»Was haltet Ihr davon, mein Kind? Ich finde, der Feldhauptmann hat sehr klug gesprochen.«
Diesmal lächelte Cathérine wirklich ganz offen, ein schönes, warmes Lächeln, mit dem sie den kleinen Mönch und zum Schluß auch noch den großen Schotten bedachte, der vor Erregung plötzlich rot anlief.
»Ich glaube«, sagte sie leise, »der Plan ist gut. Ich werde mich jetzt vorbereiten. Komm, Sara! Messire Kennedy, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir Männerkleidung besorgen würdet, auch für Sara.«
Diese stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie hatte einen Horror vor Männerkleidung, die ihre rundlichen Formen stets lästig einzwängte. Doch die Zeit der Abenteuer war offenbar noch nicht vorüber, und man mußte sich in Ermangelung eines Besseren eben ins Unvermeidliche schicken.
Einige Minuten später betrachtete Cathérine in ihrem Zimmer einigermaßen erstaunt die Kleidungsstücke, die Kennedy ihr geschickt hatte. Der schottische Hauptmann hatte sie von seinem Pagen geliehen. Es war die übliche Männerkleidung seines Landes, allerdings mit einer kleinen Abweichung. Die rauhen Gebirgler der Hochebenen, an ein unfreundliches Klima gewöhnt, hatten eine zähe, lederartig gegerbte Haut. Ihre gewohnheitsmäßige Kleidung bestand aus einem in den Farben ihres Clans karierten großen Stück Wollstoff, in das sie sich hüllten, aus einer Flanelljacke und einem Panzerhemd. Eine verzierte Eisenbrosche hielt das Gewand an der Schulter fest. Als Kopfbedeckung dienten ihnen konische Helme oder flache, mit Reiherfedern geschmückte Mützen, und sie gingen mit nackten Beinen und manchmal sogar barfuß. Bei König Karl VII. unter dem sie von dem Konnetabel John Stuart Buchan aufgestellt wurde, trug die berühmte Schottische Garde Silberharnische und prunkvolle Reiherfederbüsche, doch im Feld griff sie gern auf ihre traditionelle Kleidung zurück, in der sie sich am wohlsten fühlte.
Daher hatte Kennedy Cathérine einen Tartan in den Farben des Kennedy-Clans-Grün, Blau, Rot und Gelb-, einen enganliegenden roten Mannsrock und eine blaue Mütze, kurze, feste Lederstiefel und einen Ziegenfellbeutel geschickt. Als einzige Konzession an die Temperatur hatte er enganliegende Hosen aus demselben Blau wie die Mütze und einen großen schwarzen Reitermantel beigefügt.
»Wenn Ihr Euch mit MacLaren trefft, werdet Ihr als sein Page gelten«, hatte der Hauptmann zu ihr gesagt, »und auf diese Weise werdet Ihr Euch nicht vom Rest der Truppe unterscheiden.«
Er hatte noch einen zweiten Anzug derselben Art, aber beträchtlich größer und weniger elegant, für Sara mitgeschickt. Die Zigeunerin hatte sich anfangs kategorisch geweigert, sich derartig albern auszustaffieren.
»Man kann auch fliehen, ohne sich lächerlich zu machen!« erklärte sie. »Wie sehe ich denn in diesem geschmacklosen Plunder aus?«
»Wie sehe ich aus?« erwiderte Cathérine leise, die, kaum daß die Tür hinter dem Boten Kennedys zugefallen war, sich entkleidet und den seltsamen Anzug angelegt hatte. Dann hatte sie ihre zerzausten blonden Locken zurückgestrichen, die Mütze aufgesetzt und sich vor einem großen, polierten Zinnspiegel niedergelassen, die Faust in die Hüfte gestemmt und sich mit kritischen Augen betrachtet. Ein Glück, daß sie so dünn war, denn diese kräftigen Farben machten sie dicker, und sie hätte Schwarz hundertmal vorgezogen und wäre dabei noch ihrem Gelübde treu geblieben, nie mehr etwas anderes zu tragen als Schwarz oder Weiß. Diese Nacht jedoch war eine Ausnahme, ein Fall von höherer Gewalt, da es nicht möglich gewesen war, schwarze Männerkleidung aufzutreiben, die ihr paßte. Trotz allem empfand sie einen Schauer des Vergnügens. Dieses bizarre Kostüm verlieh ihr das Aussehen eines Tollkopfs, eines jungen Pagen mit zu hübschem Gesicht. Sie drehte sich eine Haarsträhne um den Finger. Das Haar schien um einen Ton dunkler nachzuwachsen. Sein glänzendes Gold bronzierte leicht und hatte eine weniger leuchtende, aber dafür wärmere Farbe, die ihren zarten Teint und ihre großen dunklen Augen noch mehr hervortreten ließ. Sara, die sie schweigend beobachtete, brummte bärbeißig:
»Es ist einfach nicht statthaft, so schön zu sein! Ich fürchte, der Spiegel wird mir kein so gelungenes Bild zurückwerfen!«
Tatsächlich bot Sara, abgesehen davon, daß sie ihr dichtes schwarzes Haar unter die Mütze stopfen mußte, in diesem Aufzug einen unwiderstehlich komischen Anblick.
