»Der Erzbischof von Karthagena, den ich während des Konzils in Basel vor drei Jahren kennenlernte. Aber Ihr, Ihr seid auch nicht von hier …«
Eine leise Röte überflog Catherines Wangen. Sie war auf diese Frage nicht gefaßt und hatte keine Antwort darauf bereit.
»Ich … ich heiße Michel de Montsalvy«, entgegnete sie überstürzt, um mit ihrer männlichen Kleidung im Einklang zu bleiben. »Ich reise in Begleitung meines Knappen, um das Land kennenzulernen!«
»Es heißt, Reisen bilde die Jugend. Das beweist, daß Ihr nicht unverfroren oder noch sehr unschuldig seid, denn diese Gegend hat nichts Angenehmes an sich. Die Natur ist rauh, und die Menschen sind Halbwilde …«
Er unterbrach sich. Die Menge war plötzlich in tiefes Schweigen gefallen, so daß man das dumpfe Stöhnen des angeketteten Mannes hören konnte.
Ein Trupp Stadtknechte näherte sich, angeführt von einem ganz in Schwarz gekleideten Mann mit strenger Miene, der auf einem kräftigen Andalusier ritt. Im flackernden Licht der Fackeln nahmen die kalten Züge des Ankömmlings den Ausdruck unerbittlicher Härte an. Langsam ritt er inmitten der schweigenden Menge auf den Käfig zu.
»Das ist der Alkalde Don Martin Gomez Calvo!« flüsterte Hans ängstlich und respektvoll. »Ein schrecklicher Mann! Unter seiner hochmütigen Maske verbirgt er eine Wildheit, schlimmer noch als die der Banditen von Oca.«
Tatsächlich wich die Menge vor ihm mit einer Eile zur Seite, die ihre Furcht offenbarte. Die Stadtknechte seines Gefolges hatten es nicht nötig, ihre Waffen zu gebrauchen; das Volk schien so viel Entfernung zwischen sich und den gefährlichen Mann bringen zu wollen, wie es nur konnte.
Im Schritt ritt Don Martin um den Käfig herum, dann zog er seinen Degen und stach den Gefangenen mit der Spitze. Der Gefesselte hob den Kopf und zeigte sein von einem wirren Bart umgebenes Gesicht. Ohne eigentlich zu wissen, warum, überkam Cathérine ein Schaudern, und sie trat, magnetisch angezogen, einige Schritte vor.
In der Stille hörte man jetzt den Gefangenen klagen.
»Ich habe Durst!« stammelte er auf französisch. »Durst!«
Das letzte Wort hatte er hinausgeschrien, und dieser Schrei überdeckte den, der sich mit unwiderstehlicher Gewalt Catherines Kehle entrang.
»Gauthier!«
Sie hatte sofort die Stimme ihres verlorenen Freundes erkannt, und das dichte, wirre Haar konnte ihr seine Züge nicht mehr verbergen. Wahnsinnige Freude überkam sie, ließ sie sogar das tragische Los des Gefangenen vergessen. Sie wollte zu ihm, aber die schwere Hand des Baumeisters legte sich auf ihre Schulter und nagelte sie auf der Stelle fest.
»Haltet Euch ruhig, um Himmels willen! Seid Ihr verrückt?«
»Das ist kein Bandit! Es ist mein Freund … Laßt mich zufrieden!«
»Dame Cathérine! Ich flehe Euch an!« mischte sich Josse ein, sich ihrer anderen Schulter bemächtigend. Hans zuckte zusammen.
»Dame Cathérine?«
»Ja«, rief Cathérine wütend, »ich bin eine Frau … die Gräfin Montsalvy! Was hat das schon zu besagen?«
»Sehr viel! Es ändert alles!«
Und ohne viel Federlesens griff sich der Baumeister Cathérine wie ein einfaches Paket, nahm sie unter den Arm, legte ihr die große Hand auf den Mund, um die junge Frau am Schreien zu hindern, und beförderte sie so zu einem hinter dem Kreuzgang der Kathedrale gelegenen niedrigen Haus, dessen Tür er mit dem Fuß aufstieß.
