»Ihr habt schon viel zuviel getan, mein Freund, und für alle diese zum Nutzen einer Unbekannten übernommenen Risiken bin ich Euch zutiefst und ehrlich verbunden. Und was mich betrifft, so seid beruhigt, ich habe den Problemen, die sich mir stellten, immer ins Auge sehen können. Ich werde mit dem da bestimmt zurechtkommen.«

»Und schließlich bin ich ja auch noch da«, brummte Josse in seiner lässigen Art. »Gehen wir zu den realistischen Dingen über. Ihr habt gesagt, Meister Hans, Ihr würdet uns die Mittel geben, ihn fortzuschaffen. Was für Mittel sind das?«

»Ein Fuhrwerk mit Steinen. Ich muß eine Ladung ins Hospiz des Königs neben dem Kloster Las Huelgas, eine halbe Meile vor der Stadt, fahren, um dort Reparaturen auszuführen. Wir brechen nach Öffnung der Stadttore auf. Euer Freund wird zwischen den Steinen versteckt werden. Die Lanzen der Wachen können nicht in der Ladung herumstochern. Wir werden Eure Pferde an den Wagen spannen, und im Kloster werde ich Euch einen anderen Wagen zum Transport dieses Mannes besorgen, wie ich mir auch andere Pferde besorge, um mein Fuhrwerk zurückzubringen. Das Folgende müßt Ihr der Gnade Gottes empfehlen.«

»So viel hätte ich gar nicht erhofft«, sagte Cathérine einfach. »Vielen Dank, Meister Hans!«

»Genug geredet. Beschäftigen wir uns jetzt mit ihm, und bereiten wir den Karren vor. Der Tag wird gleich anbrechen!«

Ohne noch ein Wort zu sprechen, machten sich alle vier an die Arbeit. Gauthier, von seinen Lumpen befreit, wurde gewaschen, mit ländlicher, aber anständiger und fester Kleidung versehen, die augenscheinlich aber zu kurz war, denn keiner der drei Männer hatte seine Maße. Auf seiner Kopfwunde, die man, so gut es eben ging, gesäubert hatte, hatten das Blut und die Haare eine dicke Kruste gebildet. Sie wurde in Ermangelung eines Besseren mit Hammelfett eingeschmiert. Man schnitt ihm die Haare und rasierte ihn, um ihn vollkommen unkenntlich zu machen. Er ließ alles wie ein Kind mit sich geschehen, stieß nur ab und zu einen kurzen Klagelaut aus. Aber gierig verschlang er die heiße Suppe, die vom Abend zuvor übriggeblieben war, und trank den Krug Wein aus, den Hans ihm anbot. Josse betrachtete ihn nachdenklich, während er trank.

»Er müßte noch viel mehr trinken«, bemerkte er. »Wenn er im Wagen schliefe, wäre es weniger gefährlich. Stellt Euch vor, die Wachen hörten seine unartikulierten Klagelaute!«

»Es ist unnötig, ihn betrunken zu machen«, sagte Hans. »Ich habe Mohnkörner zur Linderung von Schmerzen mit, für den Fall, daß meine Arbeiter sich auf dem Bau verletzen. Ich werde ihm jetzt gleich welche geben, in etwas Wein zerdrückt. Er wird wie ein Kind schlafen.«

Als sie ihre Pflegearbeit an Gauthier beendet hatten, war am Horizont ein weißer Streifen aufgetaucht und hatte die Nacht verdrängt. Kurz darauf erklangen die heiseren Stimmen der Hähne, die sich antworteten. Hans warf einen besorgten Blick zum Himmel.

