»Wir werden sie nicht retten!« sagte Sara, die Cathérine am Krankenbett ablöste, um Donatienne zu erlauben, ein wenig auszuruhen und sich um Saturnin zu kümmern, den sie seit Beginn der Krankheit sehr vernachlässigt hatte.

»Man möchte meinen«, bemerkte Cathérine darauf, »daß sie keine Lebenskraft mehr hat.«

Alle Arzneien des Klosters, das ganze medizinische Wissen des Baders von Aurillac, der sie wieder am Krankenlager besucht hatte, waren machtlos, den Lebensfluß in diesem erschöpften Körper zu erhalten. Ganz sanft verlosch Isabelle.

Sie blieb jetzt stundenlang auf dem Bett ausgestreckt, die Hände um ihren Rosenkranz oder um ein Gebetbuch gefaltet, in dem sie nicht las, schweigend und reglos. Nur ihre Lippen, die sich leise bewegten, deuteten an, daß sie betete.

Eines Abends, drei Tage nach dem Ritt Cathérines und Gauthiers nach Calves, hob die alte Dame die Lider und sah Cathérine an, die auf einem Schemel neben ihr saß.

»Ich bete für Euch, mein Kind«, sagte sie leise, »für Michel … und für ihn, meinen Sohn! Laßt ihn in seinem Elend nicht allein, Cathérine. Da ich nicht mehr lange dasein werde, wacht aus der Ferne über ihn! Es ist ein so schreckliches Unglück, das ihn befallen hat!«

Cathérine preßte die Hände zusammen, dann räusperte sie sich, um zu verhindern, daß ihre Stimme zitterte. Isabelle wußte nichts von dem Drama in Calves, das man ihr sorgfältig verheimlicht hatte; aber wie schwer war es, die Komödie weiterzuspielen, eine beschwichtigende, notwendige Heiterkeit vorzutäuschen, da ihre Seele von Bangigkeit erfüllt war! Jede Minute der drei verflossenen Tage war für Cathérine eine Minute der Qual gewesen. Im Vertrauen darauf, was Sara ihr versichert hatte, wartete sie auf die Rückkehr Fortunáis, und diese Rückkehr stand noch immer aus … Aber es gelang ihr, der alten Frau zärtlich zuzulächeln.

»Seid ohne Furcht, Mutter! Ich werde mich nie von ihm lösen. Ich möchte für ihn einen Wohnsitz bauen, nicht weit von hier, wo er abseits der anderen leben kann, aber besser, mehr seinem Geschmack, seinem Rang entsprechend … Ich habe immer davon geträumt, ihn diesem entsetzlichen Hospital zu entreißen!«

Die Augen der Kranken strahlten vor Freude. Ihre magere Hand streckte sich aus, um die Cathérines zu drücken.

»O ja! Tut das! … Holt ihn aus diesem Ort des Schreckens heraus! Da wir jetzt wieder reich sind …«

»Sehr reich, Mutter!« lächelte Cathérine, die Tränen zurückhaltend. »Montsalvy wird wiedererstehen, schöner, mächtiger als zuvor … Bruder Sebastian, der Architekt des Klosters, hat die Pläne für das neue Schloß schon entworfen, während Saturnin, von Bruder Placide angeleitet, sich darauf vorbereitet, nahe der Truyère einen Steinbruch anzuschlagen. Das ganze Dorf wird Arbeit haben, sobald die Feldbestellung beendet ist. Bald werdet Ihr wieder einen Eurer würdigen Wohnsitz haben!«

Isabelle schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. Ihr Blick glitt zu Cathérines Hand, an der der Smaragd der Königin Yolande grün funkelte. Seit sie ihn empfangen hatte, hatte Cathérine diesen Ring nicht abgestreift. Als sie sah, daß die alte Dame ihn betrachtete, nahm sie ihn vom Finger, legte ihn in die abgemagerte, doch noch schöne Hand auf dem Laken, eine Hand, deren fast männliche Form an die Arnauds erinnerte.

