Er trug einen grünen Hut, dessen vorn heruntergeklappter Rand hinten hochgeschlagen war und eine Feder trug, die fast nur noch aus dem Kiel bestand, aber das braune Gesicht darunter hatte lebhafte und fröhliche Augen, und der große, geschwungene Mund lächelte, als er die weibliche Silhouette am Wegrand entdeckte. Cathérine konnte sehen, daß sein Rücken unter dem Mantel durch einen ovalen Gegenstand, den er auf der Schulter tragen mußte, entstellt war.

»Ein Hausierer«, dachte Cathérine, »oder ein Minnesänger …«

Sie entschied sich für den Minnesänger, als er ganz nahe herangekommen war. Unter dem schwarzen Mantel war seine Kleidung grün und rot, lebhaft und lustig, wenn auch strapaziert. Der Mann zog den verblaßten Hut, um sie zu grüßen.

»Frau«, sagte er mit einem fremden Akzent, »was für eine Burg ist das, bitte?«

»Montsalvy! Wollt Ihr dahin, Sire Minnesänger?«

»Dahin will ich noch heute abend! Ma, per la Madona! Wenn alle Bäuerinnen so schön sind wie Ihr, dann ist dies das Paradiso, dieses Montsalvy!«

»O nein, das ist nicht das Paradies«, erwiderte Cathérine, durch den Akzent des Jungen belustigt. »Und wenn Ihr den Anblick eines Schlosses erwartet, Sire Minnesänger, dann habt Ihr Euch getäuscht. Das Schloß Montsalvy existiert nicht mehr. Ihr werdet nur eine alte Abtei, wo man sehr wenig Liebeslieder singt, vorfinden.«

»Ich weiß!« sagte der Minnesänger. »Aber wenn es kein Schloß gibt, dann gibt es immer noch die Schloßfrau. Kennt ihr die Dame de Montsalvy? Es ist die schönste Dame des Erdkreises, nach allem, was man mir gesagt hat … aber ich glaube, sie wird Euch schwerlich übertreffen!«

»Ihr werdet trotzdem enttäuscht sein«, erwiderte Cathérine. »Ich bin die Dame de Montsalvy.«

Das Lächeln schwand aus dem fröhlichen Gesicht des Reisenden. Erneut hob er seinen grünen Filzhut und kniete im Schnee nieder.

»Hochedle und gnädigste Dame, verzeiht dem Unwissenden seine Vertraulichkeit …«

»Ihr konntet das nicht wissen. Die Schloßfrauen eilen selten in einem solchen Wetter auf die Straßen, besonders nicht allein!«

Wie um ihr recht zu geben, fegte ein plötzlicher Windstoß den Hut des Minnesängers davon und zwang Cathérine, sich an einen Baumstamm zu klammern.

»Bleiben wir nicht hier«, sagte sie, »es ist ein abscheuliches Wetter, und die Nacht bricht an. Das Schloß ist zerstört, aber das Gästehaus des Klosters, in dem ich wohne, kann Euch aufnehmen. Wie kommt es, daß Ihr mich kennt?«

Der Minnesänger hatte sich erhoben und klopfte sich mechanisch seine mageren Knie ab. Eine sorgenvolle Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet, und sein Mund fand das fröhliche Lächeln von vorhin nicht wieder.

»Ein Mann, den ich in den Hochbergen des Südens getroffen habe, hat mir von Euch gesprochen, edle Dame … Er war sehr groß und stark! Ein wahrer Riese! Er hat mir gesagt, er heiße Gauthier Malencontre …«

Cathérine stieß einen Freudenschrei aus und packte, ohne sich um das Zeremoniell zu kümmern, den Minnesänger am Arm, um ihn schnell mitzuziehen.