»Machen wir jetzt das Fuhrwerk fertig«, sagte er. »Urraca wird bald aus ihrer Dachkammer herunterkommen.«

Schnell flößte er Gauthier den mit dem Schlafmittel vermischten Wein ein, wickelte ihn in eine Wagendecke und trug ihn zu dem in einer Remise neben dem Haus stehenden großen Karren. Dann fing er an, von Josse und Hatto unterstützt, Steinblöcke hinüberzutragen, die er so geschickt im Wagen verteilte, daß der Normanne durch sie verborgen wurde, ohne Gefahr zu laufen, verletzt zu werden. In die Lücken wurde Stroh gestopft.

Es war Zeit. Gauthier war gerade hinter seinem improvisierten Wall verschwunden, als die Hausbewohner erwachten. Die alte Urraca, die Schleiereulenaugen noch voll Schlaf, kam vorsichtig auf einer Art Leiter, die in den oberen Stock führte, herunter und begann, mit ihren ausgetretenen Latschen über den Hof und in die Küche zu laufen, Wasser aus dem Brunnen schöpfend, Holz aus dem Schuppen holend und in die Glut blasend, die sie am Abend zuvor sorgfältig mit Asche bedeckt hatte, bevor sie zu Bett gegangen war. Bald fing das Wasser im Kessel zu kochen an, während die Alte mit einem Messer, dessen Länge einen schaudern machte, dicke Scheiben Schwarzbrot abschnitt, die sie mit vom Küchenbalken losgehakten Zwiebeln auf den Tisch legte. Einer nach dem anderen, gähnend und sich reckend, kamen die Steinmetze von ihren Schlafstellen, wuschen sich prustend in einem Kübel kalten Wassers und kamen dann zum Tisch, um zu frühstücken. Cathérine, ebenfalls gähnend und sich reckend wie die anderen, hatte ihren Platz in der Kaminecke eingenommen, und dies nicht ohne Grund. Der frühe Morgen war sehr kalt, und sie war völlig durchfroren. Was Josse betraf, tat er so, als fiele es ihm schwer, richtig wach zu werden, und ging dann hinaus, um einen kleinen Rundgang über den Platz zu machen. Er wollte sehen, wie sich der neue Insasse des Käfigs im Tageslicht ausnahm. Hans blickte ihm mit einem besorgten Gefühl nach, beruhigte sich aber bald wieder. Das Augenblinzeln und Zungenschnalzen, mit denen Josse ihn bedachte, waren durchaus zufriedenstellend. Also wandte er sich an seine Arbeiter und begann, sie in ihrer Muttersprache anzureden. Cathérine erhaschte so nebenbei die Worte ›Las Huelgas‹ und verstand, daß der Baumeister ihnen ankündigte, er werde sich an diesem Tag in das berühmte Kloster begeben. Die Deutschen nickten zustimmend. Keiner sagte etwas. Einer nach dem anderen traten sie nach einem kurzen Gruß in Richtung der jungen Frau in die aufgehende Sonne hinaus und gingen mit hängenden Schultern, schon die ermüdende Tagesarbeit vor Augen, zu ihrer Baustelle. Hans warf Cathérine ein leises Lächeln zu.

»Eßt schnell etwas, und dann brechen wir auf. Die Stadttore werden geöffnet …« Tatsächlich hörte man das Fallgatter der ganz in der Nähe gelegenen Porta Santa Maria knarren, während die Stimmengeräusche, die Schreie und üblichen Rufe den Platz zu erfüllen begannen. Hans wandte sich zur Tür.

»Wo ist Josse?« fragte er. »Noch auf dem Platz?«

»Ich glaube … ja!«

»Ich hole ihn.«

Mechanisch mit ihren schönen Zähnen noch einen Brotkanten und eine Zwiebel kauend, folgte ihm Cathérine. Josse war nicht weit. Seine hagere Silhouette mit den in die Hüften gestemmten Armen hob sich einige Klafter vom Haus entfernt ab. Er schien von einem Spektakel fasziniert zu sein, das auch Hans und Cathérine sofort fesselte. Eine Reiterschar kam auf den Platz geprescht. Die junge Frau erkannte die Stadtknechte und mitten unter ihnen den andalusischen Renner und den schwarzen Federbusch Don Martin Gomez Calvos. Im selben Augenblick kam im Laufschritt ein Trupp Zimmerleute mit Balken und Bohlen, Leitern und Hämmern an. Ein riesiger Mann, in dunkles Purpur gekleidet, schien sie anzuführen.