»Du mußt die Schärpe um die Brust drapieren«, riet Cathérine. »Man sieht zu deutlich, daß du eine Frau bist!«
Sie hatte das gleiche bei sich getan, obwohl sie ihre Brüste vorsichtshalber umbunden hatte, bevor sie in das Wams geschlüpft war. Als sie eben dabei war, den schwarzen Diamanten und einen Teil des Geschmeides in ihrem Ziegenfellbeutel verschwinden zu lassen – den Rest würde Sara tragen –, klopfte jemand an die Tür.
»Seid Ihr bereit?« fragte die Stimme Kennedys.
»Müssen wir wohl!« brummte Sara, die Schultern hochziehend.
»Tretet ein«, sagte Cathérine. Auf der Schwelle zeigte sich die Gestalt des Schotten. Er lächelte.
»Was für einen schönen Pagen Ihr abgebt!« bemerkte er, sichtbar beeindruckt. Aber Cathérine lächelte nicht.
»Diese Maskerade gefällt mir gar nicht. Ich habe ein Bündel aus meinen Kleidern gemacht und werde sie anlegen, sobald es möglich ist. Alsdann, gehen wir …«
Bevor Cathérine das Zimmer verließ, in dem sie ihre letzten Glücksstunden und ihr Golgatha erlebt hatte, überflog sie es mit einem letzten Blick. Es schien ihr, als bewahrten die schmucklosen Wände den Reflex des Lächelns Arnauds und das Echo von Michels Lachen. Sie entdeckte, daß sie ihr teuer geworden waren, und sie fühlte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. Aber sie ließ sich von dieser Anwandlung nicht überwältigen. In diesem Augenblick brauchte sie ihren ganzen Mut und kaltes Blut. Entschlossen drehte sie dem so vertrauten Raum den Rücken zu und legte die Hand auf den langen Dolch, den sie sich in den Gürtel gesteckt hatte. Es war der Dolch mit dem Sperbergriff, mit dem Arnaud Marie de Comborn getötet hatte, und für Cathérine der kostbarste Gegenstand, den sie besaß. Im Vergleich zu seinem bläulich schimmernden Knauf, der so oft von der Hand ihres Gatten erwärmt worden war, war der schwarze Diamant nur ein wertloser Kiesel, und sie hätte ihn ohne Zögern dem anderen geopfert.
Im Hof fand sie Kennedy vor, der sie, eine Blendlaterne in der Hand, erwartete. Gauthier und Bruder Etienne standen bei ihm. Ohne ein Wort zu sagen, nahm der Normanne Sara den Kleiderballen ab, den sie trug, dann machte sich der kleine Trupp auf den Weg. Einer hinter dem anderen gingen sie der Umfassungsmauer zu. Die Kälte hatte im Laufe der Nacht zugenommen und war grausam beißend geworden. Von Zeit zu Zeit fegte ein kurzer, heftiger Windstoß weiße Wirbel empor, so daß man in der Mitte des großen Hofs nur gebeugt vorwärts kam. Aber je mehr sie sich den Wällen näherten, desto mehr verloren die Wirbel an Wildheit. Dann und wann durchdrang das Brüllen eines Tiers die Stille oder auch das Schnarchen eines der Flüchtlinge, die, in ihre Decken gehüllt, auf dem nackten Boden nahe am Feuer schliefen.
Trotz des schweren Reitermantels schlotterte Cathérine vor Kälte, als sie dem Turm zuschritt, den Cabriac bezeichnet hatte. Dieser erwartete sie im Innern, mit den Füßen stampfend und sich die Seiten schlagend, um gegen die Kälte anzugehen. Das niedrige, feuchte Gewölbe war wie mit einem Mantel aus schwärzlichem, glänzendem Eis überzogen, von dem Brocken auf ihre Schultern herabfielen.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Cabriac. »Der Mond wird bald aufgehen, und Ihr werdet auf der Schneefläche unten wie am hellichten Tag zu sehen sein. Der Kastilier hat sicher überall Wächter aufgestellt.«
»Aber«, wandte Cathérine ein, »wie sollen wir durch die Palisaden kommen, die am Felsen entlanglaufen?«
»Das geht mich an«, sagte Gauthier. »Kommt, Dame Cathérine. Der Herr Seneschall hat recht. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
Er nahm schon ihren Arm, um sie in das schwarze Loch der Treppe zu ziehen, das Cabriac, eine unter fauligem Stroh verborgene Falltür hebend, freigelegt hatte. Aber Cathérine sträubte sich, drehte sich zu Kennedy um und reichte ihm spontan die Hand.
»Vielen, vielen Dank für alles, Messire Hugh. Dank für Eure Liebenswürdigkeit, für den Schutz, den ihr mir gegeben habt. Ich werde die hier verbrachten Tage nie vergessen. Dank Euch … haben sie ein wenig von ihrer Grausamkeit verloren. Und ich hoffe, Euch bald bei Königin Yolande wiederzusehen.«
Im unsicheren Licht der Laterne sah sie das große Gesicht des Schotten aufleuchten und seine weißen Zähne blitzen.
