»Die Eurem Hause Leben und Macht geben werden. Dame Cathérine, beenden wir diese bittere Philosophie! Ich bin nicht einzig und allein hierhergekommen, um Euch einen Schatz zu bringen. Man hat mich zu Euch geschickt: Die Königin Yolande verlangt nach Euch.«

»Nach mir? Ich glaubte nicht, daß sich die Königin meiner noch erinnert.«

»Sie vergißt nie jemand, Madame … und am wenigsten diejenigen, die ihr treu gedient haben! Eins ist sicher: Sie wünscht Euch zu sehen. Fragt mich nicht, warum, die Königin hat sich nicht darüber ausgelassen … wenn ich auch nicht daran zweifeln kann.«

Die dunklen Augen Cathérines musterten den Mönch. Sein unstetes Wanderleben schien ein erstaunlicher Jungbrunnen zu sein. Er hatte sich nicht verändert. Sein Gesicht war nach wie vor rund, frisch und offen. Doch Cathérine hatte so viel gelitten, daß sie sich angewöhnt hatte, allem zu mißtrauen. Die engelhafteste Gestalt schien ihr eine Drohung zu bergen, selbst die eines alten Freundes wie Bruder Etiennes.

»Was hat die Königin Euch gesagt, als sie Euch zu mir schickte, Bruder Etienne? Könnt Ihr mir ihre Worte wiederholen?«

Er neigte zustimmend den Kopf, doch sein Blick lag weiter auf der jungen Frau.

»Gern. ›Es sind unstillbare Schmerzen‹, hat die Königin zu mir gesagt, ›aber selbst bei äußerstem Leid kann Rache zuweilen Linderung bringen. Geht und holt mir die Dame Cathérine de Montsalvy, und erinnert sie daran, daß sie nie aufgehört hat, dem Kreis meiner Hofdamen anzugehören. Ihr großes Leid sollte sie nicht von mir entfernen.‹«

»Ich weiß ihr Dank, daß sie sich an mich erinnert, aber hat sie vergessen, daß alle Montsalvys verbannt sind, zu Verrätern und Treuebrüchigen erklärt wurden und vom königlichen Profos gesucht werden? Daß man tot oder aussätzig sein muß, um den Häschern zu entwischen? übrigens, die Königin hat mein Leid erwähnt. Weiß sie davon?«

»Sie weiß stets alles. Messire Kennedy hat sie auf dem laufenden gehalten.«

»Das heißt also, daß der gesamte Hof sich daran weidet!« bemerkte Cathérine bitter. »Was für ein Triumph für La Trémoille, den heldenmütigsten der Hauptleute des Königs im Siechenspital zu wissen!«

»Niemand weiß davon außer der Königin! Und die Königin kann schweigen, Madame«, sagte der Mönch tadelnd. »Messire Kennedy hat sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit unterrichtet. Außerdem hat er den Leuten dieser Gegend wie seinen Soldaten angedroht, jedem, wer immer es sei, eigenhändig die Gurgel durchzuschneiden, der das wahre Schicksal Messire Arnauds verraten würde. Für die Welt ist Euer Gatte tot, Madame, selbst für den König! Mir scheint, Ihr wißt wenig davon, was unter Eurem eigenen Dach vorgeht.«

Cathérine errötete. Es stimmte. Seit dem verwünschten Tag, an dem Arnaud zur Leprastation von Calves gebracht worden war, hatte sie sich in ihren Gemächern eingeschlossen, die sie nur bei Einbruch der Nacht verließ, um auf dem Wehrgang ein wenig Luft zu schöpfen. Dort verweilte sie einen langen Augenblick, unbeweglich zwischen zwei Stützbalken, immer in dieselbe Richtung starrend. Gauthier, der Normanne, den sie einst vor dem Galgen gerettet hatte, begleitete sie, hielt sich aber respektvoll zehn Schritte hinter ihr, wagte nicht, sie in ihren Gedanken zu stören. Nur Hugh Kennedy, der Gouverneur von Carlat, hatte den Mut, sich ihr zu nähern, wenn sie wieder hinunterstieg. Die Soldaten betrachteten diese Frau, die, schwarz gekleidet und verschleiert, stets aufrecht und stolz, außerhalb ihrer Gemächer nie ihr Gesicht zeigte, mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis. Abends, am Feuer, sprachen sie von ihr, riefen sich die blendende Schönheit ins Gedächtnis zurück, die seit sechs Monaten keiner von ihnen wieder gesehen hatte. Die phantastischsten Geschichten machten die Runde. Man erzählte sich sogar, die schöne Gräfin habe sich das Haar abrasiert und sich entstellt, um nie wieder die Liebe eines Mannes erregen zu können. Die Leute im Dorf bekreuzigten sich, wenn sie ihr düsteres Musselintuch sanft im Abendwind gegen den roten Himmel flattern sahen. Und mählich wurde die schöne Gräfin de Montsalvy eine Legende …

