Erster Teil
Der schwarze Diamant
Erstes Kapitel
Der schwarze Diamant, den Cathérine in der Höhlung ihrer Hand hielt, glühte in seinem ganzen bösen Feuer und sprühte Funken über die Wände des großen Saals der Festung Carlat, in der Cathérine und die Ihren nach der Zerstörung von Montsalvy Zuflucht gefunden hatten. Einen Augenblick ließ sie ihn im Kerzenlicht des Lüsters schillern. Ein Geriesel von Sternen glitt über ihre Hand, untermischt mit blutroten Lichtern. Vor ihr, auf der samtenen Tischdecke, waren die anderen Juwelen aufgehäuft, die einst ihr täglicher Schmuck gewesen waren, als sie noch als allmächtige Mätresse und Angebetete Philippes von Burgund über Brügge und Dijon geherrscht hatte. Sie hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt. Und doch lag da nun das außergewöhnliche Geschmeide aus Amethysten vom Ural, das Garin de Brazey, ihr erster Gatte, ihr zur Verlobung geschenkt hatte, lagen da die Rubine und Saphire, die Diamanten und Aquamarine, die Topase vom Roten Meer und die Karfunkel aus Sibirien, die Opale aus Ungarn und die Lapislazuli von Badaghschan und schließlich das bewundernswerte Kollier aus riesigen Smaragden, die vom Dschebel Sikait stammten, und dazu die indischen Diamanten, die Herzog Philippe ihr unter so vielen anderen Geschenken verehrt hatte. Doch einzig der schwarze Diamant, der einst das kostbarste Kleinod in der Sammlung des Finanzministers von Burgund gewesen war, hatte ihr Interesse erregt, als Pater Etienne Chariot dieses fabelhafte Kleinod aus seiner abgetragenen Kutte gezogen und es nachlässig vor sie hingeworfen hatte.
Garin de Brazey hatte ihn einst von einem venetianischen Seemann gekauft, der ihn von einem indischen Götzenbild gestohlen hatte und nur zu glücklich gewesen war, sich seiner entledigen zu können: Der Diamant brachte Unglück. Anscheinend setzte er seine verruchte Laufbahn fort. Garin, zum Tode verurteilt, hatte sich im Gefängnis vergiftet, um der Schande zu entgehen, durch den Straßenschmutz zum Galgen geschleift zu werden; und hatte nicht über Cathérine, seiner Erbin, derselbe Bannfluch gelegen? Seitdem hatte das Unglück sie verfolgt, sie und diejenigen, die sie liebte. Arnaud de Montsalvy, ihr Gatte, zum Verräter und Treubrüchigen erklärt, weil er versucht hatte, Jehanne, »die Hexe«, zu befreien, war von dem allmächtigen Günstling Karls VII. Georges de La Trémoille, in einen fauligen Kerker geworfen worden. Er war zwar nicht umgekommen, hatte den Kerker aber nur verlassen, um sein Schloß Montsalvy auf Befehl des Königs niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht vorzufinden. Und dann war die Tragödie gekommen, das furchtbare Drama, vor acht Monaten, und wenn Cathérine daran dachte, überwältigte sie von neuem die Verzweiflung: der Aussatz, den er sich im Verlies La Trémoilles zugezogen hatte. Seit acht Monaten siechte Arnaud, auf ewig verdammt, in der Leprastation von Calves dahin, für die Seinen gestorben, tot für die Welt, am Leben nur, um zu leiden.