»Der Scharfrichter!« stieß Hans erbleichend hervor. »Donnerwetter! Soll das etwa heißen, daß …«

Er beendete seinen Satz nicht. Was sich vor den entsetzten Augen Catherines abspielte, war nur zu klar. Mit teuflischer Schnelligkeit richteten die Zimmerleute ein niedriges Gerüst auf, angefeuert von den energischen Gesten des Scharfrichters und dem Peitschenknallen dreier plötzlich erschienener Aufseher.

»Es sind maurische Sklaven!« flüsterte Hans. »Wir müssen sofort fliehen. Seht, was Don Martin tut.«

Cathérine wandte den Kopf zu dem Alkalden. In Wahrheit bedurfte es keiner langen Prüfung, um zu verstehen, was er tat. Aufrecht im Steigbügel stehend, mit einem knochigen Finger zum Himmel, dann wieder auf den Boden weisend, gab er so klar, daß man seine Worte nicht zu übersetzen brauchte, den Befehl, den Käfig herunterzuholen.

In diesem Augenblick drehte Josse sich auf dem Absatz um und rannte zum Haus zurück. Er war leichenblaß.

»Alarm!« rief er. »Don Martin fürchtet, die schlechte Behandlung habe den Gefangenen zu sehr geschwächt. Er hat Befehl gegeben, die Hinrichtung vorzubereiten. Und er scheint es eilig zu haben!«

Tatsächlich tauchte ein neuer Trupp maurischer Sklaven mit gelben Turbanen auf, mit Holzkloben und Reisigbündeln beladen, die für den Scheiterhaufen des zuvor Abgehäuteten bestimmt waren.

Ohne zu antworten, packte Hans Cathérine und Josse am Arm und kehrte mit ihnen eiligst ins Haus zurück. Sie stürzten zum Wagen, an den Hatto gerade die Pferde geschirrt hatte. Hurtig kletterten die drei Gefährten auf das Fuhrwerk; Cathérine neben Hans, der die Zügel ergriff, und Josse hinten mit herunterhängenden Beinen, die Kappe über den Augen, in der Haltung eines gewissenhaften Arbeiters, der sich zu seiner Baustelle begibt, ohne sich um andere Dinge zu bekümmern. Die Peitsche knallte in den Händen Hans', und das Gespann durchfuhr die Bohlenschranke, die Hatto offenhielt. Man fuhr auf die Porta Santa Maria zu. Aber schon wurde es schwierig durchzukommen. Die Vorbereitungen für die Hinrichtung hatten die Bürger aus ihren Häusern gelockt. Sie drängten sich in dichten Scharen zusammen, stießen und schubsten sich, um in die vorderen Reihen zu kommen. Die Fenster öffneten sich fröhlich klappernd und rahmten Frauen mit blitzenden Augen ein. Man stieg auf die Dächer, die der Regen des vergangenen Abends und die Morgenkälte glatt und schlüpfrig gemacht hatten. Das Volk von Burgos bereitete sich fieberhaft auf ein besonderes Schauspiel vor!

Catherines Blick glitt angstvoll über das Gerüst, wo die Henker in diesem Augenblick einen mit Ketten versehenen Pfahl in Form eines Kreuzes auf dem schon fast aufgeschichteten Scheiterhaufen errichteten, und dann zum Turm hinauf, zum Käfig, der langsam heruntergelassen wurde. Er hatte bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Und das Fuhrwerk hatte immer größere Schwierigkeiten, vorwärts zu kommen.