»Gauthier schickt Euch? Oh, seid gesegnet, wer immer ihr seid! Wie geht es ihm? Wo war er, als Ihr ihm begegnet seid?«

Eiligst stieg sie, den Minnesänger hinter sich herziehend, der plötzlich sehr unruhig zu werden schien, zum Dorf hinauf, ging durchs Tor und traf dabei auf Saturnin, der einen Fensterladen seines Hauses ausbesserte:

»Dieser Mann hat Gauthier gesehen. Er hat Nachrichten!«

Mit einem freudigen Ausruf schloß der alte Amtmann sich ihnen an.

Der Minnesänger betrachtete sie mit einer Art Entsetzen.

»Verzeihung, edle Dame«, ächzte er, »Ihr habt mir ja noch nicht einmal Zeit gelassen, Euch meinen Namen zu nennen und …«

»Dann nennt ihn mir«, erwiderte Cathérine fröhlich. »Aber für mich heißt Ihr Gauthier …«

Der Mann schüttelte mißbilligend und überwältigt den Kopf.

»Ich heiße Guido Cigala … Ich stamme aus Florenz, der schönen Stadt, aber zur Vergebung meiner zahlreichen Sünden wollte ich in Galicia an der Gruft des Apostels beten …

Dame!« bat er flehentlich, »freut Euch nicht zu sehr, und bereitet mir keinen so schönen Empfang. Die Nachrichten, die ich bringe, sind nicht gut!«

Cathérine und Saturnin blieben wie festgewurzelt mitten auf der Straße stehen. Das freudige Rot, das Cathérine ins Gesicht gestiegen war, machte einer tragischen Blässe Platz.

»Ach?« sagte sie nur. Ihr Blick ging vom Minnesänger zu Saturnin, unruhig, fast flehend. Aber dann fing sie sich wieder, straffte sich.

»Gut oder schlecht, Ihr braucht trotzdem Ruhe und Erfrischung. Der Empfang bleibt derselbe, Sire Minnesänger. Sagt mir nur, wie es Gauthier geht?«

Guido Cigala senkte den Kopf wie ein Schuldiger.

»Dame«, murmelte er, »ich glaube, er ist tot!«

»Tot?!«

Derselbe Schrei entwich den Lippen Cathérines und Saturnins, aber es war der alte Mann, der ihren gemeinsamen Gedanken aussprach:

»Das ist nicht möglich! Gauthier kann nicht sterben!«

»Ich habe nicht gesagt, daß ich sicher sei«, sagte Cigala verlegen, »ich habe gesagt, ich glaubte es.«

»Ihr werdet es uns erzählen! Gehen wir hinein!«

Im Gästehaus kümmerte Sara sich um den Ankömmling, wusch ihm die wunden Füße, stärkte ihn mit einer warmen Suppe, mit Brot und Käse und einem Becher Wein und schickte ihn dann in den großen Saal, wo Cathérine ihn mit Saturnin und Donatienne erwartete. Die Gesetze der Gastfreundschaft gingen vor ihrer Ungeduld. Sie lächelte traurig, als sie sah, daß der Minnesänger seine Harfe in der Hand trug.

»Es ist schon lange her, daß hier ein Lied gesungen wurde«, sagte sie leise. »Und mir steht der Sinn nicht danach, mir eines anzuhören!«

»Die Musik ist gut für die Seele, besonders wenn sie wund ist«, sagte Guido und legte sein Instrument auf eine Bank. »Doch zuerst werde ich Eure Fragen beantworten.«

»Wann habt Ihr Gauthier gesehen und wo?«

»Es war auf dem Paß von Ibañeta, ein gutes Stück vor dem Hospiz von Roncevaux. Ich war in eine Schlucht gefallen, und dieser Gauthier ist mir zu Hilfe gekommen. Wir haben die Nacht zusammen in einer Bergschutzhütte verbracht. Ich habe ihm erzählt, daß ich in mein Land zurückkehre, aber in jedem Schloß, das ich unterwegs träfe, haltmachen würde. Er hat mich gefragt, ob ich hier vorbeikommen könne, um Euch Nachrichten zu bringen. Natürlich habe ich es ihm versprochen. Nach dem Dienst, den er mir erwiesen hatte, konnte ich ihm nichts verweigern. Und dann, was macht unsereins schon etwas mehr oder weniger Wegstrecke aus? … Dann hat er mir eine Botschaft mitgegeben.«

»Welche Botschaft?« fragte Cathérine, sich zu dem jungen Mann vorbeugend.