»Folgt uns mit den Pferden!« hatte er Josse zugerufen, während er sich in die Menge stürzte. Man beachtete ihn gar nicht. Aller Blicke waren auf den Alkalden und den Gefangenen gerichtet. Während sie den Platz überquerte, hörte Cathérine den hohen Beamten mit hochmütiger Stimme Befehle geben, die sie aber nicht verstand. Sie war sich lediglich des zufriedenen Murmelns des Volkes und der fast wonnigen Seufzer bewußt, die sich allen entrangen … Die Völker aller Länder ähneln sich, und Cathérine erriet, daß der Alkalde ihnen ein besonderes Schauspiel versprochen haben mußte.
»Was hat er gesagt?« wollte sie fragen, aber Hans' Hand erstickte ihre Worte. Er ließ sie auch nicht los. Nachdem sie in den dunklen, geräumigen Flur getreten waren, wandte der Deutsche sich an Josse, der hinter ihm eintrat:
»Schließt die Tür!« befahl er. »Und kommt!«
Der Gang öffnete sich auf einen Innenhof, in dem Steinblöcke aufgehäuft waren, und unter einer gedeckten Galerie bemerkte man einige roh zugehauene Statuen von Heiligen. Ein an einem Holzpfeiler aufgehängter Feuertopf gab etwas Licht, dessen Schein bis zum Rande eines alten römischen Brunnens in der Mitte des Hofs reichte. Dort angekommen, zeigte Hans Josse einen anderen Pfeiler, an dem dieser die Pferde festbinden konnte, und stellte dann Cathérine ziemlich unsanft auf die Füße.
»So!« sagte er befriedigt. »Jetzt könnt Ihr schreien, soviel Ihr wollt!«
Halb erstickt und rot vor Zorn, wollte sie ihm wie eine fauchende Katze ins Gesicht springen, aber er packte sie an den Handgelenken und hielt sie ohne Gewalttätigkeit fest.
»Ich befehle Euch, mich gehenzulassen!« schrie sie. »Für wen haltet Ihr Euch? Wer oder was hat Euch erlaubt, mich derart zu behandeln?«
»Die einfache Tatsache, daß Ihr mir sympathisch seid! Junger Herr oder Dame Cathérine, wie Ihr wollt, wenn ich Euch hätte gewähren lassen, wärt Ihr zu dieser Stunde überwältigt, von einem Dutzend Stadtknechte umgeben, gefesselt, in diesem Zustand ins Gefängnis gebracht und dort der Willkür des Alkalden ausgeliefert! Was wärt Ihr dann Eurem Freund noch nütze?« Catherines Zorn verebbte in dem Maße, wie der Baumeister seine klugen Worte von sich gab. Trotzdem wollte sie sich nicht so schnell geschlagen geben.
»Es hätte keinen Grund gegeben, mich einzusperren. Ich bin eine Frau, wie man Euch sagte, ich bin keine Kastilianerin, sondern treue Untertanin König Karls von Frankreich und Edeldame der Königin Yolande, geboren in Aragon, obendrein …Da!« rief sie, in ihren Almosenbeutel greifend und den gravierten Smaragd der Königin herausziehend. »Hier ist der Ring, den sie mir geschenkt hat … Zweifelt Ihr immer noch? Der Alkalde könnte sich nicht weigern, mich anzuhören!«
»Und wenn Ihr die Königin Yolande in Person wäret, könntet Ihr nicht sicher sein, diesen Klauen lebend zu entrinnen, um so weniger, als die Familie Aragon in Kastilien schlecht angesehen ist! Dieser Mann ist ein wildes Tier! Wenn er eine Beute in den Krallen hat, läßt er sie niemals wieder frei! Und was das Juwel betrifft, so würde es nur seine Begehrlichkeit wecken. Don Martin würde sich seiner bemächtigen und Euch in ein stinkendes Loch werfen lassen, bis Euer Freund hingerichtet ist.«
»Das würde er nicht wagen! Ich bin von Adel und Ausländerin! Ich könnte mich beschweren …«
»Bei wem? König Johann und sein Hof sind in Toledo. Und selbst wenn sie hier wären, würde Euch das gar nichts nützen. Der Herrscher von Kastilien ist ein Waschlappen, den jede Entscheidung ermüdet. Nur einer könnte Euch ein günstiges Ohr leihen: der wahre Herr des Königreichs, der Konnetabel Alvaro de Luna!«
»Dann werde ich zu ihm gehen …«
Hans hob die Schultern, holte einen auf einem Hocker stehenden Krug Wein und füllte drei Becher, die er zum Brunnen brachte.
