»Wer sagt etwas anderes? Glaubt Ihr, Ihr könnt mich die Tugenden des Mannes lehren, den ich liebe?«

»Den Ihr liebt?« entgegnete Fortunat höhnisch. »Unter anderen! Ich habe ihn geliebt, mit Ergebenheit, mit Achtung, mit allem, was gut in mir ist!«

»Ich liebe ihn also nicht? Weshalb bin ich denn hier? Habt Ihr noch nicht begriffen, daß ich ihn suche?«

»Ihr sucht ihn?«

Jäh unterbrach sich Fortunat. Er maß Cathérine mit boshafter Freude und brach plötzlich in Lachen aus, in ein verächtliches, wildes Lachen, das der jungen Frau mehr noch als seine Beleidigungen den ganzen Haß, den der Gaskogner für sie empfand, verriet.

»Na gut, sucht nur, schöne Dame! Für Euch ist er verloren … verloren für immer! Versteht Ihr? Verloren!«

Er hatte das Wort hinausgeschrien, als fürchtete er, Cathérine habe dessen ganze verzweifelte Tragweite nicht erfaßt. Aber es war unnötig. Cathérine hatte verstanden. Sie wankte unter der Brutalität des Schlages, fand indessen genug Kraft, die Hand Jans zurückzuweisen, der sie stützen wollte.

»Er … ist tot!« sagte sie mit gebrochener Stimme.

Doch wieder brach Fortunat in Gelächter aus:

»Tot? Nie im Leben! Aber glücklich, von Euch befreit, geheilt …«

»Geheilt? Mein Gott! Der heilige Jakob hat ein Wunder getan!«

Jetzt hatte sie das Wort hinausgestoßen, mit einer Inbrunst, die der Gaskogner jedoch umgehend zerstörte. Er zuckte unehrerbietig mit den Schultern, was beim Prior ein Stirnrunzeln hervorrief.

»Es hat kein Wunder gegeben, und wenn ich den heiligen Herrn Jakob auch verehre, so muß ich doch bestätigen, daß er Messire Arnauds Gebete nicht erhört hat. Warum sollte er auch, nebenbei bemerkt? Messire Arnaud war nicht leprakrank!«

»Nicht … leprakrank?« stammelte Cathérine. »Aber …«

»Ihr habt Euch geirrt, wie übrigens jedermann … Das kann Euch niemand zum Vorwurf machen. Als wir Compostela verließen, hielt Messire Arnaud sich noch immer für leprakrank. Er war entsetzlich enttäuscht … verzweifelt … Er wollte sterben, aber er wollte nicht für nichts sterben. ›Die Mauren haben immer noch das Königreich Granada in Besitz, und die Ritter von Kastilien stehen in dauerndem Kampf mit ihnen‹, hat er zu mir gesagt. ›Dorthin werde ich reiten! Gott, der mir die Heilung verweigerte, wird mir wenigstens die Gunst erweisen, im Kampf gegen die Ungläubigen zu fallen!‹ Also sind wir nach Süden aufgebrochen. Wir haben die Berge, die ausgetrockneten, wüsten Ländereien durchquert und kamen in eine Stadt namens Toledo … Und dort hat sich alles geändert!«

Er nahm sich Zeit, als versuchte er, eine besonders angenehme Erinnerung genauestens wiederzugeben. Sein entzücktes Lächeln steigerte Catherines nervöse Bangigkeit bis zum äußersten.

