ersten Augenblick, sich den Fuß gebrochen zu haben, aber es war lediglich eine Verstauchung.

Als sie aufstand, streifte sie ein schwerer Gegenstand, der splitternd und spritzend neben ihr zerbarst. Offenbar war es der auf die Rufe des Geistlichen hinzugeeilte Chevalier, der sie mit dem vollen Wasserkrug vom Waschtisch zu treffen versucht hatte.

Dicht an der Mauer entlangstreifend, tat Angélique ein paar Schritte, dann steckte sie den Finger in den Hals, und es gelang ihr, sich einige Male zu erbrechen.

Sie wußte nicht, wo sie sich befand, tastete sich an den Mauern entlang und stellte mit Entsetzen fest, daß sie in einen mit Unrat und Abfällen angefüllten kleinen Innenhof gesprungen war, aus dem es keinen Ausgang zu geben schien.

Glücklicherweise begegneten ihre Finger einer Tür, die sich öffnen ließ. Dahinter war es dunkel und feucht. Ein Geruch nach Wein und Nahrungsmitteln strömte ihr entgegen. Sie mußte sich in einem Nebengebäude des Louvre befinden, in der Nähe der Keller.

Sie beschloß, in die oberen Stockwerke hinaufzuflüchten und bei der ersten Wache Schutz zu suchen, der sie begegnen würde ... Aber der König würde sie verhaften und ins Gefängnis werfen lassen. Ach, wie sollte sie nur aus dieser Mausefalle entkommen?

Gleichwohl stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie in die bewohnten Galerien gelangte. Einige Schritte entfernt erkannte sie den vor der Tür der Prinzessin Henriette postierten Schweizer wieder, den sie vorhin nach dem Weg gefragt hatte. Im gleichen Augenblick verließen sie die Nerven, und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus, denn am andern Ende des Ganges sah sie den Chevalier de Lorraine und Philippe d’Orléans auftauchen. Sie kannten den einzigen Ausgang des Höfchens, in das ihr Opfer gesprungen war, und sie versuchten, ihr den Rückweg abzuschneiden.

Angélique stieß den Posten beiseite, stürmte in den Salon und warf sich der Prinzessin Henriette zu Füßen.

»Erbarmen, Madame, Erbarmen! Man will mich ermorden!«

Ein Kanonenschlag hätte die glänzende Versammlung nicht mehr verblüffen können. Die Spieler waren aufgesprungen und starrten entgeistert auf die zerzauste, durchnäßte junge Frau im beschmutzten und zerrissenen Kleid, die da mitten zwischen ihnen zu Boden gestürzt war.