»Wie wollt Ihr das anstellen? Der Konnetabel führt an den Grenzen Granadas Krieg. Der Alkalde und der Erzbischof sind die Herren der Stadt.«
»Dann werde ich den Erzbischof aufsuchen … Sagtet Ihr mir nicht, er sei es gewesen, der Euch hierhergebracht habe?«
»O doch. Monseigneur Alonso ist ein gerechter und guter Mensch, aber leidenschaftlicher Haß bringt ihn in Gegensatz zu Don Martin. Es würde genügen, wenn er um die Begnadigung Eures Freundes bäte, damit der Alkalde sie verweigerte. Versteht: Der eine hat die bewaffnete Streitmacht, während der andere nur über Mönche gebietet. Don Martin weiß das genau … und mißbraucht diese Lage. Aber seht selbst … Zuvor trinkt jedoch ein wenig Wein. Ihr werdet es nötig haben.«
Die Sanftheit des Tons überraschte Cathérine. Sie hob die Augen, und ihr Blick kreuzte den dieses ruhigen Mannes, der ihr Wein anbot. Ein Unbekannter, der sich als Freund betrug – und instinktiv suchte sie nach dem Grund. Spontane Sympathie? Zweifellos, aber auch die Bewunderung, die sie in den Augen der Männer zu lesen gewohnt war. Sie kannte ihre Macht, und offenbar würde dieser hier ihr nicht entrinnen. Mechanisch führte Cathérine den Zinnbecher an die Lippen. Der herbe und starke Wein erwärmte sie und tat ihr gut. Sie leerte den Becher bis zur Neige und reichte ihn Hans zurück. »Also … was soll ich sehen?«
Sie folgte ihrem Gastgeber in einen niedrigen, feuer- und lichtlosen Raum, in dem Strohsäcke mit Decken in einer Reihe ausgebreitet lagen. Ein kleines, durch zwei dicke, kreuzweise angeordnete Stangen vergittertes Fenster ging auf den Platz hinaus. Der Raum war erfüllt von Schweiß- und Staubgeruch.
»Die Arbeiter, die ich mitbrachte, schlafen hier«, erklärte Hans. »Aber im Augenblick sind sie alle auf dem Platz … Schaut mal durchs Fenster!«
Draußen hatten Lärm und Gelächter wieder eingesetzt. Cathérine bückte sich. Was sie sah, entrang ihr einen Ruf der Verblüffung. An einer der mächtigen Hebewinden, die auf den Türmen der Kathedrale angebracht waren, um die Steine hinaufzuhieven, war der große Käfig an der Kirche hochgezogen worden und schwebte jetzt auf der Höhe der dritten Etage. Unten hatte sich die gaffende Menge versammelt und versuchte, den Gefangenen mit allem, was ihr in die Hände fiel, zu treffen … Cathérine wandte sich um und begegnete dem Blick des Baumeisters, der auf ihre Reaktion lauerte.
