Am Ende ihrer Kräfte warf Angélique gehetzte Blicke um sich und erkannte die verlegenen Gesichter von Andijos und Péguillin de Lauzun.
»Ihr Herren, steht mir bei!« rief sie beschwörend. »Man hat versucht, mich zu vergiften. Man verfolgt mich, um mich umzubringen.«
»Aber wo sind sie denn, Eure Mörder, mein armes Kind?« fragte die sanfte Stimme Henriettens von England.
»Dort!«
Unfähig, mehr zu sagen, deutete Angélique auf die Tür. Man wandte sich um. Der kleine Monsieur, der Bruder des Königs, und sein Günstling, der Chevalier de Lorraine, standen auf der Schwelle.
»Liebste Henriette«, sagte Philippe d’Orléans heuchlerisch, während er sich mit zierlichen Schritten seiner Kusine näherte, »ich bin untröstlich über diesen Zwischenfall. Diese Unglückliche ist närrisch.«
»Ich bin nicht närrisch. Ich sage Euch, sie wollen mich umbringen.«
»Aber meine Liebe, was redet Ihr für törichte Dinge«, versuchte die Prinzessin sie zu beruhigen. »Derjenige, den Ihr als Euren Mörder bezeichnet, ist kein anderer als Monseigneur d’Orléans. Schaut ihn doch richtig an!«
»Ich habe ihn nur zu genau angeschaut«, rief Angélique. »Nie in meinem Leben werde ich sein Gesicht vergessen. Ich sage Euch, er hat mich vergiften wollen. Monsieur de Préfontaines, Ihr, der Ihr ein ehrbarer Mann seid, bringt mir eine Medizin, Milch,
was weiß ich, damit ich die Wirkung dieses entsetzlichen Gifts bekämpfen kann. Ich beschwöre Euch ... Monsieur de Préfontaines!«
Stammelnd, völlig verdutzt, stürzte der gute Mann zu einem Schränkchen und brachte der jungen Frau eine Schachtel mit Orvietan, von dem sie rasch einige Stückchen aß.
Die allgemeine Bestürzung hatte den Höhepunkt erreicht. Mit ärgerlich verkniffenem Mund versuchte Monsieur abermals, sich Gehör zu verschaffen. »Ich versichere Euch, meine Freunde, daß diese Frau den Verstand verloren hat. Jeder von Euch weiß, daß ihr Gatte derzeitig eines entsetzlichen Verbrechens wegen in der Bastille ist. Die Unglückliche, von dem verrufenen Edelmann umgarnt, macht nun den hoffnungslosen Versuch, seine Unschuld darzutun. Vergeblich hat Seine Majestät sich heute im Verlaufe einer Unterhaltung in aller Güte bemüht, sie zu überzeugen .«
»Oh, die Güte des Königs! Die Güte des Königs .!« rief Angélique verzweifelt.
Sie spürte, daß sie im Begriff stand, törichte Dinge zu reden, in welchem Falle es um sie geschehen gewesen wäre! So verbarg sie ihr Gesicht in den Händen und bemühte sich, ihre Ruhe zurückzugewinnen.
Wie von fern hörte sie die treuherzige Jünglingsstimme des kleinen Monsieur:
»Plötzlich wurde sie von einer wahrhaft teuflischen Nervenkrise befallen. Sie ist vom Teufel besessen. Der König schickte sofort nach dem Abt des Augustinerklosters, um sie wegzubringen und durch Gebete beruhigen zu lassen. Aber es ist ihr gelungen, zu entkommen. Um den Skandal zu vermeiden, sie von der Wache in Gewahrsam nehmen zu lassen, hat Seine Majestät mich beauftragt, sie abzufangen und bis zum Eintreffen der Ordensgeistlichen festzuhalten. Ich bin wahrhaftig untröstlich, Henriette, daß sie Eure Abendgesellschaft gestört hat. Ich glaube, es ist am vernünftigsten, Ihr zieht Euch alle mit Euren Spielen in einen Nachbarraum zurück, während ich mich hier des Auftrags meines Bruders entledige.«
Wie in einem Nebel sah Angélique, wie sich rings um sie her die dichtgedrängten Reihen der Damen und Edelleute auflösten. Tief bewegt und ängstlich darauf bedacht, dem Bruder des Königs nicht zu mißfallen, zog sich die Gesellschaft zurück.
Angélique hob die Hände und berührte den Stoff eines Kleides, an dem ihre kraftlosen Finger sich nicht festklammern konnten.