»Was alles?« fragte sie barsch. »Los! Sprich!«

»Das möchtet Ihr so schnell wie möglich wissen, was? Trotzdem wär's besser, ich schwör's Euch, wenn Ihr es nicht so eilig hättet. Tatsächlich … aber ich möchte Euch auch gern so schnell wie möglich besiegt sehen. Also hört zu: Als wir in dieser Stadt auf dem Hügel ankamen, trafen wir auf das Gefolge eines Botschafters des Königs von Granada, Gesandten bei König Johannes von Kastilien, der sich in sein Land zurückbegab …«

»Mein Gott! Mein Gatte ist in die Hände der Ungläubigen gefallen! Und du wagst es, dich darüber zu freuen?«

»Es gibt verschiedene Arten, in jemandes Hände zu fallen«, bemerkte Fortunat hinterlistig. »Diejenige, die Messire Arnaud zustieß, hatte jedenfalls nichts Unangenehmes an sich …« Jäh setzte der Gaskogner sich auf, warf Cathérine einen flammenden Blick zu und fuhr mit triumphierendem Unterton fort: »Der Botschafter war eine Frau, Dame Cathérine, eine Prinzessin, die Schwester des Königs von Granada … und sie ist schöner als der Tag! Noch nie haben meine Augen ein blendenderes Geschöpf gesehen! Übrigens, auch Messire Arnauds Augen nicht!«

»Was willst du damit sagen? Erkläre dich!« befahl Cathérine, deren Mund plötzlich trocken wurde.

»Versteht Ihr nicht? Warum sollte Messire Arnaud die Liebe der schönsten aller Prinzessinnen zurückweisen, wenn seine eigene Frau ihn wegen eines anderen verlassen hatte? Er war frei, denke ich mir, frei, um so mehr, als die Dankbarkeit sich zur Bewunderung gesellte.«

»Die Dankbarkeit?«

»Es hat den maurischen Arzt der Prinzessin drei Tage gekostet, Messire Arnaud zu heilen! Er hatte nicht Lepra, wie ich Euch schon sagte, sondern eine andere Krankheit, durchaus heilbar, deren barbarischen Namen ich vergessen habe! Es stimmt zwar, daß sie dieser schrecklichen Geißel ähnelt … Aber jetzt ist Messire Arnaud geheilt, glücklich … und Ihr habt ihn für immer verloren!«

Es folgte Stille, eine schreckliche, tiefe Stille, als versuchten alle diese Leute, von denen der größte Teil sie nicht kannte, Catherines Herz schlagen zu hören … Sie hatte sich nicht gerührt, hatte kein Wort gesagt … Sie spürte, wie das Leid, die Eifersucht sich langsam, heimtückisch in ihre Seele schlichen … Sie hatte das Gefühl, in einem Alptraum befangen zu sein, aus dem sie nicht erwachen zu können schien. Ein Bild nahm in ihrer Phantasie Gestalt an, ein unerträgliches Bild: Arnaud in den Armen einer anderen Frau! … Am liebsten hätte sie laut aufgeschrieen, hätte gebrüllt, um den gräßlichen Schmerz der Eifersucht, der sie durchfuhr, zu lindern. Wie ein gesundes Tier, das eine Krankheit befällt, wurde sie durch diesen neuen Schmerz entwaffnet. Sie fühlte sich versucht, die Augen zu schließen, aber der Stolz hielt sie zurück. Sie warf dem Gaskogner einen scharfen Blick zu und sagte grollend: »Du lügst! … Wie kannst du annehmen, daß ich dir glaube? Mein Gatte ist ein Christ, ein Ritter … Niemals würde er seinem Glauben, seinem Land, seinem König für eine Ungläubige untreu werden! Und ich bin so dumm, dir zuzuhören, du gemeiner Lügner!«

Sie drückte die Fäuste in die Falten ihres Kleides, hielt sich nur mit Mühe im Zaum. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte in dieses von Abneigung verzerrte, ihr trotzende Gesicht geschlagen … Fortunat hingegen war von ihrem Zorn anscheinend durchaus nicht beeindruckt. Es schien sogar, als delektierte er sich daran. »Ich lüge? … Ihr wagt zu sagen, ich lüge?« Langsam, die kleinen schwarzen Augen fest auf Cathérine gerichtet, hob der Gaskogner die Hand und sprach feierlich: »Ich schwöre beim Heil meiner unsterblichen Seele, daß Messire Arnaud zu dieser nämlichen Stunde Liebe und Freuden in den Palästen von Granada genießt! Ich schwöre, daß …«