»Ihr habt recht«, erwiderte Cathérine nach einer kleinen Pause. »Ich weiß nicht, warum mich nichts mehr interessiert, ausgenommen vielleicht das Wort, das Ihr ausgesprochen habt: Rache … obgleich es im Munde eines Gottesmannes ziemlich seltsam klingt. Doch ich verstehe nicht, weshalb die Königin den Wunsch haben sollte, die Rache einer Geächteten zu unterstützen.«

»Ihr werdet in dem Augenblick nicht mehr geächtet sein, Madame, in dem die Königin Euch zu sich ruft, dann seid Ihr in Sicherheit. Und was Eure Rache betrifft, so fügt es sich, daß sie mit den Wünschen Madame Yolandes übereinstimmt. Ihr überseht, daß die Unverschämtheit La Trémoilles keine Grenzen mehr kennt; daß die Truppen des Spaniers Villa-Andrado, der in seinem Sold steht, letzten Sommer Maine und Anjou, die persönlichen Ländereien der Königin, geplündert, gebrandschatzt und verwüstet haben. Die Stunde ist gekommen, mit dem Günstling Schluß zu machen, Madame. Reist Ihr ab? Ich darf hinzufügen, daß Messire Hugh Kennedy, der ebenfalls von der Königin zurückberufen wurde, Euch zusammen mit Eurem untertänigsten Diener das Geleit geben wird.«

Zum erstenmal sah Bruder Etienne die Augen Cathérines blitzen, während ihr das Blut in die blassen Wangen stieg.

»Wer wird dann Carlat bewachen? Und meinen Sohn und meine Mutter?«

Der Mönch wandte sich zu Isabelle de Montsalvy, die immer noch reglos in ihrem Sessel saß.

»Madame de Montsalvy soll sich mit dem Kind in die Abtei von Montsalvy begeben, wo der neue Abt, der jung und energisch ist, sie erwartet. Dort werden sie in Sicherheit sein, während sie darauf warten, daß Ihr beim König die Rehabilitierung Eures Gatten und die Freigabe seines Vermögens durchsetzt. Ein neuer, vom Grafen d'Armagnac entsandter Gouverneur wird von Carlat Besitz ergreifen. Überdies war Messire Kennedy nur vorübergehend hier. Werdet Ihr kommen?«

Cathérine wandte sich ihrer Schwiegermutter zu, kniete mit einer Geste, die ihr inzwischen vertraut geworden war, vor ihr nieder und nahm die schönen, runzligen Hände in die ihren. Die Trennung von Arnaud hatte sie einander nähergebracht, wie Cathérine es nie für möglich gehalten hätte. Die anfänglich hochmütige Haltung der großen Dame gehörte der Vergangenheit an, war nur noch eine Erinnerung, und eine tiefe Zärtlichkeit, die keiner Worte bedurfte, um sich auszudrücken, vereinte die beiden Frauen.

»Was soll ich tun, Mutter?«

»Gehorchen, meine Tochter! Man sagt nicht nein, wenn die Königin Yolande ruft, und unser Haus kann durch Euren Aufenthalt da unten nur gewinnen.«

»Ich weiß. Aber es fällt mir so schwer, Euch zu verlassen, Euch und Michel, und fern zu sein von …«

Sie drehte sich von neuem zum Fenster, aber Isabelle zwang sie sanft, sich ihr wieder zuzuwenden.