»Madame«, sagte sie mit tonloser Stimme, »wollt Ihr mich denn sterben lassen?«
Die Prinzessin zögerte. Sie warf einen ängstlichen Blick auf ihren Vetter. »Wie, Henriette«, protestierte dieser schmerzlich, »Ihr zweifelt an meinen Worten, obwohl wir uns gegenseitig Vertrauen gelobten und heilige Bande uns in Kürze vereinigen werden?«
Henriette senkte ihren blonden Kopf.
»Habt Vertrauen zu Monseigneur, meine Freundin«, sagte sie zu Angélique. »Ich bin überzeugt, daß man es gut mit Euch meint.«
Sie entfernte sich eilig.
In einer Art Delirium, in dem ihr die Zunge versagte, wandte sich Angélique, noch immer auf dem Teppich kniend, der Tür zu, durch welche die Höflinge so rasch verschwunden waren. Sie entdeckte Bernard d’Andijos und Péguillin de Lauzun, die leichenblaß bei ihr verhielten und sich nicht entschließen konnten, den Raum zu verlassen.
»Nun, Ihr Herren«, sagte Monseigneur d’Orléans mit keifender Stimme, »meine Anweisungen erstrek-ken sich auch auf Euch. Muß ich dem König melden, daß Ihr dem Geschwätz einer Irren mehr Glauben schenkt als den Worten seines eigenen Bruders?«
Die beiden Männer senkten den Kopf und zogen sich ebenfalls zögernd zurück. Ihre beschämende Treulosigkeit weckte Angéliques Kampflust von neuem.
»Feiglinge! Feiglinge! O ihr Feiglinge!« rief sie, raffte sich unversehens auf und suchte hinter einem Sessel Schutz.
Mit knapper Not entging sie dem Degenhieb des Chevaliers de Lorraine. Ein zweiter Hieb verletzte ihre Schulter. Aus der Wunde quoll Blut.
»Andijos! Péguillin! Zu mir die Gaskogner!« schrie sie, völlig außer sich, auf. »Rettet mich vor den Männern des Nordens!«
Die Tür des zweiten Salons wurde aufgerissen. Lauzun und der Marquis d’Andijos stürzten mit gezogenen Degen herein. Sie hatten hinter dem angelehnten Türflügel die Szene beobachtet und konnten nun an den grausigen Absichten Monsieurs und seines Günstlings nicht mehr zweifeln.
Mit einem Degenhieb schlug Andijos Philippe d’Orléans die Waffe aus der Faust und verletzte ihn am Handgelenk. Lauzun kreuzte die Klinge mit dem Chevalier de Lorraine.
Andijos packte Angélique bei der Hand.
»Laßt uns fliehen! Rasch!«
Er zog sie in den Gang, stieß gegen Clément Tonnel, dem nicht genügend Zeit blieb, die Pistole zu zücken, die er unter seinem Mantel verborgen hielt. Andijos bohrte ihm den Degen in die Kehle, und blutüberströmt brach der Mann zusammen. Dann stürzten der Marquis und die junge Frau in wilder Flucht davon.
Hinter ihnen zeterte die Fistelstimme des kleinen Monsieurs den Schweizern zu:
»Wachen! Wachen! Haltet sie fest!«
Und schon folgten ihnen schwere, eilige Schritte und das Klirren der Hellebarden.
»Die Große Galerie ...«, keuchte Andijos, ». bis zu den Tuilerien ... Die Ställe, die Pferde. Dann das freie Feld ... Gerettet .«
Trotz seiner Beleibtheit lief der Gaskogner mit einer Ausdauer, die Angélique ihm nie zugetraut hätte.
Aber sie konnte nicht mehr. Ihr Knöchel verursachte ihr wilde Schmerzen, und ihre Schulter brannte.
»Es ist aus mit mir«, keuchte sie. »Ich kann nicht mehr!«
Vor ihnen öffnete sich eine der großen Treppen, die zu den Höfen führten.
»Hier hinunter«, flüsterte Andijos. »Und verbergt Euch, so gut Ihr könnt. Ich werde sie ablenken.«
Fast fliegend glitt Angélique die Steinstufen hinunter. Der rötliche Schein eines Kohlenbeckens ließ sie innehalten. Plötzlich brach sie zusammen.
Harlekin, Colombine, der Hanswurst fingen sie auf, zogen sie in ihren Schlupfwinkel und verbargen sie vor dem Blick der Übelwollenden. Die grünen und roten Rauten ihrer Kostüme flimmerten lange vor ihren Augen, bis sie in eine tiefe Ohnmacht versank.
Angélique hatte das Gefühl, in einem grünen und milden Licht zu schwimmen, als sie die Augen aufschlug. Sie war in Monteloup, unter dem schattigen Laub der Erlen am Bach, durch das nur grünlich verfärbte Sonnenstrahlen drangen.
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