»Er hat gesagt: ›Sagt Dame Cathérine, daß die weiße Stute mir nicht mehr weit voraus ist. Morgen hoffe ich sie einzuholen …‹«

»Ist das alles …?«

»Das war alles … Damit will ich sagen: Er hat mir nichts weiter mehr anvertraut, aber es hat sich einiges ereignet. Am anderen Morgen haben wir uns getrennt. Er mußte den Weg einschlagen, den ich gekommen war, und ich bin nach Roncevaux weitergegangen, doch der Weg, dem ich folgte, stieg an, und ich habe Euren Freund noch lange sehen können, edle Dame. Ruhig verfolgte er seinen Weg, das Pferd ging im Schritt. Und genau in dem Augenblick, wo er im Begriff stand, meinen Augen zu entschwinden, ereignete sich das Drama … Ich muß noch hinzufügen, daß die Bevölkerung dieses Landes wild und roh ist, es wimmelt dort von Straßenräubern. Mich haben sie nicht angegriffen, weil sie mich ohne Zweifel für ein zu miserables Wild hielten. Aber der große Reisende war gut angezogen und gut beritten … Von weitem habe ich sie plötzlich zwischen den Felsen auftauchen und ihn wie ein Wespenschwarm umschwirren sehen. Er hat sich großartig verteidigt, aber sie waren in der Überzahl … Ich habe ihn unter ihren Streichen fallen sehen, und dann, während einer sein Pferd wegführte und ein anderer das Gepäck fortnahm, haben drei Männer ihn ausgezogen und ihn in eine dieser grundlosen Schluchten geworfen, deren Anblick allein einem schon Schrecken einjagt … Er war tot, ganz sicher, oder der Sturz hat ihn vollends erledigt. Aber beschwören kann ich seinen Tod nicht!«

»Und«, empörte sich Saturnin, »Ihr seid nicht wieder zurückgegangen? Ihr habt nicht herauszufinden versucht, ob der, der Euch zu Hilfe geeilt war, noch lebte oder ob er wirklich tot war?«

Der Minnesänger schüttelte den Kopf, hob die Schultern und spreizte die Hände in einer ohnmächtigen Bewegung.

»Die Banditen mußten in der Nähe ihren Schlupfwinkel gehabt haben, denn sie blieben da, warteten zweifellos noch auf andere Reisende … Was hätte ich ausrichten können, ich, schwach und allein, gegen diese Wilden? Und dann, der Abgrund war fürchterlich. Wie sollte ich da hinuntersteigen? Dame«, fügte er hinzu, sich flehentlich an Cathérine wendend, »ich bitte Euch, mir gnädigst zu glauben, daß ich, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, Eurem Freund oder Eurem Diener, ich weiß nicht, was er war, zu helfen, es getan hätte, selbst unter Lebensgefahr. Guido Cigala ist kein Feigling … Das müßt Ihr mir glauben!«

»Aber ich glaube Euch, Sire Minnesänger, ich glaube Euch«, entgegnete Cathérine überdrüssig. »Ihr konntet nichts tun, das habe ich wohl verstanden … Doch verzeiht mir, wenn ich mich vor Euch dem Schmerz hingebe. Seht, Gauthier war mein Diener, aber sein Leben war mir kostbarer als das eines vertrauten Freundes, und der Gedanke, daß er nicht mehr ist …«