»Genug!« erklang plötzlich hinter Cathérine die barsche Stimme Ermengardes. »Gott liebt es nicht, daß ein Schwur zur Kränkung dient! Du hast dein Gift jetzt verspritzt, das genügt, mein Junge! … Sag mir trotzdem noch eins: Wie kommt es, daß du hier bist, du, der treue Diener? Warum ziehst du auf den Landstraßen umher, auf die Gefahr hin, dein Leben zu verlieren, obwohl du doch ebenfalls dein Glück bei irgendeiner maurischen Schönen finden könntest! Hat deine Prinzessin keine Kammerzofe, die schön genug ist, dich zu fesseln? Warum bist du nicht bei deinem Herrn geblieben, um die Freuden der Liebe mit ihm zu teilen?«

Die furchteinflößende rote Silhouette der Edlen und ihr herrischer Ton schüchterten den Knappen ein. Sie erinnerte an einen Fels … Der Gaskogner sah aus, als wollte er sich verkriechen. Er senkte den Kopf:

»Messire Arnaud hat es so gewollt! Er hat mich zu seiner Mutter gesandt, von der er wußte, daß sie litt. Ich sollte ihr die gute Nachricht von der Heilung überbringen, ihr sagen …«

»Daß ihr Sohn, ein Hauptmann des Königs, ein Christ, seine Pflicht und seinen Eid wegen der schönen Augen einer Huri vergessen hat? Schöne Nachricht für eine Edeldame! Wie ich mir die Dame de Montsalvy vorstelle, dürfte sie derlei glatt umbringen!«

»Dame Isabelle ist tot«, sagte Cathérine ernst. »Keine Nachricht kann sie mehr erreichen! Und dein Auftrag ist erfüllt, Fortunat! Du kannst nach Belieben nach Frankreich oder zu deinem Herrn zurückkehren.«

Ein Ausdruck grausamer Neugier erschien auf dem mageren Gesicht des Gaskogners.

»Und Ihr, Dame Cathérine«, fragte er begierig, »was werdet Ihr tun? Ich kann mir nicht denken, daß Ihr beabsichtigt, Euren Gatten zurückzufordern. Ihr würdet nicht einmal zu ihm vordringen … Christliche Frauen sind dort unten versklavt und arbeiten unter der Peitsche, oder man wirft sie den Soldaten hin, damit sie sich mit ihnen vergnügen … sofern man sie nicht unter schrecklichen Foltern sterben läßt! Glaubt mir, für Euch ist ein gutes Kloster das beste und …«

Der Satz erstickte in einem fürchterlichen Gurgeln. Die schöne, kräftige Hand Ermengardes hatte Fortunat am Hals gepackt und ihm den Atem abgeschnürt.

»Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst schweigen!« brummte die Edle. »Und ich sage nie etwas zweimal.«

Cathérine, die all das nichts mehr anging, hatte ihn keiner Antwort gewürdigt. Sie drehte sich um, umfing mit einem einzigen mutigen Blick alle ihr ängstlich zugewandten Gesichter und ging dann langsam zur Tür. Die schwarzen Falten ihres Kleides fegten über das auf den Fliesen ausgestreute Stroh. Jan van Eyck wollte ihr folgen. Er rief:

»Cathérine! Wohin geht Ihr?«

Sie wandte sich mit einem schwachen Lächeln um.