»Er ist das Unterpfand der Freundschaft Yolandes von Anjou für unsere Familie. Seht ihr Wappen, in den Stein eingraviert. Behaltet ihn, Mutter, er steht Euch so gut!«

Isabelle betrachtete das Juwel mit einem entzückten Lächeln, einer fast kindlichen Freude, und warf Cathérine einen liebevollen Blick zu.

»Ich nehme ihn nur als Leihgabe. Bald … meine Tochter, werde ich ihn Euch zurückgeben. Doch, doch … keine Einwände! Ich weiß es und bin darauf vorbereitet. Der Tod schreckt mich nicht, im Gegenteil … Er wird mich bald zu denen führen, die ich mein Leben lang beweint habe … zu meinem teuren Gatten, meinem kleinen Michel, den Ihr einst habt retten wollen! Und so ist es gut!«

Einen Augenblick blieb sie still, den Smaragd bewundernd, der auf ihre Hand den grünen Schimmer tiefen Wassers warf. Dann fragte sie:

»Und der fabelhafte schwarze Diamant? Was ist aus ihm geworden?«

Cathérines Gesicht verriet flüchtig Mißbehagen.

»Ich hatte ihn verloren und habe ihn wiedergefunden. Aber er hat noch viel Unheil angerichtet. Ich habe geschworen, daß er keins mehr anrichten soll!«

»Wie das?«

»Bald, in einigen Tagen, werde ich den verfluchten Diamanten der einzigen anbieten, die von seiner teuflischen Macht nichts zu fürchten hat.«

»Ist er wirklich so verderbenbringend?«

Cathérine stand auf, ihr Blick irrte durch das kleine Zimmer. Wie in jener ersten Nacht sah sie visionär die Feuersbrunst vor sich, die Calves verwüstet hatte … Sie biß sich auf die Zähne, um nicht vor Schmerz zu schreien, und murmelte dann mit einem unüberhörbaren Ausdruck von Haß und Entsetzen:

»Mehr, als Ihr glaubt! Das Böse … er hat nie aufgehört, es zu bewirken! Er tut es immer noch, fast jeden Tag, den Gott erschafft, aber ich weiß genau, wie ich ihm seine Macht entreißen kann! Ich werde Satan der zu Füßen legen, die einstmals die Schlange unter ihren nackten Sohlen zermalmte. Am Mantel der Schwarzen Jungfrau vom Berge wird der schwarze Diamant machtlos werden!«

Tränen glitzerten nun in den Augen Isabelles, aber ein Licht funkelte in ihnen.

»Ihr wart uns vom Schicksal bestimmt, Cathérine! Instinktiv findet Ihr die alte Tradition der Burgfrauen von Montsalvy wieder, die in Zeiten des Krieges und der Gefahr sich zum Berge von Le Poy aufmachen, um göttliche Hilfe bitten und ihre schönsten Kleinode auf den Altar legen! Geht, meine Tochter, Ihr denkt wie eine echte Montsalvy!«

Cathérine antwortete nicht. Zwischen Isabelle und ihr bedurfte es keiner Worte mehr! Schweigsamkeit genügte ihnen, sie konnten sich in Zukunft aufeinander verlassen, sie verstanden sich, übrigens trat in diesem Augenblick der Abt Bernard ins Zimmer, um, wie er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, die Kranke abends zu besuchen. Cathérine zog sich zurück, nachdem sie seinen Hirtenring geküßt hatte, und ließ die beiden allein. Sie wollte zu Sara gehen, die in der Küche Michel badete, doch als sie den Gemeinschaftsraum durchschritt, sah sie den Bruder Pförtner herbeieilen.