Cathérines Finger schlossen sich um den Diamanten. Er war durch ihre Körperwärme jetzt warm, beinah lebendig geworden. Welche böse Macht barg er wohl in seiner schwarzen Pracht? In ihrer Hand verborgen, war er nichts weiter als ein harter Kiesel, von dem jedes mögliche Übel ausgehen konnte. Kein Zweifel, für ihn würden die Menschen sich schlagen, für ihn würde Blut fließen, wie viele Jahrhunderte noch? Sie fühlte sich versucht, ihn ins Feuer zu werfen, um ihn zu vernichten, zu zerstören. Wer aber würde diese Geste verstehen? Der treue Mönch, die alte Frau, ihre Schwiegermutter, die in ihrem hohen Sessel saß, stumme Bewunderung in den Augen? Der schwarze Diamant repräsentierte ein solches Vermögen … und Montsalvy, in Schutt und Asche, wartete darauf, wiederaufgebaut zu werden! Cathérine öffnete die Hand und ließ den Diamanten auf den Tisch rollen.
»Welche Pracht!« seufzte Isabelle de Montsalvy. »In meinem ganzen Leben habe ich nichts Ähnliches gesehen! Das wird unser Familienschatz werden.«
»Nein, Mutter«, widersprach Cathérine behutsam. »Ich werde den schwarzen Diamanten nicht behalten. Es liegt ein Fluch auf ihm. Er hat immer nur Unglück gebracht. Und außerdem bedeutet er viel Gold! Dieser schwarze Kiesel wird uns zu einem neuen Schloß, zu Bewaffneten, zu allem verhelfen, was wir brauchen, um aus Montsalvy wieder das zu machen, was es einstmals war, und meinem Sohn den Rang zu verschaffen, den nur Geld und Macht geben können. Jawohl … All dies birgt sich in diesem schwarzen Diamanten!«
»Wie schade!« sagte Madame de Montsalvy. »Er ist so schön!«
»Aber noch furchtbarer!« fiel Bruder Etienne ein. »Wißt Ihr, Madame Cathérine, daß Nicole Son, die Putzmacherin, die Euch in Rouen Asyl gewährte, ebenfalls tot ist?«
»Tot? Wie ist das möglich?«
»Ermordet! Sie war auf dem Weg, der Frau Herzogin von Bedford einen kostbaren Umhang aus Goldspitzen zu liefern. Man hat sie in der Seine wiedergefunden, mit durchgeschnittener Kehle …«
Cathérine erwiderte nichts, aber der entsetzte Blick, den sie auf den Diamanten warf, war deutlich genug. Also tötete der verdammte Stein selbst die, die ihn nur aufbewahrten! Sie mußte sich von ihm trennen, je früher, desto besser.
»Trotz allem«, fügte der Mönch mit leisem Lächeln hinzu, »sollten wir nichts übertreiben und uns vor Aberglauben hüten. Vielleicht handelt es sich nur um eine Reihe von Zufälligkeiten. Ihr werdet mir zugeben, daß ich ihn durch den größten Teil des Königreichs befördert habe, durch Gebiete, in denen Elend herrscht und es von Straßenräubern wimmelt … und daß mir nichts Böses zugestoßen ist!«
Es war wirklich eine Art Wunder, daß es im tiefsten Winter, Anfang des Jahres 1433, dem Franziskaner von Mont Beuvray gelungen war, dieses von Elend heimgesuchte, von Mörderbanden und da und dort verstreuten englischen Garnisonen zum Weißbluten gebrachte Frankreich zu durchqueren, ohne daß jemand ahnte, daß er in einem groben Leinwandsäckchen unter seiner Kutte das Lösegeld eines Kaisers bei sich trug. Damals, als Cathérine und Arnaud de Montsalvy aus Rouen geflohen waren, noch in der Nacht der Hinrichtung der Jungfrau von Orléans, waren die Juwelen der jungen Frau in die Obhut ihres Freundes, des Maurermeisters Jean Son, gegeben worden, bis Bruder Etienne Chariot, der verläßlichste Geheimagent Yolandes, Herzogin von Anjou, Gräfin der Provence und Königin der vier Königreiche Aragon, Sizilien, Neapel und Jerusalem, Gelegenheit haben würde, sie ihrer rechtmäßigen Eigentümerin zurückzugeben.