»Ich muß einen Augenblick allein sein, mein Freund … Ich glaube, Ihr versteht das? Ich gehe nur in die Kapelle … Laßt mich!«

Sie verließ den Saal, durchschritt den Hof und das Gewölbe, das den Weg überspannte. Sie wollte sich in die dem heiligen Jakob gewidmete Kapelle begeben, die auf der anderen Seite lag. Vor dem Abendbrot hatte man ihr die große Kirche des Klosters gezeigt, aber sie hatte zuviel Gold und Edelsteine an den majestätischen Jungfrauen gefunden, zu viele befremdende Gegenstände um die liegende Steinstatue des Königs Sancho des Starken, die alles andere erdrückte. Sie wollte einen friedlichen, kleinen Ort, wo sie sich und Gott wiederfinden konnte. Die Kapelle neben einem niedrigen Grabgewölbe, in dem unterwegs gestorbene Pilger begraben lagen, schien ihr genau der richtige Ort.

Außer dem Standbild des heiligen Reisigen, vor dem eine Öllampe brannte, gab es nur einen steinernen Altar und abgetretene Fliesen. Es war kalt und feucht, aber Cathérine war jenseits aller körperlichen Empfindungen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, gestorben zu sein … Da Arnaud sie verraten hatte, gab es keinen Grund mehr für ihr Herz zu schlagen! … Für eine unbekannte Frau hatte der Mann, den sie über alles liebte, mit einem Schlag die Bande zwischen ihnen zerrissen. Und Cathérine fand, daß ein Teil von ihr, der beste, wesentliche, abgetrennt war, fand sich allein inmitten einer endlosen Wüste. Ihre Hände waren leer, ihr Herz war leer, ihr Leben zerstört.

Schwer sank sie auf dem kalten Stein in die Knie und vergrub das Gesicht in ihren zitternden Händen.

»Warum?« stammelte sie. »Warum?«

So blieb sie lange, völlig erschöpft, ohne zu denken, ohne zu beten, ohne selbst die Kälte zu spüren, die ihren Körper durchdrang. Nicht einmal Tränen hatte sie. In dieser schwarzen, eisigen Kapelle fühlte sie sich wie in einer Gruft, die sie nicht mehr verlassen wollte. Unfähig, nachzudenken, wälzte sie nur immer wieder diesen einzigen, quälenden Gedanken im Kopf: ›Er‹ hatte sie einer anderen wegen vergessen … Nachdem er ihr geschworen hatte, sie bis zum letzten Atemzug zu lieben, hatte er einer Feindin seiner Rasse, seines Gottes die Arme geöffnet … und sagte ihr jetzt zweifellos dieselben zärtlichen Worte, die Cathérine einst bebend von ihm gehört hatte … Würde sie sich jemals von diesem Gedanken lösen, dieses Bild aus ihrem Geist verbannen können? Würde sie nicht daran sterben? So versunken war sie in ihren Schmerz, daß sie die beiden festen Hände kaum fühlte, die sie hochzogen und ihr dann einen Mantel über die frierenden Schultern legten.

»Kommt, Cathérine«, sagte die kernige Stimme Jan van Eycks. »Bleibt nicht hier! Ihr werdet Euch noch den Tod holen!«

Sie sah ihn verstört an.

»Den Tod? … Aber Jan, ich bin tot! … Man hat mich getötet!«

»Redet keinen Unsinn! Kommt!«

Er drängte sie zum Ausgang, doch als sie in dem alten, von einer in die Mauer eingelassenen Fackel erleuchteten Kreuzgang angekommen war, schob sie die stützenden Hände von sich und lehnte sich an die Mauer. Der mit Wucht in den Durchgang fegende Wind zerzauste ihr das Haar, aber seine heftigen Stöße taten ihr gut. »Laßt mich, Jan, ich … ich muß Atem holen!«

»Atmet nur! Aber hört mich an, Cathérine … Ich ahne, wie Ihr leidet, aber ich verbiete Euch zu sagen, Ihr seid tot, Euer Leben sei beendet! Nicht alle Männer vergessen so leicht. Es gibt welche, die unvorstellbar lieben können.«

»Wenn Arnaud mich vergessen konnte, wer wird mir sonst treu bleiben?«