»Wenn's nur von mir abhängt, Dame Cathérine, wird's schon in kurzer Zeit sein. Aber niemand weiß, was morgen in seinem Leben sein wird. Wie es so oft in dieser Welt geht, sehe ich Euch vielleicht niemals wieder …«
Seinen Satz in der Schwebe lassend, packte er die junge Frau an den Schultern, drückte sie an sich, küßte sie gierig, ehe sie, völlig verblüfft, sich verteidigen konnte, ließ sie ebenso rasch wieder los, lachte dann schallend wie ein Kind auf, das sich einen schönen Spaß gemacht hat, und beendete den angefangenen Satz:
»… und werde nun wenigstens ohne Bedauern sterben! Verzeiht mir, Cathérine, es wird nicht mehr vorkommen … aber ich habe Euch so sehr begehrt!«
Das wurde so freimütig eingestanden, daß Cathérine sich damit begnügte zu lächeln. Sie war, vielleicht mehr, als sie geahnt hatte, für die Wärme dieser ungeschlachten Zärtlichkeit empfänglich, aber Gauthier war erblaßt. Von neuem legte sich seine Hand auf den Arm der jungen Frau.
»Kommt, Dame Cathérine«, sagte er barsch.
Er hob die Laterne und stieg schon die schmale Treppe hinunter. Diesmal folgte ihm Cathérine. Sara kam hinter ihr, und Bruder Etienne bildete den Schluß, während die junge Frau ins Innere des Felsens vordrang, hörte sie ihn dem Schotten Lebewohl sagen und ihn ermahnen, sich ja nicht zu lange in der Auvergne aufzuhalten.
Er fügte hinzu:
»Die Zeit der Kämpfe kehrt wieder. Der Konnetabel wird Euch bald wieder brauchen.«
»Keine Sorge! Ich werde ihn nicht warten lassen!«
Dann hörte Cathérine nichts mehr. Die hohen, ungefügen Stufen, unbeholfen aus dem rohen Stein gehauen, fielen fast senkrecht in einen Felsschlund ab, und die junge Frau mußte genau auf jeden ihrer Schritte achten, um nicht zu straucheln und zu fallen. Dies war um so gefährlicher, als der Frost auch hier sein Unwesen getrieben hatte und jede Stufe gefährlich glitzerte. Als man schließlich das dichte Unterholz erreichte, das den Spalt verdeckte, in den die Treppe mündete, stieß Cathérine einen Seufzer der Erleichterung aus. Dank Gauthier, der die Sträucher für sie auseinanderschob, überwand sie auch dieses leichte Hindernis ohne großen Schaden, aber sie wurde plötzlich gewahr, daß die hohe Palisade aus mächtigen, zugespitzten Pfählen fast unmittelbar an der Felswand entlang verlief, Palisade und Fels bildeten eine Art schmalen und tiefen Schlauchs.
Aus dem Augenwinkel maß Cathérine den schreckenerregenden Holzwall ab.
»Wie kommen wir da hinüber? Am besten, wir klettern wieder nach oben. Die Pfähle sind zu spitz, um ohne Strickleiter hinüberzukommen.«
»Klar«, erwiderte Gauthier ruhig. »Sie sind ja deshalb so gemacht worden.«
Er trat aus dem Gebüsch, das der Treppe als Deckung diente, und begann, nach rechts gehend, die Pfähle zu zählen. Beim siebenten blieb er stehen. Die erstaunte Cathérine sah, wie er den riesigen Baumstamm packte und mit aller Kraft an ihm zerrte. Die Adern schwollen ihm auf der Stirn, während er den unteren Teil des offenbar kunstvoll in der Mitte durchgeschnittenen Stamms keuchend aus seiner Verklammerung riß. Durch die schmale Pforte, die sich damit öffnete, kamen der steile, zum Bach hinunterführende Hang und die zwei oder drei Häuschen des Weilers Cabanes auf dem Abhang gegenüber zum Vorschein. Genau in diesem Augenblick tauchte der Mond zwischen zwei dicken Wolken auf, warf sein bleiches Licht auf die Erde und erhellte die weite Schneefläche. Die Baumstämme und schneebedeckten Sträucher wurden sichtbar wie am hellen Tag. Hinter die Palisade geduckt, betrachteten die Flüchtlinge den reinen weißen Hang, der sich vor ihnen dehnte.
»Wir werden wie Tintenflecke auf einer weißen Seite zu sehen sein«, murmelte Bruder Etienne. »Es braucht bloß einer der Wachtposten den Kopf nach unserer Seite zu wenden, um uns zu entdecken und Alarm zu schlagen.«
Niemand antwortete. Der Mönch hatte sehr deutlich ausgedrückt, was jeder dachte, und Cathérine wurde von Nervosität gepackt.
»Was sollen wir tun? Unsere einzige Chance besteht darin, daß wir in dieser Nacht fliehen, solange die Einschließung noch nicht vollkommen ist. Wenn man uns aber sieht, sind wir schon gefangen.«
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