»Dame Cathérine«, sagte er, »der alte Saturnin bittet Euch, sich gütigst zu ihm zu bemühen. Er sagt, es handle sich um etwas Wichtiges!«

In seiner Eigenschaft als Amtmann von Montsalvy war Saturnin beauftragt, die Arbeiter für den Wiederaufbau des Schlosses anzuwerben. In der Annahme, es handle sich um Probleme der Anwerbung oder der Bezahlung, hielt Cathérine es für unnötig, Sara von ihrer Abwesenheit zu unterrichten.

»Es ist gut, ich komme!« erwiderte sie. »Danke, Bruder Eusebius!«

Nachdem sie sich mit einem schnellen Blick in den Spiegel ihres Zimmers vergewissert hatte, daß ihr blaues Barchentkleid proper und ihre hohe Linnenhaube makellos weiß waren, verließ Cathérine das Kloster und wandte sich zu dem Hause Saturnins, das sich, nur wenige Schritte entfernt, in der Hauptstraße befand. Die Bauern kehrten eben nach ihrer Tagesarbeit vom Felde zurück, denn man war mitten in der Ernte. Zum erstenmal seit Jahren hatte es keine Katastrophe gegeben, die Weizen und Hafer am Wachsen hätte hindern können. Die Leute beeilten sich, die Ernte zu bündeln und einzufahren …

Auf der Straße traf Cathérine ihre Bauern in fröhlichen Gruppen an, die Gesichter unter den nach hinten geschobenen Strohhüten sonnverbrannt, die Kittel über der schwitzenden Brust weit geöffnet. Die Frauen hatten ihre Kleider geschürzt und gingen mit nackten Beinen, den Rechen oder die Forke auf der Schulter. Alle grüßten Cathérine mit einem Lächeln, einem Lüpfen des Hutes oder einem kurzen Knicks und einem freundlichen »Le bonsoir, not' dame!«, so daß es ihr warm ums Herz wurde. Diese braven Leute hatten sie spontan unter sich aufgenommen, der Leiden wegen, die sie mit ihnen geteilt hatte, und in Erinnerung an Arnaud … Sie war wirklich zu Hause in Montsalvy!

Das Haus des Amtmanns Saturnin und seiner Frau Donatienne lag dem Südtor Montsalvys und seinem viereckigen Wehrturm unmittelbar benachbart. Mit seinem hohen Giebel war es eines der schönsten Häuser des Dorfs, fast ein Bürgerhaus, und Donatienne hielt es auf geradezu flämische Weise sauber. Als Cathérine es erreichte, erwartete sie schon der alte Saturnin auf der zwei Stufen hohen Schwelle, die Kappe in der Hand. Die Sorge ließ sein Gesicht noch runzliger erscheinen, und das vorspringende Kinn schien sich um ein Haar mit der langen, messerscharfen Nase zu treffen. Er begrüßte Cathérine respektvoll und reichte ihr die Hand, um ihr beim Eintreten ins Haus behilflich zu sein.

»Es ist ein Schäfer hier, Dame Cathérine … Er ist soeben aus Vieillevie eingetroffen, einem Dorf etwa vier Meilen von hier im Tal des Lot, und er hat merkwürdige Dinge zu berichten. Aus diesem Grunde habe ich es vorgezogen, ihn nicht in die Abtei zu bringen, sondern Euch bitten lassen – ich hoffe, Ihr vergebt mir die Kühnheit – hierherzukommen.«

»Das habt Ihr gut gemacht, Saturnin«, beeilte Cathérine sich zu erwidern, der es ein wenig den Atem verschlagen hatte, als er vom Tal des Lot sprach. »Was hat er denn so Merkwürdiges zu erzählen?«

»Ihr werdet es gleich hören. Tretet nur ein!«

In der Küche, in der das Zinn auf dem Kaminsims wie Silber glänzte und der Steinboden so weiß war, daß er wie Samt aussah, saß ein in einen Kittel aus Schafsfell über grobem Leinen gekleideter junger Mann auf einer Bank neben dem Tisch aus dunklem Kastanienholz. Er aß Brot und Käse, die Saturnin ihm hingestellt hatte, sprang aber sofort höflich auf, als er Cathérine eintreten sah, grüßte linkisch und erwartete stehend, daß man zu ihm sprechen würde.

