Und ohne noch ein Wort zu verlieren, setzte Josse seine Pferde wieder in Trab, auf die schmale, winzige Pforte in dem arabischen Spitzbogen zu, der ihr als Rahmen diente. Zwei unbewegliche Posten bewachten sie. Sie schienen in der Zeit und vor diesem Hintergrund erstarrt zu sein. Sie verschmolzen so vollkommen mit der Stille des einsamen Plateaus, daß sie den Eindruck der Fata Morgana verstärkten, den dieses stumme Schloß hervorrief. Einzig das Lilienbanner des Schloßturms bewegte sich leise im schwachen Abendwind und schien zu leben. Zur großen Überraschung Catherines und Josses rührten die Soldaten sich nicht, als der Karren sich ihnen näherte. Und als Josse ihnen in seinem besten Spanisch erklärte, die Edeldame Cathérine de Montsalvy wünsche Seine Hoheit, den Erzbischof von Sevilla, zu sprechen, begnügten sie sich mit einer Kopfbewegung in Richtung des Ehrenhofs, von dessen erstaunlicher und pittoresker Ausstattung die Reisenden bereits einen flüchtigen Blick erhaschten.
»Das ist aber ein schlecht verteidigtes Schloß«, murmelte Josse zwischen den Zähnen.
»Abwarten!« sagte die junge Frau. »Erinnert Euch an die sichtliche Furcht des Bauern, den Ihr vor einer Stunde nach dem Weg gefragt habt. Achtet auf die Stille dieses Schlosses und dieses Dorfes, das ausgestorben scheint. Ich glaube, die Hexerei, von der es heißt, sie wohne hinter seinen Mauern, verteidigt dieses Domizil unendlich viel besser als eine Armee … Und ich frage mich, ob wir wirklich zu einem Gottesmann gehen … oder nicht etwa zum leibhaftigen Teufel?«
Die drückende Atmosphäre wirkte mächtiger auf Cathérine, als sie es sich eingestehen wollte; Josse dagegen war jenseits solcher Besorgnisse.
»An dem Punkt, wo wir jetzt angekommen sind«, brummte er, »sehe ich nicht ein, was wir zu verlieren hätten, wenn wir es uns näher ansehen.«
Der Erzbischof Alonso de Fonseca war so merkwürdig und fremdartig wie sein Schloß, aber viel weniger schön. Klein, mager und verwachsen, glich er einer Pflanze, die ein nachlässiger Gärtner nicht einmal im Traum zu begießen dachte. Sein fahler Teint und seine rotumränderten Augen deuteten an, daß er nicht oft die Sonne sah und durchwachte Nächte bevorzugte.
Er hatte schwarzes, schütteres Haar, einen kümmerlichen Bart, litt außerdem an einem Nervenzucken und schüttelte dauernd den Kopf, was seinen Gesprächspartnern ebenso lästig war wie ihm.
Nach zehn Minuten Unterhaltung hatte Cathérine die größte Lust, es ebenso zu machen. Aber er hatte die schönsten Hände der Welt, und seine tiefe, sanfte Stimme gleich dunklem Samt hatte etwas Bezauberndes.
Er empfing ohne augenscheinliche Überraschung diese große fahrende Dame, deren Troß und Anblick so wenig ihrem Namen und ihrem Stand entsprachen, aber seine Zuvorkommenheit war ohne Fehl. Es war durchaus normal, daß man im Laufe einer langen, beschwerlichen Reise die Gastfreundschaft eines Schlosses oder eines Klosters in Anspruch nahm. Die des Erzbischofs von Sevilla war schon legendär; seine Neugier schien jedoch zu erwachen, als Cathérine von Gauthier und der Pflege sprach, die sie für ihn in Coca zu erlangen hoffte. Seine Neugier war geweckt … und sein Mißtrauen.
»Wer hat Euch denn gesagt, meine Tochter, daß ein ungläubiger Arzt in meinen Diensten sei? Und wie habt Ihr glauben können, daß ein Bischof ihn unter seinem Dach beherberge?«
»Ich habe nichts Außergewöhnliches darin gesehen, Euer Hoheit«, erwiderte Cathérine. »Einst, in Burgund, habe ich selbst mehr als Freund denn als Diener einen großen Arzt gehabt, der aus Córdoba stammte. Und was den betrifft, der mich an Euch verwiesen hat, so ist es der Baumeister der Kathedrale von Burgos.«
»Ah! Meister Hans von Köln! Ein großer Künstler und weiser Mann! Aber erzählt mir noch ein wenig von dem maurischen Arzt, der Euch diente. Wie hieß er?«
»Man nannte ihn Abu al-Khayr.«
Fonseca stieß ein kleines Zischen aus, das Cathérine sofort klarmachte, in welch hohem Ansehen ihr Freund stand.
»Kennt Ihr ihn?« fragte sie.