»Paso!«,[2] brüllte Hans, aufrecht stehend und mit der Peitsche knallend. »Paso! …«

Aber die Menge, die immer dichter wurde, war von den Vorbereitungen der Hinrichtung zu sehr gefesselt, um ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Seine Rufe trugen ihm höchstens einen verächtlichen Blick ein. Dieses Volk zog es vor, von den Hufen der Pferde niedergetreten zu werden, bevor es auch nur einen Daumenbreit von der Stelle wich. Der Deutsche wurde zornig.

»Cuidado!«,[3] befahl er, während die Peitsche einige rebellische Schultern streifte. Gleichzeitig zerrte er mit aller Kraft an den Zügeln und ließ die Pferde sich aufbäumen, deren ausschlagende Hufe mehrere Köpfe bedrohten. Diesmal wich die Menge, Schreckensschreie ausstoßend, zur Seite. Hans trieb seine Pferde dem Tor zu.

Und im selben Augenblick berührte der Käfig den Boden, und Don Martin brauchte nicht zweimal hinzusehen, um festzustellen, daß der Gefangene ihm entwischt war. Cathérine, die ihn beobachtete, sah ihn erbleichen. Er sprang vom Pferd und bellte Befehle. Die getäuschte, schon wütende Menge begann zu grollen wie das Meer beim Herannahen eines Sturms. Der Karren fuhr jetzt unter das Gewölbe des Stadttors. Knarrend senkte sich das Fallgatter vor dem Geschirr der Pferde. Don Martin hatte Befehl gegeben, die Tore zu schließen und die Stadt zu durchsuchen!

Einer Ohnmacht nahe, schloß Cathérine die Augen und sank auf ihren Sitz zurück. Hans' Stimme drang flüsternd wie aus einem tiefen Traum zu ihr:

»Mut! Kaltes Blut! Dies ist nicht der Augenblick, nervös zu werden! Kopf hoch jetzt! Es ist unsere einzige Chance.«

Und er überfiel die Wachen mit einem Wortschwall in bestem Kastilianisch, setzte ihnen wütend und langatmig auseinander, daß er seine Arbeit zu tun habe und die lokalen Geschichten ihn nichts angingen.

Wütend mit den Händen herumfuchtelnd, so daß sogar Don Martin hätte eifersüchtig werden können, deutete Hans abwechselnd auf das geschlossene starke Gitter und sein Fuhrwerk und versuchte sichtlich, die Wachen zu überreden, ihn durchzulassen. Die aber, schwer auf ihre Piken gestützt und auf ihren Befehlen beharrend, schüttelten nur die Köpfe und weigerten sich, weiter zuzuhören. Entmutigt ließ Hans sich auf seine Kutschbank zurückfallen.

»Was sollen wir jetzt tun?« fragte Cathérine, den Tränen nahe.

»Was können wir schon tun? Wir müssen hierbleiben und abwarten … mit allen damit verbundenen Risiken!«

Bedrückt senkte Cathérine den Kopf, faltete die Hände vor der Brust und sprach still ein Gebet, ohne sich darum zu kümmern, was sich hinter ihr abspielte. Indessen brauste es auf dem Platz wie ein aufgewühltes Meer. Von den Stadtknechten übel zugerichtet, die sie mit einem Hagel von Lanzenhieben traktierten, um sich einen Weg zu den Häusern zu bahnen, brüllten die Menschen wie Schweine auf der Schlachtbank. Schmerz und Wut mischten sich. Hin und wieder brachen Streitigkeiten aus, ja, es kam sogar zu Tätlichkeiten. Und schon stürmten die Männer Don Martins in die Herbergen und unterzogen die Gastwirte und Reisenden scharfen Verhören. Jedermann glaubte in jedem unbekannten oder auch nur etwas fremdländisch aussehenden Gesicht einen der furchtbaren Banditen des Waldes von Oca zu erkennen, die zweifellos gekommen waren, um ihren Kameraden zurückzuholen. Furcht schlich sich in die Herzen und säte Panik.