»Dieser Junge«, sagte Saturnin, »ist einer der Schäfer des Herrn de Vieillevie. Du, mein Junge, stehst vor der Dame de Montsalvy. Sage ihr, was du am Sonntagmorgen gesehen hast.«

Der Schäfer wurde ein wenig rot, zweifellos durch die Anwesenheit dieser großen Dame verschüchtert, und seine Stimme war zuerst kaum hörbar; doch schon bei seinen ersten Worten spürte Cathérine, wie ihr leidenschaftliches Interesse erwachte.

»Am Sonntagmorgen hütete ich meine Schafe auf der Ebene über der Garrigue …«

»Sprich lauter!« befahl Saturnin. »Man kann dich schlecht hören!«

Der Junge räusperte sich und hob die Stimme.

»Ich sah zwei Reiter, die aus Montsalvy zu kommen schienen. Der erste, groß und von schöner Gestalt, war ganz in Schwarz gekleidet: er trug sogar eine schwarze Maske, aber er ritt eine wundervolle schneeweiße Stute …«

»Morgane!« murmelte Cathérine gefesselt. »Morgane und …«

»Der andere war ein kleiner, magerer gelber Mann mit kohlschwarzen Augen und einem Spitzbärtchen. Sie hielten neben mir, und der Kleinere sprach mich an. Von dem anderen … dem Reiter mit der Maske, habe ich kein Sterbenswörtchen gehört. Er sah mich nicht an. Er hielt sich etwas abseits, mit seiner behandschuhten Rechten den Hals seines Tieres tätschelnd, das ungeduldig auf dem Boden scharrte.«

»Was hat der Kleinere zu dir gesagt?« fragte Saturnin.

»Er hat mich gefragt, ob ich den Amtmann von Montsalvy kenne. Ich habe geantwortet, ich hätte ihn zwei- oder dreimal gesehen und ich sei Schäfer des Herrn de Vieillevie. Dann hat der kleine gelbe Mann gefragt, ob ich bereit sei, Meister Saturnin etwas zu überbringen, ob man mir vertrauen könne. Ich habe ja gesagt, aber ich brauche einen Vorwand, um hierherzukommen. Zufällig hatte ich Käse zu verkaufen. Ich sagte also, daß ich in dieser Woche nach Montsalvy gehen würde. Dann hat er mir noch eine Frage gestellt. Er hat mich gefragt, ob ich lesen könne. Ich habe geantwortet: Nein …«

»Und dann?« fragte Cathérine, auf die Folter gespannt. »Was hat er hinzugefügt?«

»Nicht viel. Er hat aus seinem Wams ein zusammengefaltetes und versiegeltes Pergament gezogen und mir aufgetragen, es so schnell wie möglich zu Meister Saturnin zu bringen. Und er hat mir einen Taler für meine Mühe gegeben!«

»Dieser Brief«, fragte Cathérine, »wo ist er?«

»Hier!« antwortete Saturnin, Cathérine die versiegelte Botschaft reichend, die sie mit zitternder Hand in Empfang nahm.

»Ihr habt ihn nicht geöffnet?«

»Das ist nicht meine Sache«, entgegnete der Amtmann, den Kopf schüttelnd. »Lest nur!«

Tatsächlich waren einige Worte auf das Pergament geschrieben: »Für Dame Cathérine de Montsalvy, sobald sie zurück ist.«

Plötzlich schien es Cathérine, als drehten sich die gekalkten weißen Wände vor ihren Augen. Diese Worte, daran gab es keinen Zweifel, hatte Arnaud selbst geschrieben! Mit einer instinktiven Bewegung drückte sie das Pergament ans Herz, während sie gegen die Erregung ankämpfte, die in ihr aufstieg. Saturnin bemerkte es, wollte den Schäfer entlassen.