»Warum hat man ihn da hinaufgezogen?«
»Um die Menge zu belustigen. So wird sie bis zur Stunde der Einrichtung die Leiden des Gefangenen genießen können, denn, wohlverstanden, man wird ihm weder zu trinken noch zu essen geben …«
»Und … wann?«
»Die Hinrichtung? In acht Tagen!«
Cathérine stieß einen Entsetzensschrei aus, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»In acht Tagen? Aber bis dahin wird er längst tot sein …«
»Nein«, sagte hinter ihnen die rauhe Stimme Josses. »Der schwarzgekleidete Mann hat gesagt, der Bandit habe Bärenkräfte und halte es bis zur Hinrichtung, die ihm bevorstehe, gut aus …«
»Und wie wird diese Hinrichtung aussehen?« fragte Cathérine mit trockener Kehle.
»Warum sollen wir es ihr sagen?« wandte Hans ein. »Es wird genügen, wenn sie es am selben Tag erfährt.«
»Dame Cathérine kann den Dingen ins Auge sehen, Kamerad«, entgegnete Josse kühl. »Bilde dir nicht ein, daß du ihr etwas verbergen kannst!« Und sich an die junge Frau wendend: »In acht Tagen wird man ihn lebend abhäuten. Die Haut dieses außerordentlichen Mannes soll zur Bekleidung eines Standbildes Christi dienen. Den Rest wird man dann auf den Scheiterhaufen werfen.«
Vor Grauen sträubten sich Cathérine die Haare. Sie mußte sich an die Wand lehnen, so übel wurde ihr, und sie preßte die Hand auf den Magen. Elans wollte sie stützen, doch sie stieß ihn zurück.
»Nein, laßt. Es geht vorüber …«
»Hattest du es nötig, ihr das zu sagen?« brummte der Deutsche.
»Er hat recht getan … Josse kennt mich.«
Sie ließ sich auf einen der Strohsäcke fallen und stützte den Kopf in die Hände. Die erbarmungslose Epoche, in der sie lebte, die Schrecken des Krieges, die sie ohne Unterlaß erlebt hatte, waren ihr zu vertraut, als daß sie sich so leicht aufregte, aber das, was sie eben gehört hatte, überstieg jede Vorstellung.
»Sind diese Leute denn wahnsinnig? Oder bin ich's? … Kann man sich eine solche Barbarei überhaupt ausdenken?«
»Bei den Mauren, die Granada besetzt halten, kann man noch Schlimmeres sehen«, sagte Josse traurig. »Ich stelle fest, daß man in diesem Land noch blutgieriger ist als anderswo …« Cathérine hörte nicht mehr zu. Sie fragte, wie um die Bedeutung eines Christusbildes besser zu verstehen, ob eine solche Entweihung, eine solche Freveltat überhaupt möglich sei.
»Es gibt in der Kathedrale bereits eine Bildsäule dieser Art«, sagte der Baumeister ruhig. »Kommt jetzt! Bleibt nicht hier. Es ist kalt, und die Männer kommen bald zurück …«
Sanft nahm er sie am Arm, führte sie durch den Innenhof und in eine große Küche, die ganz hinten lag und die gesamte Länge des Hauses einnahm. Dort brannte ein Feuer unter einem rußigen schwarzen Kochtopf, dem ein höchst angenehmer Duft entströmte. Eine auf einem Hocker neben einem Faß sitzende alte Dienerin schlief tief, die Hände auf die Knie gelegt, mit geöffnetem Mund. Hans wies mit dem Kopf auf sie und hieß Cathérine, sich auf eine Bank zu setzen.
»Sie heißt Urraca. Und sie ist stocktaub! Wir können sprechen …« Er schüttelte die Alte, die die Augen aufschlug, sofort in einen Wortschwall ausbrach und, ohne die beiden Reisenden überhaupt zu beachten, sich daranmachte, den Topf auszuhaken, um ihn auf den Tisch zu stellen. Dann zog sie aus einer Truhe Näpfe aus Holz und füllte sie mit überraschender Schnelligkeit mit Suppe. Dies getan, kehrte sie wieder zu ihrem Hocker zurück, um zu schlafen. Hans gab Cathérine einen Napf in die Hände, bediente Josse und ließ sich mit dem seinen neben ihnen nieder.
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