Seit Jahren trabten die großen, nackt in ihren Franziskanersandalen steckenden Füße Bruder Etiennes über die Landstraßen des Königreichs, trugen die Botschaften und übermittelten die Befehle der Königin Yolande, Schwiegermutter Karls VII., bis in die geheimsten Schlupfwinkel, in die tiefsten Verstecke des Volkes. Niemand mißtraute diesem kleinen, rundlichen Mönch, der immer lächelte und unter dessen freimütiger Liebenswürdigkeit sich wahre Intelligenz verbarg.
Er war bei sinkendem Abend in Carlat eingetroffen. Seine beleibte Silhouette hatte sich vom Schnee abgezeichnet, als Hugh Kennedy, der schottische Gouverneur, eben die Ablösung der Wachen beaufsichtigte, und man hatte ihn unverzüglich zu Cathérine geführt. Den Mönch nach über achtzehn Monaten wiederzusehen war für die junge Gräfin eine wahre, durch ihr Herzeleid doppelt große Freude gewesen. Bruder Etienne war schon immer das vom Schicksal bestimmte Werkzeug gewesen, sie mit Arnaud zusammenzuführen. Seine Anwesenheit ließ die Erinnerung an kostbare Stunden in ihr aufleben, die ihr jetzt, wenn sie sie sich ins Gedächtnis zurückrief, nur das Herz zerrissen. Diesmal jedoch vermochte Bruder Etienne trotz all seines guten Willens nichts für ihre Vereinigung zu tun. Der Aussätzige und die, die auf dieser Welt um ihn trauerte, waren wie durch die Pforten eines Grabmals voneinander getrennt …
Cathérine verließ den Tisch und trat zum Fenster. Jetzt war die Nacht völlig hereingebrochen, hatte sich jenseits des riesigen, kreisförmigen Hofs, auf den die Feuer aus der Küche einen roten Schein warfen, über das Land gesenkt. Aber seit langem brauchten die Augen der jungen Frau das Tageslicht nicht mehr, um die Richtung der Leprastation von Calves zu finden. Quer durch den Raum, durch Finsternis und Nacht, zogen sich die Bande, die sie an Arnaud de Montsalvy, ihren Gatten, ketteten, so stark und so schmerzhaft wie eh und je … Stundenlang konnte sie dort stehen, mit leerem Blick, und die Tränen, die abzuwischen sie sich nicht die Mühe nahm, rollten über ihr schönes Gesicht.
Bruder Etienne hüstelte ein wenig und sagte dann mit leisem Vorwurf:
»Madame … Ihr tut Euch großen Schaden an! Gibt es denn wirklich nichts, was Euren Schmerz lindern könnte?«
»Nichts, Pater! Mein Gemahl war mein ganzes Leben. Ich hörte an dem Tage auf zu existieren, an dem …«
Sie beendete den Satz nicht, schloß die Augen … Auf dem dunklen Grand ihrer Lider rief ihr mitleidsloses Gedächtnis ihr wieder das Bild eines kräftigen Mannes ins Bewußtsein, ganz in Schwarz gekleidet, der in die Sonne schritt, die Hände unter einer wogenden Haarflut vergraben, ihrem Haar, das sie geopfert hatte, um es wie einen fabelhaften Teppich unter die Füße des Mannes zu werfen, der von seinen Brüdern ausgestoßen worden war. Seitdem war das Haar nachgewachsen. Es lockte sich goldschimmernd um ihre Wangen, doch sie zog es erbarmungslos nach hinten, verbarg es unter ihrem schwarzen Witwenschleier oder unter der Haube aus weißem, gestärktem Linnen, die nur das reine Oval ihres Gesichts sehen ließ. Auch hatte sie sehnlichst gewünscht, diesem Gesicht den Glanz zu nehmen, wenn sie den bewundernden Blick Kennedys auffing oder den Ausdruck leidenschaftlicher Ergebenheit in den Augen