»Ihr liebt ihn zu sehr, als daß die Entfernung etwas bedeutete! Geht und habt keine Furcht. Ich werde doppelt über Michel wachen.«

Cathérine küßte der alten Dame schnell die Finger und erhob sich.

»Gut also, ich werde reisen.« Ihr Blick fiel plötzlich auf den Haufen kostbarer Steine auf dem Tisch. »Einen Teil davon nehme ich mit«, sagte sie, »denn ich werde Gold brauchen. Ihr hütet den Rest, Mutter, und macht nach Belieben davon Gebrauch. Ihr könnt leicht einige Steine gegen Taler tauschen.«

Sie nahm den schwarzen Diamanten wieder in die Hand, preßte ihn zwischen den Fingern, als wollte sie ihn zermalmen.

»Wo soll ich zur Königin stoßen?«

»In Angers, Madame … Die Beziehungen zwischen dem König und seiner Schwiegermutter sind immer noch ziemlich gespannt. Die Königin Yolande ist auf ihren Ländereien sicherer als in Bourges oder in Chinon.«

»Dann nach Angers. Wenn es Euch jedoch nichts ausmacht, reisen wir über Bourges. Ich möchte Maître Jacques Coeur bitten, mir einen Käufer für diesen verfluchten Stein zu finden.«

Die Nachricht von der bevorstehenden Abreise erfüllte drei Personen mit großer Freude: Hugh Kennedy vor allem. Der Schotte fühlte sich in den Bergen der Auvergne nicht wohl, die ihn zwar an sein eigenes Land erinnerten, die er aber sehr schlecht kannte. Außerdem war ihm die Gefängnisluft der Festung, die von Cathérines Schmerz bis zum Ersticken geladene Atmosphäre unerträglich geworden. Er wurde zwischen der heftigen Neigung, die er für die junge Frau empfand, dem tiefen Wunsch, sie ihr Unglück vergessen zu machen, und dem Verlangen nach dem früheren guten Leben, den Schlachten, den Handstreichen, dem ungestümen Lagerleben und der herzhaften Männerkameradschaft von einst hin und her gerissen. Die reizenden, freundlichen Städte des Loiretals zu sehen und die Reise in Begleitung Cathérines zu machen, das war doppelte Freude! Er verlor keine Minute, um seine Vorbereitungen für die Abreise zu treffen.

Auch für Gauthier war es eine gute Nachricht, aber aus einem anderen Grunde. Der riesige Normanne, der ehemalige Holzfäller, war von einer blinden, fanatischen, aber stummen Leidenschaft für die junge Frau durchdrungen. Er kniete im geistigen Sinne vor ihr wie der Gläubige vor einem Heiligenbild, und dieser Mann, der nicht an Gott glaubte, sondern seinen Glauben aus den uralten abergläubischen Bräuchen des Nordens nährte, aus antiken, mit den Drachenschiffen ins Land gebrachten Legenden, hatte aus seiner heidnischen Liebe für Cathérine eine Art Religion gemacht. Seit Arnaud de Montsalvy in die Leprastation gesperrt worden war und Cathérine ihn beweinte, hatte auch Gauthier aufgehört zu leben. Er fand keinen Geschmack an der Jagd und verließ die Festung überhaupt nicht mehr. Es war ihm unerträglich, sich auch nur einen Augenblick von Cathérine zu entfernen, und er hatte den seltsamen Eindruck, daß es um ihr Leben geschehen sei, wenn er aufhörte, über sie zu wachen. Aber wie lang einem die Zeit dabei wurde! Er sah mit an, wie sich die Tage aneinanderreihten, immer dasselbe, ohne daß man damit rechnen konnte, daß der Augenblick einträte, in dem Cathérine bereit wäre, ihren Kummer abzuschütteln. Und nun, wunderbarerweise, war dieser Augenblick gekommen! Man würde abreisen, dieses verfluchte Schloß verlassen, endlich etwas unternehmen! Und Gauthier in seiner simplen Seele war nicht weit davon entfernt, den kleinen Mönch vom Mont Beuvray für einen Wundermann zu halten.