»Alle einigermaßen aufgeklärten Geister haben von Abu al-Khayr, dem Leibarzt, Freund und Berater des Kalifen von Granada, gehört. Ich fürchte, mein eigener Arzt, so geschickt er auch sei, kommt ihm nicht gleich, und ich bin noch mehr erstaunt, daß Ihr hierhergekommen seid, meine Tochter, statt geradewegs zu ihm zu gehen.«
»Der Weg nach Granada ist weit, und mein Knecht ist sehr krank, Monseigneur. Außerdem, weiß ich denn, ob wir bis zum Königreich des Kalifen durchdringen könnten?«
»Gegen diese Überlegung gibt es nichts einzuwenden.« Den erhöhten Sitz verlassend, auf dem er sich zum Empfang der jungen Frau niedergelassen hatte, schnalzte Don Alonso mit den Fingern, worauf aus dem Schatten eines Lehnstuhls die lange, schmale Gestalt eines Pagen trat.
»Tomas«, sagte er zu ihm, »im Hof hält ein Wagen, in dem ein Verwundeter liegt. Du sorgst dafür, daß er herausgehoben und so behutsam wie möglich zu Hamza getragen wird, damit er ihn untersucht. In kurzem werde ich selbst zu ihm gehen und mich über den Zustand des Mannes vergewissern. Dann wirst du dafür sorgen, daß die Dame de Montsalvy und ihr Knappe ehrenhaft untergebracht werden. Kommt, edle Dame, gehen wir inzwischen soupieren.«
Mit einer Zuvorkommenheit, die einem weltlichen Fürsten nicht besser angestanden hätte, bot Don Alonso Cathérine die Hand, um sie zu Tisch zu führen. Unwillkürlich errötete sie. Der Gegensatz ihrer eigenen, mehr als einfachen und ziemlich staubigen Kleidung zum purpurrot-blauen Brokat des Erzbischofs war zu auffallend. »Ich bin nicht würdig, an Eurer Tafel zu sitzen, Monseigneur«, entschuldigte sie sich.
»Wenn man Augen hat wie Sie, meine Teure, ist man immer würdig, am Tisch eines Kaisers Platz zu nehmen. Außerdem werdet Ihr in Euren Gemächern Eurem Stande angemessenere Kleider vorfinden. Aber ich glaube, nachdem Ihr so viele Meilen zurückgelegt habt, müßt Ihr vor Hunger sterben und braucht dringend etwas zu essen«, schloß der Bischof lächelnd.
Cathérine gab sein Lächeln zurück und nahm die ihr immer noch dargereichte schöne Hand. Sie war unbewußt glücklich, Tomas, dem Pagen, den Rücken kehren zu können, dessen Anblick ihr sofort unangenehm gewesen war, als er ins Licht getreten war. Nicht, daß er häßlich gewesen wäre. Es war ein etwa vierzehn- oder fünfzehnjähriger Junge mit edlen, regelmäßigen Gesichtszügen. Aber in der fahlen Blässe seines Aussehens und der Magerkeit seines langen schwarzgekleideten Körpers lag etwas Gieriges und Unnachgiebiges zugleich. Und was seinen Blick betraf, so gestand Cathérine sich ganz im geheimen ein, daß er beinahe unerträglich war, etwas bei einem so jungen Menschen Seltenes. Die eisblauen Augen unter den Lidern, die nicht einen Augenblick blinzelten, brannten in einem fanatischen Feuer, das schwer auszuhalten war. Kurzum, seine unheimliche Gestalt bildete einen unerfreulichen Gegensatz zu der Pracht des Dekors, und während Cathérine an der Seite Don Alonsos durch eine schmale, durchbrochene Marmorgalerie schritt, die auf den großen Hof hinausblickte, konnte sie sich nicht enthalten, eine Bemerkung darüber zu machen.
»Darf ich Eurer Hoheit sagen, daß Euer Page nicht zu Euch paßt? Er scheint in keiner Weise in Übereinstimmung mit dem Glanz, der uns umgibt«, sagte sie, indem sie auf den prächtigen Hof mit seinen Marmorarkaden und den mit leuchtenden Azulejos bedeckten Wänden deutete.
»Als ob ich das nicht auch bemerkte«, lächelte der Bischof. »Tomas ist einer der Besten, eine beharrliche und harte Seele, ganz Gott hingegeben. Ich fürchte sehr, daß er meine Lebensweise und meine Umgebung ziemlich streng beurteilt. Die Wissenschaft und die Schönheit interessieren ihn nicht, obwohl diese doch meinen Lebensinhalt darstellen. Er haßt die Mauren mehr als den Herrn Satan, glaube ich. Ich schätze ihren Geist.«
»Warum habt Ihr ihn dann zu Euch genommen?«
»Sein Vater ist ein alter Freund von mir. Er hoffte, daß der junge Tomas bei mir vom Glauben gefesselt werden würde, allerdings von einer liebenswerteren Vorstellung, als er sie hat, aber ich fürchte, ich bin gescheitert. Er wagt nicht, mir den Dienst aufzukündigen. Indessen weiß ich, daß er sehnlichst wünscht, in den Dominikanerorden von Segovia einzutreten, und ich werde bestimmt keinen Augenblick zögern, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Er ist erst seit drei Monaten hier. Nach sechs Monaten werde ich ihn zurückschicken. Er ist wirklich zu unheimlich!«
Unmittelbar bevor sie den großen Saal betraten, in dem das Souper angerichtet war, konnte Cathérine einen Blick auf die schwarze Gestalt des Pagen erhaschen, der unten in der Mitte des Hofs neben dem Karren stand und einem Trupp von Dienern Befehle erteilte. Sie fröstelte wieder in der Erinnerung an den eisigen, verächtlichen, an Widerwillen grenzenden Blick, mit dem der unbekannte Junge sie niedergedrückt hatte.