Die Erregung schnitt ihr das Wort ab. Die Tränen verdunkelten ihre Augen, und die Kehle schnürte sich ihr zusammen, daß sie kein Wort mehr herausbrachte. Überstürzt den Saal verlassend, eilte sie in ihr Zimmer, ließ sich auf ihr Bett fallen und gab sich schluchzend ihrem Schmerz hin. Diesmal war alles vorbei, endgültig vorbei! Sie hatte alles verloren, denn mit Gauthiers Tod schwand auch die Hoffnung, Arnaud wiederzufinden. Geheilt oder nicht, ihr Gatte würde nie erfahren, daß sie ihm treu blieb und daß ihre Liebe für ihn tiefer war als je … Jetzt war er so vollkommen für sie verschwunden, wie wenn die Platte des Grabes sich über ihm geschlossen hätte. Für Cathérine war dies der letzte Schlag …

Lange weinte sie, ohne zu bemerken, daß Sara eingetreten war und vor ihr stand, stumm und ohnmächtig diesmal, sie in ihrem großen Schmerz zu trösten. Nach langen Minuten wagte Sara einzuwenden:

»Vielleicht hat der Minnesänger schlecht gesehen … Vielleicht ist Gauthier doch nicht tot.«

»Wie sollte er dem Tod entronnen sein?« fragte die junge Frau mit einem nervösen Schlucken. »Und wenn er noch nicht tot war, dann muß er kurz danach gestorben sein …«

Schweigen trat zwischen den beiden Frauen ein. Von weitem, im großen Saal, hörte man die leichten Akkorde der Viola, die für einige Diener, für Donatienne und Saturnin und auch für gewisse Notabeln von Montsalvy aufspielte, die um die Gunst gebeten hatten, den wandernden Sänger zu hören, ein Genuß, der ihnen schon lange nicht mehr vergönnt gewesen war … Die weiche und volltönende Stimme des Florentiners drang in die stille Zelle, in der die beiden Frauen sich gegenübersaßen, ohne ein Wort zu sprechen. Guido sang ein altes Zweireimgedicht von der Liebe des Ritters Tristan und der Königin Isolde:

»Isolde, meine Dame, Isolde, meine Kleine, für Euch in den Tod, für Euch mein Leben …«

Cathérine unterdrückte ein Schluchzen. Das Klagelied des Minnesängers da draußen rief Erinnerungen in ihr wach; sie schien die heiße, leidenschaftliche Stimme Arnauds noch zu hören, der ihr ins Ohr flüsterte: »Cathérine … Cathérine, meine Kleine …« Und der Jammer, der sie durchbohrte, war so stechend, daß sie die Zähne zusammenbeißen mußte, um den Schmerzensschrei zurückzuhalten, der in ihr aufstieg. Wenn sie ihn in ihrem irdischen Leben nicht wiedersehen sollte, dann wäre es viel besser, diese Welt sofort zu verlassen, statt eine Ewigkeit zu leiden … Einen Augenblick schloß sie die Augen, rang die Hände und preßte die Finger zusammen, um sich wieder in Gewalt zu bekommen, und als sie die Augen aufschlug, war es nur, um Sara einen entschlossenen Blick zuzuwerfen.

»Sara«, sagte sie so ruhig, daß die Zigeunerin zusammenzuckte, »ich gehe! Nachdem Gauthier tot ist, muß ich mich auf die Suche nach meinem Gatten machen.«

»Auf die Suche machen? Aber wo?«

»Da, wo ich ihn bestimmt vermute: in Compostela in Galicia. Es ist unmöglich, daß ich dort nicht erfahre, was aus ihm geworden ist. Und unterwegs werde ich versuchen, die Leiche des armen Gauthier zu finden, damit er wenigstens an einem angemessenen Ort ruht. Der Gedanke, daß er zu dieser Stunde und so lange schon ein Raub der Todesvögel ist, ist mir unerträglich.«