ihres Knappen Gauthier bemerkte. Darum nahm sie auch nur selten ihren schwarzen Kopfschleier ab … Bruder Etienne musterte mit nachdenklichem Blick die schmale Gestalt, deren Grazie die strenge schwarze Kleidung nicht zu unterdrücken vermochte, das süße Gesicht mit den zärtlichen Lippen, die der Schmerz nur berührt hatte, um sie zu verfeinern und noch erregender zu machen, die großen veilchenblauen Augen, die im Leiden brannten, wie sie in der Leidenschaft gebrannt hatten. Und der gute Mönch ertappte sich beim Grübeln. Hatte Gott solche Schönheit wirklich geschaffen und gewollt, nur um sie verkümmern, ersticken zu lassen unter Trauerschleiern hinter den Mauern eines alten Schlosses in den Bergen der Auvergne? Hätte sie nicht einen zehn Monate alten Sohn gehabt, wäre Cathérine de Montsalvy ohne Zögern, das hatte sie ihm nicht verhohlen, Arnaud zu den Aussätzigen gefolgt und hätte sich freiwillig dem entsetzlichen Schicksal des langsamen Todes geweiht. Und nun suchte Bruder Etienne nach geeigneten Worten, die den Panzer des Kummers, den die junge Frau angelegt hatte, durchdringen konnten. Was sollte er ihr sagen? Von Gott zu sprechen war unnütz. Was bedeutete Gott einer so leidenschaftlich liebenden Frau, der Geliebten eines einzigen Mannes, die ihre Liebe zu einem Idol erhoben, auf einen geheimen Altar gestellt hatte? Für Arnaud, dem sie immer mit Leib und Seele angehören würde, hätte Cathérine freudig und ohne Zögern Satan und Hölle eingetauscht … Daher war er sehr erstaunt, sich sagen zu hören:
»Man darf nie an der Vorsehung verzweifeln, Dame Cathérine. Sehr oft schlägt sie die, welche sie liebt, nur um sie desto höher zu belohnen …«
Der schöne, traurige Mund verzog sich verächtlich. Cathérine hob überdrüssig die Schultern.
»Was bedeutet schon Belohnung? Was gilt mir der Himmel, von dem Ihr mir zweifellos sprechen wollt, Bruder Etienne? Käme Gott, als ein Wunder, zu mir, würde ich zu ihm sagen: ›Seigneur, Ihr seid der allmächtige Gott. Gebt mir meinen Gatten wieder … und nehmt den Rest, selbst meine Unsterblichkeit, aber gebt ihn mir zurück!‹«
Innerlich schalt der Mönch sich einen Idioten, trug aber dennoch eine verdrossene Miene zur Schau.
»Madame, Ihr lästert! ›Nehmt den Rest‹, sagtet Ihr? Schließt Ihr in diesen Rest auch Euren Sohn ein?«
Das schmale, von weißem Linnen umrahmte Gesicht wandte sich ihm mit Entsetzen zu.
»Warum sagt Ihr das? Glaubt Ihr, ich sei noch nicht genügend heimgesucht worden? Seid versichert, ich habe nicht meinen Sohn gemeint, sondern nur so nutzlose Dinge wie Macht, Schönheit … oder das hier!«
Sie deutete mit dem Finger auf den funkelnden Juwelenhaufen auf dem Tisch. Sie trat brüsk heran, nahm die Geschmeide in ihre Hände und hob sie ans Licht.
»Das hier genügte, ganze Provinzen zu kaufen, und vor weniger als einem Jahr wäre ich glücklich gewesen, sie zurückzuerhalten, um sie ihm zu geben … ihm, meinem Gatten! In seinen Händen hätten sie sich in ein Leben des Glücks für uns und für unsere Leute verwandelt. Jetzt aber –«, langsam rollten die Steine in vielfarbigem Feuerregen aus ihren Fingern auf den Tisch, »– jetzt sind sie nicht mehr, als was sie sind, Juwelen, leblose Juwelen.«
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