Die dritte Person war Sara, die treue, ins Abendland verschlagene Zigeunerin, die Cathérine aufgezogen hatte und ihr durch alle Stadien ihres bewegten Lebens gefolgt war. Mit mehr als fünfundvierzig Jahren hatte Sara, die Schwarze, sich ihre Jugend und Vitalität bewahrt. Ihr dichtes schwarzes Haar wies kaum graue Fäden auf. Ihre braune Haut, glatt und zart, zeigte kein einziges Fältchen. Nur eine behagliche Körperfülle hatte sie sich angegessen, die sie für lange Ritte untauglich machte; aber die ererbte Liebe für die Landstraßen überwand die Sorge um das eigene Wohlbefinden, und wie Gauthier litt sie Qualen, wenn sie sah, wie Cathérine sich lebendig in der Auvergne begrub und nur noch für den dünnen Faden existierte, der sie mit dem Klausner von Calves verband. Die Ankunft Bruder Etiennes war ein wahrer Segen. Der Ruf der Königin würde die junge Frau aus ihrem Schmerz reißen, würde sie nolens volens zwingen, sich wieder dieser Welt zuzuwenden, die sie ablehnte. Und Sara wünschte im Grunde ihres liebenden Herzens, daß Cathérine sich finge und das Leben wieder liebte. Dabei ging sie nicht so weit, ihr eine neue Liebschaft zu wünschen: Cathérine war eine Frau, die nur eine einzige Leidenschaft kannte. Trotzdem, das Leben renkt die Dinge ein! Oft, in der Stille der Nacht, hatte Sara, die Zigeunerin, das Feuer und das Wasser befragt, um ihnen das Geheimnis der Zukunft zu entlocken. Aber das Feuer verlosch, das Wasser blieb klar, und alle Visionen, die sie bisweilen hatte, bewahrheiteten sich nicht. Das Buch des Schicksals blieb für Sara seit dem Aufbruch Arnauds verschlossen.

Ein einziger Umstand quälte sie: den kleinen Michel verlassen zu müssen, für den sie ein Gefühl empfand, das sehr nahe an Anbetung grenzte. Aber Sara ließ nicht zu, daß Cathérine sich allein in ein Abenteuer stürzte. Der Hof war ein gefährlicher Ort, und die Zigeunerin nahm sich vor, sich persönlich um die junge Frau zu kümmern. Seelisch verwundet und dadurch anfällig geworden, hatte Cathérine es nötig, daß man ein wachsames Auge auf sie hielt. Michel, das wußte Sara wohl, würde vollkommen sicher sein, und es würde ihm bei seiner Großmutter an nichts fehlen, die ihn vergötterte und mit jedem Tag mehr den verlorenen Sohn in ihm wiederfand.

In einigen Wochen würde das Kind ein Jahr alt sein. Groß und kräftig für sein Alter, war es das prächtigste Baby, das Sara je gesehen hatte: Rund und rosig, hatte es hübsche, klare blaue Augen, und kräftige Locken, strahlend wie Goldspäne, bedeckten dicht seinen Kopf. Michel betrachtete alles mit ernster Miene; wenn er aber lachte, erstickte er fast. Er zeigte sich bereits sehr tapfer, und nur die Entzündung seiner Wangen kündigte das Zahnen an, denn das Baby weinte nicht. Wenn es zu sehr litt, liefen ihm große Tränen die Wangen hinunter, aber seinem kleinen, schmerzverzogenen Mund entrang sich kein Laut. Die Garnison wie die Bauern beteten es einhellig an, und Michel, sich seiner Macht schon bewußt, herrschte über seine Umwelt wie ein kleiner Tyrann, wobei seine bevorzugten Sklaven seine Mutter, seine Großmutter, Sara und die alte Donatienne, die als Kammerfrau bei Dame Isabelle dienende Bäuerin aus Montsalvy, waren. Gauthier gegenüber verhielt sich das Kerlchen abwartend. Der blonde Normanne beeindruckte es durch seine ungeheuren Kräfte, und das Kind behandelte ihn auf seine Weise. Anders ausgedrückt: Es ließ an ihm keine seiner Launen aus, die einzig und allein den vier Frauen vorbehalten waren. Bei Gauthier war man unter Männern, und Michel fand immer ein breites Lächeln für seinen riesenhaften Freund.