»Wie heißt er?« konnte sie sich nicht enthalten zu fragen.
»Tomas von Torquemada. Seine Familie stammt aus Valladolid. Aber vergeßt ihn, meine Teure, und gehen wir zu Tisch.«
Es war lange her, seit Cathérine ein solches Mahl genossen hatte. Offenbar waren die Speisekammern des Erzbischofs wohl gefüllt, und seine Köche kannten jede Verfeinerung der abendländischen Küche, auch gewisse Süßigkeiten der orientalischen Kochkunst. Heiße, parfümierte Weine aus der bischöflichen Residenz des Prälaten (in die er übrigens nie den Fuß setzte) benetzten ein Festessen aus verschiedenen Fisch- und Wildbretgerichten, das mit einer Vielfalt reichlich mit Honig übergossenen Backwerks endete. Ein Heer von Dienern in roten Seidenturbanen hatte es aufgetragen, und als es beendet war, hatte Cathérine die Strapazen der Reise vergessen.
»Jetzt ist es Zeit, zu Hamza zu gehen«, hatte Don Alonso, sich erhebend, gesagt. Eifrig war sie ihm durch die riesigen, prunkvollen Säle, die langen, kühlen Gänge und die Höfe des Schlosses zum mittleren Turm gefolgt. Aber das reichliche Souper und die schweren Weine machten das Ersteigen des mächtigen Turms etwas beschwerlich, in dessen oberstem Stockwerk Don Alonso seinen kostbaren Arzt einquartiert hatte.
»Hamza beobachtet auch die Sterne«, vertraute er ihr an. »Es ist das gegebene, ihn an der höchsten Stelle meines Hauses unterzubringen, damit er den Sternen näher ist.«
Tatsächlich öffnete sich der Raum, den Don Alonso jetzt vor Cathérine betrat, durch einen langen Ausschnitt der Decke, der das dunkelblaue, mit Sternen besäte Firmament einfaßte, direkt zum Himmel. Fremdartige Instrumente standen und lagen auf einer großen Ebenholztruhe. Doch Cathérine hielt sich nicht bei ihnen auf. Auch nicht bei der unwahrscheinlichen Anhäufung von Töpfen, Fläschchen, Retorten, staubigen Pergamentrollen, Bündeln von Pflanzen und barbarischen Werkzeugen. Sie sah nur eins: den langen Marmortisch, auf dem Gauthier ausgestreckt lag, mit starken Lederriemen festgeschnallt. Neben ihm stand ein weißgekleideter Mann mit weißem Turban, der ihm mit einer dünnen Klinge, die im Schein mehrerer Dutzend gelber Wachskerzen blitzte, den Kopf rasierte. Die Hitze, die die Kerzen ausstrahlten, war erstickend, der Geruch des warmen Wachses widerlich, aber Cathérine war nur an dem Arzt interessiert. Auf der anderen Seite des Tischs bemerkte sie eben noch Josse. Der Maure Hamza bot einen imposanten Anblick. Groß und sehr korpulent, trug er den gleichen weißen, seidigen Bart, wie Cathérine ihn so oft an ihrem Freund Abu al-Khayr bewundert hatte. In seiner schneeweißen Kleidung und mit seinem beherrschenden Blick ähnelte er einem Propheten, doch seine Hände, die mit dem Kopf Gauthiers beschäftigt waren, wirkten unglaublich klein und zart, wahre Vogelkrallen am Leib eines alten Tieres. Ihre Gewandtheit hatte etwas Unwirkliches an sich.
Beim Eintritt Catherines und ihres Gastgebers unterbrach er seine Arbeit nicht, grüßte seinen Herrn nur mit einem kurzen Neigen des Kopfes und die junge Frau mit einem schnellen, gleichgültigen Blick. Cathérine betrachtete indessen unruhig die Reihe silbrig blitzender Instrumente, die auf einem mit weißglühenden Kohlen gefüllten Dreifuß ausgelegt waren. Don Alonso und Hamza tauschten ein paar schnelle Sätze, deren wesentlichsten Inhalt der Bischof übersetzte.
»Die Krankheit dieses Mannes kommt von seiner Kopfverletzung. Seht selbst. An dieser Stelle ist die Schädeldecke eingeschlagen und drückt auf das Gehirn.«
Er wies auf die Wunde, die jetzt auf der entblößten Haut des Schädels deutlich und gut sichtbar war. Die blutverkrustete Einbuchtung war nur zu klar zu erkennen.
»Also ist er verloren?« stammelte Cathérine.
»Hamza ist tüchtig«, versicherte Don Alonso lächelnd. »Er hat schon Verletzungen operiert, die von Hammerschlägen oder Waffenhieben herrührten.«
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